Diplomarbeit

in dem Studiengang der

Traditionellen Chinesischen Medizin

an dem Ausbildungszentrum Nord

für Klassische Akupunktur und TCM

 

diankuang

 

Vergleich von Anamnese, Diagnose und Therapie aus

westlicher und chinesischer Sicht zur Behandlung

psychischer Erkrankungen am Beispiel der

Schizophrenie

 

vorgelegt von:Kerstin Hofmann

Referent:Udo Lorenzen

 

 

Kiel, den 26.04.2003

 

1. Vorwort

Ich beziehe mich bei der Falldarstellung sowie bei der westlichen Diagnosestellung auf die Klassifikation psychischer Störungen in der Internationalen Klassifikation der Erkrankungen (ICD-10). ICD-10 ist gegenwärtig der Standard der Krankheitsklassifikationen und macht sich somit durch klinisch-diagnostische Leitlinien, die in den gesamten Mitgliedsstaaten der WHO anerkannt sind, vergleichbar.

Zumindest aus westlicher Sicht.

Meine Bemühungen, einen westlich diagnostizierten Fall nach chinesischer Methode aufzuschlüsseln, haben viel Raum für Spekulationen und offene Fragen gelassen. Vielleicht zeigt der Vergleich, dass die Sichtweisen nicht zu vergleichen sind.

Da ich in meinen Darstellungen den Schwerpunkt auf die chinesischen Medizin gelegt habe, bleiben geschichtliche Hintergründe zur westlichen Diagnosefindung unerwähnt, um nicht den Rahmen der Arbeit zu sprengen.

Ich verwende in meinen Ausführungen die männliche Form, da die Falldarstellung von einem männlichen Patienten handelt. Es sind aber grundsätzlich beide Geschlechter gemeint.

Meinem Dank gilt denen, die mir bei dieser Arbeit geholfen haben.

Dorothee und Sven, denen ich die Arbeit zur Korrektur geben durfte und deren wertvolle Tipps ich gerne entgegengenommen habe.

Und den DozentInnen des Ausbildungszentrums Nord, die mir durch die Ausbildung deutlich gemacht haben, dass es zwischen Himmel und Erde mehr gibt, als ich zu wissen glaubte.

 

Gliederung

Seite

  1. Vorwort I
  2. I. Teil Die psychische Erkrankung 1

  3. Die Falldarstellung 1 - 2

3 Schizophrene Psychosen 3

3.1 Definition 3

3.2 Grundsymptome 3

3.3 Unterform 3

II. Teil Diskussion des Falles nach westlicher Sicht 4

  1. Diagnosefindung 4
  2. Therapiemöglichkeiten 4-5
  3. Exkurs: Der aktuelle Stand zur Behandlung von Schizophrenie 5-6

  4. Eigene Ideen zu den Therapiemöglichkeiten 6-7
  5. III. Teil Diskussion des Falles nach chinesischer Sicht 8

  6. Definitionen 8-9

8 Der Umgang mit schizophrenen PatientInnen in China 9-11

Exkurs: Geister und Dämonen 11-14

9 Die chinesische Anamnese 14

9.1 Schlussfolgerungen aus der westlichen Anamnese 15

9.2 Weitere anamnestische Überlegungen 16

9.3 Das Zungenbild 16

9.4 Das Pulsbild 16

10 Das Therapieprinzip 16

11 Behandlungsmöglichkeiten 17-19

IV. Teil Zusammenfassung

  1. Vergleich der Therapieansätze 20

Exkurs: Soteria Bern 20-22

13 Persönliche Stellungnahme 23-24

Quellenverzeichnis

I. Teil

2. Die Falldarstellung

Ein einsamer Musiker

Ibrahim ist 25 Jahre alt und lebt in Pakistan. Er ist unverheiratet.

Aktuelle Problematik

Ibrahim war von seinem Bruder überredet worden, in einem Psychiatrischen Krankenhaus Hilfe zu suchen wegen seiner gefährlichen Wutanfälle und Selbstmordideen. Fünf Wochen vor der Konsultation hatte Ibrahim seine Mutter ohne jede Vorwarnung angegriffen und heftig geschlagen, bis ihn sein älterer Bruder überwältigen konnte. In den darauffolgenden Wochen hatte er noch mehrere aggressive Ausbrüche und drohte mehrmals sich umzubringen. Ibrahim erklärte den Angriff auf seine Mutter damit, dass er behauptete, sie habe versucht, ihm Schaden zuzufügen, und dass er von einer fremden Macht beauftragt worden sei, sie zu schlagen. Nach dem Übergriff hatte er sich zurückgezogen, war in seine eigenen Gedanken vertieft und hatte oft Selbstgespräche geführt, auch wenn sich die anderen um ihn herum aufhielten. Manchmal hatte seine Familie den Eindruck, er höre Stimmen, die sonst niemand hören könne. Er erzählte seinem älteren Bruder, dass er wirklich die Angst habe, er würde irgendwelche Fremden angreifen oder sich selbst das Leben nehmen; er fürchtete, die Kontrolle über sich zu verlieren.

Vorgeschichte

Ibrahim wuchs auf dem Lande in Pakistan auf. Sein Vater besaß ein Stück Land, war aber opiumabhängig und arbeitete nur wenig. Seine Mutter führte den kleinen Bauernhof, baute Feldfrüchte an und hielt mit Hilfe ihrer kleineren Kinder sogar einige Tiere. Ibrahim verließ die Schule in der 9. Klasse, um seinen Musikinteressen nachzugehen. Er ging von zuhause weg und verbrachte seine späteren Teenagerjahre in einer nahe gelegenen Stadt im Hause eines Musikers, eines Freundes seines Vaters, der ihm das Gitarrenspiel beibrachte. Ibrahim spielte ganz gut und entwickelte eine Leidenschaft für die Musik. Er spielte Gitarre in mehreren Konzerten, doch es gelang ihm nie, eine feste Arbeit zu finden oder genug zum Leben zu verdienen. Sein älterer Bruder, der Lehrer war, unterstützte ihn finanziell. Schließlich, als er 23 Jahre alt war, lebte Ibrahim ganz mit ihm zusammen. Die beiden kamen ganz gut miteinander aus, solange der Bruder nicht allzu sehr Ibrahims Wunsch, allein zu sein, missachtete.

Bevor Ibrahim krank wurde, hatte er immer großen musikalischen Ehrgeiz gehabt. Sein größter Wunsch war, ein bedeutender Musiker zu werden. Er saß häufig stundenlang in seinem Zimmer und spielte die Gitarre. Doch spielte er nicht wirklich gern vor Zuhörern, und Lob und Kritik schienen ihm gleichgültig zu sein. Sein Interesse an der Musik war ausschließlich, und er hatte nur wenige soziale Kontakte. Es war ihm nicht daran gelegen, eine Freundin zu finden; er hatte aber auch keine engeren männlichen Freunde.

Befunde

Ibrahim war ein gut aussehender, ordentlich gekleideter junger Mann. Bei der Untersuchung war er angespannt, sprach hastig und aufgeregt und neigte dazu, ohne ersichtlichen Grund, mit den Händen herumzufuchteln. Seine Rede war oft durch blockierende Einschübe unterbrochen und von Zeit zu Zeit sprach er unzusammenhängend und unverständlich. Er lächelte oberflächlich und unbegründet. Emotional wirkte er eingeschränkt, brach aber plötzlich in Wut aus, als er über seine Mutter sprach. Er behauptete, sie wolle ihn umbringen lassen. Er sprach über seine Ängste; eine fremde Macht wolle seinen Verstand lenken. Er erklärte, seine Gedanken würden bereits von dieser Macht gesteuert, die ihm Anweisungen gebe, andere Menschen zu verletzen. Die fremde Macht scheine über Ibrahims persönliche Situation zu sprechen. Er sagte, sie habe ihm mitgeteilt, seine Mutter wünsche ihm den Tod und die fremde Macht habe ihm deshalb den Auftrag gegeben, seine Mutter zu töten. In den letzten Tagen hatte Ibrahim nur noch den einen Gedanken gehabt, sich das Leben zu nehmen, damit die fremde Macht ihn nicht völlig überwältigen könne.

 

3. Schizophrene Psychosen

3.1 Definition

"Schizophrenien sind psychische Erkrankungen aus der Gruppe der sogenannten endogenen Psychosen; sie sind durch psychopathologisch beschreibbare Auffälligkeiten des Denkens, der Wahrnehmung und der Affektivität gekennzeichnet und können in unterschiedlichen syndromatischen Erscheinungsformen auftreten; sie betreffen somit die gesamte Persönlichkeit. Die Verursachung der schizophrenen Psychosen ist bisher ungeklärt; wahrscheinlich wirken zahlreiche ursächliche und auslösende Faktoren zusammen." (REIMER/DILLING 1997, S. 97)

Autismus (Rückzug aus der Wirklichkeit, überwiegendes Binnenleben; auch sekundär nach negativen Umwelterfahrungen), u. a.

 

3.2 Grundsymptome

Formale Denkstörungen:

Störungen der Assoziation, Sperrung des Denkens u. a.

