Über die Geburtshilfe der Chinesen

Grube erwähnt in seiner "Pekinger Volkskunde" in dem die Riten bei der Geburt behandelnden Teil ein chinesisches Werk, das Da Sheng Bian "Geburt des Menschen", eine Art Leitfaden für chinesische Hebammen, etwa unserm Hebammenlehrbuch entsprechend, welches jede chinesische Hebamme für ihre Berufsausübung aus Staatsmitteln erhält. Die Grubeschen Mitteilungen veranlaßten mich, dies Buch näher zu studieren. Dabei wurde ich selbst noch auf zwei andere ähnliche Bücher aufmerksam, das Da Sheng Yao Zhi "Wissenswertes über die Geburt" und das She Sheng Bi Pon Zong Yao "Wichtigste geheime Erklärungen der Geburtshilfe". In diesen Büchern findet sich eine Fülle interessanter Tatsachen über chinesische Medizin, sowie über chinesisches Denken im allgemeinen, wovon ich im folgenden einen kurzen Abriß geben möchte, dem ich einige eigene Beobachtungen hinzufüge.

Das Da Sheng Bian ist von mehreren Gelehrten geschrieben, bearbeitet 1715 von Ji Zai Zu Se, das Da Sheng Yao Zhi von einem Shanghaier Arzt Fang Dong Yuan, stammt aus dem Jahre 1737. Das She Sheng Bi Pon Zong Yao schließlich ist noch weit älter, verfaßt 1638. In beinahe 200 Jahren ist wenigstens schriftlich für diese Wissenschaft nichts Neues wieder niedergelegt worden. Immerhin ist es sehr bemerkenswert, das schon vor so langer Zeit eine empirisch-systematische Geburtshilfe in China existierte, mit den ersten Anfängen einer staatlichen Organisation. Selbstverständlich ändert sich unter dem westländischen Einfluß auch hier täglich Vieles. Wo westländische Ärzte in China wirken, sucht die chinesische Frau gelegentlich ihren Rat, im allgemeinen aber ist es dabei sehr schwer, die chinesichen Frauen mit gynäkologischem Leiden oder bei Entbindungen zu einer Untersuchung zu veranlassen. Sie sind vielmehr gewöhnt, daß der Arzt Diagnose und Therapie auch ohne das durch Pulsfühlen bestimmt, und zwar an mehreren Stellen des Körpers, an den Handgelenken, wobei aber rechts und links von verschiedener Bedeutung ist, und an mehreren Stellen des Kopfes. Aber ich habe auch selbst mehrfach schwangere Frauen gesehen, die sich über ihren Zustand vergewissern wollten oder Hilfe wegen ihrer Beschwerden suchten und ausdrücklich eine Untersuchung wünschten. Meist handelt es sich dann aber um Christinnen oder um Personen, die durch ihre männlichen Verwandten in Fühlung mit den Fremden stehen. Ihnen gegenüber stehen ganz konservativ denkende, gewöhnlich den vornehmen Klassen angehörende Frauen, denen schon die Zumutung einer Untersuchung eine Beleidigung erscheint.

Um dem chinesischen Arzt den Sitz ihres Leidens auch ohne Entblössung des Körpers zu bezeinen, bedient sich die chinesische Frau auch jetzt noch recht oft einer zierlich geschnitzten elfenbeinernen nachten Frauenfigur, an der sie die "böse Stelle" demonstriert. Auch nur die Genitalien allein vorstellende Elfenbeischnitzereien sind in Gebrauch.

Weit ist westländische Medizin auf diesem Gebiet noch nicht vorgedrungen, und jedenfalls haben die Bücher, um die es sich handelt, noch aktuellen Wert. Lange wird gewiss dem nicht mehr so sein, denn immer mehr wächst die Zahl chinesischer Ärzte, die in Amerika, Europa, Japan, Medizin studiert haben, gibt es doch in China selbst an den verschiedensten Stellen schon Medizinschulen nach fremdem Muster, z. B. die verschiedenen Missionsschulen. Aber auch der chinesische Staat selbst hat z. B. in Tientsin und in Paotingfu ganz moderene militärärztliche Akademien eingerichtet, mit fremden Lehrern.

Vorläufig ist die Grundlage alles medizinischen Wissens, d. h. anatomische Kenntnisse, äußerst dürftig. Über Größe, Lage der menschlichen Organe weiß der chinesische Arzt weniger, wie bei uns in jeder Volksschule gelehrt wird. Die auf solcher Grundlage sich aufbauende Wissenschaft ist deshalb reine Empirie und Spekulation. Wenn daher im folgenden vieles absurd und lächerlich erscheint, so ist doch zu beachten, wie viele gesunde empirische Erfahrungen in anerkenneswerter Weise zu einem Ganzen zusammengestellt sind, zumal in so früher Zeit. Theoretisch, wie der Chinese in allen Dingen ist, ist ihm die Philosophie über den Gegenstand wichtiger und nimmt in den Büchern mehr Raum ein, wie die Sache selbst und praktische Erwägungen.

Das Da Sheng Bian, entschieden das klarste und bestgeschriebene der drei Werkchen, beginnt mit der Mahnung, daß die Geburt ein natürlicher Akt sei, wovor keine Furcht nötig sei. Wenn die Hebamme - "flinkes Ross, leichtes Gefährt" ist auf ihrem Straßenschild zu lesen - zur Wöchnerin kommt, hat sie zunächst für drei Dinge zu sorgen. Erstens soll sie die Kreissende beruhigen und ihr zum Schlafen zureden, ferner ihr klar machen, daß sie den Schmerz als eine natürliche und nützliche Sache auszuhalten hat, und - daß sie sich zur richten Zeit auf den Gebärstuhl setzt. Demnache muß also früher, so wie bei uns im Mittelalter auch, ein chinesische Gebärstuhl in Gebrauch gewesen sein, während es mir nicht gelungen ist, festzustellen, daß dies noch jetzt irgendwo der Fall ist. Vielmehr sitzt die Kreissende jetzt auf dem Kang (dem Ofenbett), den Rücken an die Wand gelehnt. S. auch Grube.

Nachdem die Wehen sich sechs- bis achtmal wiederholt haben, unter Zunahme der Schmerzen, soll die gegebene Zeit sein, daß die Kreissende ihre Umgebung vorbereitet auf die schnell zu erwartende Entbindung. Vorher soll sie, soweit die Schmerzen es ihr nicht gestatten zu schlafen, gestütz auf eine andere Person, ein wenig umhergehen, sich dann bald wieder hinlegen, in Rückenlage, in welcher das Kind die bequemste und gesündeste Lage im Leib einnimmt.

