Die Luo-Gefäße

von

Dr. Gabriele Lampert

Abschlußarbeit

Shou Zhong

Schule für Traditionelle Chinesische Medizin e.V.,

Ausbildungszentrum Ost für Klassische Akupunktur und TCM

Inhaltsverzeichnis

 

Einführung *

Historische Grundlagen *

Die Theorie der Luo mai *

Die Anwendung der Luo-Gefäße und der Luo-Punkte *

Blutenlassen der Luo-Gefäße bei akuten Schwellungen *

Nadeln der Luo-Punkte bei Symptomen, die im Bereich einer Luo-Leitbahn auftreten *

Nadeln der Luo-Punkte bei lokalen Symptomen, die ein Leitbahnpaar betreffen *

Nadeln der Luo-Punkte zur Behandlung der im Ling Shu aufgelisteten Luo-Leitbahn-Syndrome *

Die Gastgeber-Gast-Regel *

Die Luo-Gefäße und ihre Beziehung zu psycho-emotionalen Störungen *

Das Modell von Peter Weber-Bluhm *

Das Modell von Hallym Calher *

Die Außerordentlichen Meridiane als Luo-Gefäße *

Die inneren Verläufe der Hauptleitbahnen und ihre Funktion als Luo-Gefäße *

Schlußbemerkung *

Nachwort *

Literatur *

Einführung

Das Piktogramm für luo ist schwer zu übersetzen, da seine Bedeutung nur im Zusammenhang eindeutig ist. Es gibt die luo mai oder Luo-Gefäße, oft auch als Luo-Leitbahnen oder als Blutgefäße übersetzt. Dann gibt es die jing luo, das System der vertikalen und horizontalen Leitbahnen, die den Körper durchqueren. Es gibt die luo xue, die Luo-Punkte, von denen auf jeder Leitbahn genau einer liegt. Die Umhüllung der gekoppelten Organe durch die inneren Verläufe der Leitbahnen wird ebenfalls mit diesem Piktogramm bezeichnet.

Der Begriff jing luo setzt sich aus den beiden Begriffen jing mai und luo mai zusammen. Die jing mai sind vertikal verlaufende Leitbahnen und die luo mai horizontal verlaufende Leitbahnen. Eine andere Bezeichnungen für luo mai ist Netzgefäß oder Sekundärgefäß.

Jing wurde ursprünglich durch ein Piktogramm repräsentiert, das einen verborgenen Wasserweg darstellt. Im Zusammenhang mit Leitbahnen wird diesem graphischen Symbol noch das Zeichen für Seide vorangestellt. Ein Seidenfaden ist lang und fein. Die Leitbahnen sind wie lange, feine Wasserwege, die unter der Oberfläche verborgen sind. Leicht abgewandelte Versionen dieses Zeichens, die aber genauso ausgesprochen werden, bezeichnen den Stengel einer Pflanze oder einen Weg durch das Gebirge.

Ähnlich verhält es sich mit dem Zeichen für luo, das Netz bedeutet oder etwas, das vielschichtig miteinander verbunden ist. Das eigentliche Piktogramm zeigt einen Fluß, der in einer Schlucht fließt. Ihm wird ebenfalls das Zeichen für Seide vorangestellt.

Der Ausdruck mai "Gefäß", wird benutzt, um Leitbahnen zu bezeichnen, die eine hohle, röhrenähnliche Struktur besitzen. Wenn beide Ausdrücke miteinander kombiniert werden, dann ist das Bild, das damit dargestellt wird, nicht das eines einzigen Gefäßes, sondern das eines fein vernetzten, miteinander verwobenen Gefäßkomplexes.

Jing und luo stehen in einer Yin/Yang-Beziehung zueinander. Es sind Antagonisten, die einander ergänzen. Die jing verlaufen unter der Oberfläche, es sind breite Wege, die tief in den Körper hineinführen und sich mit den ihnen zugeordneten inneren Organen verbinden. Die luo sind von den Leitbahnen ausgehende Gefäße, die sowohl im Innern als auch an der Körperoberfläche verlaufen. Die luo mai bilden die Querverbindungen zwischen den jing mai. Erst beide Systeme zusammen sind in der Lage alle Zellen des Körpers mit Blut und Qi zu versorgen.

Leitbahnen sind anatomisch nicht zu sehen. Sie sind jedoch, wenn man das embryologische Modell zugrunde legt, histologische Realitäten. Leitbahnen sind Narben der embryologischen Entwicklung. Alle Zellen mit gleichem histologischen Ursprung reagieren gleich. Das bedeutet es ist nicht egal, welchen Punkt man nadelt. [Ramakers]

Unser Körper besteht aus vielen Trillionen Zellen, die aus einer astronomischen Zahl von verschiedenen Molekülen aufgebaut sind. Wie kann diese riesige Menge von grundverschiedenen Molekülen und Zellen so perfekt als Einheit funktionieren? Wie wird diese Energiebewegung koordiniert? Wie kann man die große Empfindlichkeit gegenüber speziellen schwachen Signalen erklären? Und wie erklärt sich die Tatsache, daß auch Organismen ohne Nervensystem als Einheit reagieren. Die Antwort könnte im Bindegewebe liegen, das den Raum zwischen den Organen ausfüllt. Dieses Bindegewebe besteht aus Flüssigkristallen und ist weit mehr als nur Schutz und Verpackung. Es genügt schon ein extrem schwaches elektromagnetisches Signal oder eine kleine mechanische Störung, um einen Protonenfluß auszulösen, der sich durch den ganzen Körper bewegt und damit ein ideales Kommunikationsmittel darstellt. [Mae-Wan Ho]

Damit wären die Luo-Gefäße nicht nur, wie oft beschrieben, mit feinen Blutgefäßen und Kapillaren gleichzusetzen, sondern auch mit dem Bindegewebe als Ganzem. Dies würde auch die Vorstellung von einem Netz unterstützen.

Es gibt 12 Hauptleitbahnen, 8 außerordentliche Gefäße, 12 Sondermeridiane aber 15 Luo-Gefäße. Gerade Zahlen sind Yin-Zahlen; ungerade Zahlen sind Yang-Zahlen. Gerade Zahlen divergieren oder trennen; ungerade Zahlen haben einen Mittelpunkt. Systeme, die auf geraden Zahlen aufbauen, legen die Betonung auf die Erhaltung der Köperstruktur, während Systeme, die auf ungeraden Zahlen basieren vorwiegend über die Beeinflussung der Körperenergie wirken. Man muß sich dabei aber immer der Tatsache bewußt sein, daß Yin und Yang Gegensätze repräsentieren, die relativ zueinander zu sehen sind.

Pirog vermutet, daß die Zahl 15 vielleicht das magische Quadrat widerspiegelt. In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß vier von insgesamt acht außerordentlichen Meridianen Luo-Punkte als Öffnungspunkte haben. Jedem außerordentlichen Meridian entspricht ein Trigramm und jedem Trigramm ist ein Zahlenwert zugeordnet. Ordnet man die Trigramme in einem Achteck nach König Wen an und addiert die Zahlenwerte der sich gegenüberliegenden Trigramme (wobei immer ein außerordentlicher Meridian mit Luo-Punkt als Öffnungspunkt, einem außerordentlichen Meridian, dessen Öffnungspunkt kein Luo-Punkt ist gegenüberliegt), so ist die Summe immer 10. Bezieht man den Mittelpunkt (5) mit ein, so ergibt sich die Zahl 15.

Zahlen waren in den unterschiedlichsten Kulturen niemals allein auf das Zählen und den mathematischen Bereich begrenzt. Charakteristikum für die qualitative Verwendung der Zahl in China ist, um mit Granets Worten zu sprechen, die Verbindung von einordnender und protokollarischer Funktion: Während die erstere die Dinge und das jedem Ding eigene Maßverhältnis auf die Maßverhältnisse des Kosmos abstimmt, ordnet letztere die Gesamtheit aller vorhandenen Gruppierungen hierarchisch in den Kosmos ein.

Granet vermutet, daß durch die Zahl 15 wahrscheinlich das Gleichgewicht zwischen Yin und Yang dargestellt wird. Dies würde auch dem Magischen Quadrat nicht widersprechen, Gegensätze werden über die Mitte zueinander in Beziehung gesetzt.

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, zu zeigen, daß das System der Luo-Gefäße kein Rest eines archaischen Systems ist, wie Pirog es formuliert, sondern ein unverzichtbarer Teil des gesamten Leitbahnsystems. Es ist der Teil des Systems, der Gegensätze verbindet und dabei bevorzugt über die Dynamik wirkt.

 

Historische Grundlagen

Die 15 Luo-Gefäße sind in der zweiten Hälfte des Kap. 10 des Ling Shu aufgelistet und ausführlich beschrieben. Jedes Luo-Gefäß zweigt am Luo-Punkt von einer Hauptleitbahn ab. Von diesem Punkt aus zieht es normalerweise nach proximal entlang der Extremitäten. Die Luo-Gefäße der Lunge und Gallenblase bilden eine Ausnahme. Sie besitzen Verläufe, die nach distal verlaufen: das Luo-Gefäß der Lunge zieht von Lu 7 zum Daumenballen, das der Gallenblase zieht von Gb 37 zum Fußrücken. Von jedem Luo-Punkt zweigt ein weiteres Luo-Gefäß ab, das zur entsprechenden gekoppelten Hauptleitbahn zieht.

Im Vergleich zu den Hauptleitbahnen verlaufen die Luo-Gefäße sowohl im Innern, als auch in oberflächlicheren Körperschichten. Während die Hauptleitbahnen im gesamten Neijing als tief, schwer faßbar und geheimnisvoll beschrieben werden, sind die Luo-Gefäße teilweise sichtbar. Pirog schließt aus dieser Beschreibung, daß diese sichtbaren Luo-Gefäße nichts anderes als oberflächlich verlaufende Adern sind, die dicht miteinander vernetzt die Körperoberfläche bedecken. Die anatomische Struktur dieser Gefäße entspricht dem, was durch das Piktogramm luo mai dargestellt wird. Da die Morphologie der Blutgefäße von Individuum zu Individuum verschieden ist, erklärt das nach Pirog, weshalb der Verlauf der Luo-Gefäße nicht im Detail beschrieben wird.