Störungen der Affektivität:

inadäquate Affektivität, Instabilität der Stimmungslage, mangelnder Kontakt, affektive Steifigkeit, Verflachung, Verlust der emotionalen Schwingungsfähigkeit, Ambivalenz (beziehungsloses Nebeneinanderbestehen, Entscheidungsunfähigkeit), depressive Verstimmungen u. a.

Ich-Störungen:

 

3.3 Unterform

Paranoid-halluzinatorische Schizophrenie

Symptome:

Wahnwahrnehmungen – Beziehungswahn, Verfolgungswahn u. a.

Akustische Halluzinationen in Form von bedrohenden und imperativen Stimmen

Sonstige Halluzinationen: Geruchs-, Geschmacks-, sexuelle oder andere Körperhalluzinationen; seltener optische Halluzinationen

Ich-Störung (Gefühl des Gemachten)

 

II. Teil Diskussion des Falles nach westlicher Sicht

4. Diagnosefindung

"Bei Ibrahim lässt sich eine typische Symptomkombination aufzeigen, die der Diagnose Schizophrenie entspricht, mit einer Krankheitsdauer von länger als einem Monat. Seine Symptome bestehen aus Gedankeneingebung, akustischen Halluzinationen mit argumentierenden und befehlenden Stimmen, Verfolgungswahn, Wahnideen von Gedankensteuerung und davon, mit einer fremden Macht in Verbindung zu stehen, katatonem Verhalten in Form von Erregung und gewaltätigem Verhalten. Da die Halluzinationen und Wahnvorstellungen im Vordergrund stehen, lautet die Diagnose paranoide Schizophrenie mit der zusätzlichen Ziffer (q) für einen unsicheren Verlauf, da die Beobachtungszeit zu kurz ist.

Ibrahims Persönlichkeit weist schizoide Verhaltensmuster auf: wenige Tätigkeiten bereiten Vergnügen, er erscheint gleichgültig gegenüber Lob oder Kritik, er hat wenig Interesse an sexuellen Erfahrungen, er beschäftigt sich andauernd allein und er hat keine engen Freunde.

Diese Charakteristika deuten auf die Diagnose einer schizoiden Persönlichkeitsstörung hin, aber es müssen auch die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung zutreffen. (z. B. ein anhaltend gestörtes Verhaltensmuster seit der Adoleszenz, das eine ganze Reihe persönlicher und sozialer Situationen durchzieht, zu persönlichem Unglück oder einer ungünstigen Wirkung auf das soziale Umfeld führt und nicht als Manifestation oder Folge einer anderen psychischen Störung erklärt werden kann). Es scheint ausreichend bewiesen, dass im Fall von Ibrahim diese Kriterien zutreffend sind.

F20.09 Paranoide Schizophrenie, unsicherer Verlauf, Beobachtungszeitraum weniger als ein Jahr

mit der weiteren Diagnose

F60.1 Schizoide Persönlichkeitsstörung"

(WHO 2000, S. 104)

5. Therapiemöglichkeiten

DILLIN/REIMER beschreiben drei Formen von Therapiemöglichkeiten: Somatotherapie, Psychotherapie, Sozialtherapie/Rehabilitation (DILLING/REIMER 1997, S. 107ff).

Die Somatotherapie beinhaltet die Behandlung mit Neuroleptika und hat als Zielsymptome unter anderem Erregung, Wahn und Halluzinationen, um die es im vorliegenden Fall hauptsächlich geht.

Die wichtigsten Gruppen sind hier die

-Phenothiazine

-Butyrophenonderivate

-Andere trizyklische Neuroleptika

Die Wirkrichtung ist allgemein antipsychotisch mit mehr oder weniger extrapyramidalen und vegetativen Nebenwirkungen. Unter extrapyramidalen Nebenwirkungen fallen u.a. Zungenschlundkrampf, Augenmuskelkrämpfe, Trismus, Opisthotonus, Torsionsspasmen und Sprechstörungen. Alle Symptome können unter Umständen nach einmaliger Gabe eintreten.

Zu den vegetativen Nebenwirkungen gehören Mundtrockenheit, Schwitzen, Tachykardie, Speichelfluss und Gewichtszunahme.

Die Psychotherapie in Form von stützenden psychotherapeutischen Gesprächen ist laut DILLING/REIMER (1997) grundsätzlich induziert, zusätzlich sollten Familientherapie und Angehörigenarbeit angeboten werden. Im Umgang mit einem wahnhaften Patienten wird geraten, den Wahn zu akzeptieren, aber nicht als Realität darzustellen. Es sollte erst später geprüft werden, inwieweit die Distanzierung vom Wahn möglich ist.

Bei einem aggressiven Patienten wird im Notfall die Fixierung an Händen, Füßen oder Bauch vorgeschlagen.

Bei der Sozialtherapie geht es um die Schaffung eines möglichst natürlichen Behandlungsmilieus auf der Station und um das Einbinden des Patienten in verschiedene anfallende Arbeiten. Um Rückzugstendenzen entgegenzuwirken, wird ein Realitätstraining angeboten und verschiedene therapeutische Aktivitäten wie Werktherapie, Soziodrama und Entspannungsübungen werden zur Heranführung an die Selbständigkeit eingesetzt.

 


Exkurs: Der aktuelle Stand zur Behandlung von Schizophrenie

Ich habe eine Auswahl verschiedener Berichte und Pressestimmen zusammengestellt, um den aktuellen Stand der Behandlung von an Schizophrenie erkrankten Personen wiederzugeben.

28.03.2000 Der Medi-Report

"Moderne atypische Neuroleptika befreien den schizophrenen Patienten von seinen belastenden Wahnvorstellungen, sind gut verträglich und für eine dauerhafte Einnahme geeignet. Die bei älteren Antipsychotika häufig auftretenden Denk- und meist irreversiblen Bewegungsstörungen müssten damit eigentlich der Vergangenheit angehören. Der Skandal in Deutschland: Immer noch bekommen viele schizophrene Patienten die neuen Medikamente aus Kostengründen nicht verschrieben."

08.02.00 Europäische Spezialisten fordern den verstärkten Einsatz von neuen Behandlungsmethoden für die 'erste Episode' bei Schizophrenie

Führende Psychiater aus ganz Europa kamen in Davos, Schweiz zusammen, um an einem Netzwerktreffen zum Thema 'erste Episode' bei Schizophrenie teilzunehmen. Sie forderten anlässlich dieses Treffens einen verstärkten Einsatz neuer, besser verträglicher Behandlungsmethoden für die schätzungsweise 170.000 jungen Menschen in Europa, bei denen jährlich Schizophrenie diagnostiziert wird. Lange Zeit galt die antipsychotische Therapie als Eckpfeiler der Schizophreniebehandlung, herkömmliche Standardtherapien bewirkten jedoch meist ein Syndrom, das als Nebenwirkungen unfreiwillige Muskelbewegungen einschließt, die als extrapyramidale Symptome (EPS) bekannt sind. (...) Professor Shôn Lewis, Begründer und Vorsitzender des Europäisches Netzwerkes zum Thema Erste Episode bei Schizophrenie führte aus, dass diese Nebenwirkungen eine außergewöhnlich starke Auswirkung auf die Patienten haben. Menschen, die Erfahrungen mit ihrer ersten Episode der Schizophrenie machen und mit den verheerenden Nebenwirkungen der Krankheit fertig werden müssen, empfinden die EPS Nebenwirkungen der Behandlung als eine schwere Bürde. (...) Die augenfälligen Bewegungsstörungen sind beunruhigend, sowohl für die Patienten als auch für ihre Familien, und erregen zu einem Zeitpunkt, an dem die Patienten ohnehin äußerst verletzlich sind, unweigerlich Aufmerksamkeit. Die Erfahrung mit EPS oder anderen Nebenwirkungen, die normalerweise mit der Einnahme gängiger Antipsychotika einhergehen, sowie zum Beispiel ein Prolaktinanstieg, der wiederum zu sexuellen Funktionsstörungen führt, kann die Patienten dazu veranlassen, die Behandlung abzubrechen.
Junge Menschen, die unter ihrer ersten akuten schizophrenen Episode leiden, reagieren auf EPS und sexuelle Funktionsstörungen besonders sensibel. Das Stigma und die Verunsicherung, die mit diesen Nebenwirkungen einhergehen, führen oft zu extrem niedrigem Selbstbewusstsein und Problemen innerhalb der Familie. Dadurch wird unter Umständen die antipsychotische Therapie abgebrochen, was einen Rückfall der Krankheit zur Folge haben kann. Professor Lewis führte weiter aus, dass ein Patient sich durchaus dafür entscheidet, die Therapie abzubrechen, wenn die erste Erfahrung mit einer antipsychotischen Behandlung negativ ausfällt. So entsteht die Gefahr, dass sich schnell eine langfristig angelegte Struktur der beharrlichen Behandlungsverweigerung entwickelt, die es außergewöhnlich schwierig macht, die Krankheit erfolgreich zu behandeln. Vor dem Hintergrund des chronischen Verlaufs der Schizophrenie, der oft eine langfristige Behandlung erfordert, ist es besonders wichtig, dass vom ersten Tag an eine gut verträgliche Therapie verordnet wird, so dass der gefährliche Kreislauf der Behandlungsverweigerung niemals einsetzt."