Gelegentliche einzelne Wehen am Schluß der Schwangerschaft sollen noch nicht gleich für den Anfang der Geburt gehalten werden. Dieselben sind nur der "Probeschmerz" oder das "Probeweh", denn das Kind "übt sich im Bewegen". Diese den Probeschmerz veranlassenden Kindesbewegungen sind nach chinesischer Vorstellung willkürliche Handlungen des Kindes. Auch die echten Geburtswehen sind nach unsern chinesischen Autoren aktive Betätigungen des Kindes; denn das bis zur Entbindung im Uterus vermeintlich immer aufrecht stehende Kind drehe sich bei der Geburt herum und verursache so Schmerzen. Es ist eigentümlich, daß vergleichende Beobachtungen an Tieren diesen in allen Büchern sich findenden Irrtum von der aufrechten Stellung des foetus in utero noch nicht aufgeklärt haben.

Die Frauen werden nun weiter vor der großen Gefahr gewarnt, die Probewehen mit den rechten Wehen zu verwechseln und zu zeitig mitzupressen. Alle Frühgeburten, ebenso wie alle Geburten in Fuß- oder Steißlage, seien die Folge zu frühen aktiven Mitpressens, bevor die eigentlichen Geburtswehen, d. h. die aktive Drehung des Kindes, eingetreten seien. Leider wird es vermieden, der armen Frau ein genügendes Unterscheidungs- und Anhaltsmerkmal zu geben.

"Wenn die Wehen an Stärke zunehmen, daß der Frau schwarz vor den Augen wird, dann ist es die richtige Zeit".

Umgekehrt, wenn die Intensität der Wehen abnimmt, so handelt es sich nur um Probewehen. Während wir ein aktives Mitpressen beim Durchtreten des Kopfes durch das Becken bis zum Einschneiden für sehr zweckmässig halten, gilt es dem Chinesen als gefährlichste Ursache von allerhand Komplikationen.

Sehr warm empfiehlt der Autor des Da Sheng Bian Ruhe und Schlaf, so lange die Wehen noch nicht zu arg sind, auch kurzes Umhergehen. Alle stärkeren Anstrengungen sollen die Frauen vermeiden. Sehr bezeichnend und komisch zugleich in diesem doch für Hebammen geschriebenen Buch ist der Passuns "die Frau möge nicht hören, was die Hebamme ihr sagt, denn diese weiss doch nichts".

Wie schon erwähnt, ist die Geburt nach chinesischer Vorstellung ein willkürlicher Akt des Kindes, welches selbst zur richtigen Zeit sich ans Licht der Welt begibt. Dazu braucht es angeblich kein Mitpressen der Mutter, welche ihm dadurch nur schadet. Nun aber könne das Kind, während es sich selbständig aus seiner ursprünglichen Fußlage, der "normalen" Schwangerschaftslage, in die Kopflage, d. h. die Geburtslage drehe, "auf halbem Wege schwach werden" - man denke an die Querlagen -, da sei dann Mitpressen ausnahmsweise sehr geboten. Woran die Frau das merken soll, ist auch hier nicht gesagt.

Es folgt nun eine lange philosophische Erörterung des Inhalts, daß beim Stuhlgang Menschenkraft nötig sei, um die tote unbewegliche Materie aus dem Körper zu schaffen, das lebende Kind hingegen finde seinen Weg aus dem Mutterleib durch eigne Kraft. Wird es durch Mitpressen der Mutter gestört, so resultieren daraus falsche Lagen. Kommt es so eventuell zu einer Fußgeburt, so empfiehlt der Verfasser unseres zweiten Werkchens, des ta sheng pao chih, daß die Hebamme den Fuß immer wieder zurückdränge, dann drehe das Kind sich schliesslich doch noch in die richtige Lage. Weiter verurteilt er die Hebammen, die vorgefallenen Füße und Arme abschneiden(!), weil das Kind davon Schmerzen hat und daher so zappelt, daß es die Mutter beschädigt. Der Verfasser rühmt sich dann mehrerer Fälle, wo es ihm gelungen sei, eine vorgefallene Hand zurückzubiegen, verschweigt aber wohlweislich seine Erfahrungen über ähnliche Erfolge bei vorgefallenen Füßen. Er sucht dann die Ursachen für die "Quergeburten", wofür er ausser "zu frühem Mitpressen" noch verantwortlich macht große Schwäche und vorhergegangene Krankheit der Mutter, "Störung" des Kindes durch Koitus intra graviditatem; auch andere äußere Traumen und Diätfehler kommen in Frage.

Stirnlagen sind demselben Autor auch als etwas Besonderes aufgefallen; er erklärt sie durch "schiefe" oder "schräge" Lage des Kindes, und weist die Hebammen an, diese Lage durch Handgriffe zu verbessern.

Wie schon erwähnt, spielt das Mitpressen der Mutter eine gefährliche Rolle nach chinesischer Vorstellung. Der Moment, wann wir in erster Linie davor warnen (s. Seite 732.), nämlich um Dammrisse zu vermeiden beim Durchschneiden des Kopfes, ist umgekehrt für den chinesischen Arzt der Zeitpunkt, an dem es mit aller Kraft ausgeübt werden muß. In diesem Moment, der sich auch kundgeben soll durch äußerste Erschöpfung der Mutter, wird ihr dieses Kraftleistung ausdrücklich empfohlen.

Es sei hier eingefügt, daß Dammrisse und überhaupt schwierige Geburten nach verschiedentlichen Beobachtern bei chinesischen Frauen sehr selten sind. Die Gründe können verschiedene sein. Von manchen Seiten wird behauptet, die Chinesin habe ein breiteres Becken. Hr. Oberstabsarzt Dr. Velde, früher Gesandtschaftsarzt hierselbst, war so gütig mir mitzuteilen, daß er bei Chinesinnen ungefähr gleiche Masse wie bei Europäerinnen gefunden habe; er vermutet, daß die chinesischen Neugeborenen kleiner sind, wie die unseren.