Bei Fülle werden die Luo-Gefäße sichtbar, bei Leere entziehen sie sich der Wahrnehmung durch das Auge. Farbliche Änderungen der oberflächlichen Gefäße lassen sich nach dem Ling Shu wie folgt interpretieren:

Tabelle 1: Veränderungen der Luo-Gefäße und ihre Interpretation

Farbe

Interpretation

Blaugrün

Kälte und Schmerzen

Rot

Hitze

Blaugrün im Bereich des Daumenballens

Kälte im Magen

Rot im Bereich des Daumenballens

Hitze im Magen

Schwarz

chronisches Bi-Syndrom

Rot, Schwarz und Blau

gleichzeitig Kälte und Hitze

Blau mit Verkürzung der Luo-Gefäße

Qi-Mangel

Kälte oder Hitze in den Luo-Leitbahnen hat zur Folge, daß Blut in den Leitbahnen stagniert. Als Therapie wird im Ling Shu das Blutenlassen der Luo-Gefäße empfohlen. Man sollte dies jeden zweiten Tag tun, solange bis kein Blut mehr austritt, und anschließend Fülle und Leere ausgleichen.

Grundlagen für die folgenden Beschreibungen der Luo-Leitbahnen sind die Übersetzung des 10. Kapitels des Ling Shu von Prof. Dr. G. A. Schmidt und die Übersetzung der Abschnitte des Ling Shu, die die Luo-Leitbahnen zum Thema haben, von Udo Lorenzen, sowie Van Nghi, Traditionelle chinesische Medizin, Band 1. Die Grafiken sind P. Deadman et al, A Manual of Acupuncture, entnommen und leicht modifiziert worden. Da die Beschreibung der Punktlagen im Ling Shu nur sehr vage ist, wurden als Quellen Georg Kampik "Propädeutik der Akupunktur" und C. Focks, N. Hillebrand, "Leitfaden Traditionelle Chinesische Medizin" verwendet.

Die Luo-Leitbahn der Lunge zweigt am Punkt Lieque (Lu 7) von der Hauptleitbahn ab. Sie verläuft parallel mit der Hauptleitbahn der Lunge, mündet in die Mitte des Handtellers und zerstreut sich um den Punkt Yuji (Lu 10). Nach Van Nghi verläuft das longitudinale Luo-Gefäß an der Innenseite des Daumenballens und erreicht direkt den inneren Nagelfalz des Zeigefingers. Am Punkt Lieque (Lu 7) findet sich eine weitere Abzweigung, die sich mit der Hauptleitbahn des Dickdarms verbindet.

Füllezeichen: Hitze im Handteller und im Handgelenk

Leerezeichen: Häufiges Gähnen, häufiges Wasserlassen

Lokalisation des Luo-Punktes Lu 7: 1,5 cun proximal der distalen Handgelenksbeugefalte auf der Radialiskante; zum Aufsuchen kreuzt man beide Daumen, wobei die Innenfläche der einen Hand auf den Handrücken der anderen Hand gelegt wird. Dort, wo die Zeigefingerspitze auf der Radialiskante zu liegen kommt, ist Lu 7.

Die Luo-Leitbahn des Herzens nimmt ihren Ausgang am Punkt Tongli (He 5). Sie verläuft weiter nach oben und erreicht die Herzmitte, wo sie sich mit der Hauptleitbahn des Herzens vereinigt, um dann wieder weiter nach oben zu ziehen und in die Zungenwurzel einzumünden und sich mit den Verbindungswegen zu den Augen zu verbinden. Nach Van Nghi verbindet sich das longitudinale Luo-Gefäß mit der Hauptleitbahn des Dünndarms im Bereich des inneren Augenwinkels am Punkt Jingming (Bl 1). Vom Punkt Tongli (He 5) geht eine Abzweigung aus, die in die Hauptleitbahn des Dünndarms mündet.

Füllezeichen: Völlegefühl zwischen Brust und Zwerchfell

Leerezeichen: Sprachverlust

Lokalisation des Luo-Punktes He 5: 1 cun proximal He 7; He 7 liegt im radialen Winkel des Sehnenansatzes des M. flexor carpi ulnaris am Os pisiforme.

Die Luo-Leitbahn des Perikard nimmt am Punkt Neiguan (Pe 6) ihren Ausgang und verläuft parallel mit der Hauptleitbahn des Perikard, um sich am Perikard mit der Hauptleitbahn zu verbinden. Van Nghi beschreibt im Gegensatz zum Ling Shu auch ein transversales Luo-Gefäß, das vom Punkt Neiguan zur Hauptleitbahn des Sanjiao zieht.

Füllezeichen: Herzschmerzen

Leerezeichen: starrer unbeweglicher Kopf

Lokalisation des Luo-Punktes Pe 6: 2 cun oberhalb der proximalen Handgelenksbeugefalte, zwischen den Sehnen des M. flexor carpi radialis und M. palmar longus

 

Die Luo-Leitbahn der Blase nimmt am Punkt Feiyang (Bl 58) ihren Ausgang. Von hier führt die Luo-Leitbahn zur Hauptleitbahn der Nieren. Van Nghi beschreibt den Verlauf des longitudinalen Luo-Gefäßes folgendermaßen: Dieses Gefäß geht vom Punkt Feiyang aus, folgt der Hauptleitbahn der Blase zum Kopf, erreicht das Gesicht und tritt in Verbindung mit Nase und Mund.

Füllezeichen: verstopfte Nase, Kopf- und Rückenschmerzen

Leerezeichen: triefende Nase und Nasenbluten

Lokalisation des Luo-Punktes Bl 58: Je 1 cun distal und lateral vom Punkt Bl 57, der im Winkel der beiden Köpfe des M. gastrocnemius liegt, oder 7 cun über Bl 60

 

Die Luo-Leitbahn der Gallenblase nimmt am Punkt Guangming (Gb 37) ihren Ausgang und zieht zur Hauptleitbahn der Leber. Ein weiterer Abzweig geht ebenfalls vom Punkt Guangming aus erreicht den Fußrücken und verzweigt sich dort.

Füllezeichen: Eiskalte Füße

Leerezeichen: Schwäche und Lähmung der Füße mit dem Unvermögen aus einer sitzenden Stellung heraus aufzustehen

Lokalisation des Luo-Punktes Gb 37: 5 cun oberhalb der Spitze des Malleolus lateralis am Vorderrand der Fibula

 

Die Luo-Leitbahn des Magens nimmt am Punkt Fenglong (Ma 40) ihren Ausgang. Von hier führt diese Leitbahn weiter und vereinigt sich mit der Hauptleitbahn der Milz. Eine weitere Abzweigung dieser Leitbahn zieht an der äußeren Schienbeingrenze entlang, zieht nach oben und verknüpft sich mit dem Scheitel des Kopfes, wo sie sich mit dem Qi verschiedener Leitbahnen vereinigt. Nach unten besteht eine Verknüpfung zum Hals und zur Kehle. Van Nghi beschreibt einen etwas abweichenden Verlauf. Das Luo-Gefäß steigt nach oben, verzweigt sich im Gesicht und im Nacken, tritt in Verbindung mit anderen Leitbahnen und erreicht dann den Pharynx.

Füllezeichen: Wahn

Leerezeichen: Unvermögen, die Füße anzuziehen; Verkümmerung des Schienbeins und der dort gelegenen Muskelbereiche

Lokalisation des Luo-Punktes Ma 40: In der Mitte zwischen der Unterkante der Patella und der Spitze des Malleolus externus, jeweils 8 cun entfernt, 2 Querfinger lateral der Tibiavorderkante, 1 cun lateral Ma 38

Die Luo-Leitbahn der Milz nimmt am Punkt Gongsun (Mi 4) ihren Ausgang. Von hier führt die Leitbahn weiter und vereinigt sich mit der Hauptleitbahn des Magens. Eine Abzweigung der Luo-Leitbahn der Milz führt weiter nach oben um Magen und Darm herum.

Füllezeichen: Schmerzen im Darm

Leerezeichen: Darmschwellung wie bei einer Trommel

Lokalisation des Luo-Punktes Mi 4: In einer Vertiefung distal und unterhalb der Basis des ersten Metatarsalknochens, in einer Knochenmulde

Die Luo-Leitbahn der Niere nimmt am Punkt Dazhong (Ni 4) ihren Ausgang. Von hier führt die Leitbahn weiter um die Achillessehne herum, um dann in die Hauptleitbahn der Blase einzumünden. Eine weitere Abzweigung dieser Luo-Leitbahn der Nieren verläuft, weiter nach oben und um den Perikardbereich herum und durchquert dann den Lendenbereich des Rückgrats. Nach Van Nghi endet das longitudinale Luo-Gefäß im Punkt Mingmen (Du 4).

Füllezeichen: Verstopfung, fehlender Harnabfluß

Leerezeichen: Hexenschuß

Lokalisation des Luo-Punktes: Medial des Ansatzes der Achillessehne am Calcaneus

Die Luo-Leitbahn der Leber nimmt am Punkt Ligou (Le 5) ihren Ausgang. Von hier führt die Leitbahn weiter und verbindet sich mit der Hauptleitbahn der Gallenblase. Eine weitere Abzweigung dieser Leitbahn führt über das Schienbein zu den Hoden und verbindet sich mit dem Penis.

Füllezeichen: langandauernde, schmerzhafte Erektion

Leerezeichen: Juckreiz im Bereich des Schambeins

Lokalisation des Luo-Punktes Le 5: 5 cun über der Spitze des Malleolus medialis, am dorsalen Rand der Tibia

 

 

Die Luo-Leitbahn des Dünndarms nimmt am Punkt Zhizheng (Dü 7) ihren Ausgang. Von dort führt die Leitbahn weiter in die Hauptleitbahn des Herzens. Eine weitere Abzweigung dieser Luo-Leitbahn führt nach oben und den Ellenbogen entlang und verknüpft sich mit dem Punkt Jianyu (Di 15).

Füllezeichen: schlaffe Gelenke, Steifheit des Ellenbogengelenks

Leerezeichen: kleine Warzen, die Krusten bilden und jucken

Lokalisation des Luo-Punktes Dü 7: 1 cun distal der Mitte der Verbindungslinie Dü 5 - Dü 8 oder 5 cun proximal der Handgelenksfalte, nahe dem Außenrand der Ulna

Die Luo-Leitbahn des Dickdarms nimmt am Punkt Pianli (Di 6) ihren Ausgang. Von hier führt die Luo-Leitbahn weiter und mündet in die Hauptleitbahn der Lunge. Eine weitere Abzweigung dieser Luo-Leitbahn führt nach oben den Arm entlang, erreicht die Schultergelenke und führt von dort weiter zu den Kanten der Kinnladen, um dann schließlich in die Zahnwurzeln einzumünden. Ein weiterer Abzweig dieser Leitbahn mündet in die Ohren und stößt dort auf die Hauptleitbahn des Dickdarms.