 

 

6. Eigene Ideen zu den Therapiemöglichkeiten

Mit dem Blick auf die medikamentöse Therapie wird deutlich, dass dem ersten Einschnitt in das Leben des Patienten durch die Psychose ein zweiter Einschnitt durch die Nebenwirkungen der Medikamente folgt. Wie den Presseberichten zu entnehmen ist, können die ausgelösten Nebenwirkungen eine gleichgroße Beeinträchtigung wie die Schizophrenie selbst darstellen. Während mich im ersten Bericht der Satz "Denk- und meist irreversiblen Bewegungsstörungen müssten damit eigentlich der Vergangenheit angehören" misstrauisch durch das Wort "eigentlich" werden lässt, eignet sich der zweite Bericht als Ansatz und Erklärung, warum eine Behandlung mit Akupunktur und chinesischer Medizin durchaus denkbar und zur Erprobung geeignet ist.

Die Frage, ob der Schaden durch die Medikamentengabe größer wird, oder sogar irreversibel bleibt, wird schwer zu beantworten sein. Ich weiß aus eigener Erfahrung durch die Arbeit mit psychisch erkrankten Personen, dass Medikamente zumindest bei der Symptomunterdrückung, um die es vorrangig geht, hilfreich sein können und das Nebenwirkungen in Kauf genommen werden. Es gibt auch Fälle, in denen das sogenannte "Medi-Hopping" stattfindet, dass Austesten verschiedener Medikamente an der betroffenen Person mit dem Ziel, möglichst viel Wirkung mit möglichst wenig Nebenwirkungen zu erreichen. Die unterschiedlichen Symptome, mit der die Person reagiert, werden dann in Kauf genommen. Ich habe auch Menschen kennen gelernt, die ihre Psychose ohne Medikamente bearbeitet haben und diese als Chance gesehen haben, sie als Bewusstseinserweiterung für sich zu nutzen.

Bei der Diskussion des Falles aus chinesischer Sicht werde ich auf die Nebenwirkungen und ihre Bedeutung für den Patienten näher eingehen.

Die psychotherapeutische Begleitung des Patienten erachte ich für notwendig und hilfreich, wenn er sie wünscht. Auch das Eingehen auf nahestehende Personen, die ihre Hilflosigkeit signalisieren, zeigt sich erwiesenermaßen in der Praxis als nützlich und sinnvoll, um den Umgang mit der Erkrankung zu erklären und zu erleichtern, und damit dem Patienten die Möglichkeit zu geben, einen Wahn als solchen zu erkennen und zu verstehen.

Die Sozialtherapie halte ich in der stationären Behandlung für angezeigt, da das Erlernen von Mechanismen zur Realitätsüberprüfung ein wichtiger Bestandteil für Menschen mit Wahnvorstellungen ist.

 

III. Diskussion des Falles nach chinesischer Sicht

Einleitend, um die Schwierigkeiten des Vergleiches von West und Ost sichtbar zu machen, möchte ich aus dem LINGSHU zitieren. Da heißt es:

"Die TCM hat im eigentlichen Sinne keine Neurologie oder Psychiatrie wie in der Schulmedizin des Westens hervorgebracht, [da] (...) ein fundiertes Verständnis verschiedener psychischer Erkrankungen, wie es die westliche Medizin entwickelt hat, ein bestimmtes Menschenbild von einer individuellen Persönlichkeit voraus[setzt], wo eben dieses Individuelle seinen bestimmten Stellenwert hat und in Bezug zu erbbedingten und sozialisationsbedingten Faktoren auf ein bestimmtes psychisches Krankheitsbild gesehen wird. In einer Kultur wie der chinesischen, wo nicht zuletzt durch die konfuzianische Tradition bedingt der Stellenwert der sozialen Gruppe und die Unterordnung des Individuums unter die Gruppe Vorrang hatte, konnte schon aus soziokulturellen Gründen eine solche Sichtweise wie in der westlichen Medizin nicht entstehen" (SCHMIDT 1997, S. 149).

Dennoch gibt es Definitionen, Beschreibungen und Therapiemöglichkeiten, die ich im Folgenden darstellen werde.

 

7. Definition

Das Lehrbuch der chinesischen Hochschule für TCM geht davon aus, dass "depressive, geistige Störungen üblicherweise durch eine Verlangsamung des Flusses von qi und eine Anhäufung von Schleim verursacht [sind]" (WÜHR 1988 S. 378).

Es wird unterschieden zwischen depressiver und manischer Störung, wobei ich den vorgestellten Fall der manisch-geistigen Störung zuordne, charakterisiert durch " plötzliche[n] Beginn, verstärkt durch Reizbarkeit, Verdrießlichkeit, wenig Schlaf und Essen. In der Folge tritt Manie auf, die sich durch (...) Zerschmeißen von Dingen und Verletzen von Menschen äußert" (WÜHR 1988, S.378).

WISEMAN u. FENG setzen Manie mit dem chinesischen Wort "kuang" gleich und beschreiben sie als "Any pattern characterized by wild behavior, (...) smashing objects and beating people, (...), failure to modify behavior for either family and friends or outsiders" (WISEMANN u. FENG 1998, S. 386).

Auch im Lingshu wird im Kapitel 22 das Wort kuang für Anzeichen des sog. "Yang-Wahnsinns" genutzt, gemeint sind Psychosen mit Schizophreniecharakter, die nicht näher differenziert werden. Ihren Namen haben sie dadurch erhalten, dass sie zum einen die Yang-Meridiane befallen und zum anderen dass "eine Verdopplung bzw. Vermehrung des yang zu kuang [führt]" (NANJING in UNSCHULD 1986, S. 268).

Kuang bedeutet wörtlich übersetzt "gehen nach", bekommt aber in Verbindung mit verschiedenen Zeichenprinzipien, wie kuangxiao "nach Lust und Laune wie verrückt lachen" oder kuangtong "verrückter Kerl" eine andere Bedeutung (MESSNER 2000, S. 84-85).

Häufig verwendet wird der Begriff "diankuang" als Oberbegriff für das westliche Wort "geistesgestört" wobei mit "dian" die Hinfallkrankheit oder Epilepsie, beschrieben wird (MESSNER 2000, S. 92).

Frau Prof. Dr. Hu, eine bedeutende TCM-Therapeutin der heutigen Zeit, unterscheidet zwei verschiedene Arten von geistigen Erkrankungen:

  1. jing shen – der shen beherrscht nicht die fünf Seelen (hun, po, shen, zhi, yi)
  2. qing zhi – Ausdruck der Emotionen, geistige Verwirrungszustände

Eine Kombination der beiden Möglichkeiten tritt häufig auf. Zur Entstehung von geistigen Erkrankungen beschreibt Prof. Hu das zu lange Andauern und Ansammeln von Gefühlen, die den qi-Fluss blockieren und das qi verletzen. Kann das qi nicht frei fließen, werden, geraten die sieben Emotionen in Unordnung und die fünf Seelen werden in Mitleidenschaft gezogen. Als klinische Manifestationen sind unter anderem manische Psychosen und Halluzinationen möglich. (Praxisseminar 1996)

 

 

8. Der Umgang mit schizophrenen PatientInnen in China

Ich möchte eine kurze Darstellung über die östliche Erklärungs- und Herangehensweise an Menschen, die psychisch erkrankt sind, bzw. unter Schizophrenie im westlichen Sinne leiden, geben. Es gibt neben den von mir beschriebenen noch viele weitere Ideen zum Wahnsinn, deren Auflistung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Ich habe aus verschiedenen Epochen die für mich wichtigsten Vertreter der Ideen zur Geistesgestörtheit ausgesucht und werde ihre Vorstellungen im Folgenden beschreiben.

Bereits um 1600 gab es Ideen zur Entstehung von Wahnsinn. So führt ZHANG JIEBIN (1624) auf, dass "sämtliche Dämonen im Herzen entstehen" und somit den Menschen nicht von außen befallen, sondern Produkte extremer Gefühlsregungen seien. "Alle sieben Gefühlsregungen der Menschen erwachsen aus Zuneigung und Abscheu. Wenn Zuneigung und Abscheu einseitig auftreten, dann wird sich das qi zusammenballen, einseitiger Zusammenballung folgt Unterdrückung [des qi], und dabei gerät das Gemüt leicht in Verwirrung. [Bei] Unausgewogenheit von shenzhi [Gemüt] kann sich Übel einnisten. Deshalb entstehen die Dämonen im Herzen", (ZHANG JIEBIN, in UNSCHULD 1980, S. 265).