Ein wenige Stunden altes Kind meiner Beobachtung zeigt folgende Masse: Länge 46 cm, Kopfumpfang 33 cm. Gewicht 3192 g. Das Kind war weiblichen Geschlechts, sicheren Angaben der mir bekannten Eltern nach völlig ausgetragen, die Mutter eine sehr kräftige V para. In einem zweiten Fall zeigte ein ausgetragenes, 2 Tage altes Mägchen, stammend von einer kräftigen N para, folgende Masse: Länge 42 cm, Kopfumfang 32 cm, Gewicht 2926 g. Ein drittes 3 Monate altes Mädchen zeigte: Länge 50 cm, Kopfumfang 34 cm, Gewicht aus äusseren Gründen nicht gestzustellen. Das letzte Kind zeigt also Masse wie unsere Neugeborenen - Norm 50, 34, 3200 - erst im Alter von 3 Monaten, die beiden ersten Neugeborenen zeigen Länge 46 bzw. 42 cm, also 4 bzw. 8 cm weniger wie bei uns, Kopfumfang 33 bzw. 32 cm, also 1 bzw. 2 cm weniger wie unsere Neugeborenen. Auch die Gewichtszahlen sind kleiner. Ich gebe diese Einzelbeobachtungen mit aller schuldigen Reserve.

Mehrere, nicht medizinische Berichterstatter betonen, daß die Zahl der Todesfälle von Müttern und Kindern bei der Geburt und aller damit verbundenen üblen Zufälle in China relativ selten seien. Die Furcht des Volkes davor sei entsprechnd geringer. Erwiesen dürfte dies noch nicht sein, und soweit chinesische Quellen in Frage kommen, sind sie zweifelhaft wegen der dem Chinesen eigenen Indifferenz in physischer Beziehung, die sich sicher auch bei der kritischen Beurteilung der ganzen Frage äußert. In körperlicher Beziehung stellen die Chinesen ein kräftigeres Naturvolk dar, bei dem die Entbindungen sicher leichter erfolgen wie bei den verweichlichten Europäern. Da jede Chinesin nach der Entbindung aus rituellen Gründen einen Monat ihr Zimmer nicht verlassen dar, so erhält diese entschieden bessere Hygiene sicher häufig die Frauen gesünder und widerstandsfähiger für folgende Geburten. Sehr beachtenswert erscheint mit hierbei noch die Tatsache, daß ich innerhalb einer jetzt

1 1/2jährigen Beobachtung in der hiesigen deutschen Poliklinik, in der ich monatlich über 150 neue Kranke sehe, nicht ein einziges rachitisches Kind gesehen habe und nur einen einzigen Fall von Folgen der Rachitis bei einer Erwachsenen. Sollte es sich bestätigen, daß die Neugeborenen kleiner sind, so kommt hinzu, daß die weiblichen Becken zwar nicht breiter sind bei der gelben Rasse, aber daß hier "enge Becken" wahrscheinlich seltener sind. Indessen erfordert die ganze Frage weitere Studien.

Um zu unserem Hauptthema zurückzukehren, so beschäftigt sich der Verfasser des Da Sheng Bian eingehend mit der ihm feststehenden Tatsache, daß uneheliche Geburten oft leichter und besser erfolgen, wie eheliche Geburten. Dies gilt ihm als Beweis für seine Theorie, wie wichtig es sei, daß die Kreissende nicht mitpreßt, und ihre Schmerzen ruhig erträgt. Wenn eine unverheiratete Mutter nämlich ihre Schande verheimlichen will, schreit und jammert sie nicht, und verhält sich auch sonst ruhig, so daß das Kind "ungestört" und ohne Schwierigkeit schneller seinen Weg nach aussen findet.

Als Anmerkung findet sich dann noch der weise Rat, nur zwei bis höchstens drei verständige Personen, die sich recht leise und achtsam verhalten, der Gebärerin helfen zu lassen. Alle übrigen Menschen, auch Verwandte, sollen aus der Wochenstube entfernt werden, besonders im Sommer.

Es bedarf zum Schluß dieses Abschnitts wohl keines weiteren Kommentars, wie "die chinesische Wochen-Physiologie", wenn auch Wahres mit Falschem gemischt ist, absurd und unsinnig ist, indem sie von der aktiven Rolle des Kindes ausgeht.

Der nächste Abschnitt des Da Sheng Bian, "Schutz des Kindes im Leibe", verbietet zunächst den Koitus während der Schwangerschaft, oder gar schon während der Gebärzeit (!), um das Kind nicht zu stören. Ferner soll die Mutter bis zuletzt sich viel bewegen. Bäuerinnen und Dienerinnen hätten im Allgemeinen selten Abort, weil sie sich mehr bewegen und gesünder halten wie andere Frauen. Solchen durch gesunde körperliche Arbeit und Bewegung gekräftigten Personen schade gelegentlich eine kleine versehentliche zu heftige Bewegung weniger, wie einer Frau, die alldergleichen ängstlich meidet, und die daher auch schon bei kleinen Insulten leicht Abort bekommt. Die Frauen erden weiter gewarnt, diese regel nicht falsch zu verstehen. Frauen, die sonst auch nicht viel Bewegung gewöhnt sind, dürfen während der Schwangerschaft nicht in übertriebener Weise sich bewegen. Das führe erst recht zum Abort. Vielmehr sollen alle Frauen sich regelmäßig Bewegung machen. Um sich für die Schwangerschaft und Entbindung zu kräftigen. Also eine ganze Reihe sehr praktischer sorgfältiger Ratschläge.

Zum Schutz des Kindes empfiehlt es sich ferner, den Leib der Frau stets mit einem Band zu wickeln, schon während der Schwangerschaft. Ich habe selbst öfter bei schwangeren chinesischen Frauen solche Binden gesehen, sie sind sehr breit, etwa 6 Zoll. Die Wirkung dieser Binden, die an und für sich wohl zu billigen sind, sucht unser Autor aber darin, daß beim Eintritt der Geburt die Abnahme der Binde eine plötzliche Lockerung des Bauches bewirke und dem Kind so den Ausweg erleichtere. Auch weiterhin, wie schon bisher, werden wir sehen, daß richtige praktische Erfahrungen mangels wirklicher Kenntnisse falsch erklärt werden.

Schließlich wird noch die Maßregel empfohlen, daß die Schwangere nicht immer auf einer Seite liegen soll, sondern abwechselnd auf beiden Seiten.