Füllezeichen: Zahnkaries, Taubheit

Leerezeichen: Kältegefühl an den Zähnen, Zwerchfellblockade

Lokalisation des Luo-Punktes Di 6: 3 cun proximal Di 5, auf der Verbindungslinie Di 5 - Di 11. Di 5 liegt in der Mitte der Tabatière, die von den Sehnen des M. extensor pollicis longus und M. extensor pollicis brevis gebildet wird.

 

Die Luo-Leitbahn des Dreifachen Erwärmers (Sanjiao) beginnt am Punkt Waiguan (Sj 5). Der weitere Verlauf dieser Leitbahn führt nach außen um den Arm herum und zum Brustkorb und vereinigt sich mit dem Perikard. Nach Van Nghi vereinigt sich das Luo-Gefäß des Sanjiao im Punkt Shanzhong (Ren 17) mit der Hauptleitbahn des Perikards. Außerdem beschreibt er noch ein transversales Luo-Gefäß, das vom Punkt Waiguan ausgeht und zur Hauptleitbahn des Perikards zieht.

Füllezeichen: Krämpfe im Ellenbogen

Leerezeichen: Unvermögen die Arme anzuziehen

Lokalisation des Luo-Punktes Sj 5: 2 cun proximal der dorsalen Handgelenksfalte, zwischen Radius und Ulna

Die Luo-Leitbahn des Du Mai nimmt ihren Ausgang am Punkt Changqiang (Du 1). Von hier führt die Leitbahn weiter an der rechten und linken Seite des Rückgrates herum, erreicht den Nacken und führt dann um den oberen Kopfteil herum, von dort führt sie weiter nach unten zum Schulterblatt; von dort führt eine weitere Abzweigung dieser Leitbahn zur Hauptleitbahn der Blase und quer durch die tiefer liegenden Bereiche der rechten und linken Seite des Rückgrats. Nach Van Nghi verzweigt sich das Luo-Gefäß des Du Mai im Gehirn.

Füllezeichen: Steifheit des Rückgrats

Leerezeichen: Schweregefühl im Kopf mit Benommenheit

Lokalisation des Luo-Punktes Du 1: Zwischen der Spitze des Steißbeins und dem Anus

Die Luo-Leitbahn des Ren Mai nimmt ihren Ausgang am Punkt Weiyi (Ren 15) und zerstreut sich über den Bauch. Nach Van Nghi verbreitet sich das Luo-Gefäß des Ren Mai im Bauch, wo es sich mit Ästen des Chong Mai trifft.

Füllezeichen: Schmerzen der Haut am Oberleib

Leerezeichen: Juckreiz im Bereich des Unterleibs

Lokalisation des Luo-Punktes Ren 15: 0,5 cun unterhalb der Xiphoidspitze, 7 cun oberhalb des Bauchnabels

 

 

 

Die Große Luo-Leitbahn der Milz nimmt ihren Ausgang am Punkt Dabao (Mi 21) und verbreitet sich über Brust- und Rippengegend. Nach Van Nghi handelt es sich um kleine Gefäße, die sich über den ganzen Thorax ausbreiten und mit allen Luo-Gefäßen des Körpers in Verbindung stehen.

Füllezeichen: Schmerzen am ganzen Körper

Leerezeichen: Inelastizität aller Gelenke

Lokalisation des Luo-Punktes Mi 21: Im 6. ICR auf der mittleren Axillarlinie

Mi 21 ist der Meisterpunkt der Luo-Gefäße, mit diesem Punkt kann man die Luo-Gefäße an sich ansprechen.

 

Bei allen oben genannten Symptomen wird nach dem Ling Shu der entsprechende Luo-Punkt genadelt.

Im Su Wen Kap. 18 wird noch ein weiteres Luo-Gefäß, das große Luo des Magens - Xuli, erwähnt. Van Nghi beschreibt seinen Verlauf wie folgt: Das Gefäß beginnt im Magen, durchquert das Zwerchfell, erreicht den Punkt Shanzhong (Ren 17), den Konzentrationspunkt aller Luo-Gefäße, verbindet sich mit der Lunge, erreicht das Herz und erscheint im Punkt Rugen (Ma 18) wieder an der Oberfläche. Als Symptome gibt er Herzklopfen und Kardialgie an. Weitere Symptome sind nach Ramakers Depressionen im Sinn von fehlender Lebenslust, das Roemheld-Syndrom und Neurodermitis. Die Therapie besteht in der tonisierenden Nadelung von Zhongwan (Ren 12), Shanzong (Ren 17) und Rugen (Ma 18). Dabei wird Ren 17 in Richtung Ma 18 genadelt.

Die Theorie der Luo mai

Vergleicht man den Verlauf der Luo-Leitbahnen mit dem der entsprechenden Hauptleitbahnen, so stellt folgendes fest:

Der eine Zweig der Luo-Leitbahnen verbindet die Yin- und Yang-Partner, der gekoppelten Hauptleitbahnen. Das bedeutet, daß sie zusätzlich zu ihrer Endverbindung noch eine weitere Verbindung besitzen, die es ihnen ermöglicht den Fluß auch dann auszugleichen, wenn die Endverbindungen dazu nicht mehr ausreichen. Dieser Zweig entspricht den transversalen Luo-Gefäßen von Van Nghi. Die chinesische Bezeichnung ist Vatergefäß, fu mai. Im Gegensatz zum Ling Shu, das keine weiteren Angaben zum Verlauf enthält, zieht dieser Zweig nach Van Nghi vom Luo-Punkt der einen Leitbahn zum Yuan-Punkt der gekoppelten Leitbahn. Diese Vorstellung findet man zum erstenmal im Zhen Jiu Da Cheng. Der Luo-Punkt dient dazu, diese zusätzliche Verbindung zu aktivieren oder zu drosseln.

Der andere Zweig der Luo-Leitbahnen folgt, mit Ausnahme der Luo-Leitbahn der Blase, im Wesentlichen dem Verlauf der Hauptleitbahn. Van Nghi bezeichnet diese Gefäße als longitudinale Luo. Sie stellen auf der Jing-Ebene die Verbindung zwischen Organ und Sinnesorgan her. Die chinesische Bezeichnung für diese Gefäße ist Großvatergefäß, sun mai. Die weiteren Verzweigungen dieser Gefäße bezeichnen die Chinesen als fu mai und xue luo.

Abbildung 1: Schematische Darstellung der Luo-Gefäße

Man hat also drei Generationen von Luo-Gefäßen: Großvater, Vater und Kind. Die kleinen Abzweigungen (xue luo, fu luo und sun luo) sind zuerst vorhanden; sie fließen im Lauf der Embryonalentwicklung zusammen und bilden die fu luo.

In den Luo-Gefäßen zirkuliert Wei Qi in 25 Zyklen pro Tag. Diese Bewegung beginnt und endet am Blasenmeridian. Nachts zirkuliert das Wei Qi 25mal durch die Yin-Meridiane.

Die Luo-Gefäße beinhalten eine doppelte Problematik. Sie haben sowohl eine externe als auch eine interne Pathologie. Chronische Erkrankungen sitzen in den Luo-Gefäßen. Innere pathogene Faktoren gelangen über den Luo-Punkt der Hauptleitbahn in die Luo-Gefäße.

Abbildung 2: Schematische Darstellung der Leitbahnen

 

 

 

 

Externe Pathogene Faktoren gelangen aus den Jing Jin (Muskelleitbahnen) oder den Jing Bie (Sonderleitbahnen) über den Jing Well Punkt (Brunnen-Punkt, Ting-Punkt) in die Hauptleitbahn und von dort über den Luo-Punkt in die Luo-Gefäße. Chronizität ist eine Problematik der Luo-Leitbahnen.

Die Heilung von inneren pathogenen Faktoren geschieht meist nachts, wenn das Wei Qi im Körperinneren zirkuliert und die fünf Seelen ihre Arbeit tun.

Die Anwendung der Luo-Gefäße und der Luo-Punkte

Blutenlassen der Luo-Gefäße bei akuten Schwellungen

Die historische Indikation für das Blutenlassen der Luo-Gefäße ist eine akute lokale Schwellung. Im klinischen Alltag treten Schwellungen meistens zusammen mit Verstauchungen, Muskelverspanungen und Quetschungen auf. Das lokale Blutenlassen ist eine sehr wirksame Behandlung zur Rückbildung einer Schwellung. Man geht dabei folgendermaßen vor:

Man sucht den betroffenen Bereich nach oberflächlichen, feinen Blutgefäßen ab, die gut sichtbar hervortreten.

Man benutzt eine Blutlanzette oder das Pflaumenblütenhämmerchen, um von jeder Kapillare etwas Blut austreten zu lassen. Die Nadel sollte nicht tiefer als 2 oder 3 mm eindringen.

Nach dem Stechen des Punktes, massiert man die Umgebung sanft, als ob man den Punkt "melken" wollte. Gleichzeitig betupft man den Punkt mit einem alkoholgetränkten Wattebausch. Dies verhindert ein vorzeitiges Schließen des Punktes. Falls keine passenden lokalen Kapillaren gefunden werden können, punktiert man das Zentrum der Quetschung oder des geschwollenen Bereichs. Für kleinere Quetschungen kann eine einzige Punktion genügen, während bei größeren Quetschungen vier bis fünf Punktionen notwendig sein können.

Diese Technik ist zum Beispiel sehr wirkungsvoll bei Migräne, für den Fall, daß die Luo-Gefäße in Fülle sind. Man wendet dann an den Stellen, an denen sich Veränderungen zeigen die Technik des Blutenlassens an. Ein weiteres Beispiel ist Helmkopfschmerz, der auf eine Milz-Schleim-Pathologie zurückzuführen ist. In diesem Fall findet man häufig Veränderungen der Luo-Gefäße an den Beinen. Durch Blutenlassen dieser Stellen bessern sich die Kopfschmerzen.

Nadeln der Luo-Punkte bei Symptomen, die im Bereich einer Luo-Leitbahn auftreten

Das Nadeln der Luo-Punkte, im Gegensatz zum Blutenlassen, ist angezeigt, wenn die Schwellung mehr chronischer Natur ist. Beispiele hierfür sind alte Verletzungen, chronisch, anhaltender lokal fixierter Schmerz, der zusammen mit lokalen Spider naevi auftritt, chronische Schmerzen und Schwellungen der Gelenke, hartes, knotiges Muskelgewebe, regionale Tumore oder Lymphadenopathien.

