Angst und die fünf Wandlungsphasen

 

 

 

Diplomarbeit zum Abschluss der Ausbildung in der chinesischen Medizin

am Ausbildungszentrum Nord

Kiel

Kurs III (2003/2004)

 

Von Dr. Bettina Regh-Melcher

Hamburg 2004

 

 

Meinem Mann, der mich in dieser Ausbildung immer unterstützt hat

 

Hundert-Vögel-Bild von Ding Nanyu (1547-1628)

 

Die Vögel symbolisieren den heiteren und gelassenen Geist Shen. Schreck scheucht die Vögel auf und sie fliegen weg. So wird auch der Shen durch Schreck zerstreut. (chinesisches Gleichnis nach Larre/Rochat 1996 S. 96 und Platsch 2000 S.104)

 

 

 

 

 

Ding Nanyu aus der Provinz Xiuning,Anhui war ein Maler der Ming-Dynastie. Er malte Menschen, Landschaften und buddhistische Statuen, im Stil folgte er Wen Zhenming, Qiu Ying und der Song- und Yuan-Dynastie.

Quelle: http://www.das-klassische china.de/Tusche/Auswahlseite%20Tusche%20Einzel%20oder%20Gesamt/Gesamtauswahl%20aller%20Tuschestuecke/100%20Voegel.htm

Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung................................................................................................................... 5

2. Angst......................................................................................................................... 8

2.1. Was ist Angst?....................................................................................................... 8

2.2. Angststörungen..................................................................................................... 10

2.3. Hammers Modell der chronischen Angst............................................................. 12

2.4. Ursachen von Angst............................................................................................. 16

2.5. Wirkung von Angst und Schreck......................................................................... 18

3. Psychologische Aspekte von Angst in den Wandlungsphasen............................... 21

3.1. Wandlungsphase Holz.......................................................................................... 22

3.2. Wandlungsphase Feuer......................................................................................... 23

3.3. Wandlungsphase Erde.......................................................................................... 28

3.4. Wandlungsphase Metall....................................................................................... 31

3.5. Wandlungsphase Wasser...................................................................................... 33

4. Riemanns Grundformen der Angst.......................................................................... 37

4.1. Ein kosmisches Modell........................................................................................ 37

4.2. Entstehung der vier Persönlichkeitsstrukturen..................................................... 39

4.3. Die Grundformen der Angst und die natürliche Ordnung.................................... 43

4.4. Ein Vergleich der Persönlichkeitsstörungen nach Hammer mit den

Persönlichkeitstypen nach Riemann..................................................................... 45

5. Zusammenfassung................................................................................................... 48

6. Literaturverzeichnis................................................................................................. 50

 

1. Einleitung

Vor ungefähr 10 Jahren geriet ich ohne Vorwarnung in eine heftige persönliche Krise. Alles wirkte von außen so idyllisch: Ich war 40 Jahre alt, hatte einen netten Ehemann und zwei gut geratene Kinder, die meinen Alltag ausfüllten. Mein berufliches Leben hatte ich zugunsten der Kinder und mangelnder Chancen auf kinderfreundliche Teilzeitarbeit eingefroren. Ich arbeitete engagiert im Ehrenamt und war in der Gemeinde beliebt, ich hatte einen großen Freundeskreis und einige wenige, wirklich gute Freundinnen.

Plötzlich und scheinbar grundlos bekam ich Panikanfälle. Ich spürte eine starke Angst, mein Herz klopfte wie wild und ich hatte das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen. Auch nachts (zwischen 1-2 Uhr, Leber-Maximal-Zeit) wurde ich regelmäßig von Panikanfällen geweckt. Ich traute mich nicht mehr, Auto zu fahren und zog mich von meinen Freundinnen zurück.

Der Hausarzt konnte mit den Symptomen Herzrasen und der damit verbundenen Angst nichts anfangen und empfahl mir Beta-Blocker. Zwei verschiedene Herzspezialisten befanden mein Herz für völlig gesund. Eine Erklärung für das Herzrasen hatten sie nicht. Einer der beiden Kardiologen nahm sich immerhin die Zeit, mir vorsichtig anzudeuten, dass ein wenig körperliches Training das Herz stärken statt schwächen könnte und dass Beta-Blocker kontra indiziert seien.

Glücklicherweise folgte ich einer privaten Empfehlung und geriet an einen Arzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapie. Er meinte, ich solle es einmal mit Kampfsport versuchen und ich entschied mich für Kung Fu. Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass hinter meinen Panikanfällen Wut steckte, die ich mir vorher nicht eingestanden hatte. Einige Sandsäcke hatten darunter zu leiden.

Nachdem ich mein Leben ein wenig umorganisiert hatte, gingen die Panikanfälle schnell weg und tauchten nie wieder auf. Hin und wieder bemerke ich noch ein wenig Herzklopfen, dann weiß ich, dass ich mehr auf mich achten muss.

Ich orientierte mich beruflich neu, lernte zuhause für die Heilpraktikerprüfung, bestand sie und entschied mich für chinesische Medizin und Akupunktur.

Hier lernte ich, dass die Angst in der chinesischen Medizin der Wandlungsphase Wasser zugeordnet ist. Für meine Erfahrungen fand ich darin jedoch keine passende Erklärung. Professor Hu, mit der ich darüber sprach, meinte, es könne vielleicht ein Problem in der Gallenblase, also im Holz, bestanden haben. Ich wurde neugierig auf mehr Informationen zum Thema Angst in den Wandlungsphasen.

Mit Sigmund Freud hat sich seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts unser Verständnis von Angst und Angststörungen grundlegend geändert. Psychologie und Psychotherapie haben uns seitdem wesentlich mehr Möglichkeiten zur Behandlung gegeben, als es vor dieser Zeit üblich war. Dennoch ist es für den Einzelnen nicht leichter geworden, seine Ängste wahrzunehmen oder zu zeigen. Angst scheint in unserer westlichen Gesellschaft diejenige der Emotionen zu sein, die man am wenigsten zeigen darf. Schnell wird man als schwach, nicht durchsetzungsfähig, nicht leistungsbereit usw. abgestempelt.

Dabei ist Angst ein bestimmender Faktor unserer Leistungsgesellschaft. Die meisten haben Angst, dem Leistungsdruck nicht gerecht zu werden (M.v.Gorkom 2003). Seit einiger Zeit wächst für viele die Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Damit verbunden ist die Angst, den sozialen Status nicht halten zu können. Viele haben Angst vor dem Unbekannten, vor dem Tod, vor der Zukunft mit den Bedrohungen Umweltzerstörung, Krieg, Terrorismus, Kampf um die Ressourcen, Angst davor, keine Lösungen für die Probleme zu finden usw... Neben den großen Ängsten gibt es die vielen "kleinen" Ängste des Alltags, Angst vor dem Gespräch mit dem Chef, den Kollegen, Angst vor der nächsten Prüfung, Angst, seine Schwächen zu zeigen, Angst vor der Einsamkeit etc...

Bewusst oder unbewusst spielen die Medien mit diesen Ängsten und gaukeln uns oft vor, es gäbe für alles eine Lösung. Unsere Jugend wird im Machbarkeitswahn erzogen. Umso schwieriger wird es für den Einzelnen sich einzugestehen, dass es nicht für alles eine Lösung gibt und dass es sogar richtig sein kann, Angst zu empfinden.

Nachdem ich die chinesische Medizin kennen gelernt habe, stellt sich mir die Frage: Gibt es Parallelen zwischen der Psychologie, die sich mit Freud seit der Jahrhundertwende entwickelt hat und der chinesischen Medizin, wie sie seit Jahrhunderten gelehrt wird?

In China ist es wie in unserer westlichen Gesellschaft üblich, seine Gefühle nur abgeschwächt oder gar nicht zu zeigen. Aus diesem Grund haben die Chinesen Jahrhunderte lang Erfahrungen sammeln können, unterdrückte und somatisierte Gefühle mit ihrer Medizin zu behandeln. Das Behandeln körperlicher Beschwerden wirkt auf die Psyche; dieses Behandlungsprinzip ist in China schon uralt und in die Medizin integriert (v.Gorkom 2003). Hammer nennt die klassische chinesische Medizin eine psychosomatische Medizin (2002 S.97) "Durch Frühdiagnose ist es möglich, viel von dem, was...als >somatoforme Störungen< bezeichnet wurde, zu identifizieren und zu behandeln." (Hammer 2002 S.98)

