Diplomarbeit

Abschlussprüfung bei der AGTCM – Nord 2006

 

 

Abhängigkeitserkrankungen

in der

Chinesischen Medizin

 

 

 

Von Christoph Kassner

 

 

 

 

Inhalt Seite

 

Einleitung 1

Definition des Suchtbegriffs 2

Erweiterte Betrachtung des Suchtphänomens 2

Polymorphie der Suchterkrankungen 3

Die Psychodynamik von Suchterkrankungen 3

Abhängigkeit aus Sicht der Chinesischen Medizin 5

Hun und Po 5

Psychodynamik der Sucht in den Fünf Wandlungsphasen 7

Traumatisierungen 9

Konstitutionelle Faktoren für Suchterkrankungen 10

Weitere Faktoren 10

Sucht in den verschiedenen Wandlungsphasen 11

Alkohol 11

Amphetamine 13

Opiate 14

Nikotin 14

Spätfolgen des Drogenkonsums 16

Konservative Therapie von Suchtkranken 17

Therapeutische Aspekte der Chinesischen Medizin 17

Behandlung nach dem NADA – Protokoll 18

Körperakupunktur 20

Raucherentwöhnung 20

Alkoholentwöhnung 20

Das Metall stärken 21

Weitere Punkte 21

Dämonenpunkte 22

Behandlung der Yin – Schwäche 22

Kommentar 23

Literaturverzeichnis 24

 

 

 

Einleitung

 

In Deutschland gehören Suchterkrankungen zu den häufigsten chronischen Krankheiten. Unter uns befinden sich ca. 4 Mio. Alkoholabhängige, 18 Mio. Raucher, 1,2 Mio. Medikamentenabhängige, 250 Tsd. Opiatabhängige, 3 Mio. Cannabiskonsumenten und 500 Tsd. Amphetamin- und Extacyabhängige.

Für die europäischen Länder schätzt die WHO die wirtschaftlichen Folgekosten für Behandlung, Betreuung, langfristige Arbeitsunfähigkeit und die Beschaffungskriminalität auf fünf bis sechs Prozent des Bruttosozialproduktes.

Unabhängig vom sozialen Status sind allen Schichten der Gesellschaft vom Phänomen der Sucht betroffen.

Oft leiden die Betroffenen ein Leben lang und mit ihnen Angehörige allen voran Partner, Eltern und Kinder. Hinzu kommt, dass mindestens die Hälfte aller Suchtkranken durch psychiatrisch-komorbide Störungen belastet ist.

Ziel dieser Arbeit ist es, ein Verständnis für die Pathologie von Suchterkrankungen aus Sicht der Chinesischen Medizin zu entwickeln, um ursächliche Disharmonien der Abhängigkeit behandeln und den Patienten auf seinem Weg aus der Sucht heraus begleiten zu können.

 

 

Definition des Suchtbegriffs

 

Der Begriff Sucht ist die umgangssprachliche Bezeichnung für "verschiedene Formen des Angewiesenseins zum Beispiel auf Arznei- oder Suchtmittel mit unbezwingbarem Verlangen nach fortgesetzter Einnahme, Tendenz zur Steigerung der Dosis, Entzugserscheinungen nach Abstinenz und psychosozialen Folgeschäden." (Pschyrembel) Der Übergang von einer Gewohnheit hin zur Sucht ist jedoch zumeist schleichend und schwer klassifizierbar. In Bezug auf den konsumierten Stoff unterscheidet die WHO zwei Typen der Abhängigkeit:

- überwiegend psychische A.: Amphetamin-, Cannabis-, Halluzinogen-

und Cocaintyp

- physische und psychische A.: Alkohol-, Barbiturat-, Tranquilizer-,

Nikotin-, Morphintyp

 

 

Erweiterte Betrachtung des Suchtphänomens

In unserer Gesellschaft gibt es über diese Definition hinaus eine weitaus größere Zahl von Süchten. Nehmen wir nur ein paar Beispiele von substanzunabhängigen Süchten wie Mager-, Essbrech-, Fress, Spiel- und Beziehungssucht. Im Grunde kann alles zum Objekt der Abhängigkeit werden sogar Macht, Geld, Ruhm, Wissen, Vergnügen, Sex, bestimmte Lebensgewohnheiten oder Geisteshaltungen die unser Leben scheinbar erleichtern oder uns eine Identität verschaffen.

Doch immer ist das Suchtobjekt ein Ersatz der notwendig ist, wenn Angst, Bequemlichkeit oder Verwirrung den Betroffenen von seiner wahren Suche, seinem Weg abbringen. Der Hunger nach diesem Ersatz nimmt in der Regel schleichend zu.

 

 

Polymorphie der Suchterkrankungen

 

Es erscheint nahezu unmöglich, allgemeingültige Aussagen über Abhängigkeitserkrankungen zu formulieren. Dies bezieht sich sowohl auf die Ursachen, als auch auf den Verlauf und die Prognose von Sucht-krankheiten. Menschen, unabhängig von Bildung oder Zugehörigkeit zu sozialen Schichten, können betroffen sein. Auch über die individuelle Wahl des spezifischen Suchtmittels gibt es unterschiedliche Meinungen. Sicherlich spielt hier die jeweilige Verfügbarkeit eine bedeutende Rolle.

Die Schulmedizin geht von einer genetischen Disposition aus. Wer letzten Endes aber eine Abhängigkeit entwickelt, kann nicht vorhergesagt werden.

Heterogen ist auch der "Umgang" mit dem Suchtmittel. So reicht er zum Beispiel beim Alkohol vom Quartals- bis zum Dauertrinker.

Über die Ursachen von Rückfällen lässt sich ebenfalls nichts Eindeutiges sagen. Sie können von Konfliktsituationen ausgelöst werden. Genauso gut passieren sie in Phasen, in denen der Menschen stabil erscheint und sich im Umgang mit dem Suchtmittel überschätzt.

 

 

Die Psychodynamik von Suchterkrankungen

 

Die Sucht ist eine künstlich verstärkte Abwehr gegen überwältigende Affekte, bedingt vor allem durch übermäßigen Über-Ich Druck wie Scham- und Schuldgefühle. Damit verbunden sind Gefühle von Aggression und Angst, mit denen der Betroffene konfrontiert wird.

Die Bildung einer derart stark ausgeprägten Struktur des Über-Ich wurzelt in der frühkindlichen Entwicklung des Suchtpatienten. So kann das Kind beispielsweise nur unter Einhaltung bestimmter Konventionen mit der uneingeschränkten Liebe der Mutter rechnen und versucht, diese dementsprechend zu erfüllen. Es kann aufgrund einer Bedürftigkeit der Mutter zu einem Vertausch der Rollen in der Eltern-Kind-Beziehung kommen, in der das Kind die elterlichen Ansprüche erfüllen muss. Dies funktioniert nur durch Unterdrückung seiner eigenen kindlichen Bedürfnisse und der Ich-Entwicklung.