In dem Abschnitt "Diät der Mutter", der sehr umfangreich ist, werden fette, scharfe zu feste Speisen, ebenso zu heisse, verboten. Gemüse und Reis werden sehr empfohlen, auch den verwöhnten Reichen, die vor zu schweren Speisen gewarnt werden. Die verbotenen und empfohlenen Gerichte werden dann ausführlich aufgezählt. Da sie sich für den europäischen Magen insgesamt von selbst verbieten, so entziehen sie sich unserer subjektiven Kritik. Jedenfalls handelt es sich um ein sorgsam durchgeführtes Programm einer Schwangeren-Diät.

Das nächste Kapitel behandelt den Abortus. In ihm findet sich die vorzügliche Lehre, daß die Frauen einen Abort nicht weniger ernst in seiner Bedeutung und Konsequenzen betrachten mögen wie eine Geburt. Er sei noch wichtiger, da anormal. Dieser Satz könnte sich auch in jeder modernen Geburtshilfe finden. Die Häufigkeit von Fieber nach Aborten wird gleichfalls erwähnt, angeblich immer günstig verlaufend. Die Erklärung für das Fieber wird gesucht in Blutverlust. An und für sich ist der Begriff der Infektion und Blutvergiftung des Chinesen aber nicht fremd, wie ich häufig beobachtete. Es existiert dafür auch ein besonderes Wort. Puerperale Sepsis habe ich in den vorliegenden drei Büchern nicht beschrieben gefunden, ich selber sah einen solchen tötlich verlaufenden Fall. Ein Landarzt zu Hause unter den ungünstigsten Verhältnissen hat kaum solche Schwierigkeiten zu überwinden, um Vorurteil, Aberglaube zu bekämpfen bei der Pflege und Behandlung einer fiebernden Wöchnerin, wie ein europäischer Arzt in einem Chinesenhaus. Eine vaginale Behandlung mit Ausspülungen usw. wurde überhaupt verweigert.

Unter "Nach der Geburt" finden sich allerleit Torheiten. Die Mutter soll nicht einschlafen nach der Entbindung, sondern wach gehalten werden, auf dem Rücken liegend, mit angezogenen Beinen. Tür und Fenster sollen fest verschlossen sein. In den ersten 5 Tagen soll die Mutter täglich dreimal Wein und - warmen Knabenurin (!) trinken.

Die nächsten Kapitel beschäftigen sich mit pathologischen Komplikationen der Geburt. Zunächst wird das Absterben des Kindes im Leib besprochen. Dies soll man daran erkennen, daß das Gesicht der Mutter rot aussieht, und die Zunge blau(!). Es soll das für die Mutter selbst noch nicht gefährlich sein. Anders aber, wenn nicht nur das Gesicht, sondern auch die Zunge rot wird, dann lebt das Kind wohl noch, aber die Mutter muß sterben. Sieht aber beides blau aus, so sind Mutter und Kind verloren (!).

An einer auffälligen "Senkung des Mutterbauches" soll man auch das Absterben des Kindes erkennen. (Ausziehung des unteren Uterinsegments?) In diesem Kapitel, das an Torheiten reich ist, finden sich meisten Belege durch sonderbare Krankengeschichten, die aber auch bei keinem anderen fehlen, ebenso wie sehr umfangreiche Medizinvorschriften.

Das nächste Kapitel, handelnd von der Retention der Placenta, ist noch unsinniger. So ehrenwert der Versuch ist, diese Beobachtung zu erklären, so schwach ist er gelungen. Die arme Mutter ist auch hier wieder selbst an allem schuld, wegen des schon als berüchtigt bekannten zu frühen Mitpressens. Nach chinesischer Vorstellung nämlich ist jede Geburt nur möglich durch eine spontane Öffnung und Dehnung der Beckenknochen, die nach der Geburt noch längere oder kürzere Zeit geöffnet bleiben, besonders für den Abgang der Placenta. Hat die Frau bei der Beburt nun aber zu stark gepresst, so sagt unser Gewährsmann, so presst sie das Kind durch die noch nicht ganz geöffneten Beckenknochen, die Placenta könne aber von selbst durch die enge Stelle nicht hindurch. Für solche Fälle wird folgendes empfohlen. Man schneide die vorher einmal abgebundene Nabelschnur durch, binde am Stumpf ein nicht zu schweres Gewicht an, welches frei hängt und durch allmählichen Zug die Placenta löst. Die Lösung und Entfernung der Placenta durch Zug an der Nabelschnur, längst bei uns als gefährlich verpönt, ist indessen auch wohl jetzt noch ein bei uns gelegentlich geübter Kunstfehler.Die Symphyseotomie und Pubotomie unserer modernsten Geburtshelfer zur künstlichen Erweiterung des Beckenringes muß dem medizinischen Leser dieses Kapitels unwillkürlich einfallen.

Auch die Milchlosigkeit der Mutter findet ihre Besprechung. Ihre Ursachen sollen sein Blutarmut, Krankheit, mangelnde Pflege der Mutter, ferner ihre zu große Jugend, die der Verfasser merkwürdigerweise bis zum 40. Lebensjahr rechnet. Wie jedem Kapitel, so folgt auch diesem eine endlose Aufzähung von Drogen und Heilkräutern zur Bereitung von Medizin.

Das uns so wichtige Kapitel der Blutungen ist sehr oberflächlich berührt. Im Da Sheng Yao Zhi, dem wir uns jetzt zuwenden wollen, heißt es, daß Ohnmacht und Bewußtlosigkeit die Folge schwerer Blutungen bei und nach der Geburt sein kann, auch Todesfälle als Folge solcher Blutungen werden erwähnt. Zur Behandlung wird das widersinnige Mittel empfohlen, die Frau sich nicht legen zu lassen, besonders in den schweren Fällen, sondern sie in ihrer sitzenden Stellung auf dem Kang zu unterstützen.

Das Da Sheng Yao Zhi enthält überhaupt noch mehr Widersinnigkeiten wie das nur halb an Umfang so starke Da Sheng Bian. Ton und Ausführung ist auch "relativ" noch weniger ernst und wissenschaftlich.

Gute Beobachtungen indessen finden sich auch, so die über manglhafte Rückbildung der Genitalien, als Ursache dafür wird u. a. auch Frühgeburt angegeben, also ganz entsprechend der Atonie nach Frühgeburten und Aborten.

Große Blutleere (Da Sheng Yao Zhi) verursacht momentanen Verlust der Sprache, und wird merkwürdigerweise erklärt durch Trockenheit der Zungenwurzel. Blutleere könne auch durch Schwäche momentanes Irresein verursachen.