Welche Möglichkeiten der Diagnose und Behandlung haben wir bei "Angst-Störungen", westlich und chinesisch betrachtet? Welche Ähnlichkeiten gibt es? Welche theoretischen und praktischen Möglichkeiten kann die westliche Therapie finden, um - wie van Gorkom (2003) vorschlägt – einerseits in der Behandlung von Angst die körperlichen Symptome mit Akupunktur zu behandeln und andererseits den Heilerfolg zu steigern oder zu sichern, indem der Patient vom Therapeuten durch psychologische Gespräche begleitet wird?

Diesen Fragen möchte ich in meiner Arbeit nachgehen, um für meine Praxis einen leichteren Zugang zu diesen Problemen zu bekommen. Besonders Leon Hammer (2002) hat sich in seinem Buch eingehend mit " Psychologie & Chinesische Medizin" beschäftigt. Für jede Wandlungsphase hat er eine Angst beschrieben, genaugenommen für jede Disharmonie von Yin-Überschuß, Yin-Leere, Yang-Überschuß und Yang-Leere in jeder Wandlungsphase. Im Kapitel "Psychologische Aspekte von Angst in den Wandlungsphasen" gehe ich darauf näher ein.

In dem Buch "Grundformen der Angst" beschreibt der Psychoanalytiker Fritz Riemann vier Persönlichkeitsstrukturen. "Ausgehend von den Grundängsten der menschlichen Existenz - entwirft der Autor - eine Charakterkunde, die den...Lesern aller Schichten Einsicht in die psychoanalytische Praxis gewährt. Seine "Grundformen" – schizoide, depressive, zwanghafte und hysterische Persönlichkeiten – sind fester Bestandteil der Psychologie geworden." (Klappentext zum Buch Riemann 1998).

Der Autor sieht diese Persönlichkeitsstrukturen als Teilaspekte eines ganzheitlichen Menschenbildes, er hat also ähnlich der chinesischen Medizin einen ganzheitlichen Anspruch.

"Die vier Persönlichkeitsstrukturen sind zunächst Normalstrukturen mit gewissen Akzentuierungen. Wird ...die Akzentuierung zu ausgesprochener Einseitigkeit,..."(Riemann 1998, S.17), erst dann werden sie zu neurotischen (und psychotischen) Typen, wie sie die Psychotherapie und Tiefenpsychologie als Schizoidie, Depression, Zwangsneurose und Hysterie "klassifiziert". Riemann beschreibt in seiner Typisierung nicht nur die klinisch kranken Patienten, sondern die ganze Bandbreite von gesund über leicht neurotisch bis hin zur psychotischen Persönlichkeit.

Psychotische Patienten werden wir in Europa wohl eher selten mit chinesischer Medizin behandeln; interessant für uns sind die Grauzonen mit ersten oder latenten Symptomen. In Kapitel 4 stelle ich die vier genannten Persönlichkeitsstrukturen und ihre Grundängste in Zusammenhang mit einem Modell der fünf Wandlungsphasen. (Die Kindheitsentwicklung, die zur Ausprägung der Persönlichkeiten führt, liegt dem Autor besonders am Herzen. Er beschreibt sie sehr ausführlich und anschaulich. Den meisten wird es dabei wie mir gehen: sie werden sich in den Beschreibungen wiederfinden. Leider kann das in dieser Arbeit nur sehr verkürzt aufgenommen werden, neugierig Gewordenen empfehle ich die Lektüre des Originals.)

Neben den oben genannten haben natürlich noch andere Autoren über das Thema "Angst in den Wandlungsphasen" nachgedacht. Ihre Überlegungen geben wichtige Hinweise, und werden, soweit möglich, in die Arbeit mit aufgenommen. Ein Anspruch auf Vollständigkeit besteht im Rahmen dieser Diplomarbeit jedoch nicht. Meine Schwerpunkte habe ich ganz subjektiv nach eigener Lebenserfahrung und Begeisterung ausgewählt.

 

 

 

 

 

2. Angst

2.1.Was ist Angst?

Geht man dieser Frage nach, findet man in vielen Büchern ein Kaleidoskop von Facetten, die alle einen Teil des umfassenden Begriffs Angst darstellen. Im Folgenden habe ich einige davon zusammengestellt.

Grundsätzlich ist Angst erst einmal eine physiologische Reaktion des Körpers auf Bedrohung von Körper, Geist und /oder Seele. "Angst gehört zu den menschlichen Grunderfahrungen. Als normale Angst hat sie Alarmfunktion vor realer äußerer Bedrohung und soll Aktivitäten zu Beseitigung der Gefahr auslösen (Realangst)." (Naturheilpraxis heute S. 1250) "Angemessene Angst erleichtert es dem Menschen, sich vorzubereiten, zu üben und zu proben, bis er besser handeln kann, und hilft ihm, in möglicherweise gefährlichen Situationen ausreichend vorsichtig zu sein." (MSD Manual 2000 S.1830)

"Angst ergreift den gesamten Menschen, sie ist immer psychisches und körperliches Geschehen... Angst kann unangenehm, belastend, behindernd, quälend sein – Angst bedarf aber keineswegs immer einer Behandlung. Manche Ängste sind motivierend und leistungssteigernd und können damit ein wichtiges Element der Problemlösung sein." (Naturheilpraxis heute S. 1250)

Angst " führt zu einem intensiven und unangenehmen Gefühl der Bedrohung, begleitet von vegetativen Symptomen wie Herzklopfen, Atembeklemmung, Schwitzen (feuchte Hände), Muskelzittern, Übelkeit, unwillkürlichem Stuhl- und Harnabgang, Schwindel und dem Gefühl drohender Ohnmacht (sog. psychische Angstäquivalente)." (Naturheilpraxis heute S. 1250)

Hammer definiert Angst als "...ein Gefühl der Bedrohung, vor allem einer Furcht erregenden Bedrohung, ohne dass die Person fähig wäre, zu sagen, wovon sie glaubt, bedroht zu werden.... Für den Betroffenen ist sie äußerst wirklich, egal, ob sie dem Betrachter von außen unlogisch erscheint." (Hammer 2002, S. 356) Seine Definition unterscheidet sich von der anderen dadurch, dass sie den Aspekt der lebenserhaltenden, notwendigen Angst nicht mit einbezieht. Sie bezieht sich in erster Linie auf die pathologische Angst.

Riemann hat ein ganz individuelles Verständnis von Angst. Jede Angst ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich, jeder lebt und erlebt seine eigene Angst. "Diese unsere persönliche Angst" (Riemann 1998 S.9) hängt von unseren individuellen Entwicklungsgeschichte ab, von unserer speziellen Umwelt, unseren soziokulturellen Zusammenhängen und unserer Veranlagung, mit der wir auf die Welt kommen.

Sowohl das MSD Manual als auch Hammer 2000 unterscheiden Angst und Furcht. "Erstere ist eine Reaktion auf eine unwirkliche oder eingebildete Gefahr. Furcht, sagen die Chinesen, ist eine Emotion, die zu den Nieren absteigt, während Angst eine Emotion ist, die zum Herzen aufsteigt." (Hammer 2002, S. 356) Furcht ist eine "in Gefühlen, körperlichen Symptomen und Verhalten ausgedrückte Reaktion auf eine von außen kommende, als solche erkannte Gefahr. Angst ist ein unangenehmer Gefühlszustand; ihre Ursachen liegen oft weniger klar." (MSD Manual 2000 S.1830) Riemann (1998 S.19) verzichtet ausdrücklich auf eine Unterscheidung von Angst und Furcht. Er begründet es damit, dass die Unterschiede nicht zwingend und nicht immer nachvollziehbar seien, wie zum Beispiel in den von ihm angeführten Begriffen Todesangst und Todesfurcht.

"Angst kann plötzlich auftreten, wie in einer Panik oder sich schrittweise über viele Minuten, Stunden oder Tage entwickeln. Sie kann wenige Minuten oder über Jahre hinweg anhalten; längere Dauer legt eine Angststörung nahe." (MSD Manual 2000 S. 1831)

"Angst ist ein vielschichtiges Phänomen, das man auch nach den Kategorien >akut< und >chronisch< klassifizieren kann." (Hammer 2002, S. 356) Andere Unterscheidungen sind angemessene und pathologische Angst, Angst und Furcht, Angst und Angststörungen, Angst und Panik, Angststörungen und Panikstörungen und in der chinesischen Medizin die Angst kong und der Schrecken jing,.