Später macht diesem Menschen alles Angst, was ihn verpflichtet und beengt, unter anderem auch physische und psychische Nähe. Im Vordergrund steht in diesem Zusammenhang also die Klaustrophobie. Man spricht hier von der phobischen Kernstruktur der Sucht.

Gleichzeitig bestehen Schutzphantasien die personen- aber auch systembezogen sein können. Es handelt sich praktisch um eine Abhängigkeit von diesem antiphobischen System. Die Sucht stellt eine Sonderform solcher Schutzphantasien dar.

An den Beschützenden werden hohe Erwartungen gestellt, die bishin zu Allmachtsvorstellungen reichen. Es handelt sich um die sogenannte narzisstische Objektwahl. Gleichzeitig besteht parallel zu diesem Abhängigkeitsverhältnis die Claustra weiter und zu den Allmachtsvorstellungen gesellen sich Ohnmacht und Angst vor dem narzisstischen Objekt.

Durch diesen inneren Konflikt kann es zur Identitätsspaltung kommen, denn einerseits bestehen die narzisstischen Ansprüche weiter, andererseits herrscht eine große Angst vor Verurteilung. So gibt es Perioden großer Ehrlichkeit und Integrität, die dann plötzlich in eine rücksichtslose Brutalität umschlagen.

Dieser Mensch ist dann enttäuscht von sich oder anderen, denn niemand kann den überhöhten und divergierenden Ansprüchen genügen. Solche narzisstischen Krisen äußern sich in Spannung, Angst und Depression in Bezug auf die eigenen Leistungen. Der Mensch wird in diesen Phasen von schweren Minderwertigkeitsgefühlen gegenüber einem Ideal und der damit verbundenen Schuld und Scham geplagt. Die Rolle der Drogen liegt in der Verleugnung dieser inneren Autoritätsfiguren oder Richter. Bei extremen Formen der Erkrankung kann es zu Störungen mit multiplen Persönlichkeiten kommen. Die Wahrnehmung und Bewertung seiner Umwelt beschränkt sich beim Abhängigen dann auf Alles oder Nichts, Schwarz oder Weiß. Grautöne existieren in seinem Erleben praktisch nicht

Drogen substituieren also den Defekt der psychologischen Struktur im Hinblick auf eine Erleichterung der Konfliktlösung. Wir haben es bei diesen Traumen, den nicht bewältigten Konflikten zwischen Selbst und Umwelt, mit neurotischen Strukturen zu tun.

 

 

Abhängigkeit aus Sicht der Chinesischen Medizin

 

Die folgende Betrachtung der Abhängigkeit aus Sicht der Chinesischen Medizin orientiert sich vor allem an dem Konzept der fünf Wandlungsphasen. Alle körperlichen, geistigen und seelischen Aspekte des menschlichen Lebens finden in den Wu Xing ihre Entsprechung. Sie sind die Basis für Diagnostik und therapeutisches Handeln.

Der "göttliche" Geist Shen manifestiert sich in den Wu Xing durch unsere mental – emotionalen Fähigkeiten. Die geistige Fähigkeit der Erde ist das gerichtete Denken, die des Wassers der Wille, Metall beherbergt die Körperseele Po, Holz die Wanderseele Hun und im Herzen residiert der Shen.

 

 

Hun und Po

 

In der Chinesischen Medizin hat in erster Linie der Seelenanteil Po (Körperseele) mit dem Problem suchthaften Verhaltens zu tun. Po ist der Yin Anteil des Shen (Geist). Er ermöglicht dem Menschen die sinnliche Wahrnehmung und ist zuständig für rhythmische Körperfunktionen wie zum Beispiel Atmung, Herzschlag oder den Wechsel zwischen Ruhe und Aktivitätsphasen. Po beherrscht das Temperament und beschreibt darüber hinaus "die Idee eines zwanghaften Druckes im Menschen".

Synonym stehen die sieben Po Seelen auch für die sieben Leidenschaften (Qi Qing) Zorn, Begierde, Grübeln, Sorge, Trauer, Angst und Schreck. Es sind die Emotionen der jeweiligen Wandlungsphase, die, wenn sie nicht spontan geäußert werden können und über einen längeren Zeitraum bestehen, zu Leidenschaften werden.

Bezeichnungen der sieben Po Seelen wie drängendes Yin (Cui Yin) welches die sexuelle Begierde beschreibt und gieriger Räuber (Zun Ze), die Gier, spiegeln diesen triebhaften Aspekt von Po wieder.

Po ist mit der Klarheit des Metalls verbunden, um die Gefühlsregungen im Inneren beherrschen zu können.

Wenn die Körperseele aus dem Gleichgewicht gerät, äußert sich das durch einen erhöhten Selbsterhaltungstrieb. Im Vordergrund steht die Erfüllung der körperlichen Bedürfnisse und Triebe. Egoismus entsteht als Manifestation des überhöhten lebenserhaltenden Prinzips.

Das unkontrollierbare Verlangen und die Maßlosigkeit der Sucht sind Symptome einer aus dem Gleichgewicht geratenen Körperseele. Abhängige Menschen haben den gesunden Rhythmus der Körperseele verloren. Beispielsweise ist der Schlaf-Wach-Rhythmus gestört, sie haben oftmals keine Alltagsstruktur durch geregelte Arbeitszeiten, unregelmäßige Ernährungsgewohnheiten usw.. Der eigene Rhythmus bestimmt nicht mehr das Leben. Möglicherweise dreht sich der gesamte Tagesablauf um die Droge und deren Beschaffung. Andererseits macht auch oft die Wirkung der Droge einen geregelten Tagesablauf quasi unmöglich.

Die Pathologie der Körperseele hängt eng zusammen mit dem Yang- Aspekt des Shen, der Geistseele (Hun). Hun besteht aus drei Seelenanteilen. Dabei ist Ling Hun der unsterbliche Seelenanteil, der uns durch die Fähigkeit bewusst schöpferisch tätig zu sein und zwischen richtig und falsch zu differenzieren, von den Tieren unterscheidet. Die Geistseele prägt den Charakter, das Bewusstsein und die aktive Tätigkeiten des Geistes wie Kreativität, Phantasie und Imaginationskraft, vor allem die Darstellung des Menschen nach außen.

In gesundem Zustand kontrolliert und leitet die Geistseele die Körperseele. Hun sorgt dafür, dass Po nicht ausschweift und so der Mensch durch Leidenschaften beherrscht wird.

Praktisch jedoch sind Hun und Po nicht voneinander zu trennen. Sie sind vergleichbar mit unterschiedlichen Aggregatzuständen derselben Substanz. Beide Seelenanteile treten vorgeburtlich in den Embryo ein, nach dem Tod verlassen sie den Körper. Die reinen Anteile steigen auf und werden zu guten Geistern, die unwürdigen Anteile sinken zur Erde und bilden Dämonen. Dabei ist es nicht ausschließlich Hun, der steigt und Po, der sinkt, vielmehr besitzen beide auch einen Aspekt des anderen Seelenanteils.

Wie kann es nun zu einer Disharmonie zwischen Hun und Po kommen, sodass Po derart vorherrschend wird und suchthaftes Verlangen entstehen kann?