Ebenso wie letzteres ist richtig beoabachtet das Symptom der "Schwellung des Leibes" infolge Füllung des Uterus mit Blut, als Zeichen einer inneren Uetrus-Blutung. Sehr solle man sich hüten, in solchen Fällen vor Diätfehlern und einem Übermaß von Stärkungsmitteln.

Auch die Mastitis findet Erwähnung. Zunächst wird ganz richtig als Ursache dafür angegeben mangelhaftes Trinken des Säuglings, dann aber heißt es weiter, daß das schlafende Kind auch Luft in die Warze pusten (!) könne und sie so verstopfe. Als Mittel wird empfohlen vorsichtige Massage und Öleinreibungen.

Sehr belobt wird eine Frau, die nach der Geburt 20 Tassen Brei zu sich nahm. Kaffee ist hier noch nicht sehr bekannt.

Zur Abnabelung des Kindes empfiehlt der Verfasser des Da Sheng Yao Zhi nach vorheriger warmer Waschung der Nabelschnur ihre Unterbindung an vier Stellen mit Seide oder gerolltem Papier, und sie entweder mit einer Porzellanscherbe durchzuschneiden oder aber sie mit einem Alaun-Kristall durchzuätzen. Die Angabe bei Grube, daß die Nabelschnur mit glühenden Eisenstäbchen kauterisiert wird, habe ich nicht finden können, mündliche Erkundigungen sprachen wenigstens in der Jetztzeit für die Abbindung.

Nach dem Da Sheng Yao Zhi sollen die Kinder nur in den ersten 6 Wochen Muttermilch erhalten, danach soll schon mit Breiernährung begonnen werden (Reis, Hirse, auch Kauljang mit Lotossamen). Vor dem ersten Jahr sollen die Kinder keine festen Speisen bekommen. In Wirklichkeit erhalten die chinesischen Kinder mindestens ebenso lange Milch wie europäische Kinder. Die chinesische Mutter säugt ihr Kind oft, wie ich selbst gesehen, noch im 3. Bis 4. Lebensjahr, freilich besonders aus Sparsamkeit, also in den ärmeren Klassen, wenn die Kinder natürlich auch nicht ausschließlich darauf angewiesen sind. Milchlosigkeit ist weit seltener wie bei uns; Ammen sind in den reicheren Familien häufig anzutreffen, aber nicht so häufig wie leider bei uns.

Angefügt seien hier die interessanten Grubeschen Aufzeichnungen über chinesischen Aberglauben, wonach ein Besucher der Wöchnerin während des ersten Monats, falls er sie nicht schon in den ersten 3 Tagen besucht hat, Ausbleiben der Milch verursacht. Er "trampelt die Milch weg". Sendet er dann Reisbrei, so kommt die Milch wieder. Ein vieräugiger Besucher, d. h. eine Schwangere, trampelt ebenfalls die Milch weg, so lange, bis ihre eigene Niederkunft erfolgt. Am gefährlichsten ist der Besuch der Ehemänner schwangerer Frauen, dann kommt die Milch überhaupt nicht wieder. Der Arzt muß sich auch schon in den ersten 3 Tagen zeigen, auch er kann sonst die Milch wegtrampeln. Hierüber habe ich nichts Eigenes feststellen können.

Auch die Nachgeburt ist ein Gegenstand größter abergläubischer Frucht, die Mutter gräbt am 3. Tag ein Loch auf dem Abtritt, wo sie sie vergräbt, sonst kommt Unglück über sie. Diese Sitte wurzelt so fest, daß chinesische Dienerinnen, die sich zur Pflege bei europäischen Wöchnerinnen befinden, sehr ängstlich darauf bestehen, wie ich mehrfach erlebte. Indessen wird die Nachgeburt doch oft gestohlen und gebraucht zur Herstellung sher teurer Arzeneien gegen viele Krankheiten.

Das erste Bad erhält das Kind nach Grube erst am 3. Tag, dabei wird der Gaumen sorgfältig nach den "7 Sternen" (Aphten?) untersucht, die abgewischt werden. Mein Ratschlag in einem Fall, das Kind schon am ersten Tag zu baden, stieß tatsächlich auf grosses Erstaunen der Eltern, wurde aber befolgt.

Nach Grube weiss die chinesische Hebamme übrigens schon beim Erscheinen des Kopfes des Kindes, welchem Geschlecht dasselbe angehört. Ist es ein Knabe, so sieht das Gesicht nach unten, d. h. es sieht die Erde an, das ihm entgegengesetzte weibliche Prinzip. Ist es ein Mädchen, so sieht es nach oben (Gesichtslage!), zum Himmel, dem männlichen Prinzip.

In bezug hierauf finden sich weitere interessante medizinische Bemerkungen in dem dritten sehr umfangreichen Werk, dem she sheng pi p’on tsung yao, aus dem ich nur einelnes anfügen möchte. Der Chinese ist fest überzeugt, daß ein guter Arzt das Geschlecht eines Kindes vorhersagen kann, und häufig ist dies die Ursache einer Konsultation. Gebildete Chinesen versicherten mir, daß niemals ein Irrtum vorkomme. Als ich in meiner ersten Zeit hier die Wahrheit sagte, nämlich daß ich nicht imstande sei, das Geschlecht eines Kindes vorherzusagen, wurde das sehr übel aufgenommen. Es findet sich in dem letztgenannten Werk ein sehr origineller Kalender, dessen sich der chinesische Arzt bedient, um das Geschlecht zu bestimmen. Das System beruht angeblich auf einer umfangreichen Statistik, in der von jeder Entbindung Jahresmonat der Konzeption und Alter der Frau festgestellt ist. Für jedes Lebensjahr der Frau gibt es nun eine Tabelle, von denen die erste als Beispiel folgen mag: Wenn die Mutter 13 Jahre (!) ist - die Chinesen heiraten sehr früh -, so ist ein im

1. chinesischen Monat empfangenes Kind männlich,

2. weiblich,

3. männlich,

4. weiblich,

5. männlich,

6. weiblich,

7. männlich,

8. weiblich,

9. männlich,

10. weiblich,

11. männlich,

12. weiblich.

Die im 9. Monat empfangenen Knaben sollen die besten und stärksten sein.

Diese Listen sind nun bis zum 50. Jahr fortgeführt, ein so regelmäßiger Wechsel wie im 13. Jahr ist nicht immer vorhanden, z. B. schon im 14. Jahr hat die Frau nur in 4 Monaten Aussicht, den begehrten Sohn zu empfangen. Dagegen sind für das 16. Jahr neuen männererzeugende Monate vorgesehen.

Nicht im Einklang hiermit steht nun die zweite Theorie, daß der Beischlaf am 1., 3., 5. Tage nach beendeter Menstruation Söhne erzeugt, an den geraden Tagen dagegen Töchter. Nach dem 6. Tage ist der Beischlaf angeblich überhaupt erfolglos, und der günstigste Tag soll für die Konzeption der 1. Tag nach der Menstruation sein, ganz im Einklang mit unsern Erfahrungen. Empfohlen wird noch besonders die Mitternachtsstunde und die frühe Morgenstunde. Allzugroßes Ungestüm verfehle seinen Zweck.

Noch eine dritte Theorie, das Geschlecht des Kindes zu beeinflussen, ist diese: Dringt der Same bis zum "Blut" des Weibes, so wird er von diesem umhüllt und ein Sohn ist das Resultat. Umgekehrt, wenn der Same die Oberhand hat, so umhüllt er das Blut und eine Tochter wird geboren. Bei ähnlichen Vorstellungen bei uns, daß der Teil, der an Charakter und Willensstärke dem andern überlegen ist, das Geschlecht bestimmt, handelt es sich immer um eine direkte Beeinflussung umgekehrt bei den Chinesen.

Der Beischlaf nach dem 6. Tage nach der Menstruation ist nicht bloß zwecklos, sondern schädlich durch Vernichtung schon erfolgter Konzeption.

Die Verheiratung für Männer wird empfohlen in diesem Buch im Alter von 30 Jahren, für Frauen im Alter von 20 Jahren. Die frühe Verheiratung mit 16 - 17 Jahren, wie sie in China üblich ist, sei schädlich, führe zu frühzeitiger Erschöpfung, schlechten Wochenbetten, schwachen Nachkommen. Die enorme Fruchtbarkeit und Ausdehnung der gelben Rasse scheint den Autor Lügen zu strafen. Doch sind seine Grundsätze in der Beziehung wohl auch die unsern. Er fährt dann fort:

"Unsere Vorfahren wurden alle über 100 Jahre und blieben auch dann rüstig, weil sie nach solchen Prinzipien handelten. Jetzt aber heiratet man zu früh, und wenn einer noch kein halbes Jahrhundert hinter sich hat, ist er schon ein Greis und müde. Siebzigjährige sind selten geworden."

Auch die Nebenfrauen, die mancher Reiche sich nimmt, helfen ihm nichts, denn wenn er zu früh geheiratet hat, ist der Grund für seine Kinderlosigkeit seine eigne Zeugungsschwäche. Freilich kann er durch wahre Frömmigkeit, nicht bloß durch Geldspenden an Priester, sondern durch wirkliche Besserung seines Herzens des Himmels für sein Unglück erhalten.

Praktischer ist schon der Rat, daß ein solcher Mann 100 Tage lang abstinent sein soll, dann sei der Coitus von mehr Erfolg. Vor allem sei es wichtig, daß man seinen Söhnen passende Frauen aussuche, die ihre Männer lieb haben und auch von ihnen geachtet werden. Bekanntlich sind ja alle chinesischen Heiraten Abmachungen zwischen den Familien, oft ohne daß die Ehegatten sich jemals gesehen haben. Die Erkenntnis des häufigen Schadens solcher Verbindungen ist recht bemerkenswert.

Von seiten der Frau können nach dem She Sheng Bi Pon Zong Yao auch Ursachen für Unfruchtbarkeit vorliegen, besonders Menstruations-Unregelmäßigkeiten. Die Frauen sollen daher bei jeder Menstruation so vorsichtig sein wie bei einer Niederkunft, Diätfehler und Aufregungen vermeiden. Der Verfasser kommt dann auf Menstruationsbeschwerden zu sprechen, besonders nervöse Schmerzen an den verschiedensten Körperstellen. Die Ursache wird gesucht im Zorn und Schreck, infolgedessen das Menstruationsblut in Wallung kommt, nicht richtig abfließt und daher nach anderen Körperstellen emporsteigt. Also ganz ähnliche Ideen wie bei europäischen Völkern.

Auch für die Frau ist die Gnade des Himmels wichtig, die sie sich durch Frömmigkeit verdienen muß. "Das Kind im Utero lauscht stets den Worten der Mutter, die Mutter sei daher stets heitern und frommen Sinnes, sie darf auch nichts schlechtes sehen ("Versehen"). An allem Guten, was der Mutter zuteil wird, nimmt das Kind Anteil."

Als letzte Probe aus diesem dritten der drei erwähnten Bücher möge eine Entwicklungsgeschichte des Fötus in den einzelnen Monaten der Schwangerschaft folgen. Dieser Teil ist stark poetisch gehalten, mit altertümlichen Versen und erklärenden Glossen geschmückt, von denen nur Einzelnes wiedergegeben sei:

Vers: Im 1. Monat sieht die Frucht aus wie eine "Tauperle", sie ist noch nicht in die Gebärmutter eingetreten, sondern gleitet fortwährend hin und her in der "gürtelartigen Uterus-Einschnürung" (kann nur mit Cervix erklärt und übersetzt werden), wie ein im Wind flackerndes Licht.

Glosse: Die Frucht des 1. Monats ist in einem Tropfen zusammengedrängtes Leben, sie gleicht einer Tauperle, die im Grase liegt, sie liegt frei und unbedeckt, "ohne den Schutz des Utersu", an der Stelle, wo der Uterus wie von einem Gürtel eingeschnürt ist, also noch nicht im Leibinnern. Sie gleicht einem Stück Entengrütze (Wasserlinse), zieht sich wie diese zusammen und dehnt sich aus.

Folgen Rezepte zum Schutz der Frucht. Ein Beispiel:

1. Arralia edulis

Paeonia albiflora je 3 Unzen (chines.)

2. Trockne Schalen von Citrusaurantium 4/10 U.

Paradiesäpfelkörner 2/10 U.

3. Szechuan-Levisticus 2/10 U.

Glycyrrhina glabra 6/10 U.

S. Obige drei Mischungen zu einem Pulver zerrieben, gemischt, in zwei Dosen geteilt, jede Dosis mit 1 ½ Tassen Wasser zu kochen, nüchtern und heiß zu nehmen. Der Bodensatz kann sehr gut noch einmal verwandt werden.

Die in sämtlichen drei Büchern sich findenden unzähligen Arzneirezepte habe ich sonst stets beiseite gelassen. Über die interessante chinesische Pharmacologie existieren sehr gute englische Arbeiten, sie erfordern ein Spezialstudium der chinesischen Botanik, Zoologie und Paläontologie.

In der Beschreibung der Frucht des 1. Monats ist in dem "in einem Tautropfen zusammengedrängten Leben" unsere Cellula ausserordentlich anschaulich vorausgeahnt (s. S. 743). Sehr merkwürdig ist die Vorstellung von dem in der Cervix sich entwickelnden Ei.

!Im 2. Monat zeigt die Frucht eine rote Spitze, wie eine sich entfaltende Pfirsichknospe, sie ist immer noch ausserhalb der Gebärmutter und wird auf übernatürliche Weise von den in ihr vereinigten väterlichen und mütterlichen Lebensgeistern ernährt und zum Wachsen gebracht. Sie ist dem Innern des Uterus schon etwas näher gerückt, hat aber noch keine Eihäute und keine Placenta."

Folgt ein Rezept zur Verhütung des Abort, der in dieser Zeit durch Überanstrengung besonders oft erfolgen soll, da die "noch lockere Frucht" (s. 1. Monat) durch solche Schädigungen gehindert wird, sich "festzusetzen".

1. Lophantus rugosus

Trockne Orangenschalten

Atractylodes alba

Paradiesäpfel ca. 9/10 U.

Scubellaria viscidula

Platyctedon grandiflorum

Nephelium longana-Körner

2. Gedörrte Orangenschalen 3/10 U.

Magnolia hypolema )

Glycyrrhina glabra ) ca. 1/10 U.

Perilla Nankinensis )

Foeniculum dulce 1,5 U.

geröstet

1. und 2. Werden zusammen zu Pulver zerrieben, in drei Dosen geteilt, jede Dosis mit 1 ½ Tassen Wasser gekocht, lauwarm einzunehmen. Der Bodensatz kann ein zweites Mal gebraucht werden.

"Im 3. Monat sieht die Frucht aus wie ein Klumpen geronnenes Blut, ist aber immer noch an keiner bestimmten Stelle fixiert. Die Mutter hat krankhafte Eßgelüste." In der Glosse heißt es, die Frucht sieht aus wie ein Seidenkokon, sie verändert in diesem Monat sehr ihre Gestalt, wird an einem Ende stärker, wie ein Seidenwurm. Damit ist wohl das im 2. Monat stärkere Wachstum des Kopfteils gemeint. Erst jetzt soll sich Eihaut und Placenta bilden.

Rezepte!

Für den 4. Monat ist das Hervortreten der Gliedmassen angegeben (während wir wissen, daß das schon im 2. Monat beginnt). "Die menschliche Gestalt wird immer deutlicher." Erst in diesem Monat soll die Frucht in den Uterus eintreten und sich dort festsetzen.

Für den 5, Monat wird richtig angegeben die fertige Ausbildung der Gliedmassen, nicht ganz richtig die der Geschlechtsteile (4. Monat!). Außerdem heißt es: Wenn die Frau auf Anruf von hinten den Kopf nach links umwendet, so ist die Frucht männlichen Geschlechts, im umgekehrten Fall, wenn nach rechts, weiblichen Geschlechts.

"Im 6. Monat verursacht die Frucht ballotierende Bewegungen an der linken Seite des Uterus, und zwar um so stärker mit dem linken Arm, wenn männlichen Geschlechts, um so schwächer mit dem rechten Arm, wenn weiblich. Die Frucht schwimmt im Fruchtwasser, steht in Nabelhöhe."

Hieraus geht hervor, daß die vom 6. Monat ab stärker werdenden Kindsbewegungen Gegenstand der Überlegung waren, auffallend richtig ist ferner der Stand des Uterus in Nabelhöhe.

"Im 7. Monat ist die Frucht endgültig unbeweglich fixiert." Von dem Stärkerwerden der Kindsbewegungen ist weiter die Rede, ferner von der Entwicklung der Brüste der Mutter und den Beschwerden der Mutter. Sehr richtig ist vor allem auch die Bemerkung von schon in diesem Monat gelegentlich erfolgenden Frühgeburten lebensfähiger Kinder.

Sesamrezept!

Auf den 8. Monat wird das Wachstum der Haare verlegt, anstatt wie richtig, auf den 5. Monat. "Die Gehirnfuktionen bilden sich aus, die Mütter leiden viel an psychischen Depressionen, Indigestionen" usw.

9. Monat: "Die Sinnesorgane (Ohr, Auge, Nase) öffnen sich und fangen an zu funktionieren, das Kind fängt schon an zu atmen, das Herz schlägt. Die Nabelschnur bildet sich vollständig aus. Der Embryo verbraucht in einer Nacht etwa 1 ½ Liter müterlichen Blutes, die Mutter ersehnt die Niederkunft, ihre Beschwerden steigern sich.

10. Monat: "Der Embryo drängt (Wehen!) zur Geburt. Finger und Zehen trennen sich, die Gelenke werden beweglich. Das Kind ist zur Entbindung fertig.

Gegen die psychischen Depressionen der Mutter werden augefügt Rezepte und Gebetsformeln, so ein schwer verständlicher mystischer buddhistischer uralter Zauberspruch.

Abgesehen besonders von den gänzlich falschen Vorstellungen über Eihäute und Placenta, ferner vom Sitz des Eis in den ersten Monaten, zeigt die vorliegende "entwicklungsgeschichtliche Skizze" so viel Richtiges oder wenigstens annähernd Richtiges, daß es kaum einem Zweifel unterliegt, daß es sich um Einzelbeoachtungen von vorzeitig geborenen Föten und die daraus geschöpften Erfahrungen handelt. Viele Fehler finden dann ihre Erklärung in der unrichtigen Berechnung des Alters der Föten. Die "Illustrationen" sind wieder ein hilfloser Versuch, ein System aufzustellen. Sie bestätigen die schon in den ersten beiden jüngeren Werken (Seite 731) gefundenen falschen Vorstellungen von der aufrechten Stellung des Foetus in utero.