Die im Ling Shu beschriebenen Verläufe der Luo-Leitbahnen definieren Bereiche des Körpers, die Symptome entwickeln, die auf die Stimulation des Luo-Punktes reagieren. Da es die Aufgabe der Luo-Gefäße ist, stagnierende Energie aufzunehmen, sind Schwellungen eine eindeutige Indikation für die Nadelung der Luo-Punkte. Für die Therapie wählt man den Luo-Punkt der Luo-Leitbahn, deren Verlauf dem geschwollenen Bereich am nächsten liegt und nadelt ihn mit einer stark sedierenden Technik. Dies sollte die Stagnation entlang der zugehörigen Luo-Leitbahn lösen. Der Luo-Punkt ist der wichtigste distale Punkt zur Behandlung einer bestimmten Schwellung.

Nadeln der Luo-Punkte bei lokalen Symptomen, die ein Leitbahnpaar betreffen

Schmerzen, die nicht auf den Bereich einer Leitbahn beschränkt sind, sondern zur gekoppelten Leitbahn überwechseln, sind ebenfalls eine Indikation für das Nadeln der Luo-Punkte. Man nutzt in diesem Fall die Funktion der Luo-Gefäße, gekoppelte Leitbahnen miteinander zu verbinden, wobei der Luo-Punkt das Netzwerk zwischen den Leitbahnen aktiviert. Man nadelt den Luo-Punkt, der Leitbahn, die am ehesten die zu behandelnden schmerzhaften Punkte oder Schwellungen berührt. In diesem Fall sollte der Luo-Punkt mit einer umfassenden lokalen Behandlung kombiniert werden, wobei die Ashi-Punkte genadelt werden sollten.

 

Nadeln der Luo-Punkte zur Behandlung der im Ling Shu aufgelisteten Luo-Leitbahn-Syndrome

Im Kapitel 10 des Ling Shu wird für jede Luo-Leitbahn ein charakteristisches Fülle- und Leere-Syndrom beschrieben. Durch eine tonisierende oder sedierende Nadelung der Luo-Punkte erreicht man einen Ausgleich zwischen den gekoppelten Leitbahnen.

Van Nghi behandelt Fülle und Leere unterschiedlich. Bei Fülle nadelt man nur den Luo-Punkt, bei Leere nadelt man den Luo-Punkt der gekoppelten Leitbahn und dann den Yuan-Punkt der Leitbahn, deren Luo-Gefäß in Leere ist. Dies darf nicht mit der weiter unten beschriebenen Nadelung nach der Gastgeber-Gast-Regel, die auch als Yuan-Luo-Kombination bezeichnet wird, gleichgesetzt werden. Die Reihenfolge der Nadelung ist genau umgekehrt. Hier aktiviert man nur die Verbindung zwischen den gekoppelten Leitbahnen indem man neutral nadelt.

Falls das longitudinale Luo-Gefäß des Du Mai, Ren Mai oder das Große Luo der Milz in Leere ist, tonisiert man den Luo-Punkt, im Fall einer Fülle sediert man den Luo-Punkt.

Tabelle 2: Symptome, die auf eine Behandlung des Luo-Punktes reagieren

Luo-Punkt

Fülle

Leere

Lieque (Lu 7)

Lunge

Hitze im Handteller und im Handgelenk

Häufiges Gähnen, häufiges Wasserlassen

Tongli (He 5)

Herz

Völlegefühl zwischen Brust und Zwerchfell

Kann nicht sprechen

Neiguan (Pe 6)

Perikard

Herzschmerzen

starrer, unbeweglicher Kopf, Reizbarkeit

Zhizheng (Dü 7)

Dünndarm

Schlaffe Gelenke, lahmer Ellbogen

Kleine Warzen, die Krusten bilden und jucken

Pianli (Di 6)

Dickdarm

Zahnkaries, Taubheit

Kälte an den Zähnen, Zwerchfellblockade

Waiguan (Sj 5)

San Jiao

Krämpfe im Ellbogengelenk

Schlaffheit des Ellbogengelenks

Feiyang (Bl 58)

Blase

Verstopfte Nase, Kopf- und Rückenschmerzen

Nasenlaufen und Nasenbluten

Guangming (Gb 37)

Gallenblase

Schwere Ohnmacht oder Bewußtlosigkeit (Jue)

Völlige Kraftlosigkeit in den Beinen

Fenglong (Ma 40)

Magen

Manische Geisteskrankheit

Unkontrollierter Gang, Muskelatrophie der Unterschenkel

Gongsun (Mi 4)

Milz

Schmerzen in den Eingeweiden

Aufgeblähter Bauch

Dazhong (Ni 4)

Niere

Blockade in den unteren Yin

Schmerzen in der Lendengegend

Ligou (Le 5)

Leber

Langandauernde, schmerzhafte Erektionen

Juckreiz in den Genitalien

Jiuwei (Ren 15)

Ren Mai

Schmerzen auf der Bauchoberfläche

Starker Juckreiz

Changqiang (Du 1)

Du Mai

Steifheit der Wirbelsäule

Schwerer Kopf und Benommenheit

Dabao (Mi 21)

Große Luo der Milz

Schmerzen im ganzen Körper

Erschöpfung und Schlaffheit aller Gelenke

Quelle: Lorenzen U, Noll A., 31. TCM Tagung 2000, Rothenburg

Die Gastgeber-Gast-Regel

Die in den vorhergehenden Abschnitten behandelten Symptome haben eines gemeinsam; es sind ohne Ausnahme Störungen, die entweder die Haut, die Muskeln oder die Leitbahnen befallen. Mit anderen Worten, es sind äußere Störungen.

Da die Luo-Gefäße gekoppelte Leitbahnen miteinander verbinden, liegt es nahe, sich diese Eigenschaft bei der Behandlung komplizierter Syndrome, bei denen sowohl eine innere als auch eine äußere Störung vorgefunden wird, zunutze zu machen. Störungen dieser Art sind oft chronisch, kompliziert und schwer zu behandeln. Für ihre Behandlung wurde eine spezielle Methode entwickelt, die als Gastgeber-Gast-Regel bezeichnet wird. Die zuerst betroffene Leitbahn bezeichnet man als Gastgeber und die zuletzt betroffene Leitbahn als Gast.

Um diese Technik zu verstehen, muß man sich die Funktion der Yuan-Punkte ins Gedächtnis rufen. Jede der 12 Hauptleitbahnen besitzt einen Yuan-Punkt, wobei die Yuan-Punkte der Yin-Leitbahnen mit den Bach-Shu-Punkten zusammenfallen und im System der Antiken Punkte den Erdpunkten entsprechen. Der Yuan-Punkt jeder Leitbahn steht mit dem ihm zugeordneten Organ in Verbindung und arbeitet mit dem Yuan-Qi der Leitbahn. Yuan Qi braucht man, um Veränderungen einzuleiten. Die Yuan-Punkte der Yin-Leitbahnen bringen Yin und Yang ins Gleichgewicht. Sie werden bei einer Leere tonisierend und bei einer Fülle sedierend genadelt. Sie üben eine stabilisierende Wirkung auf den Körper, die Emotionen und den Geist aus. Die Yuan-Punkte der Yang-Leitbahnen werden vor allem zur Sedierung von Füllezuständen benutzt. Die Yuan-Punkte sind in der Lage die normale Funktion der inneren Organe wiederherzustellen.

Die Gastgeber-Gast-Regel lautet:

Man nadelt den Yuan-Punkt (Quellpunkt) der zuerst betroffenen Leitbahn (Gastgeber) und dann den Luo-Punkt der zuletzt betroffenen Leitbahn (Gast). Mit anderen Worten: Man nadelt den Quellpunkt an der Quelle der Erkrankung und den Luo-Punkt der Leitbahn, die die Komplikationen zeigt.

Als Beispiel für ein derartiges Muster ist, nach Pirog, ein Patient mit einem leichten chronischen nicht näher spezifiziertem Nieren-Mangel. Dieser Patient wird besonders im Lendenwirbelbereich für Wind-Kälte und -Nässe anfällig sein. Man würde in diesem Fall Ni 3 tonisieren und Bl 58 sedieren, da der Nieren-Mangel dem Bi-Syndrom vorausging und die Blasenleitbahn erst später befallen wurde.

Ein Patient mit einer Infektion der oberen Atemwege aufgrund von Wind-Hitze wird über Frösteln, Fieber, Niesen und eine laufende Nase klagen. Wenn sich der Patient erholt, verschwinden diese Symptome nach und nach und werden durch eine verstopfte Nase und einen schwachen Husten ersetzt. Die verstopfte Nase kann als weiterbestehende Fülle im Dickdarm gesehen werden, während der Husten eine beginnende Erschöpfung des Lungen-Qi anzeigt. In diesem Fall würde man Di 4 und Lu 7 nadeln. Da das Problem in der Dickdarmleitbahn begann, die die Nase und die Atemwege oberhalb der Kehle kontrolliert, wird der Quellpunkt dieser Leitbahn genadelt, während auf der Lungenleitbahn, die später befallen wurde, der Luo-Punkt genadelt wird. Di 4 wird sedierend genadelt, da die Gastgeber-Leitbahn (Dickdarm) in Fülle ist und Lu 7 wird tonisierend genadelt, da die Gast-Leitbahn (Lunge) in Leere ist.

Die Definition der Gastgeber-Gast-Regel nach Pirog gibt die Bedeutung von Gastgeber und Gast innerhalb der chinesischen Medizin, meiner Meinung nach, nur unvollständig wieder. Die chinesische Medizin geht davon aus, daß sich das Qi des Individuums nicht vom Qi des Makrokosmos unterscheidet. Das individuelle Qi eines Menschen gilt als Gast innerhalb des dominierenden Qi des Universums. Ein Mensch ist dann gesund, wenn sein mikrokosmisches Gast-Qi in Übereinstimmung mit dem makrokosmischen Gastgeber-Qi ist. Im Hinblick auf die Gastgeber-Gast-Regel stellt sich die Frage, wer ist Gastgeber und wer Gast? Was ist übergeordnet und dominiert?

Eine Funktion der Luo-Gefäße ist es auszugleichen und zu harmonisieren. Durch das Nadeln des Luo-Punktes kann man diese Funktion aktivieren. Das würde im Falle der Gastgeber-Gast-Regel bedeuten, daß die Leitbahn deren Luo-Punkt man nadelt als Gast zu sehen ist, der sich einem Gastgeber unterordnen oder anpassen muß. Demzufolge ist die Leitbahn, deren Yuan-Punkt man nadelt, der Gastgeber. Da die Gastgeber-Gast-Regel eine hierarchische Ordnung impliziert, folgt daraus, daß das Yuan-Qi, das am Yuan-Punkt zugänglich ist, alle anderen Arten von Qi dominiert, da es die grundlegenden Informationen übermittelt.