Hun und Po benötigen für ihre Existenz im Mikrokosmos Mensch eine substanzielle Grundlage. So ist Hun in der Wandlungsphase Holz vor allem vom Zustand des Leber - Blutes, Po im Metall von dem des Lungen Qi abhängig. Befinden sich diese Substanzen im pathologischen Zustand, können die Seelenanteile nicht beheimatet werden, schweifen aus und es entstehen Leidenschaften. Ist also eine Schwäche im Metall vorhanden, schweift Po direkt aus, bei einer Schwäche im Holz ist Hun nicht verankert und kann Po nicht mehr führen. So wird Po auch in diesem Fall übermächtig.

Psychodynamik der Sucht in den Fünf Wandlungsphasen

 

Das System der fünf Wandlungsphasen ermöglicht uns, weitere Aspekte in Bezug auf Suchterkrankungen zu betrachten. Unter anderem die frühe Entwicklung des Kindes, die in eine spätere Abhängigkeit führen kann.

In der ersten Phase des Lebens ist der Säugling vollkommen von seiner Mutter abhängig. Sein eigener Funktionskreis Erde ist noch nicht in der Lage, ihn am Leben zu halten und so versorgt ihn seine Mutter mit emotionaler und physischer Nahrung, gibt ihm Geborgenheit und Liebe. Der Säugling äußert seine Bedürfnisse, sie werden wahrgenommen und erfüllt. Das Gefühl, versorgt und angenommen zu sein, ist Vorausset-zung für das Urvertrauen des Kindes. Nur dann kann der Mensch eine eigene gesunde Erde entwickeln.

Die Erde steht in der Chinesischen Medizin für das alles nährende mütterliche Prinzip.

Im Menschen zeigt sie sich durch gesundes Selbstvertrauen und das Gefühl, in seiner eigenen Mitte verankert zu sein. Egal, wo der Mensch später lebt, er fühlt sich zu Hause. Schließlich sorgt Mutter Erde für ihn.

Anders sieht es aus, wenn die Mutter selbst eine schwache Erde hat, unter Selbstzweifeln und Selbstmitleid leidet. Sie ist dann nicht in der Lage, ausschließlich zu geben, sondern lebt ihre eigene Bedürftigkeit mit dem Kind aus. So ist das Verhalten des Kindes an Erwartungen geknüpft. Nur bestimmte Verhaltensweisen entsprechen den mütterlichen Erwartungen und Bedürfnissen und werden positiv verstärkt. Andere hingegen führen zu einem Ausbleiben der Zuwendung bis hin zu körperlichen Bestrafungen. Das Kind wird positiv wie negativ konditioniert. Aus Angst vor dem Verlust seiner Mutter (Erde) versucht es, ihren Erwartungen zu entsprechen und unterdrückt eigene Impulse, die sonst Scham- und Schuldgefühle nach sich ziehen würden. Die eigenen innersten Regungen können nicht als richtig und gut angenommen werden. Das Kind kann so nicht das nötige Vertrauen in die Welt und in sich aufbauen und keine stabile Erde entwickeln. Nur die Stabilität der Erde gibt die nötige Sicherheit, uns durch das Metall von anderen abgrenzen zu können.

Grundsätzlich entspricht die väterliche Energie dem Metall. Es ist der Vater, der dem Kind Grenzen setzt, Werte vermittelt und nicht ausschließlich uneingeschränkt Liebe schenkt. Doch auch in der Beziehung zur Mutter spielt der Metallaspekt eine wesentliche Rolle. Die in der Lunge beherbergte Körperseele wird mit dem ersten Atemzug nach der Geburt aktiv. Von da an ist es ein fortwährender Prozess des Säuglings sich von seiner Mutter abzugrenzen und dem eigenen Rhythmus zu folgen. Die Trotzphase ist ein deutlicher Ausdruck der Metallqualität. Hat das Kind große Verlustängste kann es sich nicht von den mütterlichen Bedürfnissen abgrenzen, um seine eigene Identität zu entwickeln. Im späteren Leben wird es dann ebenfalls zu Problemen mit der Grenze zwischen Innen- und Außenwelt kommen. Zum einen ist es die Durchlässigkeit für Fremdimpulse, zum anderen das Ausscheiden und Loslassen von Unbrauchbarem, was sich in der Wandlungsphase Metall als problematisch darstellen kann. Möglicherweise können die eigenen Bedürfnisse gar nicht mehr benannt oder gespürt werden.

Das, was für den Menschen wertvoll und wichtig ist, zu ihm gehört, kann er nicht vom Unbrauchbaren trennen und ausscheiden.

Gerade das (Er-)Leben seiner eigenen Bedürfnisse ist für die Bildung der sich im Wasser befindlichen Individualität des Menschen wichtig. Das Wasser speichert, was uns zum Individuum macht. Erst das Gefühl, mit sich selbst identisch zu sein, ermöglicht es uns, auch die schlechten Seiten unserer Persönlichkeit zu akzeptieren. Ein gesundes Wasser bedeutet, mit seinen Grundfesten der Persönlichkeit zufrieden zu sein, sich so zu akzeptieren und zu mögen, wie man eben ist.

Wenn das Metall jedoch nicht in der Lage ist, Fremd- und Eigenimpulse voneinander abzugrenzen und angemessen zu verwalten, kann das Kind kein gesundes Selbst bilden.

Die Stabilität und der Wille des Wassers sind es, die die Entfaltung unserer Persönlichkeit im Holz ermöglichen. In der Wandlungsphase Holz kommt der Mensch aus sich heraus und wagt die Auseinandersetzung mit der Umwelt. Das Kind will sich nach allen Seiten ausbreiten und sich seinen Platz in der Welt erschließen. Das ist jedoch nicht möglich, wenn aufgrund des schwachen Wassers das Selbst nicht richtig wahrgenommen wird. Was soll dann im Holz zur Entfaltung gebracht werden?

In der Wandlungsphase Feuer kommt es nun zur Hinwendung zum Du. Nach dem Heraustreten in der Wandlungsphase Holz folgt die Kontaktaufnahme mit anderen Menschen im Feuer. Ob Freundschaft oder Liebesbeziehung, es ist die Kraft des Herzens, die uns Zuneigung zu anderen Menschen empfinden lässt. Wenn die Persönlichkeit aber schwach ist und sich nicht entfalten kann, wird es auch Probleme mit den zwischenmenschlichen Beziehungen geben.

Ob die narzisstisch bedürftige Mutter überbehütend oder die Erziehung durch emotionale Kälte geprägt ist, in beiden Fällen kann sich die Erde ihres Kindes nicht ausreichend festigen. Durch seine schwache Mitte bleibt das Kind auch in seinem späteren Leben bedürftig. Der Mensch leidet dann unter Selbstzweifeln und ist ständig auf der Suche nach Anerkennung, Zuspruch und Sympathie. Er klammert, ist fordernd, abhängig und passt sich wie früher bei seiner Mutter den Bedürfnissen seines Gegenübers an - auf Kosten des eigenen Selbst.