" Die zwei möglichen Antworten auf eine akute Angst werden als >Kampf< und >Flucht< beschreiben...Kampf ist eine autonome Reaktion des sympathischen Nervensystems, Flucht eine Reaktion des parasympathischen Nervensystems..." (Hammer 2002, S. 356) Nach Hammer entspricht das Nervensystem dem Nieren-Jing (Hammer 2002 S.98)

Die Chinesen kennen die Angst "kong" und den Schrecken "jing". Für diese Unterscheidung haben sie zwei Modelle. Das eine ist das Modell der fünf Emotionen, die den Wandlungsphasen zugeordnet sind und das andere das Modell der sieben Leidenschaften. Die Leidenschaften setzen sich zusammen aus den fünf Emotionen und zwei weiteren, dem Kummer und dem Schreck. Die sieben Leidenschaften können als exogene pathogene Faktoren auftreten.

Die Chinesen ordnen die Angst "kong" als Emotion der Niere zu. "Kong" entsteht als natürliche "Lebensäußerung" der Niere (Lorenzen 2000, S. 150). "Das Schriftzeichen (für kong) hat den Herz-Radikal, der als Mittelpunkt für alle Gefühle gilt; darüber das Klopfen eines Werkzeuges (Wieger L., 11 F); das starke Herzklopfen, das einen befällt, wenn man in eine bedrohliche Situation gerät."(Lorenzen 2000, S. 150) Diese Form der Angst dient der Lebenserhaltung, sie hat nichts krankhaftes. Sie kommt dem nahe, was andere als normale oder angemessene Angst definieren.

Der Schreck "jing" hingegen wirkt von außen auf die Niere ein; "im Schriftzeichen haben wir unten das Pferd, darüber das Bild einer Autorität mit einer Rute und daneben einen Untergebenen, dargestellt als Schaf, der respektvoll den Mund hält; der Schrecken eines Pferdes, das mit etwas Überlegenem konfrontiert wird und sich aufbäumt (Wilder, No. 735)." (Lorenzen 2000, S. 154) "Schreck ist eine Yang-Reaktion auf der Gefühlsebene und kann ebenso wie der Kummer mit anderen Gefühlen gemeinsam auftreten." (Platsch 2000, S. 104) Der Schreck "jing" und ein zuviel an Angst "kong" besitzen die pathologische Energie, den Menschen zu schädigen.

Der Übergang von normaler zur pathologischen Angst ist gleitend. "Gegenüber den notwendigen und angemessenen Ängsten stellt die krankhafte Angst eine eskalierende, verselbständigte Angst dar, die körperliche und geistige Funktionen lähmt und damit der Entwicklung von Lösungsstrategien im Weg steht ("hilflose" Angst)." "Die pathologische Angst unterscheidet sich von normaler Angst durch ihre Intensität, ihre Dauer und ihre "Unangemessenheit" zur aktuellen Bedrohungssituation. Sie kann auch völlig losgelöst von äußeren Bedingungen auftreten, sie kann plötzlich ausbrechen (z.B. als Panikattacke) oder kontinuierlich vorhanden sein." (Naturheilpraxis heute S. 1250)

Angst ist jedoch immer "ein Lebenszeichen, sie ist ein Hinweis darauf, dass der Betroffenen noch die Kraft und Stärke hat, mit seiner Krankheit zu kämpfen (shi in der chinesischen Medizin, ein >kraftvolle< Bestätigung und eine >kraftvolle< Krankheit)." (Hammer 2002, S. 356)

 

 

2.2. Angststörungen

Wenn eine Angst längere Zeit ohne ersichtlichen Grund andauert, legt das eine Angststörung nahe. (MSD Manual 2000 S. 1831) "Etwa 2-4% der Bevölkerung leiden (phasenweise) unter einer Angststörung, die meist ab dem 30. Lebensjahr auftritt." (Naturheilpraxis heute 2000 S. 1250) "Angststörungen sind viel häufiger als jede andere Gruppe psychiatrischer Erkrankungen. