An die Spiegel Redaktion

Abteilung Leserbriefe

 

12. November 2004

 

 

Leserbrief zum Bericht" Die eingebildete Heilung" von Veronica Hackenbroch in der Ausgabe Nr. 44 mit der freundlichen Bitte um Veröffentlichung

Mit marktschreierischen Überschriften gibt der Spiegel die Ergebnisse der Akupunkturstudien "Gerac" (German Acupuncture Trials) bekannt: es sei egal, wo man hinpiekst, die Heilung mit Akupunktur werde im Wesentlichen über einen Placeboeffekt erzielt durch vermehrte Aufmerksamkeit dem Patienten gegenüber. Dass der Bevölkerung in Deutschland eine Untersuchung der Akupunkturwirkung auf der Ebene eines Barfußarztes "untergejubelt" wird, erkennt nur der mit der Materie Vertraute. Ein Barfußarzt war in der chinesischen Kulturrevolution vor ca. 40 Jahren ein medizinischer Laie, der 100 Akupunkturpunkte lernte, um akute Beschwerden der Landbevölkerung, vor allem Schmerzen, zu lindern.

Wenn nun in dieser Studie die Wirksamkeit der Akupunktur bei Schmerzen bestätigt wird, und das auf der Basis einiger weniger symptomatischer Punkte, besagt dies nur, dass die teilnehmenden Ärzte die Erfahrungen medizinischer Laien wiederholt und bestätigt haben. Das bei Nadelung eines Punktes außerhalb der regulären Meridiane ("Scheinakupunktur") ebenfalls eine Wirkung erzielt wird, ist dem gut ausgebildeten Akupunkteur auch nichts Neues. Vielleicht haben die teilnehmenden Ärzte sogar einen neuen Extra-Punkt gefunden? Bravo! Auf jeden Fall aber wirkt der hier vorgestellte "Scheinpunkt", drei Zentimeter vom Punkt Yin Men (Bl 37) entfernt, durch seine Nähe zum Blasenmeridian und ist durchaus in der Lage, eine schmerzlindernde Wirkung zu erzielen. Wie hoch wäre wohl die Wirksamkeit der Akupunktur gewesen, wenn sie lege artis, individuell auf den Patienten zugeschnitten und zusätzlich durch die traditionelle Puls- und Zungendiagnose erhoben worden wäre?

Dass der bekannte Medizinhistoriker Paul Unschuld über die Ergebnisse der Studie nicht überrascht ist, verwundert nicht, denn als Kenner der Materie weiß er über die vielfältigen Schulen und abweichenden Traditionen in der chinesischen Medizin Bescheid. Wenn allerdings medizinische Laien die Studie so verstehen, dass man sich nur ein paar Nadeln zu kaufen braucht und drauflos stechen kann, denn es sei ja egal, wohin man piekst (Tenor eines Patienten), ist ein Bild über die Akupunktur in der Öffentlichkeit entstanden, das gefährlicher und fahrlässiger kaum sein kann. Hierzu haben sie, Frau Hackenbroch, mit ihrem Artikel beigetragen und sie haben damit weder der chinesischen Medizin in ihrer Vielfalt noch dem kranken Menschen in einem kranken Gesundheitssystem einen Gefallen getan!

Udo Lorenzen, Leiter des Ausbildungszentrum Nord für klassische Akupunktur und traditionelle chinesische Medizin, 24106 Kiel, Projensdorfer Str. 14

( und 7 0431 - 33 03 01 mobil: 0172 - 9239953

Mail: u.lorenzen@ki.comcity.de

Internet: www.abz-nord.de