Auf der einen Seite kann sein Metall auch jetzt nicht genügend Abgrenzung zu anderen Menschen schaffen, aus Angst, das Objekt seiner Bedürftigkeit zu verlieren. Auf der anderen Seite steht sein Selbst, welches nach Ausdruck durch die Wandlungsphase Holz verlangt.

Dies ist es, was die phobische Kernstruktur der Abhängigkeit ausmacht: Die Angst vor der so notwendigen Nähe durch die Bedürftigkeit der Erde und die daraus resultierende Beschneidung des Selbstausdrucks des Holzes.

Wenn die eigenen Emotionen nicht ausgedrückt werden können, werden sie pathologisch zu Leidenschaften. Auch diese übersteigerten Affekte müssen abgewehrt werden. Schließlich stellt deren Äußerung eine Gefahr für den Menschen dar, diejenigen zu verlieren, die seine narzisstisch bedürftige Erde versorgen. Die Sucht ist für den Menschen eine künstliche Hilfe, die eigenen Affekte abzuwehren.

 

 

Traumatisierungen

 

Fast immer findet man in der Anamnese von Alkohol- und Drogenpatienten Erfahrungen massiver seelischer oder körperlicher Gewalt. Diese traumatischen Ereignisse in der Kindheit des Betroffenen lösen Angst und Schrecken aus. Herz und Nieren des Kindes werden massiv angegriffen und geschwächt. Die Gefühle der Bedrohung und Hilflosigkeit rufen Aggressionen hervor und erzeugen Wut und Zorn. Doch der junge Mensch kann und darf sich nicht zur Wehr setzen. Stattdessen muss er seine Impulse unterdrücken. Auf Dauer kommt es zur Selbstverachtung und -entwertung und seine Leber wird geschwächt. Innerhalb der Familie wird die belastende Situation verdrängt oder unterdrückt und die Traumatisierung wird nicht aufgearbeitet. Altes kann nicht losgelassen, nicht ausgeschieden werden, die Yang Funktion des Metalls (Dickdarm) ist gestört. Der Mensch kann keine neuen Impulse, die für die Entwicklung der Person wichtig sind, aufnehmen. Oft verharren diese Patienten im seelischen Entwicklungszustand eines Kindes oder Jugendlichen.

Konstitutionelle Faktoren für Suchterkrankungen

 

Die Schulmedizin geht davon aus, dass genetische Faktoren eine mögliche Abhängigkeitserkrankung begünstigen. Auch in der Chinesischen Medizin findet sich dieser vorgeburtliche Aspekt wieder. Bei der Zeugung vereinen sich das Jing der Frau und des Mannes und werden vom Shen beseelt. Hun und Po treten während der Schwangerschaft in den Embryo ein. Wie ausgeprägt Hun und Po sind, ist individuell verschieden. Eine Prädisposition für spätere Suchterkrankungen kann hierin begründet sein.

 

 

Weitere Faktoren

 

Soziale Aspekte spielen für die Entwicklung einer Abhängigkeit eine weitere Rolle. Viele Mütter und Väter sind selber abhängig, vielleicht von Nikotin oder Alkohol. Ihre Kinder wachsen in einem Umfeld von Suchtkranken auf und erleben dieses als Normalität. Die Hemmschwelle, selbst auch das Suchtmittel zu konsumieren, sinkt dadurch in der Regel.

Auch im weiteren Umfeld des Freundes- oder Bekanntenkreises kann die Ursache für den Beginn einer Abhängigkeit liegen. Oft wird geraucht oder getrunken, weil die anderen das auch tun. Oder man möchte zu einer Gruppe gehören, die von einem erwartet, gewissen Ritualen beizuwohnen. Kurzum die Abhängigkeit wird gesellschaftlich akzeptiert oder von ihr sogar positiv verstärkt.

Verliert ein Mensch sein soziales und kulturelles Umfeld, kann auch das Ursache einer Suchterkrankung sein. Wieviele Aborigines sind dem Alkohol verfallen, als sie aus ihrer Heimat zwangsumgesiedelt wurden? Man beraubte sie ihrer Mutter Erde, die sie mit allem versorgte, was sie zum Leben benötigten und gleichzeitig ihrer damit verbundenen Kultur. Sie haben ihren Platz und ihre Verbundenheit mit dem großen Ganzen, dem Kosmos verloren. Die Erde und das Wasser dieser Menschen werden besonders gelitten und die Sucht später ausgelöst haben.

Es gibt sicherlich viele weitere Ursachen für die Entstehung von Abhängigkeiten. Aus Sicht der Chinesischen Medizin ist stets die Körperseele betroffen und aus dem Gleichgewicht geraten. Auf welchem Weg dies beim einzelnen Menschen geschehen ist, kann nur eine differenzierte Anamnese zeigen.

Sucht in den verschiedenen Wandlungsphasen

 

Die Sucht ist weder, was die Ursachen betrifft, noch welche Ausprägung sie annimmt oder welchen Zweck sie beim Einzelnen erfüllt, ein einheitliches Krankheitsbild. So wirken die verschiedenen Suchtstoffe auf verschiedene Aspekte des Mangels der betroffenen Person. Jedes Suchtmittel hat einerseits eine spezifische Wirkung, andererseits kann aber auch ein und dieselbe Substanz auf unterschiedliche Disharmonien beim jeweils Betroffenen wirken. Einige Beispiele von Suchtmitteln und deren Wirkung auf die Wandlungsphasen, Organe und Substanzen verdeutlichen die Polymorphie des Suchtproblems.

 

 

Alkohol

 

Ein Hinweis auf die Wirkung von Alkohol findet sich im chinesischen Klassiker "Der Gelbe Kaiser". Der Leibarzt des Kaisers (Qi Bo) sagt, dass Wein in den Magen gelange und von dort aus in die Haupt- und Nebenleitbahnen der Haut. Dadurch wären die Hauptleitbahnen leer. Die Körpersäfte (Jin Ye) könnten nicht mehr transformiert werden. Es käme schließlich zu einem Mangel an Yin-Qi, der so Yang Pathogenen ermöglichen würde, in den Magen einzudringen.

Die Wirkung von Suchtmitteln auf psycho-emotionaler Ebene wird in den klassischen chinesischen Texten nicht erwähnt.

Alkohol wirkt in erster Linie auf das Leber – Qi und somit auf den freien Fluss der Emotionen. Oft sind sonst wortkarge Menschen unter Alkoholeinfluss ungewöhnlich gesprächig. Vielleicht kann aber auch erst mit ein paar Promille so richtig ausgelassen gefeiert werden. Der Alkohol lässt die Menschen lockerer und hemmungsloser werden. Auf der anderen Seite gibt es den Frusttrinker, der versucht, mit dem Alkohol vor seinem Unglück oder sogar seiner Depression zu flüchten. All dies ist Ausdruck eines gestörten Holzelementes und somit des Selbstausdrucks. Der Mensch lebt seine Aggression und seine kreativen Impulse nicht. Es fehlt ihm die Durchsetzungskraft, möglicherweise das Selbstbewusstsein dafür. Doch diese Anpassung führt zu Frustration und angestauter Aggression. Das Qi der Leber, das physiologisch für einen geschmeidigen Qi Fluss sorgt, kann sich nicht mehr frei bewegen und es kommt zur Leber Qi – Stagnation. Unter dem Einfluss von Alkohol löst sich dann das zuvor angestaute Qi und die Menschen sind ungehemmter. Dies kann sich in einer lockeren Fröhlichkeit oder Albernheit, aber auch in extrem aggressivem Verhalten als Ausdruck von aufsteigendem Leber Yang zeigen.