Um die Wirkung dieser Punkte-Kombination zu verstehen, muß man sich über die Bedeutung des Tonisierens und Sedierens im Klaren sein. Das Ziel der Akupunktur ist eine Harmonisierung der Energie oder von Yin und Yang. Yang oder Wei Qi steht für Hitze, Leben, Schmerz, das Äußere des Körpers, die Haut und den oberen Teil des Körpers. Yin steht für Kälte, Schwäche, Unempfindlichkeit, das Körperinnere und, was am wichtigsten ist, für Blut und die inneren Organe. Da Tonisieren einen Mangel auffüllt, schenkt es hauptsächlich Leben und Wärme. Sedieren räumt einen Überschuß weg und erzeugt damit Entspannung, Beruhigung und Frische. Tonisieren bedeutet also die Aktivierung der Lebenskraft was zu einer Zunahme der Kraft, einem verbesserten Stoffwechsel und besseren Organfunktionen führt; Sedieren wirkt beruhigend, entspannend und reduzierend. Die Yang-Meridane transportieren hauptsächlich Energie für die Funktionen der Revitalisierung und werden auch dafür eingesetzt. Die Yin-Meridiane transportieren Energie für die Erhaltung und Zirkulation des Blutes. Allgemein gilt, tonisiert man Yang, so sediert man gleichzeitig Yin und umgekehrt.

Die folgende Tabelle ist Deadman et al. entnommen. Berücksichtigt man die Bedeutung des Gastgebers und des Gastes in der chinesischen Medizin, so kann man die von Deadman et al. angegebene Wirkung der Punkte-Kombinationen besser verstehen. Die Leitbahn, deren Yuan-Punkt genadelt wird ist der Gastgeber, seine Funktion soll in erster Linie wieder hergestellt werden. Die Leitbahn, deren Luo-Punkt genadelt wird, ist der Gast; er wirkt harmonisierend und sorgt für eine angemessene Kommunikation zwischen den gekoppelten Leitbahnen.

Tabelle 4: Häufig verwendete Yuan-Luo-Kombinationen

Yuan-Luo-Kombination

Wirkung

Ni 3 ­ Bl 58 ¯

taixi feiyang

Ni 3 ist der Hauptpunkt auf der Nierenleitbahn zur Stärkung des Yin, während Bl 58 Yang absenkt, das aufgrund einer Yin-Schwäche nicht verankert ist.

Di 4 ¯ Lu 7 ­

hegu lieque

Diese Kombination wird häufig verwendet, wenn äußerer Wind in den Körper eingedrungen ist. Di 4 ist in der Lage den pathogenen Faktor zu vertreiben. Lu 7 unterstützt dies und stärkt gleichzeitig die Funktion der Lunge.

Lu 9 ­ Di 6 ¯

taiyuan pianli

Diese Kombination ist indiziert, wenn die Funktion der Lunge die Wasserwege zu kontrollieren gestört ist, mit Symptomen wie akuten Ödemen, fehlendem Schweiß und Problemen beim Wasserlassen. Di 6 ist ein wichtiger Punkt zur Regulierung der Wasserwege. Lu 9 tonisiert das Lungen-Qi.

Mi 3 ­ Ma 40 ¯

taibai fenglong

Die Ursache für die Entwicklung von Schleim ist eine Schwäche der Milz. Mi 3 stärkt die Milz, während Ma 40 der Hauptpunkt zur Klärung von Schleim ist.

He 7 Dü 7

shenmen zhizheng

He 7 ist einer der wichtigsten Punkte zur Beruhigung und Regulierung des Geistes. Dies wird durch die Wirkung von Dü 7 auf die Psyche unterstützt.

Le 3 ¯ Gb 37 ­

taichong guangming

Le 3 ist ein wichtiger Punkt zur Behandlung von Augenproblemen aufgrund von aufsteigendem Leber-Yang oder Leber-Feuer oder einer Leber-Blut- oder Leber-Yin-Schwäche. Gb 37 unterstützt diese Funktion.

¯ = Sedieren, ­ = Tonisieren

Betrachtet man die oben zitierten Beispiele unter diesem Aspekt, erkennt man den tieferen Sinn, der in der Wahl dieser Punkte liegt. Im ersten Beispiel ist die mangelnde Funktion der Niere die Ursache für die Wei Qi Schwäche der Blasenleitbahn, in die der pathogene Faktor eindringen und eine Fülle erzeugen kann. Man erreicht mit der Tonisierung des Yuan-Punktes der Nierenleitbahn, daß das Yuan-Qi der Niere wieder stark genug ist, so daß seine Informationen wieder dominieren, was dann zu einer Stärkung der Organfunktion führt. Das Sedieren des Luo-Punktes der Blasenleitbahn nimmt den Überschuß weg, beruhigt und entspannt und wirkt gleichzeitig harmonisierend auf das gekoppelte Leitbahnpaar Niere/Blase.

Im zweiten Beispiel wird der Yuan-Punkt der Dickdarmleitbahn sedierend und der Luo-Punkt der Lungenleitbahn tonisierend genadelt. Der Yuan-Punkt der Dickdarmleitbahn beherrscht die Energie des gesamten Körpers [Soulié de Morant]. Er hat im oben zitierten Beispiel die Rolle des Gastgebers inne, seine Funktion muß als erstes wiederhergestellt werden, deshalb nadelt man ihn zuerst. Die tonisierende Nadelung von Lu 7 stärkt die Kommunikation zwischen der Dickdarm- und der Lungenleitbahn und wirkt sedierend auf die Dickdarmleitbahn.

Die Luo-Gefäße und ihre Beziehung zu psycho-emotionalen Störungen

Die Sprache der chinesischen Medizin ist stark metaphorisch und nicht zuletzt deshalb in der Lage, alle Aspekte des menschlichen Wesens zu beschreiben. In wieweit diese umfangreichen Möglichkeiten der chinesischen Medizin genutzt werden, hängt zum einen von den Erwartungen des Patienten und zum anderen von den Fähigkeiten des Therapeuten ab. Heilung ist eine ganzheitlicher Prozeß, der die physischen, mentalen und emotionalen Aspekte mit einbezieht.

Die Aufgabe der Luo-Gefäße ist es, Pathogene in ihrem Netzwerk zu halten, um größeren Schaden vom Organismus abzuwehren. Das gilt für alle drei Ebenen, physisch, mental und emotional. Auf emotionaler Ebene sind sie ein Schutzschild für das Herz. Man kann dies auch anders formulieren: In den Luo-Gefäßen setzen sich sowohl nicht assimilierte Energien von außen fest, als auch alte emotionalen Störungen, die nicht in die Zangfu eingedrungen sind.

Das Modell von Peter Weber-Bluhm

In diesem Zusammenhang möchte ich auf die von Peter Weber-Bluhm entwickelte Therapie, die auf einer Kombination des 6-Schichtenmodells mit der Luo-Yuan-Kombination basiert, eingehen. Danach kann man in den Luo-Gefäßen abgelegte emotionale Energien über die Luo-Punkte aktivieren. Man hat damit die Möglichkeit nicht gelebte emotionale Anteile der Persönlichkeit anzusprechen, um an alten Störungen, die sich physisch verschleiern zu arbeiten.

Abbildung 3: Das 6 Schichtenmodell

Peter Weber-Bluhm faßt die einzelnen Energieschichten von innen nach außen zu Paaren zusammen:

1. Schicht: Yang Ming und Tai Yin

2. Schicht: Shao Yang und Jue Yin

3. Schicht: Tai Yang und Shao Yin

Die 1. Schicht ist die Ebene des Annehmens.

Es geht dabei sowohl um das Annehmen von sich selbst, als auch von Schicksalschlägen oder der Therapie. Sich selbst annehmen heißt in diesem Zusammenhang, sich zu akzeptieren mit allem, was dazu gehört; den Eltern, dem Beruf, der sozialen Stellung, der Krankheit usw.

Diese innerste Schicht setzt sich aus Yang Ming und Tai Yin zusammen. Als Funktionskreise sind Milz und Magen, sowie Lunge und Dickdarm beteiligt. Nach den 5 Wandlungsphasen sind es Erde und Metall.

Die kosmische Darstellung der fünf Wandlungsphasen setzt die Erde in die Mitte. Wir bleiben mit aller Bewegungsfreiheit, die wir haben, an diese Mitte gebunden. Das Gefühl, das ihr zugeordnet wird, ist Sympathie, Mitgefühl, Mitempfinden. Es ist das Gefühl mit der Welt und mit allen Wesen verbunden zu sein. Aber auch die Verbundenheit mit sich selbst gehört dazu. Auch der Vergleich zur nährenden Mutter Erde liegt nahe. Das Thema Nahrung in allen seinen Facetten, von der leiblichen Nahrung bis zur liebevollen Zuwendung gehört zur Wandlungsphase Erde.

Während die Energien der Erde dafür verantwortlich sind, daß Bindungen zu Beziehungen reifen, die ein gegenseitiges Wachstum ermöglichen, dient das Metall dem Prozeß der Individuation, in dem es seine Energien für die Transformation und Expansion bestehender Bindungen zur Verfügung stellt. Von Geburt an reguliert und erneuert die Metall Energie die Aufnahme der leichteren und feineren Energie und des Geistes, die wir mit der Luft, die wir atmen verbinden, im Gegensatz zu der mehr substanzielleren Energie, die wir als Nahrung zu uns nehmen. Die Weiterentwicklung in Bezug auf unsere Bindungsfähigkeit umfaßt Loyalität, Rechtschaffenheit und Offenheit. Das Yin des Metalls festigt und erneuert ständig diese Bindungsbereitschaft. Das Yang das Metalls dient der Expansion, dem Loslassen von Bindung in Bezug auf Ideen, Emotionen und Menschen. Loslassen schließt die Gabe des Verzeihens und der Übergabe, der Hingabe mit ein. Sie ist Voraussetzung für eine sich entwickelte Liebesfähigkeit und spirituelles Wachstum.

Die 2. Schicht ist das Scharnier zwischen innen und außen.

Die Darstellung nach außen muß nicht unbedingt dem Innern entsprechen. Es geht darum, sich zu realisieren, mit sich selbst klar zu kommen. Die Aussage "Das wollte ich immer schon tun oder ich habe mich nicht getraut" ist hierfür charakteristisch.