Wie schon in der Einleitung erwähnt, stammen die diesem Aufsatz zugrunde liegenden Bücher aus einer Zeit vor etwa 200 Jahren, ihre Quellen gehen noch viel weiter zurück (vielleicht auf indischen Ursprung).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bei der strengen Pietät des Chinesen gegen alle Literatur und das geschriebene Wort wird es zwar auch heute noch den Inhalt dieser Bücher als unumstößliche Wahrheiten hochhalten, stammen doch unveränderte Neudrucke davon aus den Jahren 1869, 1889, 1890; daß er aber in der Praxis Fortschritte auch auf medizinischem Gebiet gemacht hat, zunächst auch ohne westländischen Einfluß, ist wohl sicher. Die Frage, wie viel aus solchen Büchern auch von den Chinesen schon zum alten eisen geworfen ist, und was noch in Geltung ist, ist sehr schwer zu beantworten und bleibt noch weiteren direkten Feststellungen vorbehalten. Jedenfalls darf mach nicht in den häufig gemachten Fehler verfallen, jetzige chinesische Zustände und Verhältnisse, wie auf anderem so auch auf wissenschaftlichem Gebiet aus Ihrer alten Literatur zu beurteilen, ein Fehler, den die Chiensen selbst us durch ihre Achtung vor der Literatur so leicht machen.

Vieles aus den vorliegenden Werken ist zweifellos aber noch in Geltung, wie zum Teil durch direkte praktische Vergleichung festgestellt werden konnte. Die vorstehende Studie dürfte also nicht nur historischen Wert haben, sondern auch als Schilderung jetziger Zustände gelten können.

Navarra schreibt sehr schroff: "In ihrem Bestreben, ihrem arzneiwissenschaftilchen System einen einheitlichen Charakter zu geben, opfern die Chinesen gewissenlos nicht nur die Wahrheit, sondern auch alle verständige Überlegung." Nach meinen Ausführungen wird es nicht schwer sein, zu einem milderen Urteil zu gelangen.

Sehr zu Dank bin ich verpflichtet für die vielfälltige Unterstüzung bei der äußerst mühsamen Übersetzung und Erklärung der chinesischen Texte; die der ersten beiden Werkchen erfolgte durch die chinesischen Assistenten meiner Poliklinik. Bei dem letzten, in altertümlichem, sehr schwierigem chinesischen Stil geschriebenen Werk ließen mir die Herren Dolmetscher der Kaiserlichen deutschen Gesandtschaft, Tigges und Holzhauer, in dankenswerter Weise ihre Hilfe zuteil werden.

 

Literaturverzeichnis.

Grube, Wilhelm, Zur Pekinger Volkskunde. Berlin: Speemann 1901.

Laufer, Beiträge zur Kenntnis der tibetischen Medizin. Berlin: Unger 1900.

Mayer, Hygienische Studien in China. Leipzig: Ambrosius Barth 1904, Bd. !.

Jahresbereicht des Tungkuner Hospitals, April 1905. Bertelsmann, Güterloh.

Navarra, China und die Chinesen. Nössler, Bremen 1901.

Chinese Customs Publications: List of Chinese Medicines (Kelley and Walsh).

 

Nachtrag.

In meiner Arbeit über chinesische Geburtshilfe berührte ich die Beziehungen der chinesischen Medizin zur tibetischen, und die Frage der wahrscheinlichen Abhängigkeit letzterer von jener. Nachdem mir jetzt auch der II. Teil von Laufers "Beiträge zur Kenntnis der tibetischen Medizin" (Leipzig: Harrassowitz 1900) zugänglich geworden ist, der die spezielle Pathologie behandelt, bin ich in der Lage, dazu noch einiges hinzuzufügen. Es besteht danach eine auffallende Analogie zwischen der chinesischen und tibetischen Medizin. Auch das chinesische she sheng pi p’on tsung yao läßt erkennen, daß hier wie dort auf die Feststellung des Geschlechts des zukünftigen Kindes mehr Wert gelegt wird wie auf die Daignose der Gravidität und des Monats der Gravidität.

Es findet sich in dem genannten chinesischen Werk auch ebenso wie in dem tibetischen r Gynd lzhi die Stelle, daß, wenn die Weiche der Schwangeren hoch und der Leib leicht, ein Sohn zu erwarten ist, hingegen wenn die linke Weich hoch und der Leib schwer, eine Tochter geboren werden wird. Haben beide Weichen der Mutter gleichen Stand, so handelt es sich um einen Hermaphroditen, steht aber die Mitte des Leibes oder stehen beide Weichen hoch, so werden daran Zwillinge erkannt.

Die Übereinstimmung ist beinahe wörtlich. Die Stelle enthält also noch eine vierte Theorie über die Geschlechtsbestimmung außer den drei schon in meiner Arbeit genannten. Bei der Übersetzung des altchinesischen Textes bot sie seinerzeit Schwierigkeiten, daß ihr Sinn gewissermassen jetzt erst durch die korrespondierende tibetische Stelle klar wird.

Zahlreich buddhistische Zauberformeln, die Laufer als wichtigen Bestandteil des tibetischen Werkes r Gynd lzhi hervorhebt, ziehen sich auch durch das ganze chinesische Werk, besonders zahlreich sind sie in dem entwicklungsgeschichtlichen Abschnitt; die Wurzel beider Werke liegt offenbar in indischen Quellen. Von Indien kam der Buddhismus mit der buddhistischen Arzneiwissenschaft nach China, etwa 6 Jahrhunderte früher wie nach Tibet (cf. Köppen, Religion des Buddha 1859). Da aber auch indirekt chinesische Buddhisten zu gleicher Zeit mit indischen ihre Religion nach Tibet brachten, so verdankt die tibetische Medizin ihre Entstehung wahrscheinlich gleichmäßig indischen und chinesischen Buddhisten. Man geht wohl nicht fehl, in jedem Fall das vorliegende chinesische she sheng pi p’on tsung yao als ein Quellenwerk für das von Laufer bearbeitete tibetische r Gynd lzhi anzusehen.

In dem chinesischen Werk findet sich keine Angabe über die Benutzung von Instrumenten bei künstlichen Entbindungen, speziell eines unserer Zange ähnlichen Löffels, wie sie Laufer beschreibt, als von den Tibetern benutzte Instrumente. Demnach hat die tibetische Medizin im einzelnen sich offenbar selbst weiterentwickelt.

Dr. Hans Gaupp