Doch nicht nur eine Problematik in der Wandlungsphase Holz kann die Ursache einer Alkoholabhängigkeit sein. So gibt es beispielsweise auch den Menschen, der aus Trauer, der Emotion des Metalls, zur Flasche greift.

Wird Alkohol in größeren Mengen zu sich genommen, zeigt sich deutlich die Wirkung des Suchtmittels auf die Geistseele Hun und den Shen. Das Bewusstsein ist dann getrübt und die Wahrnehmung verändert. Der Mensch ist verwirrt, zerstreut und benommen. Im Ling Shu, Kapitel 8, heißt es: "Ist Hun geschädigt, folgen Gedächtnisverlust, Wahnsinn und Delirium."

 

Der regelmäßige Abusus von Alkohol wird auf Dauer zu der Entwicklung von Hitze und Feuchtigkeit in der Leber und Gallenblase führen. Welche Komponente im Vordergrund steht, hängt auch von dem Getränk selbst ab. Bier produziert mehr Feuchtigkeit im Körper, härtere Getränke (wie zum Beispiel Schnäpse) sind viel yangiger und somit heißer.

Der regelmäßige Genuss von Alkohol führt so vor allem zu Hitze im Magen sowie Feuchtigkeit und Hitze in Leber und Gallenblase. Wenn man bedenkt, dass Alkoholiker oft einen Grossteil ihres täglichen Kalorienbedarfs mit alkoholhaltigen Getränken decken, sind Magenbeschwerden wie zum Beispiel Sodbrennen, Aufstoßen und Magengeschwüre eine logische Konsequenz. In der Wandlungsphase Erde entstehen Symptome eines Magen-Yin-Mangels, Magen-Feuers oder Schleim-Feuers. Die Spätfolgen des Alkoholabusus wie die Entwicklung einer Fettleber, Leberzirrhose, Gelbsucht und einer Hypertonie sind hingegen deutliche Symptome einer Feuchtigkeits- und Hitzeentwicklung in der Leber und Gallenblase.

Auf psychisch-geistiger Ebene kommt es bei langjährigen Alkoholikern in der Regel zu Persönlichkeitsveränderungen. Die Klarheit des Shen ist auch dann nicht mehr vorhanden, wenn der Mensch nicht unter der Wirkung des Rausches steht. Häufig sind mit dem Alkoholismus psychotische oder schizophrene Krankheitsbilder verbunden. Sie sind Ausdruck des gestörten Shen.

 

 

Amphetamine

 

Amphetamine haben in den 90er jahren des letzten Jahrhunderts vor allem in der Techno-Szene in Form von Ecstacy-Pillen einen regelrechten Boom erlebt. Für viele Anhänger der schnellen Beats sind die Designerdrogen zur Selbstverständlichkeit geworden und unerlässlich, wenn es darum geht, am Wochenende abzufeiern. Sie schätzen die aufputschende Wirkung, die es ihnen ermöglicht, Freitagabends wegzugehen und bis Sonntagmorgens ohne Schlaf durchzuhalten. Der leistungssteigernde Effekt von Amphetaminen ist auch von militärischem Interesse. So können Piloten von Kampfjets wesentlich länger und effektiver fliegen und töten, wenn sie unter dem Einfluss von Amphetaminen stehen. Körper und Geist sind durch die Wirkung dieser Substanzen über das natürliche Maß hinaus wesentlich leistungsfähiger.

Wie kommt es nun aus Sicht der Chinesischen Medizin zu diesem Effekt?

Lunge, Milz, Magen und Nieren sind die Organe, die für die Produktion und Bereitstellung von Qi verantwortlich sind. Grundlegend gibt es aus dem für uns relevanten Blickwinkel zwei Arten von Qi. Das vorgeburtliche und das nachgeburtliche Qi. Das vorgeburtliche Qi ist die dynamische Form des in den Nieren gespeicherten Essenz – Jing und liefert in Form des Yuan – Qi´s den notwendigen Zündfunken für jegliche Körperfunktionen.

Wird im Körper durch Verdauung und Atmung nicht genügend Qi bereitgestellt, muss er auf die angeborenen Reserven zurückgreifen und es durch diese ergänzen, um die Funktionen aufrecht zu erhalten. Der Mensch verbraucht so vermehrt Essenz – Jing.

Durch die Einnahme von Amphetaminen zapft der Mensch seine vorgeburtliche Essenz (Xian Tian Zhi Jing) an und verbraucht sie. Das ist es, was den leistungssteigernden Effekt bedingt. Mit jeder Einnahme verkürzt der Mensch so durch den Verbrauch von Jing potentiell sein Leben.

Ecstacy wirkt nicht nur auf die Leistungsfähigkeit sondern zusätzlich euphorisierend. Unter dem Einfluss der Droge werden Sinneseindrücke verstärkt wahrgenommen. Die meist jugendlichen Konsumenten sind kommunikativer, toleranter und fühlen sich der Gemeinschaft zugehörig. Das Gefühl der Liebe gegenüber den Mitmenschen ist gesteigert. Diese Effekte finden ihre Entsprechung in der Wandlungsphase Feuer. Auch Kokain oder Crack peitschen das Feuer im Menschen an. Immer auf der Suche nach dem nächsten Kick, nach Begeisterung, ist die Energie ständig nach außen gerichtet.

Die Wirkung von Amphetaminen betrifft folglich sowohl den Shen wie auch die Essenz.

Opiate

 

Im Gegensatz zu den euphorisierenden Eigenschaften von Amphetaminen sind Opiate von Natur aus sedierend in ihrer Wirkung.

Typische Intoxikationssymptome sind stecknadelgroße Pupillen, blasse Haut, flache Atmung und eine dösige bis komatöse Bewusstseinslage. Unter Drogeneinfluss zieht sich der Mensch vollkommen in sich selbst zurück und nimmt die Reize der Außenwelt nicht mehr auf. Durch Effekte des Konsums über die Wirkung auf den Shen hinaus ist hier vor allem die Wandlungsphase Metall betroffen. Erde und Metall im Menschen sind Yin-Aspekte, die für die Nährung des Selbst sorgen, indem sie nach innen gerichtet sind. Das Metall im Menschen entscheidet darüber, welche von den Impulsen der Außenwelt man an sich heran lässt und welche nicht. Nach einem Schuss stellt sich diese Frage nicht mehr, denn die Außenwelt existiert quasi nicht.