Was immer schon da war, wird klarer. Dinge, die "weggeschluckt" wurden, kommen wieder ins Bewußtsein.

Die zweite Schicht setzt sich aus Shao Yang und Jue Yin zusammen. Als Funktionskreise sind Sanjiao und Gallenblase, sowie Perikard und Leber beteiligt. Nach den 5 Wandlungsphasen sind es Feuer und Holz.

Die Energien des Perikards dienen als Vermittler bei der Kommunikation des Egos mit anderen. Diese Energien sind verantwortlich für einen erfolgreichen zwischen-menschlichen Kontakt, für die Qualität und Quantität des Kontaktes zur Außenwelt, der die individuelle Weiterentwicklung fördert. Alle Fähigkeiten, die von anderen Energie-systemen zur Verfügung gestellt werden, werden von den Energien des Perikards koordiniert, um einen sicheren menschlichen Kontakt bei gleichzeitigem inneren Wachstum zu garantieren. Um das zu gewährleisten braucht es die strategischen und planerischen Fähigkeiten der Gallenblase und der Leber, das Gefühl für die eigenen Grenzen der Kraft, das die Nieren beisteuern, das Gedächtnis der Blase, die kommunikativen Fähigkeiten des Herzen sowie die Verdauung und Verteilung der Nahrung durch Magen und Milz.

Perikard-Yin bewahrt die Integrität nach Innen und Außen. Die Herausforderung liegt darin, ein gesundes Gleichgewicht zwischen Teilen und Bewahren, zwischen Vertrauen und Rückzug, zwischen Leidenschaft und Verstand zu finden.

Die Leber beherbergt das Blut, kontrolliert und ernährt die Muskeln, Sehnen und Bänder und hat damit eine enge Beziehung zum Bewegungsapparat und zum Nervensystem. Sie sorgt für den freien Fluß des Qi und ermöglicht allen Zang und Fu frei und leicht zu fließen.

Das Leber-Yang gibt die Fähigkeit voranzuschreiten, das Leber-Yin sich zurückzuziehen. Sind Yin und Yang in ausgewogener Harmonie, so hat man es mit einer kreativen, flexiblen Persönlichkeit zu tun, die sich sowohl durchsetzen als auch im richtigen Moment zurückziehen kann. Die doppelte Funktion der Leberenergien, sich einerseits vorwärts zu bewegen und sich andererseits zurückzuziehen, setzt eine gute Verbindung zu den Energien voraus, die für Entscheidungen zuständig sind. Die Natur hat diese, für das Überleben wichtigen Fähigkeiten im System Leber-Gallenblase konzentriert.

Die Tugend der Leber ist Nächstenliebe. Das erfordert die Fähigkeit beide Seite einer Sache zu sehen und den instinktiven Trieb zur Selbsterhaltung zugunsten einer anderen Person oder eines übergordneten Wertes unbeachtet zu lassen. Die Herausforderung an die Leber ist das Transzendieren der Selbstsucht und das Kultivieren von Nächstenliebe gegenüber allem und allen, sich selbst eingeschlossen.

Die 3. Schicht ist die Lebensachse.

Die tiefste Schicht wird mit der äußersten Schicht gekoppelt; die Niere unten mit dem Herz oben. Hier wird die Verbindung von Himmel und Erde angesprochen. Das Thema heißt: was will aus mir heraus leben? Wenn Herz und Nieren harmonisch zusammenarbeiten, kann man seinen Weg mit Gelassenheit gehen.

Die Feuerenergie dient dem tiefen menschlichen Bedürfnis nach Kontakt und Austausch. Das Feuer ist nicht nur die Phase der größten Aktivität, es ist ebenso die Phase der größten Entfaltung von Bewußtheit, Kreativität und Liebe und ist Ausdruck des "göttlichen Funkens" im Menschen. Auch in anderen Kulturen kommt dem Feuer eine göttliche Bedeutung zu.

Herz-Yin gibt Einsicht und Inspiration und die Anwesenheit des Gefühls der Liebe. Herz-Yang den Ausdruck. Er steht für jede intelligente und verständliche Kommunikation vom ersten Schrei, über die erste Liebeserklärung, bis hin zum Bekenntnis des Menschen woran er glaubt. Herz-Yang drückt sich auch aus in Philosophie (Logos), Architektur, Kunst, Musik und Literatur.

Zum Feuer gehören nicht nur das Herz, sondern auch drei weitere Organe: Perikard, der Beschützer des Herzens, Dünndarm, der das Wesentliche vom Unwesentlichen trennt und der Sanjiao, der alle Organe mit dem gesamten Körper verbindet. Von allen Organen ist das Herz jedoch die höchste Instanz. Es bewahrt den Shen, diesen göttlichen Funken, der unsere Individualität und Persönlichkeit sowohl in emotionalen wie mentalen und spirituellen Aspekten zur Entfaltung bringt.

Die Nieren speichern sowohl die genetischen als auch die erworbenen Essenzen, die nicht sofort verbraucht werden. Das gesamte hormonelle System untersteht ihrer Kraft und Kontrolle, was sich unter anderem in der Fähigkeit ausdrückt, das Leben auf die nächste Generation zu übertragen. Sie verbindet die Vergangenheit mit der Zukunft.

Da die Wasserenergie nur über das Feuer des Himmels zum Leben erwacht, bilden beide die fundamentale Achse im Körper des Menschen. Das Feuer muß das Wasser der Nieren erwärmen. Die Verbindung von Feuer und Wasser ermöglicht uns den Zugang zur unsichtbaren Welt. Mit Hilfe unsere Intelligenz mag es möglich sein, zu verstehen, wie diese Welt aufgebaut ist, aber sie reicht nicht aus, für das warum, bis auf einige unvollkommene, meditative Erfahrungen. Wasserenergie gibt dem Menschen auch die innere Kraft, sich mit der Angst zu konfrontieren, die durch Trennung entsteht, und die auf tiefster Ebene die Trennung von der Welt bedeutet, die wir Tod nennen. Die Herausforderung besteht darin, über unseren eigenen Tod hinaus, dem Leben zu vertrauen, und das Schicksal anzunehmen, die Umwandlung von Angst in Weisheit, der Tugend der Nieren.

Bei all diesen Vorgängen ist das Nieren-Yang, oder das Feuer des Ming Men, die bewegende Komponente im Wasserelement, die Lebenskraft. Auf mentaler Ebene ist der Wille des Menschen die bewegende Kraft. Das Nieren-Yang ist die Funktion, die auf die Zukunft gerichtet ist, das Nieren-Yin steht in Verbindung zur Vergangenheit.

[Quellen: Leon Hammer, Francesca Diebschlag, Wu Xing]

Das Behandlungskonzept

Man kombiniert die Luo- und Yuan-Punkte innerhalb der drei Schichten nicht um gekoppelte Leitbahnen zu verbinden, sondern um die beiden beteiligten Energieschichten zu koppeln. Dabei werden Yin und Yang miteinander in Beziehung gesetzt. Das ergibt folgende Möglichkeiten:

1.Schicht: (Ma 42 / Lu 7), (Lu 9 / Ma 40), (Mi 3 / Di 6), (Di 4 / Mi 4)

2.Schicht: (Le 3 / Sj 5), (Sj 4 / Le 5), (Gb 40 / Pe 6), (Pe 7 / Gb 37)

3.Schicht: (Ni 3 / Dü 7), (Dü 4 / Ni 4), (Bl 64 / Hz 5), (Hz 7 / Bl 58)

Man nadelt einen Punkt rechts und einen Punkt links, um das Gefühl der Ganzheit zu erzeugen. Dies ergibt insgesamt acht Kombinationen pro Schicht. Pro Sitzung wird eine Kombination genadelt. Weitere Punkte werden aufgrund der aktuellen Situation ausgewählt. Eine Möglichkeit ist, den Himmelsfensterpunkt der Leitbahn, die den Luo-Punkt enthält dazu zu nehmen, wenn durch die Luo-Yuan-Kombination ein Thema angesprochen wird, das dem Patienten Probleme bereitet. Man kann auch zur Anregung des Energieflußes den Xi-Punkt der Leitbahn, die den Yuan-Punkt enthält, dazu nehmen. Bei Frauen nadelt man den Luo-Punkt rechts, bei Männer links; den Xi-Punkt nadelt man auf der gleichen Seite, wie den Luo-Punkt. Eine weitere Ergänzung ist die Nadelung der Gruppen-Luo-Punkte: (3 Yin des Fußes / 3 Yang der Hand) oder (3 Yang der Hand / 3 Yin des Fußes), d.h. (Sj 8 / Mi 6) und (Pe 5 / Gb 39). Damit bringt man Kühle nach oben und Wärme nach unten.

Welche Kombination man tatsächlich verwendet, hängt von der aktuellen Diagnose ab. Die ganze Behandlung dauert im Durchschnitt 2 Jahre. Das Ziel ist es, die sechs Schichten von pathogenen Energien zu befreien. Alte Energien werden umgeleitet und dann assimiliert. Mit der Nadelung des Luo-Punktes aktiviert man die alten Energien, die Nadelung des Yuan-Punktes gibt die Kraft, dem Drachen ins Auge zu schauen und den Kampf zu bestehen.

Der Therapie über die sechs Schichten folgt die Behandlung nach den fünf Wandlungsphasen, Voraussetzung dafür ist eine funktionierende Erde. Die Behandlung über die Antiken Punkte kann persönliche Muster, alte Glaubenssätze, Verfestigungen des Verhaltens und der Haltung helfen aufzuweichen und zu verändern. Die Therapie erfolgt nach dem Kontroll-Zyklus, bei dem man ebenfalls eine Yin-Yang-Beziehung findet:

Wasser kontrolliert Feuer: Ein gesundes Maß an Angst ist ein Selbstschutz und hält manische Begeisterung und unhaltbare Überschwenglichkeit im Zaum.

Feuer kontrolliert Metall: Wenn auch in Situationen von Abschied und Traurigkeit die Lebensfreude ihren Platz haben kann, wird die Traurigkeit nicht zur Verzweiflung.

Metall kontrolliert Holz: Die Fähigkeit zu ordnen und zu überprüfen gibt Kreativität und Aktivität mehr Möglichkeiten, Projekte auch wirklich zu realisieren.

Holz kontrolliert Erde: Auch die eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und beachten, schützt davor allzu sehr für andere zu denken, zu fühlen und sich verantwortlich zu fühlen.

Erde kontrolliert Wasser: Sich als Teil der Gemeinschaft zu wissen und Zugehörigkeit zu empfinden, macht es möglich, uns mit gutem Gefühl zurückzuziehen. [Wu Xing – das Rad des Lebens]

Das folgende Beispiel soll das Vorgehen verdeutlichen: Holz-Yin kontrolliert Erde-Yang, sprich Leber kontrolliert den Magen. Diese Kontrolle ist gut und mächtig, sorgt für die innere Dynamik des Befeuchtens und Herableitens des Magens und damit für seine Verdauungsaufgabe und für sein Nicht-Austrockenen oder Überhitzen. Bleibt das Erde-Yang = Magen still und unbeweglich, kann ihm das Holz-Yin = Leber helfen, indem ich den Erdepunkt auf der Leberleitbahn (Le 3) sediere und den Holzpunkt auf der Magenleitbahn (Ma 43) tonisiere. [Weber-Bluhm]

Im Anschluß daran kann man noch die Qi Jing Ba Mai öffnen. Man orientiert sich bei der Wahl der Reihenfolge , in der man die Leitbahnen nadelt am Wachstum des Embryo: Du Mai, Ren Mai, Chong Mai, Dai Mai. Man öffnet je eine Leitbahn im Abstand von ca. 3 Wochen, aber nur dann, wenn die Nierenpulse in Ordnung sind.

Das Modell von Hallym Calher

Die Pathogenese psychosomatischer Erkrankungen läßt sich nach Hallym Calher in vier Phasen einteilen, die analog zu den altersbedingten Entwicklungsstufen auftreten.

Nach Freud ist die älteste Instanz das Es. Sein Inhalt ist alles, was ererbt, bei Geburt mitgebracht, konstitutionell festgelegt ist, vor allem also die aus der Körperorganisation stammenden Triebe. Das Es ist bestrebt, den aus dem Somatischen stammenden Triebbedürfnissen Befriedigung zu verschaffen; es agiert nach dem "Lustprinzip", ist stets bestrebt, Bedürfnisspannungen zu reduzieren. Dabei gelten für das Es keine logischen Regeln, keine Rücksichten auf äußere Umstände, keine Zeitvorstellungen und erst recht keine moralischen Grenzen. Um in einer sozialen oder physikalischen "realen Außenwelt" mit seinen Triebbedürfnissen ans Ziel zu kommen, bildet das Es ein "Werkzeug" aus, das genau diese Aufgabe übernimmt: das Ich.

Die Hauptaufgabe des Ich ist die "Selbstbehauptung", die günstigste und gefahrloseste Art der Befriedigung zu finden, mit Rücksicht auf die inneren und äußeren Bedingungen. Jedes Erleben und Verhalten ist damit auch als Anpassungsprozeß an die soziale und physikalische Umwelt zu interpretieren.

Nun lassen sich beim Menschen Erlebens- und Verhaltensweisen feststellen, die nicht durch die unmittelbare Wirkung der Außenwelt oder der Triebe erklärbar sind. Es zeigt sich hierin die Wirkung einer dritten Instanz, des Über-Ich. Dieses repräsentiert das Normengefüge der sozialen Außenwelt. Seine Aufgabe ist die "Selbstkritik", die moralische Kontrolle aller Funktionen des psychischen Apparates, und es nimmt sowohl dem Ich als auch dem Es gegenüber eine autonome Stellung ein. Seine Sanktionsmittel sind die "Gewissensqualen", charakteristische Unlustgefühle, die das Ich in sein "Kalkül" miteinzubeziehen hat.

Im Verlauf der psychosexuellen Entwicklung gibt es phasenweise unterschiedliche Körperzonen als Libidoquellen. Jede Phase enthält außerdem eine spezifische soziale Problematik, die durch die Konfrontation der entsprechenden Triebregungen mit der Außenwelt entsteht. Die Lösung der phasenspezifischen Konflikte ist die wichtigste psychische Entwicklungsaufgabe jeder dieser Phasen. Jede phasenspezifische "Lösung" wird nun Teil der funktionellen Struktur des psychischen Apparates. Es entstehen jeweils typische "Lösungsstrategien", die sich als feste Strukturen im psychischen Apparat niederschlagen und dessen weitere Funktionsweise bestimmen.

Konflikte können entstehen zwischen Triebansprüchen einerseits sowie Ansprüchen der Außenwelt und des Über-Ich andererseits. Diese erzeugen im Ich Angst, die es mit Hilfe verschiedener Abwehrmechanismen reduziert, die stets eine Verdrängungskomponente enthalten. Bleibt der Konflikt dennoch ungelöst, so greift das Ich zu einer Kompromißbildung, einem neurotischen Symptom.

Je jünger das Ich ist, je schwächer seine Fähigkeiten ausgebildet sind und je stärker es schon vorgeschädigt ist, umso schwieriger wird es mit konflikthaften Situationen fertig, umso eher wird es die Flucht ergreifen in die Abwehr. [Sämmer]

Die Psyche ist im Vergleich zum Körper yang und ist damit abhängig von der Yang-Energie, d.h. der Energie von Luft und Licht. Gleichzeitig wird sie aber von der Yin-Energie genährt und ist damit abhängig von der Nahrung und der Erde. Diese Ebenen sind genauso wie die ihnen zugeordneten Organe voneinander abhängig.

Calher hat mit seinem Ansatz ein Beziehung zwischen der westlichen Psychoanalyse nach Freud und der chinesischen Theorie hergestellt. Die vier Phasen der Entwicklung unterscheiden sich durch den energetischen Zustand der Zang (Speicherorgane) und Fu (Hohlorgane). Die Zang und Fu können normal, in Fülle oder im Mangel sein. Rein theoretisch ergeben sich damit neun Kombinationen, von den aber nur die folgenden vier in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind: (Zang ¯ , Fu), (Zang ¯ , Fu ­ ), (Zang ­ , Fu ¯ ) und (Zang ¯ , Fu ¯ ).

1. Phase: Neugeborene und Säuglinge, (Zang ¯ , Fu)

Beim Säugling ist die früheste Lustquelle der Mund: Alle psychische Tätigkeit ist zunächst darauf eingestellt, dem Bedürfnis dieser Zone Befriedigung zu schaffen. Sie dient in erster Linie der Ernährung und damit der Selbsterhaltung. Da aber das Neugeborene in seiner Hilflosigkeit für die Befriedigung der wichtigsten oralen Bedürfnisse seine soziale Umwelt braucht, wird deren Einfluß auf das Kleinkind schnell wirksam.

Da Nahrung mit das Wichtigste im Leben eines Säuglings ist, stellen Lunge und Milz, die zusammen das Ying-Qi bilden, nach Calher die schwächsten Punkte eines Säuglings dar. Eine Schwäche der Lunge und der Milz entspricht einer Unterfunktion der Zang, während die Fu normal funktionieren. Daraus können sich folgende Störungen entwickeln: Überaktivität, minimale Funktionsstörungen des Gehirns, Enuresis nocturna, jugendliches Asthma, atopische Dermatitis, epileptische Anfälle und Fieberkrämpfe.

2. Phase: ältere Kinder ab dem 1. Lebensjahr, (Zang ¯ , Fu ­ )

In der analen Phase gewinnen die Ausscheidungsorgane für das Lustempfinden des Kindes an Bedeutung. Erst erfolgt der Lustgewinn durch das Ausscheiden, später durch das Zurückhalten, Loslassen und Festhalten. Das Kind erlebt dadurch Macht. Gleichzeitig setzen aber auf diesem Gebiet vermehrte Ansprüche der sozialen Umwelt ein: das Kind soll "sauber" werden.

In der phallischen Phase stehen zum ersten Mal die primären Geschlechtsorgane als "erogene Zonen" im Zentrum der Entwicklung. Die Kinder identifizieren ihre eigene körperliche und auch soziokulturelle geschlechtliche Identität und interessieren sich für die des anderen Geschlechts. Dabei kommt es zwischen Kind, Mutter und Vater zu einer konflikthaften Dreiecksbeziehung, die je nach Geschlecht des Kindes anders verläuft.

In den ersten beiden Phasen entwickelt sich das Ich. In der analen Phase entwickelt sich das Über-Ich.

Nach Calher sind Kinder in dieser Phase von Natur aus yang und reagieren entsprechend. Das bedeutet, daß sie sehr schnell, z.B. mit Fieber, über das Wei Qi reagieren. Die Zang sind konstitutionell immer noch schwach, aber die Fu gehen in eine Überfunktion. Daraus können sich folgende Störungen entwickeln: erste psychosomatischen Reaktionen, Frustration, Neurasthenie.

3. Phase: Ältere Kinder, (Zang ­ , Fu ¯ )

Mit dem Abschluß der phallischen Phase verändert sich die Persönlichkeit im wesentlichen nur noch durch eine Ausdifferenzierung der Grundstruktur. Das Kind paßt sich den gesellschaftlichen Erfordernissen an, und zwar unter Einfluß der Weichenstellungen in den vorangegangenen Phasen. Es erlernt wichtige Kulturtechniken (erste Schulzeit) und bemüht sich um eine Ausgestaltung der eigenen Geschlechtsrolle sowie um die Aneignung anderer gesellschaftlicher Normen und Werte.

Die inneren Organe werden stärker. Das bedeutet, daß die Kinder jetzt in der Lage sind, wie Erwachsene, über das Ying Qi zu reagieren. Auf Streß reagieren jetzt die Zang mit einer Überfunktion. Unangemessene emotionale Reaktion können sich zu einer psychosomatischen Erkrankung entwickeln. Ein Exzeß der Zang geht auf Kosten der Fu, da Yin das Yang ernährt. Diese Situation entspricht nach Calher der Kombination die Zang sind in Fülle und die Fu im Mangel.

4. Phase: Erwachsene, (Zang ¯ , Fu ¯ )

Zur Aufrechterhaltung einer psychosomatischen Erkrankung ist Energie notwendig und dies führt zu einer Unterfunktion der Zang und einer Unterfunktion der Fu. Daraus können sich dann folgende Störungen entwickeln: Psychopathien (Persönlichkeitsstörungen, bei der Anpassungsschwierigkeiten an die Umwelt im Vordergrund stehen), geistige Behinderung, Psychosen.

Ein denkbarer therapeutischer Ansatz wäre der energetische Ausgleich der Zang und Fu mit Hilfe der Yuan-Luo-Verbindungen. Die konstitutionelle Behandlung dieser Störungen hängt davon ab, ob es sich um eine asthenische oder eine neurotische psychosomatische Störung handelt. Bei einer asthenischen Störung sind die Zang in Leere, bei einer neurotischen Störung sind sie in Fülle. Daraus ergibt sich folgende Anwendung der Yuan-Luo-Verbindungen:

asthenisch Þ Die Yuan-Punkte der Zang werden tonisiert und die Luo-Punkte der Fu werden sediert.

neurotisch Þ Die Yuan-Punkte der Zang werden sediert und die Luo-Punkte der Fu werden tonisiert.

[Quelle: F. Ramakers]

 

Die Außerordentlichen Meridiane als Luo-Gefäße

In der Literatur werden die Außerordentlichen Meridiane (Qi Jing Ba Mai) mit Kanälen und Abzugsgräben, die für den Fall einer Überschwemmung angelegt sind, verglichen. Sie haben damit eine den Luo-Gefäßen vergleichbare Funktion. Die Außerordentlichen Meridiane dienen als Speicher, die sowohl einen Überschuß an Energie aufnehmen können, aber auch in der Lage sind einen Mangel wieder auszugleichen.

Topographisch gesehen sind die fünf Außerordentlichen Meridiane, Yin und Yang Wei Mai, Yin und Yang Qiao Mai und Dai Mai, Sekundärgefäße der Hauptleitbahnen. Physiologisch gesehen dienen sie dem Transport der Essenz (Jing). Diese ganz wesentliche Funktion macht sie zu "Außerordentlichen" Meridianen im Vergleich mit anderen Sekundärgefäßen (tendinomuskuläre Meridiane, Sondermeridiane und Luo-Gefäße) [Van Nghi].

Bei Soulié de Morant findet man folgende Erklärung der Außerordentlichen Meridiane: Vor langer Zeit stellte man fest, daß es besondere Punkte gibt, die alle eine ähnliche und sehr starke Wirkung auf die Energie als solche haben. Diese Punkte, von denen einige auf den Medianlinien und andere auf den Hauptleitbahnen liegen, wurden zu Gruppen zusammengefaßt und allgemein als "die acht Gefäße der erstaunlichen Meridiane" bezeichnet. Die Punkte einer Gruppe beeinflussen sich gegenseitig. Ihre Kommandopunkte (Öffnungspunkte), von denen jedes Gefäß genau einen besitzt, zeigen eine paarweise Abhängigkeit. Es gibt zwei Yin-Paare und zwei Yang-Paare. Die Zuordnung zu einer Gruppe erfolgte nicht aufgrund theoretischer Überlegungen, sondern basierte auf sorgfältigen Beobachtungen. Die einzelnen Gruppen werden zu folgenden Paaren zusammen gefaßt:

Yin- oder Yang-Energie sammelnde Meridiane (Ren Mai und Du Mai)

Yin- oder Yang-Energie regulierende Meridiane (Yin Qiao Mai und Yang Qiao Mai)

Yin- und Yang-Energie erzeugende Meridiane (Yin Wei Mai und Yang Wei Mai)

Yin- und Yang-Energie verteilende Meridiane (Chong Mai und Dai Mai)

Die Öffnungspunkte (Ba Mai Ba Xue) dieser Meridiane sind von besonderer Bedeutung, da sie in der Hierarchie der Punkte ganz oben stehen. Man sagt, daß sie die 60 Antiken Punkte kommandieren, die ihrerseits die 360 Körperpunkte kommandieren.

Diese acht Punkte stehen in einer Gastgeber-Gast-Beziehung zueinander. Ein Yang der Hand ist mit einem Yang des Fußes und ein Yin der Hand mit einem Yin des Fußes gekoppelt [Morant]:

Yang: Dü 3 (Du Mai) mit Bl 62 (Yang Qiao Mai)

Gb 41 (Dai Mai) mit Sj 5 (Yang Wei Mai)

Yin: Mi 4 (Chong Mai) ) mit Pe 6 (Yin Wei Mai

Lu 7 (Ren Mai) mit Ni 6 (Yin Qiao Mai)

Bei Van Nghi heißt es: Die außerordentlichen Meridiane bilden vier Verbindungssysteme im Sinne von Gastgeber-Gast. Die Auflistung bei Van Nghi legt die Vermutung nahe, daß die Wundermeridiane der 1. Generation dem Gastgeber entsprechen und die der 2. Generation dem Gast. Soulié de Morant behandelt die gekoppelten Meridiane gleich.

Da jeder der acht Außerordentlichen Meridiane eine starke Wirkung auf die Psyche hat, werden sie oft auch als die acht psychischen Meridiane bezeichnet. Die Öffnungspunkte der Außerordentlichen Meridiane zählen zu den wichtigsten auf die Psyche wirkenden Punkte.

Die inneren Verläufe der Hauptleitbahnen und ihre Funktion als Luo-Gefäße

Kiiko Matsumoto und Stephen Birch geben in ihrem Buch "Hara Diagnosis: Reflections on the Sea" eine interessante Interpretation der inneren Verläufe der Hauptleitbahnen. Um die Beziehung zwischen den inneren Verläufen und den Organen zu verstehen, haben sie sich deren Beschreibung in den Klassikern genau angeschaut. Dort werden zwei Fälle unterschieden.

Führt der innere Verlauf der Leitbahn zu seinem eigenen Organ, dann wird der Ausdruck eindringen oder dazugehören verwendet. Das chinesische Schriftzeichen dafür, shu, legt die Vorstellung nahe, daß die Leitbahn in das Organ eindringt, so als ob sie darin verwurzelt wäre. Organ und Leitbahn bilden eine Einheit, vergleichbar einem See und seinem Zufluß.

Die Beziehung zwischen dem inneren Verlauf und dem gekoppelten Organ wird anders beschrieben. In diesem Fall wird der Ausdruck spiralig umhüllen, luo, verwendet. Spiralig umhüllen impliziert eine energetische Verbindung, die im Vergleich zu eindringen, weniger physisch und vollständig ist. Die Leitbahn umhüllt das Organ eher als daß sie in es eindringt. Um beim oben erwähnten Bild zu bleiben, der Fluß umfließt einen in seinem Bett liegenden Stein.

Matsumoto und Birch vermuten, daß der entscheidende Unterschied für die Verwendung der beiden Begriffe der folgende ist: wenn die Leitbahn in das Organ eindringt, wird die Verbindung zwischen beiden aus Organgewebe gebildet, umhüllt die Leitbahn das Organ, dann wird die Verbindung aus der Umhüllung des Organs gebildet.

Die inneren Verläufe sind wesentlich für das detaillierte Verständnis der Chinesischen Medizin. Damit z. B. das "klare Qi", das aus dem "trüben Qi" des Magens gewonnen wird, zu den Lungen hochsteigen kann, muß ein entsprechendes Medium vorhanden sein. Das gleiche gilt für alle anderen internen energetischen Prozesse. Die inneren Verläufe sind in erster Linie genau dafür zuständig. Die inneren Verläufe sind die Quellen für die energetischen Beziehungen, die im allgemeinen durch die einem Akupunkturpunkt zugeschrieben Wirkungen, beschrieben werden.

 

Schlußbemerkung

Die vorliegende Arbeit zeigt, daß Luo-Gefäße weit mehr sind als oberflächlich verlaufende Blutgefäße und Kapillare. Sie stehen für ein Prinzip, das im Leitbahnsystem in Variationen immer wieder zu finden ist. Sie stellen Verbindungen zwischen Gegensätzen her und wirken harmonisierend.

Zum Schluß möchte ich noch auf einen interessanten Artikel von Vadim Bouevitch näher eingehen. Er stellt die Behauptung auf, daß die Mikrosysteme der Akupunktur Fraktale des menschlichen Körpers sind. Was die Frage aufwirft, ist das immer wiederkehrende Prinzip der Luo-Gefäße in als Fraktale des Leitbahnsystem zu sehen?

Mit der Chaostheorie und Fraktalen haben sich vollkommen neue Sichtweisen auf das Verständnis unseres Universums ergeben. Es wird möglich, die komplizierten Vorgänge und auch die Schönheit der Natur darzustellen. Fraktale sind mathematische Strukturen die sich auf einer immer kleiner werdenden Skala unendlich wiederholen. Sie stellen ein Grundprinzip der Selbstorganisation in der Natur dar. Die Fraktalen, die man in lebenden Organismen findet zeigen natürlich größere Abweichungen voneinander als mathematische Modelle, trotzdem liegt ihnen das gleiche Prinzip zugrunde. Viele Fraktale sind selbst-ähnlich.

Eine moderne Erklärung der Natur der Leitbahnen bedient sich dieser Theorie. Die Hauptaufgabe der Leitbahnen ist der Informationsaustausch zwischen dem Organismus, dem Mikrokosmos, und der Umwelt, dem Makrokosmos. Das Ziel dieses Austauschs ist die Anpassung des Organismus an die sich ständig ändernden Bedingungen der Umwelt.

Meridiane sind Wellenformationen, die Informationen über die inneren Lebens-bedingungen eines Organismus weiterleiten und sie mit der äußeren Umgebung über die Akupunkturpunkte austauschen. Man könnte sagen, das Leitbahnsystem ist ein Abdruck des menschlichen Körpers auf Wellenebene. Daneben erzeugt ein Organismus aufgrund des fraktalen Prinzips der Natur viele Kopien auf unterschiedlichen Ebenen. Der biologische Sinn dieser Kopien liegt darin, daß sie eine größere Lebensdauer der Informationen die unsere Körperstruktur und seine Entwicklung in Raum und Zeit betreffen, gewährleisten. Die DNA ist die kleinste Kopie unseres Organismus.

 

Nachwort

Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Lehrern des Ausbildungszentrums Ost bedanken, die mich in den vergangenen Jahren in die klassische chinesische Medizin eingeführt haben. Mein besonderer Dank gilt Margot Schlemender-Mischo, die mir ermöglichte, im Ambulatorium die ersten Schritte aus der Theorie in die Praxis zu wagen. Sie hat mein Interesse an der Theorie der Leitbahnen geweckt und den Anstoß zu dieser Arbeit gegeben. Andreas Noll möchte ich ebenfalls ganz herzlich für seine Unterstützung in Form von Literatur, die er mir großzügig zu Verfügung stellte, danken. Ulla Blum hat es verstanden mein Interesse an Qi Gong zu wecken. Ihre Unterstützung hat zu Einsichten geführt, die sonst nicht möglich gewesen wären, Danke.

 

Literatur

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Peter Weber-Bluhm, Die Antiken Punkte (AP) und ihre Anwendung, Naturheilpraxis, 3/98, Pflaum Verlag GmbH &Co. KG

Wu Xing – das Rad des Lebens, www.praxis-info.ch/wu-xing/wissen.htm