CHEN SHIDUO bezieht in seinen Werken Shishimilu und Bianzheng qiwen (1687 ff) die Lehre der fünf Wandlungsphasen mit ein. Er unterscheidet vier Formen von kuang, wobei ich besonders auf die dritte Form eingehen möchte, da sie meines Erachtens mit Ausdrucksformen des eingangs beschriebenen Fallbeispiels einhergeht. Im Bianzheng qiwen heißt es:

"Bei Hitze im menschlichen Leib bricht kuang aus. Das, was [der Betroffene] sagt, ist nichts als exzessiv wirres Gerede. Er mag nur Dinge, die erfreulich und unterhaltsam sind. Sobald man seinen Worten widerspricht und sich seinen Anliegen widersetzt, bricht folglich ganz plötzlich und unvermittelt Überheblichkeit und Arroganz aus. Er sieht Geister und Dämonen. Die Menschen glauben, es sei [wegen] der äußersten Herz-Hitze; wer weiß schon, dass es sich um Hitze in der Herz-Hülle handelt! Die Herz-Hülle ist die Stellvertreterin des Herz-Herrschers. Wenn im Herzen Ruhe herrscht, warum ist dann die Herzhülle so widerspenstig und widersetzt sich wie hier? [Wenn] der Herrscher schwach ist, sind die Beamten stark, bei extremer Kälte im Herzen kann es nicht selbst regieren. Ein mittelmäßiger und furchtsamer Herrscher zum Beispiel löst die Regierungsdevise auf, dann übergibt er seine Macht dem Kanzler, und der Kanzler bildet mit den Beamten eine Clique, um eigene Interessen zu vertreten. Sie bilden ein Mordkomplott, sie strecken ihre Hände [nach der Macht] aus und diejenigen, [die ihren] Befehlen gehorchen, bekommen Lob und Anerkennung, diejenigen aber, die sich [ihren] Befehlen widersetzen, werden hart bestraft. Hört [der Kanzler] den Bericht, daß alles seinen Wünschen gemäß verläuft, freut er sich. Hört er [hingegen], daß etwas zuwiderläuft, so erzürnt er sich. Er verdreht Recht und Unrecht, und er handelt entgegen der Riten und dem Gesetz. Im Herzen selbst wachsen Zweifel, als ob es [die große Gefahr] begreifen würde. Die Herz-Hülle hat kuang-Hitze; [dies] ist genau wie die Umwälzung durch den Kanzler. Um dies zu behandeln, muß man selbstverständlich das Feuer der Herz-Hülle abführen und dann mit der Behandlung der Herz-Hülle fortfahren. [...] Man muß das Herz ergänzen und verteidigen und dafür sorgen, dass das Herz-qi nicht schwach wird, hernach soll man die außenstehenden Menschen zusammenrufen und den schockierten und entrüsteten Herrscher über die Verräter aufklären" (in MESSMER 2000, S. 140-141).

Im 17. Jahrhundert gilt der Wahnsinn als ein Ausdruck der yinyang-Disharmonie, denn "eine Veränderung der Harmonie zwischen yin und yang bewirke auf der Ebene des Makrokosmos ,außergewöhnliche Veränderungen´; auf der Ebene des Mikrokosmos ´Mensch` bedeute es eine ,nicht zu ermessene Krankheit´ wie Irresein" (YE TIANSHI in MESSNER, 2000, S. 126-127).

Auch im frühen 19. Jahrhundert galten Menschen, die sich so verhalten wie in dem beschriebenen Fallbeispiel, als "besessen durch Geister und Dämonen" (MESSNER, 2000, S. 94). Es wurde vermutet, dass die "(...) üblen Geister mit dem Wind eine Verbindung ein[gehen], auch wenn sie nicht immer ursächlich miteinander verknüpft sind", denn

"der Ausbruch des Wahnsinns erfolgt plötzlich, und genauso plötzlich kommt er zum Stillstand. Gleich wie der Wind kommt er manchmal plötzlich auf, und manchmal endet er [ebenso] plötzlich wieder. Die Üblen Geister dringen in den Menschen ein und bilden den Wahnsinn. [Der Wahnsinn] hängt auf jeden Fall von der Kraft (li) des Windes im Menschen ab und vom Rütteln in der Leber. Weil das Holz den Wind hervorbringt und weil der Wind das Feuer hervorbringt, und weil das Feuer den Schleim hervorbringt und Feuer und Schleim gegenseitig übereinander herfallen, entsteht die übermäßige Körperkraft [des Betroffenen]. Deshalb geraten hun, po, sowie die Klarheit des shen des Menschen durcheinander, und sie können sich nicht selbst schützen" (LI GUANXIAN in LIDAI ZHONGYI ZHENBEN JICHENG, S. 53). Der Widerstreit von Feuer und Schleim bewirkt somit die Angespanntheit im Inneren und "der Wind begünstigt die Macht der Dämonen" (MESSNER 2000, S. 96). Neben dem Wind spielen auch die Gesetzmäßigkeiten der Leere-Fülle-Muster von Qi eine große Rolle, denn erst wenn Leere an der Gallenblasen-Leitbahn vorliege, könnten die Dämonen eindringen.

Abschließend möchte ich noch Zhao Lian erwähnen, da er 1897 als erster chinesischer Arzt zusätzlich zu den oben genannten Ursachen die Disposition des Einzelnen zur Ursachenfindung heranzieht.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass in den letzten zwei Jahrhunderten die Ursachen Hitze, Wind, Schleim, yinyang-Disharmonie, Emotionen und die Disposition des Patienten zum Ausbruch von Wahnsinn, kuang, diskutiert wurden.

 

 

Exkurs: Geister und Dämonen

Ich möchte an dieser Stelle auf die Dämonenpunkte von Sun Si Miao eingehen, da ihnen eine besondere Wirkung auf psychische Erkrankungen zugesprochen wird.

Sun Si Miao, ein buddhistisch-daoistischer Arzt aus der Tang-Zeit hat dreizehn Punkte zur Behandlung von Besessenheit, Epilepsie und Geisteskrankheit aufgeführt. Sie sind reguläre Leitbahnenpunkte, die das Wort Dämon = gui in sich tragen. Gui bedeutet auch Geister der Toten oder Teufel und stehen in engem Zusammenhang mit der Körperseele po, eine der fünf Seelen im Menschen. Po hat seinen Wohnsitz in der Lunge und herrscht von hier aus über das Fleischliche. Die po-Seele prägt die Leidenschaften, die Emotionen und das Temperament im Menschen und beherrscht den Selbsterhaltungstrieb, sowie Körper und Gestalt des Menschen. Po ist dem Yin zugeordnet und hat als Gegenpol Yang die Geistseele hun, die von der Leber beherbergt wird. Hun prägt das Individuum und zeigt sich in Kreativität und Persönlichkeit. Stirbt der Mensch und seine Seele war der Körperseele po verhaftet, so sinkt die Seele des Menschen in die Erde und muss löst sich auf oder muss als gui ihr Dasein fristen. War die hun-Seele im Menschen kräftig und in der Lage, po in ihre Schranken zu weisen, steigt die Seele des Menschen nach dem Tod zum Himmel auf und wird zu shen oder reinkarniert.

Den gui-Dämonen wird die Vorstellung zugeschrieben, dass sie durch das Beherrschen von Körper, Seele und Geist des Menschen Krankheiten hervorrufen können. Sie erscheinen den Menschen, erschrecken sie und bringen sie in eine missliche bis fatale Situation:

"Die Frau des Torhüters im Hause Zhou in der Linja-Gasse hatte sich aufgehängt. Sie wurde gerettet und kam wieder zu sich. Ich hielt mich zu diesem Zeitpunkt bei der Familie Zhou auf. Alle waren zum [Tatort], um sie zu sehen. Eilig habe ich [die Arznei] Zijin geschlagen und ihr die Splitterchen mit Wasser versetzt eingeflößt, und sie ist aufgewacht. Am darauffolgenden Tag hat sie sich erneut aufgehängt und ist wieder gerettet worden. Und ich habe ihr wieder dieselbe Arznei zubereitet. Ich fragte sie, warum sie sich umbringen wolle. Daraufhin sagte sie: ‚Ich leide sehr stark an Herzschmerzen. Eine alte Frau hat mir geraten, den Strick um den Hals zu binden, dann würde der Schmerz weggehen. Daher habe ich [ihren Rat] befolgt. Ich suche nicht den Tod.’ Ich sagte: ‚Wo ist die alte Frau jetzt?’ Sie sagte: ‚Sie ist im Bett.’ Sie sah zum Bett, aber da war niemand. Die Frau sagte: ‚Als Ihr gekommen seid, ist sie weggegangen.’ Ich sagte: ‚Dies ist der Dämon einer durch den Strick Verstorbenen! Dein Schmerz wurde auch von diesem bösen Geist verursacht. Wenn [der Dämon]heute wiederkommt, dann nimm meine Arznei, zerkleinere sie im Mund und spucke auf [die Alte].’ Die Frau tat, wie ich ihr gesagt hatte. Die Alte kam wieder und fragte: ‚Was hast Du im Mund? Willst Du mir schaden?’ Sie schimpfte und fluchte und ging davon. Dies hat mir die Frau selbst erzählt." (XU LINGTAI YIHUAJINGHUA repr. in LDZYZBJC 1990).