 

 

Nikotin

 

Auf der körperlichen Ebene repräsentiert das Wei – Qi das Yang der Lunge. Es öffnet und schließt die Poren der Haut und schützt uns vor dem Eindringen krankmachender Faktoren. Auf der geistigen Ebene ist die Lunge ebenfalls für das Setzen von Grenzen verantwortlich. Der Rauch von Zigaretten führt der Lunge mit seinen heißen Eigenschaften Yang Energie zu. Auf diese Weise hilft das Nikotin dem Raucher, der so dezentriert und unkonzentriert ist, seine Ich-Wahrnehmung zu stärken.

Die Werbestrategien der Zigarettenindustrie sind auf diesen Effekt des Nikotin-Inhalierens ausgelegt. Sie suggerieren dem Konsumenten Gefühle von Freiheit und Individualität. Und das ist es, was der Mensch vermisst, der sich von den Bedürfnissen anderer nicht abgrenzen kann und bedrängen lässt – seine eigene individuelle Entfaltung.

Im Alltag sind es besonders Stress- oder Angstsituationen, in denen der Raucher dringend die Zigarette braucht, die ihn beruhigt und ihm Sicherheit gibt.

Auf Dauer trocknet der heiße Rauch die Lunge aus und schädigt das Lungen Yin. Es entsteht trockener Reizhusten oder Husten mit wenig Sputum.

 

 

Leider kann man nicht generell davon ausgehen, dass die Wahl des Suchtstoffes und dessen Wirkung einen eindeutigen Hinweis auf die Ursachen der Störung geben. So wirken beispielsweise Amphetamine besonders auf das Feuerelement. Eine Abhängigkeitserkrankung von Amphetaminen kann beim Patienten aber auch durch übermäßige Traurigkeit bedingt sein. Traurigkeit ist die Emotion des Metalls. Die durch Drogen entfachte Freude des Herzens wird hier benötigt, um die Trauer zu überwinden.

Des Weiteren sind schwer Suchterkrankte meist nicht nur von einer Droge abhängig. Es bestehen parallel zueinander mehrere Süchte. Auch können die Stoffe je nach Verfügbarkeit durch andere ersetzt werden.

Die Betrachtung, welches die Droge der Wahl des Patienten ist, kann uns nur im Gesamtzusammenhang der Pathologie weiterhelfen, nicht bei einer isolierten Betrachtung der Wirkweise.

 

 

Spätfolgen des Drogenkonsums

 

Im Laufe der Drogenkarriere können beim Abhängigen die unterschiedlichsten Symptombilder auftreten. Wie sich die Schädigung durch die Sucht im speziellen zeigt, ist zu einem großen Teil von der Droge selbst abhängig. Bei schwer Abhängigen geht durch den

chaotischen Lebensstil und chronischen Konsum die Struktur im Leben verloren. Es kommt zu Störungen im sozialen und familiären Bereich. Er kann keiner geregelten Arbeit mehr nachgehen und es droht die Verwahrlosung. Eine chronische Mangelernährung, wie sie bei den meisten Abhängigen zu finden ist, schwächt zudem nach und nach immer stärker die Milz.

Besteht die Sucht über einen langen Zeitraum sind die Folgen des Konsums tiefgreifender und das Yin des Körpers wird angegriffen. In erster Linie sind die Nieren, die Lunge und das Herz von einem Yin–Mangel betroffen. Drogen, wie zum Beispiel Crack, können aber auch innerhalb kürzester Zeit die Gesundheit ruinieren. Hierbei wird sehr schnell das Jing verbraucht und der Konsument verfällt zusehends. Bei den meisten Drogenkranken und Alkoholikern entsteht auf dem Boden einer Yin-Schwäche ein Leere–Feuer. Die Symptome zeigen sich sowohl im täglichen Leben, als auch während des Entzuges. Es kommt zu extremer innerer Unruhe, übermäßiger Aggression und Ängstlichkeit, Schlafstörungen, Schwitzen, diffusen Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Muskelzittern und Krämpfe sind Zeichen für inneren Leber–Wind. Bei schweren Formen der Sucht kann es während des Entzuges zum Kollaps und somit zur Trennung von Yin und Yang kommen, was im schlimmsten Fall den Tod des Menschen zur Folge hat.

 

 

Konservative Therapie von Suchtkranken

 

In der Behandlung von Suchtkranken werden meist Pharmakotherapie und Psychotherapie kombiniert eingesetzt. Vereinzelt finden naturheilkundliche Verfahren zur Entgiftung oder zur Minderung der Entzugssymptomatik begleitend Anwendung, unter anderem auch Akupunkturbehandlungen. Als psychotherapeutische Maßnahme wendet man in Europa fast ausschließlich die Verhaltenstherapie an. Diese hat sich als wesentlich wirksamer im Gegensatz zu analytischen Verfahren bei der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen erwiesen.

Das Versorgungssystem erstreckt sich über stationäre, teilstationäre und ambulante Einrichtungen in Abhängigkeit der jeweiligen Behandlungsphase, die sich über den Entzug bis zur Wiedereingliederung und Rückfallprävention erstreckt. Leider sind die Rückfallquoten ehemalig abhängiger Patienten außerordentlich hoch. Es ist jedoch nicht alleiniges Ziel der Therapie eine lebenslange Abstinenz zu erreichen. Ein Erfolg ist schon eine positive Veränderung im Umgang mit der Sucht. So ist es beispielsweise von Vorteil, wenn ein Alkoholiker nach einem erlittenen Rückfall umgehend Hilfe aufsucht, anstatt Monate lang zu trinken, bevor er sich erneut für einen Entzug entscheidet. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass die Frage nach der Lebensqualität eine Rolle spielen sollte. Eine zufriedene Abstinenz wird bei Alkoholikern im Durchschnitt erst nach drei Jahren erreicht.

 

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Therapeutische Aspekte der Chinesischen Medizin

 

Im Vordergrund der meisten Suchtbehandlungen steht die Ohrakupunktur. Sie wird begleitend zur Therapie von Nikotin-, Alkohol-, Drogensucht und Essstörungen angewendet, um die Entzugserscheinungen und den Suchtdruck zu mindern. Es gibt zahlreiche Konzepte für Punktkombinationen je nach dem um welche Sucht es sich handelt. Aber auch Standartkombinationen, wie zum Beispiel die Akupunktur gemäß des NADA-Protokolls, sind wirksame und bewährte Hilfen für die Entzugsphase, unabhängig davon welcher Stoff entzogen wird. Einige Extrapunkte der Körperakupunktur mildern ebenfalls das Verlangen des Patienten nach dem Suchtstoff.

Die Stärke dieser Verfahren liegt in ihrer Einfachheit und Wirksamkeit. Sie kann für den Patienten am Anfang einer Therapie von großem Nutzen sein, um den Kreislauf der Sucht zu durchbrechen. Jedoch ist die Behandlung von symptomatischer Natur und berücksichtigt nicht die zugrunde liegende Disharmonie des Patienten. Wir behandeln also nur die Zweige (Biao) und nicht die Wurzel (Ben) der Erkrankung.

Die Behandlung der typischen Yin Mangel Syndrome von Nieren, Leber und Herz nimmt Monate bis Jahre in Anspruch. Neben der Behandlung ist besonders eine ausgeglichene Lebensführung des Patienten wichtig. Ernährung gemäß der chinesischen Diätetik, ausreichend Schlaf- und Ruhephasen sowie kein ausschweifendes Sexualleben sind unter anderem Voraussetzungen, um die Substanzen des Körpers zu regenerieren.

Mit dem Konzept der Fünf Wandlungsphasen unter besonderer Berücksichtigung der Seelenanteile Hun und Po ist es möglich die individuellen Zusammenhänge der Abhängigkeit des Patienten zu verstehen und zu behandeln. Wir setzen uns mit der Psychodynamik des Patienten auseinander. Doch auch hier gibt es zumindest oft ähnliche Schwerpunkte bei der Therapie. Die Schaffung von Strukturen im Leben des Erkrankten spielt eine wichtige Rolle. Regelmäßige Tagesabläufe und Lebensführung sollen den Rhythmus im Alltag wieder herstellen und so das nötige Gerüst für eine möglichst lange Zeit der Abstinenz bilden. Durch eine Stärkung des Metallelementes fördern wir die Bildung von Strukturen im Leben des Patienten. Außerdem ist die Körperseele Po in der Lunge beheimatet, die wir über die Behandlung des Metallelementes beeinflussen können. Die Ursachen für eine Schwäche im Metall sind mannigfaltig und nur aus der Interaktion der Wandlungsphasen untereinander zu erkennen. Durch die verschiedenen Zyklen (Sheng, Ke, Cheng und Wu) stehen alle fünf Wandlungsphasen in Beziehung zueinander. Eine Pathologie im Metall kann so aus Disharmonien von Holz, Wasser, Erde und Feuer entstehen.

 

 

 

Behandlung nach dem NADA – Protokoll

 

Als Basistherapie von Suchtkranken mit Akupunktur wird in Ambulanzen und Kliniken vorwiegend nach dem NADA–Protokoll behandelt. Es werden hierbei konventionelle therapeutische Elemente mit der Akupunktur verbunden. Die National Acupuncture Dextoxification Assosiation (NADA) wurde 1985 in New York gegründet, mit dem Ziel, diese Behandlung zu etablieren, wissenschaftlich zu evaluieren und für eine gute Aus- und Weiterbildung auf diesem Gebiet zu sorgen. Das Behandlungssetting nach dem NADA–Protokoll benutzt ausschließlich die Ohrakupunktur. Von ihrem Ansatz her ist die NADA – Behandlung eine Yin–Behandlung und zielt unter anderem auf die Schaffung von Struktur beim Suchtpatienten.

Die meisten Alkohol- oder Drogenkranken zeigen sowohl im täglichen Leben als auch während des Entzugs Symptome von überschießendem Yang aufgrund einer Yin-Schwäche verschiedener Funktionskreise.

Wirkungen, die mit der NADA-Akupunkturbehandlung erzielt werden, sind folgende:

- Linderung von vegetativen Beschwerden

- körperliche und seelische Stabilisierung

- verbesserte Konzentration bei gleichzeitiger Entspannung

- Reduktion von Ängstlichkeit

- Schlafregulation

- vermindertes Suchtverlangen bei sämtlichen Suchtstoffen

 

In den 70er Jahren wurde für die Entgiftung im Lincoln Hospital in New York eine einfache aber effektive Punktekombination von Smith und seinen Mitarbeitern entwickelt, die sich bis heute bewährt hat:

1. Vegetativum = Punkt 51

2. Shen Men = Punkt 55

3. Niere = Punkt 95

4. Leber = Punkt 97

5. Lunge = Punkt 101

Es werden drei bis fünf dieser Punkte an beiden Ohren akupunktiert.

Die Methode ist wegen ihrer Einfachheit von Ärzten, Krankenschwestern oder Therapeuten leicht zu erlernen und vom Patienten zu tolerieren. Sie wird bei der Entgiftung von Alkohol, Heroin, Methadon, Crack, Kokain, Benzodiazepinen, Amphetaminen und Cannabis erfolgreich eingesetzt. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass auch noch nicht anamnesefähige Patienten behandelt werden können, was mit der Körperakupunktur nicht ohne weiteres möglich wäre.

 

 

 

 

Körperakupunktur

 

Zur Milderung der Entzugssymptomatik können auch Punkte der zwölf Hauptmeridiane und der Sondergefäße benutzt werden. Zum Beispiel:

Du 26, Du 20, Ren 24, Di 4, Pe 6, Lu 5, Ma 36, Ma 40

- Bei Unruhezuständen: He 7, He 9, Du 20

- Bei Schlafstörungen : Anmian, He 7

- Bei Nachtschweiß : He 6, Ni 7

- Bei Übelkeit, Erbrechen: Ren 12, Pe 6

- Bei Diarrhoe: Ma 36, Ma 25

- Bei Atembeschwerden: Lu 7, Lu 9, Ren 17

- Zur Krampfanfallsprophylaxe: Le 3, Gb 34

Punkte des zweiten Blasenast wirken besonders auf den emotionalen Aspekt des zugehörigen Organs und üben eine auf den Geist (Shen) beruhigende Wirkung aus.

 

 

Raucherentwöhnung:

 

"Anti-Smoking-Point" (Jieyanxue, zwischen Lu 7 und Di 5)

Neupunkt Nikotin (Im oberen drittel des Nasenrückens)

Punkte auf dem Lungenmeredian: Lu 7, Lu 8, Lu 9, Lu 10

 

 

Alkoholentwöhnung:

 

Neupunkt Alkohol (Nasenlochunterkante)

Bei allen Formen von oralen Süchten: Lu 10

 

 

 

 

 

Das Metall stärken

 

Im Zentrum der Behandlung steht die Wanglungsphase Metall, einerseits weil Po hier beheimatet ist, andererseits weil eine Störung im Metall selber eine zentrale Rolle in der Sucht spielt. Durch die Harmonisierung des Metalls im Sinne der fünf Wanlungsphasen können wir auch die Körperseele konsolidieren.

Bei Drogenabhängigen zeigt sich oft das Bild eines zu starken Feuers im Metall. Hier handelt es sich um ein Leere-Feuer des Herzens, welches über den Kontrollzyklus mit dem Metall in Verbindung steht. Bei einer Überkontrolle ist zu viel Feuer im Metall. Es lässt die Struktur erweichen und schmelzen. Menschen mit dieser Pathologie sind sprunghaft und verlieren sich in den Möglichkeiten, die das Leben zu bieten hat. Sie sind ständig auf Begeisterung aus, alles was bei ihnen zählt ist der Moment. Die Klarheit des Metalls ist verloren gegangen und der Mensch kann das, was für seine Persönlichkeit von Wert ist, nicht mehr erkennen und integrieren. Mit Yu Ji (Lu 11), dem Feuerpunkt der Lungenleitbahn, können wir das Feuer im Metall reduzieren.

Zur Stärkung der Lunge und somit auch zur Beruhigung der Körperseele können wir Akupunkturpunkte wie Lu 9, Bl 13, Lu 1 in der Behandlung verwenden.

 

Weitere Punkte

 

Lu 3: Tian Fu, der Ahnentempel, hatte die Aufgabe, die Geist Seele Hun des Verstorbenen Kaisers zu beruhigen. Im Menschen harmonisiert er Hun und Po.

Le 4 ist der Metallpunkt auf der Leberleitbahn. Das Holz- und das Metallelement treffen hier zusammen. Auch Le 4 gleicht Hun und Po aus.

He 4: Ling Dao ist der natürliche Weg des Ling. Das Metall ermöglicht dem Shen durch seine sammelnde und ordnende Qualität, seine volle Kraft zu entfalten und den Menschen auf den richtigen Weg zurück zu führen.

Bl 42: Po Hu ist die Tür zur Körperseele, durch die, wenn auch nur ein eingeschränkter Zugang zur Körperseele möglich ist (harmonisiert Po).

Bl 47: Durch das Tor zur Geistseele (Hun Men) können wir Zugang zu Hun bekommen und diesen harmonisieren.

Dämonenpunkte

 

Im Menschen manifestieren sich die bösen und guten Geister (Gui-Shen) in der Geist- und Körperseele. Diese Dämonen können Dian- oder Kuang-Syndrome hervorrufen, die in der westlichen Medizin den Geisteskrankheiten entsprechen. Sun Si-miao benutzte die Dämonenpunkte, um manische Erkrankungen und Epilepsie zu behandeln. Viele der chronisch Süchtigen leiden unter Schizophrenie oder Psychosen. Die Symptome einer Drogenintoxikation ähneln denen von Geistesstörungen, ebenfalls viele der Entzugssymptome. Die Vorstellung der Besessenheit liegt nicht so fern, wenn man manche von schweren Drogen abhängige Menschen sieht.

Mit der Nadelung der Dämonenpunkte können die bösen Geister vertrieben werden. Dabei sollten die Punkte der Reihenfolge nach, je einer pro Behandlung, genadelt werden.:

LG 26, LG 16, LG 23, KG 24, Lu 11, Di 11, Ma 6, Mi 1, Pe 7, Pe 8, Bl 62, Guifeng, Guicang

 

 

Behandlung der Yin–Schwäche

 

Die Yin-Schwäche betrifft in der Regel die Niere, die Leber und/oder das Herz.

Allgemeine Yin-Mangel-Symptome sind:

Hitzegefühl oder subfebrile Temperatur nachmittags, Nachtschweiß vor allem an den fünf Flächen, trockener Mund und Hals, Auszehrung

Puls: oberflächlich, leer

Zunge: rot, trocken, belaglos

 

Kardinalsymptom für einen Herz-Yin-Mangel sind Palpitationen, psychische Übererregbarkeit, Schlaflosigkeit, Rötung der Wangen und eine Zunge ohne richtige Spitze oder mit Riss bis zur Zungenspitze welche gerötet ist, gehören ebenfalls zum Bild des Herz-Yin-Mangels.

Zeichen für einen Nieren-Yin-Mangel sind Schwächegefühl der Knie und der Lumbalregion, Benommenheit, Vergesslichkeit, Schwindel, Tinitus (tieftönig) und sexuelle Störungen wie nächtliche Samenergüsse.

Bei einem Leber-Yin-Mangel steigt das Leber-Yang aufwärts. Symptome hierfür sind zum Beispiel Sehstörungen, Drehschwindel, Benommenheit, Gereiztheit, Tinitus (hochfrequent), trockene oder rote Augen, Kopfschmerzen. Das aufsteigende Leber-Yang kann Wind erzeugen, der sich durch Krämpfe, Bewusstseinsverlust, Tremor der Extremitäten oder Tics zeigt.

Wie zuvor schon erwähnt spielt die Lebensführung des Patienten eine bedeutende Rolle für die erfolgreiche Behandlung einer Yin–Schwäche. Möglichkeiten der Akupunkturtherapie sind zum Beispiel:

- Tonisierung des Mutterelements

- Tonisierungspunkt auf der Leitbahn des betroffenen Organs

- Verwendung der Mu-Alarmpunkte (wirken v.a. auf den Yin Aspekt

des Organs)

- Verwendung der Shu–Zustimmungspunkte

- Erde und Wasserpunkte der jeweiligen Leitbahn

- Shu–Bachpunkte stärken, u.a. das Yin der Zang Organe

Insgesamt auf das Yin und die Essenz (Jing) wirken vor allem Punkte des Ren Mai allen voran Guan Yuan (Ren 4). Bei einem gleichzeitigen Yin-Mangel mehrerer Funktionskreise kann es hilfreich sein, den Ren Mai zu öffnen. Er verteilt zusammen mit Chong- und Du Mai das Quan Qi und Jing der Nieren, und hilft den Mu-Punkten ihren Yin-Anteil aufzufüllen.

 

 

Kommentar

Bisher wird die Akupunktur hauptsächlich zur Milderung der Entzugssymptome und des Suchtdrucks in der Therapie von Abhängigkeitserkrankten verwendet. Dabei kann eine langfristige Behandlung mit Chinesischer Medizin begleitend zur Psycho- und Verhaltenstherapie die Heilung des Patienten fördern. Die Ursachen der Suchtkrankheit sind jedoch individuell so verschieden, dass es nicht möglich ist nach einem bestimmten Behandlungskonzept zu verfahren. Es ähneln sich zwar oftmals die klinischen Bilder, in denen es meist zu einem Yin-Mangel von Leber, Niere oder Herz kommt, doch wie die Körperseele Po derart gierig werden konnte, kann nur im Kontext der gesamten Psychologie der fünf Wandlungsphasen verstanden und behandelt werden.

Literaturverzeichnis

 

 

Großes Handbuch der Akupunktur, von Peter Deadman, Mazin Al – Khafaji und Kevin Baker,

Die Grundlagen der Chinesischen Medizin, von Giovanni Maciocia, Verlag für Ganzheitliche Medizin Dr. Erich Wühr GmbH Kötzing / Bayer. Wald

Leitfaden Traditionelle Chinesische Medizin Schwerpunkt Akupunktur, von C. Focks und N. Hillenbrand, Urban & Fischer

Die Wandlungsphasen der traditionellen chinesischen Medizin, Band 1 – 5, von Udo Lorenzen und Andreas Noll, Müller & Steinicke München

Suchttherapie mit Akupunktur, von Gerhard Jedicke, Klaus Foitzick Verlag.

Psychotherapie der Suchterkrankungen, Herausgegeben von Rainer Thomasius, Thieme

Psychische Störungen in der Praxis, von Heidi Müssigbrodt u.a., Hans Huber Verlag

Das Drama des begabten Kindes; von Alice Miller, Surkamp