Um die Dämonen im Menschen zu vertreiben, hat Sun Si Miao dreizehn Punkte zusammengetragen, die er im folgenden Lied beschreibt:

"100 Übel können alle Geisteskrankheiten (diankunag) hervorbringen. Es gibt 13 Punkte in der Akupunktur, die man [dafür] kennen sollte. Im allgemeinen nadelt man zuerst den Dämonenpalast, an zweiter Stelle muss unbedingt die Dämonentreue folgen. Beim Mann beginnt man auf der linken Seite, bei der Frau auf der rechten. Die Reihenfolge ist folgendermaßen:

  1. Nadele die Mitte des Menschen, dies ist der Dämonenpalast (gui gong). Steche links unterhalb des [Nasen]randes hinein und gib acht, dass die Nadel rechts herauskommt.
  2. Du 26 (ren zhong – Mitte des Menschen)

  3. Nadele dann am Daumen der hand unterhalb des Nagels, der Name ist Dämonentreue (gui xin). Steche 3 Fen tief.
  4. Lu 11 (shao shang – Junger Händler)

  5. Nadele am großen Zeh des Fußes [ebenfalls] unterhalb des Nagels, der Name ist Dämonenwall. Gehe 2 Fen hinein.
  6. Mi 1 (yin bai – Verborgene Klarheit)

  7. Nadele an der hinteren Handfläche den großen Grabhügel. Gehe 5 Fen hinein und du triffst das Dämonenherz (gui xin).
  8. Pe 7 (da ling – Großer Grabhügel) oder Lu 9 (tai yuan – Tiefster Abgrund)

  9. Nadele das Streckgefäß; ein anderer Name ist Dämonenstraße (gui lu). Eine Feuernadel 3 [Fen tief] und siebenmal erglühen lassen.
  10. Bl 62 ( shen mai – Ausdehnung Des Gefäßes)

  11. Suche [einen Punkt] oberhalb des großen Weberschiffchens, einen Cun im Haaransatz. Sein Name ist Dämonenkissen (gui zhen).
  12. Du 14 (da zhui – Großer Hammer) wird beschrieben, gemeint ist Du 16 (feng fu – Windpalast)

  13. Steche unterhalb des Ohrläppchens 5 Fen tief. Der Name [dieses Punktes] ist Dämonenbett. (gui chuang). Die Nadel muss hier erwärmt werden.
  14. Ma 6 (jia che – Drehscheibe Des Kiefers)

  15. Nadele den Breiempfänger, der Name ist Dämonenmarkt (gui shi). Beginne links und komme rechts heraus, dies, mein Herr, ist äußerst wichtig!
  16. Ren 24 (cheng jiang – Die Flüssigkeiten Empfangen)

  17. Treffe den Boten im Zwischenraum, er [führt dich] in das Dämonenlager (gui ying) hinein.
  18. Pe 5 (jian shi – Der Vermittler)

  19. Nadele den oberen Stern, er heißt auch Dämonenhalle (gui tang).
  20. Du 23 (shang xing – Oberer Stern)

  21. Brenne unterhalb der yin-Spalte drei Moxa [-kegel] ab, denn die Jadepforte der Frau ist der Eingang zum Dämonenspeicher (gui cang).
  22. Ren 1 (hui yin – Treffpunkt Des Yin)

  23. Der Teich in der Krümmung hat den Namen Dämonenminister (gui chen). Eine Feuernadel muss hier siebenmal zum Glühen gebacht werden. Steche 1 Cun tief.
  24. Di 11 (qu chi – Sumpf In Der Krümmung)

  25. Führe die Zungenspitze zum Dach des Gaumens; der Punkt [unter der Zunge] hat den Namen Dämonensiegel (gui feng).

Extrapunkt (hai quan – Meeresquelle)

Steche an Händen und Füßen wechselseitig antwortend. Als träfen sich Waisen, sind auch diese Punkte nur für sich allein zu öffnen. Das ist die wirklich wunderbare Kunst der alten Meister. Die üblen Dämonen aller Geisteskrankheiten verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen!"

(SUN SI MIAO im ZHEN JIU YU JING, 14. Kapitel)

Die im Text erwähnte Feuernadel ist eine glühende Nadel, die mit einem schnellen Einstich bis zur vorgegebenen Tiefe und einem schnellen Herausziehen gesetzt wird. Laut U. LORENZEN (1998) wird diese Technik im heutigen China nicht mehr angewendet.

Die warme Nadel ist eine indirekt durch Moxa erhitzte Nadel; eine Therapie, die in der heutigen Praxis noch oft Anwendung findet.

Ich beschreibe die Punkte unabhängig ihrer Dämonenzuordnungen, um die psychoemotionalen Wirkungen aufzuzeigen. Ich beziehe mich bei meinen Darstellungen auf DEADMAN/AL-KHAFAJI/BAKER (2000):

Du 26 befindet sich zwischen yin und yang. Yin, der Mund und yang, die Nase stellen Himmel und Erde dar mit dem Menschen, Du 26, dazwischen. Als einer der sechs Kommandopunkte stellt er den wichtigsten Einzelakupunkturpunkt zur Wiederherstellung des Bewusstseins dar.

Lu 11 ist als jing-Brunnenpunkt ein wichtiger Punkt zur Wiederbelebung bei Kollaps-

zuständen. Er ist für schwere Zustände bei Fülle geeignet.

Mi 1 ist wie Lu 11 ein jing-Brunnenpunkt und damit bei Erkrankungen des Herzens und des

Geistes indiziert

Pe 7 als Herzhülle besteht eine enge Beziehung zum Herzen, er beruhigt den Geist stark,

wenn er durch Hitze gestört ist

Bl 62 durch das Eindringen der Blasenhauptleitbahn ins Gehirn und der Blasen-Sonderleit-

bahn ins Herz besteht eine enge Verbindung zum Geist

Du 16 "Obwohl das Herz meistens als Residenz des Geistes zitiert wurde, war die chinesische Medizin seit seinen frühen Anfängen (speziell in der daoistischen Tradition) in der Lage, den konkurrierenden Glauben aufrecht zu erhalten, dass der Kopf und das Gehirn den Geist beeinflussen. Sun Si Miao äußert in Thousand Ducat Formulas: ‘Der Kopf ist der höchste Führer, der Ort, an dem sich der Geist des Menschen konzentriert.’" (DEADMAN/AL-KHAFAJI/BAKER 2000, S. 583).

Der du mai dringt an diesem Punkt ins Gehirn ein, wichtiger Punkt bei Kopfwind und demzufolge Epilepsie (dian)

Ma 6 "Es ist unklar, warum Ma 6 diese Wirkung [als Dämonenpunkt] zugeschrieben wird,

speziell hinsichtlich der Tatsache, dass keine dieser Indikationen bei diesem Punkt

aufgeführt wird. Eine mögliche Erklärung könnte die Sorge sein, dass Epileptiker

während des Anfalls durch Zusammenbeißen der Zähne ihre Zungen abbeißen könnten.

In diesem Fall wäre Ma 6 zur Lockerung der Kiefer in eine gute Punktkombination für

Epilepsie miteingeschlossen" (DEADMAN/AL-KHAFAJI/BAKER 2000, S. 142).

Ren 24 die haupsächliche klinische Anwendung liegt aufgrund seiner Lage in der Behandlung

von Gesichtserkrankungen, durch die Fähigkeit, speziell in den Bereichen des Gesichts

und des Kiefers Wind zu beseitigen, dient er der Behandlung u. a. von Epilepsie

Pe 5 Die Hauptwirkung liegt darin, Schleim im oberen Erwärmer umzuwandeln. Da

besonders kuang-Erkrankungen durch Schleim, der das Herz umnebelt, entstehen, ist

der Punkt für diese Art der psychischen Erkrankungen besonders geeignet.

Du 23 ein alternativer Name ist ‚Halle der Helligkeit’, es besteht eine enge Beziehung zu den

Augen, u. a. auch deshalb, weil der anteriore Verlauf des du mai zwischen den Augen

nach unten zieht

Ren 1 Dieser Punkt ist das Gegenüber von Du 20 (bai hui) und zeigt somit nicht nur durch

seinen Namen den Platz des yin an. Da er zur Wiederherstellung des Bewusstseins

nach Ertrinkungstrauma indiziert ist, wird seine Wirkung zur Behandlung bei

psychischen Erkrankungen ähnlich stark sein.

Di 11 "die yangming-Schicht oder ‚Helles Yang’ soll besonders mit Yang-Qi angefüllt sein

und Punkte der Dickdarm-Leitbahn gehören zu den wichtigsten Punkten, um einen

Yang-Überschuss in Form von Hitze zu beseitigen"

(DEADMAN/AL-KHAFAJI/BAKER 2000, S. 121). Ein Überschuss von Hitze ist gegeben bei kuang-Erkrankungen.

Hai Quan

Durch seine Lage unter der Zunge ist es möglich, dass dieser Punkt eine Beziehung zur Sprache, bzw. zum "wirren Reden" hat.

 

 

9. Die chinesische Anamnese

Da ich das Fallbeispiel der westlichen Medizin entliehen habe, fehlen vielen Angaben, die für eine chinesische Diagnosefindung unumgänglich sind. Zusätzlich zu den bisher bekannten Angaben werde ich die Anamnese mit weiteren, für die chinesische Medizin unerlässlichen Informationen vervollständigen, die ich aus der Patientenbeschreibung herleiten werde.

 

9.1 Schlussfolgerungen aus der westlichen Anamnese

Beginnend bei den Emotionen ist auffallend, dass der Patient eine zerstörende Wut in sich trägt, die sich auf seine Mutter und auf sich richtet. Wut gehört zur Wandlungsphase Holz und ist hier nicht kontrolliert. Das legt die Vermutung nahe, dass das Metall zu schwach ist, um im Ke-Zyklus das Holz zu kontrollieren, bzw. das Holz die Kontrolle missachtet. Wut und Aggressionen entstehen aus gestautem Leber-qi, dass sich entlädt.

Der Patient hat Angst davor, dass eine fremde Macht seinen Verstand lenken wolle und ihm Anweisungen gibt, Menschen zu verletzen. Angst für sich genommen ist geschwächte Nierenenergie, die Angst vor fremden Mächten ist ein gestörtes Shen, denn sie zeigt, dass der Patient nicht mehr Herr seiner Sinne ist. Da es hier um das Hören von Stimmen und das Sprechen mit den Stimmen geht, finden sich über Ohr und Zunge weitere Bezüge zur Niere und zum Herzen. Auch die depressive Phase, die der Patient nach einem Wutausbruch erlebt und in der er sich zurückzieht und davon spricht, sich das Leben zu nehmen aus Angst vor weiteren Übergriffen, ist ein Zeichen von geschwächter Nierenenergie.

Bei der Befragung durch den Untersucher wird der Patient als eingeschränkt und gleichgültig beschrieben, ein Zeichen dafür, dass die Leber, die für das freie Fließen der Emotionen verantwortlich ist, ihre Aufgabe nicht erfüllen kann. Es stockt und staut sich, und wenn der Stau sich entlädt, entsteht die Wut. Ein Zyklus, der Herz, Niere und Leber auf Dauer schädigt und schwächt und somit auch die weiteren Organe in Mitleidenschaft zieht.

Interessant finde ich den Hinweis, dass der Vater des Patienten opiumabhängig ist. Leider ist nicht erwähnt, ob er das schon vor der Zeugung von Ibrahim war, dann läge die Möglichkeit einer angeborenen geschwächten Konstitution nahe. Auch das Alter der Eltern bleibt unerwähnt; Faktoren, die bei einer chinesischen Anamnese erfragt werden und in der Behandlung mit berücksichtigt werden würden.

An dieser Stelle möchte ich auf die Nebenwirkungen der westlichen Medikamente eingehen.

Krämpfe und Spasmen, in diesem Fall u. a. Augenmuskelkrämpfe, Zungenschlundkrampf, Torsionsspasmen sind ein Zeichen für Wind im Körper. Es wird also versucht, Schleim, der das Herz vernebelt, mit innerem Wind zu bekämpfen. Da Hitze sowieso Wind produzieren kann, wird mit der Medikation der Körper zusätzlich belastet. Die Behandlung erscheint kontraindiziert. Die Symptome Mundtrockenheit und vermehrtes Schwitzen sind Zeichen von Hitze und ebenfalls bei einer bereits vorliegenden Hitzeerkrankung kontraindiziert. Es wird aus chinesischer Sicht den Patienten großes Übel angetan, dass nur schwer zu behandeln ist.

 

 

9.2 Weitere anamnestische Überlegungen

Sämtliche Symptome weisen darauf hin, dass der Patient unter Schleim-Feuer des Herzens leidet, das sich aufgrund eines langandauernden qi-Staus in der Leber manifestiert hat. Das bedeutet, dass er zusätzlich mit Hitzesymptomen zu tun haben wird. Daraus ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, dass er trockene Stühle hat bzw. unter Obstipation leidet. Auch seine Haut wird trocken und eher heiß sein, er leidet nicht unter kalten Händen und Füßen. Bei der Frage zum Urin wird der Patient angeben, dass die Menge gering ist und der Urin kräftig gelb gefärbt ist. Da Herz und Leber geschädigt sind, wird der Patient überwiegend am Oberkörper und in den Achseln schwitzen. Er müsste starken Durst haben und kühle bis kalte Getränke bevorzugen.

Aufgrund der Hitze im Herzen wird der Shen nicht zur Ruhe kommen, so dass der Patient unter Schlaflosigkeit leidet.

Da Schleimbildung immer mit einer gestörten Milzfunktion, bzw. mit einem Milz-qi-Mangel einhergeht und der Patient aufgrund seiner Hitzeerscheinungen überwiegend kalte Speisen zu sich nehmen wird, werden Transport- und Transformationsfunktion der Milz nachhaltig gestört sein und bleiben und damit zur Unterhaltung der Schleimhitze beitragen.

 

9.3 Das Zungenbild

Die Zungenfarbe des Patienten stelle ich mir rot mit einer dunkelroten evtl. geschwollenen Spitze vor, Zeichen für Herz-Feuer, entstanden durch eine langandauernde qi-Stagnation, die sich in der Unruhe und den depressiven Phasen zeigt. Sie wird einen gelben, klebrigen Belag aufweisen, Anzeichen für Hitze und Schleim. Unter dem Belag wird aufgrund der massiven Problematik ein Herzriss zu sehen sein, der auf eine "konstitutionelle Anfälligkeit für Disharmonien im Funktionskreis Herz" hinweist (MACIOCIA 2000, S. 159). Aufgrund der Unruhe und den Aggressionsausbrüchen werden auch die Zungenränder stärker gerötet sein, Zeichen für hyperaktives Leber-yang oder Leber-Feuer. Ich vermute, dass die Zunge aufgrund der langen Hitzesymptomatik trocken ist und sie keine Zahneindrücke aufweist.

 

9.4 Das Pulsbild

Das Bild des Pulses wird auf der linken Seite vom hong mai (flutender Puls) beherrscht sein, denn sowohl Leber- als auch Herz-Feuer zeigen dieses Pulsbild. Außerdem wird der hua mai (schlüpfriger Puls) zu diagnostizieren sein, da Schlüpfrigkeit sowohl Hitze, als auch Schleim anzeigt. Der Puls wird sich insgesamt voll und schnell zeigen.

 

 

10. Das Therapieprinzip

Bei Schleimfeuer des Herzens geht es in der Therapie erstrangig darum, dass die Hitze beseitigt und der Schleim aufgelöst wird, damit der Geist wieder zur Ruhe kommen kann. Des Weiteren ist die Stagnation des qi zu klären, in diesem Fall gilt es, die Leber zu beruhigen.

11. Einige Behandlungsmöglichkeiten

Im Folgenden beschreibe ich verschiedene Behandlungsmethoden, dazu gehören Akupunktur, Diätetik, Phytotherapie und Bewegungslehre. Die Moxibustion, die in der chinesischen Medizin auch einen wichtigen Pfeiler darstellt, halte ich in diesem Fall entgegen der oben beschriebenen Meinung Sun Si Miau´s für kontraindiziert, weil eine Fülle-Hitze durch Moxa noch verstärkt werden würde.

Ich werde zur Erklärung meiner Ideen zur Akupunktur das Modell der Fünf Wandlungsphasen heranziehen.

Zur Akupunktur

Um den Schleim zu lösen, beginne ich die Behandlung in der Erde mit Ma 40 (feng long – üppige Fülle), den ich sedierend steche, da der Schleim nebulös die Öffnungen des Herzens verstopft und ich eine Zerstreuung erreichen möchte. Zusätzlich werde ich mit Bl 20 (pi shu – Zustimmungspunkt der Milz) die Erde und damit die Funktionen von Transport und Transformation stärken; diesen Punkt tonisiere ich.

In den weiteren Sitzungen würde ich zur zusätzlichen Ausleitung für den Schleim den Punkt Mi 6 (san yin jiao – Verknüpfung der drei Yin) nadeln, zur Klärung der pathogenen Yin-Einflüsse, in diesem Fall Schleim und zum Aufbau physiologischer Yin-Substanzen.

Um die Hitze zu beseitigen, ist es wichtig, die Feuer-Wasser-Achse zu stärken. Da das Nieren-yin durch seine Tätigkeit, dass Feuer des Herzens zu kühlen, erschöpft ist, ist es notwendig, die Niere zu stärken, indem das Nieren-yin und damit auch das Nieren-yang wieder aufgebaut werden. Besonders geeignet finde ich den Punkt Ni 10, (yin gu - Yin Tal), da er als Wasserpunkt im Wasser die am stärksten kühlende Eigenschaft besitzt. "Durch dieses dunkle Tal können überhitzte Flüssigkeiten gelenkt werden, um sie abzukühlen und eine übererregte, hektische und angsterfüllte Haltung kann ebenso dadurch beruhigt werden" (MÜLLER 2001, S. 183).

Für die Klarheit des Geistes ist es möglich, über das Perikard an den Kaiser heranzutreten. Da hier der Kaiser schwer gestört ist, möchte ich direkt über He 7 (shen men – Tor des Shen) an ihn herantreten. "Er [der Akupunkturpunkt] hat die Fähigkeit, alle Shen-Störungen zu behandeln und dem Shen ein gemütliches Zuhause zu geben" (LORENZEN/NOLL 1998, S.260). Als Sedierungspunkt nadele ich ihn entsprechend.

Auch He 8 und He 9 sollten im Laufe der Behandlungen gestochen werden, da auch sie das Herz beruhigen und den Geist regulieren und Hitze klären. Beide sollten sedierend genadelt werden.

Um den Emotionen einen Freiraum zu geben und den qi-Stau zu lösen, ist es notwendig, die Leber zu entspannen. Geeignet wäre Le 3 (tai chong – Großes Hindurchschießen) als Himmelssternpunkt nach Ma Dan-yang, der ihm eine besondere Wirkung auf Erkrankungen des Kopfes zuschreibt und als yuan-Punkt, dem als Sammlungspunkt des Ursprungs-qi eine große Bedeutung zukommt. Zudem öffnet er in Verbindung mit Di 4 (he gu – Vereinigung der Täler) die "vier Tore", eine allgemeine Aktivierung des qi bei psychischen Erkrankungen. Da es sich hier um einen männlichen Patienten handelt, müssen, links beginnend, erst die Dickdarmpunkte, dann die Leberpunkte sediert gestochen werden. Weiter halte ich Le 5 (li gou – Kanal des Holzwurms), der path. Hitze und Nässe ausleitet und das Leber-qi bewegt für geeignet.

Einen wichtigen Platz zur Behandlung psychischer Erkrankungen nimmt meines Erachtens auch der du mai (Lenkergefäß) ein. Du 20 (bai hui – Einhundert Begegnungen), der höchste Punkt des Menschen kann durch eine sedierende Nadeltechnik wieder zu Klarheit verhelfen, indem er die Fülle im Kopf beseitigt und Du 24 (shen ting – Empfangshalle des Shen) der schon durch seinen Namen auf eine enge Verbindung zum shen hinweist und der "sehr häufig bei akuten psychiatrischen Erkrankungen, wie Schizophrenie, akuten Manien und Psychosen, angewandt wird" (KIRSCHBAUM 2000, S. 58).

Das Nadeln der 13 Dämonenpunkte nach Sun Si Miao sollte ebenfalls in das Behandlungsprinzip mit eingebunden werden.

Prof. Dr. Hu bedient sich neben den Dämonenpunkten der Fünf-Zentren-Nadelung oder Fünf-Herzen-Therapie. Diese Methode wird angewendet bei schweren Schizophrenien und manischen Depressionen, wenn der Körper gleichzeitig sehr stark ist. Die Behandlung besteht aus fünf Punkten: Ni 1 beidseitig, P 8 beidseitig, Du 20. Bei einem Fülle-Typus, wie er hier angezeigt ist, wird zuerst Du 20 sediert, anschließend P 8 sediert und Ni 1 tonisiert.

Eine weitere Möglichkeit ist die Behandlung über den 2. Ast der Blasenleitbahn. Hierbei wird auf dem Rücken die Punkte ab Bl 41 bis Bl 53 mit einem Pflaumenblütenhämmerchen oder mit einer Kratzmassage bearbeitet, um die Hitze entweichen zu lassen.

Zur Diätetik

Parallel zur Akupunktur ist die Diätetik zu beachten, denn "ohne das Wissen einer guten Ernährung ist es kaum möglich, sich einer guten Gesundheit zu erfreuen" (SUN SI MIAO). In diesem konkreten Fall heißt das, dass der Patient, um seine Leber zu entspannen, Nahrungsmittel, wie Alkohol und Kaffee, sowie stark gewürzte Speisen und Zucker meiden sollte. Um die Schleimbildung zu unterbrechen und der Milz Gelegenheit zu geben, ihre Funktionen wieder aufzunehmen, sollte der Patient fettige, sowie süße Speisen vermeiden.

Um sein Herz zu stärken und dem shen ein harmonisches Zuhause zu bieten, sind kühle und kalte Speisen angezeigt, die zudem auch die Leber entspannen und den Schleim transformieren.

Zur Phytotherapie

Zusätzlich zu den Speisen ist die regelmäßige Einnahme eines Tees eine gute Unterstützung, um mit der Wirkung und der Wirkrichtung der Kräuter die Behandlungsziele zu erreichen. Ich werde ein Rezept von LORENZEN/NOLL übernehmen, die für die Schleimstörung des Herzens folgende Kräuter vorschlagen:

Verbena 10

Hydrastis canadiensis 5

Plantago 10

Echinacea 10

Die Wirkung der Kräuter ist beruhigend und kühlend, die Wirkrichtung ist zerteilend und nach unten gehend.

 

Zur Bewegungslehre

Tai chi und qi gong sind geeignet, um den Geist des Patienten zu verankern. Der Zeitpunkt für die Durchführung dieser Übungen sollte im letzten Drittel der Behandlung angesetzt werden, da er von dem Wahn/Schleim befreit sein muss, um dem eigenen shen die Möglichkeit zur Entfaltung zu geben.

Wie ich oben bereits erwähnt habe, handelt es sich bei den Therapiemöglichkeiten um Ideen, eine Heilung von Schizophrenie ist somit nicht garantiert.

 

 

IV. Teil Zusammenfassung

12. Vergleich der Therapieansätze

Der Vergleich der westlichen und östlichen Therapiemöglichkeiten in Bezug auf psychische Erkrankungen hat gezeigt, wie unterschiedlich Herangehensweisen bei Diagnostik und Therapie sein können.

In der westlichen Medizin geht es um die Klassifikation von Krankheiten, in die der Patient mit seinen Symptomen passt. Wenn sie nicht klassifiziert werden können, wird eine neue Untergruppe geschaffen, damit die Erkrankungen vergleichbar bleiben.

Auch in der chinesischen Medizin gibt es Einteilungen von Symptomen und Erkrankungen, die die Diagnosen gleich erscheinen lassen. Individuell wird hier jede Diagnose und Therapie dadurch, dass die Symptome, die der Patient zusätzlich noch zeigt, wichtige Indizien für die Entstehung und das Unterhalten des Hauptsymptoms sein können und demzufolge mit der gleichen Wichtigkeit betrachtet werden. Es zählt nicht nur das, was der Patient erzählt und was auffällig ist, sondern auch das, was er nicht als Hauptsymptom beschreibt und was durch die ausführliche Anamnese erfragt wird.

Die Therapiemöglichkeiten stellen einen noch stärkeren Gegensatz dar. Die Nebenwirkungen der in Kapitel 5 aufgeführten Medikamente zeigen deutlich das Hinzukommen von Fülle und Hitze, mit deren Auswirkungen der Patient zusätzlich belastet wird. Auch die Wirkungen der Medikamente bleiben zweifelhaft, da sie nicht die Ursache, sondern das Symptom bekämpfen, was den Schluss nahe legt, dass die Nebenwirkungen die Reaktion des Organismus auf das Medikament sind, oder dass das unterdrückte Symptom ein Ventil sucht und sich in den als Nebenwirkungen beschriebenen Erscheinungen zeigt.

Exkurs: Soteria Bern

Die Soteria ist ein Modellprojekt, dass 1984 durch Prof. Dr. med. L. Ciompi ins Leben gerufen wurde. Anstelle der damaligen dämpfenden neuroleptischen Medikamente und Zwang in einer großen psychiatrischen Klinik, tritt Soteria in erster Linie für eine verständnisvolle mitmenschliche Präsenz und Begleitung durch die psychotische Lebenskrise in einer möglichst normalen, entspannenden und kleinräumigen Umgebung ein. Das griechische Wort "Soteria" bedeutet soviel wie "Geborgenheit", "Rettung" und wurde in den siebziger Jahren als Name für ein erstes sogenanntes "Soteria-House" in San Francisco gewählt, in dem Menschen mit akut-psychotischen Störungen auf neuartige Weise behandelt wurden.

Standort außerhalb der Klinik, intensive Milieutherapie und niedrig dosierte Medikamente kennzeichnen das therapeutische Angebot. Für die Begleitung während der akuten Psychose wurde ein besonderer Raum eingerichtet: das Weiche Zimmer. Das Weiche Zimmer ist ein freundlicher und Geborgenheit ausstrahlender Raum. Er ist sparsam möbliert und unterstützt das therapeutische Ziel der Reizabschirmung und der Beruhigung während der akuten Psychose. In der Soteria Bern werden BewohnerInnen zwischen 16 und 40 Jahren aufgenommen, die sich in einer akuten psychotischen Krise befinden. Dabei kann es sich um eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis oder um psychotische Erlebnisse im Rahmen einer Adoleszenten- oder anderen Entwicklungskrise handeln. Die Soteria versteht eine Psychose als tiefgehende Veränderung des Selbst-Erlebens und des Bezugs zur Realität. Die Betroffenen nehmen sich selbst, die anderen Menschen und die Umgebung traumartig verändert und verzerrt wahr. Manchmal hören sie täuschende Stimmen, fühlen sich bedroht, glauben an irreale Zusammenhänge. Sie können das, was sie erleben, meist auch nicht in ihr bisheriges Leben einordnen. Mit dieser Veränderung kann manchmal oder anfänglich ein Hochgefühl verbunden sein, meistens jedoch - nach längerer Dauer fast immer - bestimmen Angst und Verwirrung das Erleben. Menschen, die zu psychotischen Störungen neigen, sind in besonderer Weise verletzlich. Sie geraten durch Belastungen aller Art leichter als andere Menschen aus dem Gleichgewicht. Ihre psychotische Krise lässt sich als Überforderung eines bereits vorher instabilen psychischen Gleichgewichtes verstehen. Allgemeinmenschliche Erlebnisse wie heftige Gefühle, Verwirrung, Unsicherheit oder großer Leistungsdruck vermögen bei Menschen, die aufgrund ihrer Veranlagung oder Lebensgeschichte besonders verletzlich sind, Fühlen und Denken so zu destabilisieren, dass die normalen und gewohnten Verhaltensweisen verloren gehen. Die emotionale Grundstimmung und die Haltung der Umgebung beeinflussen das Denken und Verhalten. Bestimmen Unsicherheit, Spannung oder Angst die zwischenmenschliche Begegnung, können sich Fühlen und Denken verwirren. Ist die Kommunikation hingegen von Entspannung und Vertrauen geprägt, ordnen und klären sich die Gefühle und Gedanken. Angst und Verwirrung stecken hinter vielen psychotischen Wahrnehmungen und Verhaltensweisen. Die therapeutische Grundhaltung der Soteria Bern orientiert sich an diesen Erkenntnissen. In der akuten Psychose ist eine verständnisvolle und entspannte Atmosphäre therapeutisch wirksam. Die stützende und tolerante Grundstimmung vermittelt Sicherheit. Große Wichtigkeit kommt der Reizabschirmung zu. Der weitgehende Schutz vor Reizen wirkt beruhigend. Vertrautheit und Normalität im Umgang zwischen BetreuerInnen und BewohnerInnen schaffen Klarheit. Die Übersichtlichkeit des therapeutischen Milieus schützt vor Überforderung. Dadurch wird die psychotisch gestörte Informationsverarbeitung erleichtert. Die therapeutische Haltung der Soteria Bern kann in folgenden acht Grundsätzen zusammengefasst werden:

    1. Kleines, möglichst normales, transparentes, entspannendes und reizgeschütztes Milieu.
    2. Behutsame und kontinuierliche mitmenschliche Stützung und Begleitung.
    3. Konzeptuelle und personelle Kontinuität von der Begleitung während der akuten Psychose bis zum Austritt.
    4. Klare und gleichartige Informationen für BewohnerInnen, Angehörige und Behandelnde über Verletzlichkeit, psychotische Krise, Behandlung und Prognose.
    5. Enge Zusammenarbeit mit Angehörigen und anderen wichtigen Personen aus dem Umfeld der BewohnerInnen.
    6. Gemeinsames Erarbeiten von konkreten Zielen und Prioritäten für die Zeit nach dem Austritt aus der Soteria Bern in den Bereichen Wohnen und Arbeit bzw. Ausbildung. Eine vorsichtig positive Zukunftserwartung soll mit einem angemessenen Gefährdungs- und Risikobewusstsein verbunden werden.
    7. Zurückhaltender, niedrig dosierter und individuell abgestimmter Einsatz von Medikamenten.
    8. Systematische Rückfallverhütung aufgrund der Analyse der individuellen Krisenanzeichen und Belastungssituationen. Erarbeiten von Bewältigungsmöglichkeiten.

 

13. Persönliche Stellungnahme

Da die chinesische Medizin sowohl Ursache, als auch Symptom behandelt, stellt sie sich für mich nicht nur als eine Alternative, sondern sogar als die Medizin der Wahl für psychische Erkrankungen dar.

Die Möglichkeit der Mischung beider Therapieansätze halte ich für den sinnvollsten Umgang mit Menschen, die unter Schizophrenie oder anderen psychischen Erkrankungen leiden. Akupunktur und TCM sind für Körper, Seele und Geist des Patienten eine Therapie, die ihn befreit und zu sich finden lässt. Der shen hat die Möglichkeit, sich zu erholen und zu befreien und dem Patienten wird die Möglichkeit gegeben, aus sich heraus mitzuwirken. Es wird nicht von außen etwas herangetragen, so wie bei einer Medikation, sondern der shen der Therapeutin/des Therapeut nimmt Kontakt zum shen des Patienten auf. Jede Behandlung wird dadurch individuell und einzigartig, so wie die erlebte Krise individuell und einzigartig bleibt.

Obwohl ich die Behandlung durch die chinesische Medizin am sinnvollsten erachte, halte ich es für fahrlässig, einen an Schizophrenie oder anderen schweren psychischen Störungen leidenden Menschen ambulant und allein zu behandeln. Mir schwebt die Möglichkeit der Behandlung in Einrichtungen vor, in denen die Patienten vor- und nachbetreut und begleitet werden. So wie in dem oben erwähnten Projekt der Soteria Bern. Da wir nicht in der Schweiz leben und Deutschland bekanntermaßen der Fortschrittlichkeit anderer Länder hinterherhinkt, haben bisher Projekte, die sich der Soteria anlehnen, noch keine Lobby erhalten. Auch in der Schweiz ist dieses Projekt einmalig. Die Tollhaus-Initiative, die seit drei Jahren in Kiel existiert und die sich die Soteria-Idee zum Vorbild gemacht hat, macht sich bisher durch eine Veranstaltungsreihe, an der namhafte Ärzte und Psychiater teilgenommen haben und teilnehmen, bekannt. Sie hat die Bürgerbeteiligung zur Gestaltung der Psychiatrie ins Leben gerufen und damit zumindest im stationären Bereich die Mitsprache der Betroffene erreicht.

Chinesische Medizin und Soteria-ähnliche Betreuung stellen in meinen Augen das einzig mögliche Konzept zur sanften Behandlung von Körper, Seele und Geist dar. Der subjektorientierten Ansatz, der in der Akupunktur Voraussetzung ist, gilt auch in der Soteria als Grundsatz.

Statt der oben erwähnten Medikamente wäre eine Therapie mit Akupunktur nicht ein notwendiges Übel, dass es zu minimieren gilt, sondern eine sinnvolle Behandlung, die durch die Betreuung und damit durch das Besprechen der Gefühle vor, während und nach der Behandlung zur Genese beitragen kann. Die Medizin wird nicht in Kauf genommen, sondern gewinnbringend für den Patienten eingesetzt.

Die Arbeit mit psychisch erkrankten Personen und besonders mit Menschen, die sich in einer akuten Krise befinden, setzt besonders für die/den TCM-Therapeutin/Therapeuten ein hohes Maß an Selbstreflektion und das Wissen um ihre/seine eigenen Grenzen voraus. TherapeutInnen, die nicht über eine Aus- oder Weiterbildung im Umgang mit psychisch erkrankten Personen verfügen, bzw. nicht die Möglichkeit haben, sich regelmäßig supervidieren zu lassen, rate ich die Behandlung von Menschen mit massiven psychischen Schwierigkeiten ab.

Generell erachte ich es für sinnvoll, die Behandlung von psychischen Erkrankungen allein durch Akupunktur und chinesischer Medizin als eine Zukunftsvision zu betrachten, solange sich die Soteria-Idee noch nicht etabliert hat.

Quellenverzeichnis

Literaturangaben:

DEADMAN/AL-KHAFAJI/BAKER: Großes Handbuch der Akupunktur. Kötzting: Verlag

für Ganzheitliche Medizin Dr. Erich Wühr GmbH 2000

DILLING, H. (Hrsg.): Die vielen Gesichter des psychischen Leids. Bern: Huber 2000

DILLING, H./REIMER, CHR.: Psychiatrie und Psychotherapie. 3. Auflage. Berlin;

Heidelberg; New York: Springer 1997

KASTNER, J.: Propädeutik der Chinesischen Diätetik. Stuttgart: Hippokrates-Verlag 2001

KIRSCHBAUM, B.: Die 8 außerordentlichen Gefäße in der traditionellen chinesischen

Medizin. 2. Auflage. Uelzen: Medizinisch Literarische Verlagsgesellschaft mbH 2000.

LORENZEN, U./NOLL, A.: Die Wandlungsphasen der traditionellen chinesischen Medizin.

Band 1: Wandlungsphase Holz. München: Müller & Steinicke 1992

LORENZEN, U./NOLL, A.: Die Wandlungsphasen der traditionellen chinesischen Medizin.

Band 2: Wandlungsphase Metall. München: Müller & Steinicke 1994

LORENZEN, U./NOLL, A.: Die Wandlungsphasen der traditionellen chinesischen Medizin.

Band 4: Wandlungsphase Feuer. München: Müller & Steinicke 1998

MACIOCIA, G.: Zungendiagnose in der chinesischen Medizin. Uelzen: Medizinisch

Literarische Verlagsgesellschaft 1996

MACIOCIA, G.: Die Grundlagen der Chinesischen Medizin. Kötzting: Verlag für

Ganzheitliche Medizin Dr. Erich Wühr GmbH 1997

MESSNER. A. C. : Medizinische Diskurse zu Irresein in China (1600-1930). Stuttgart:

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MÜLLER; J. V.: Den Geist verwurzeln. München: Müller & Steinicke 2001

SCHMIDT, W. (Übers.): Huang Di Nei Jing Lingshu. Kapitel 22. 1997

WISEMANN/FENG YE: A practical dictionary of Chinese Medicine. Paradigm

Publikations 1998

WÜHR, E. (Ubers.): Die Quintessenz der chinesischen Akupunktur und Moxibustion.

Kötzting: Verlag für Ganzheitliche Medizin Dr. Erich Wühr GmbH 1988

Internetquellen:

www.soteria.ch

www.medi-report.de

www.pflegenet.com

www.naturheilkunde-online.de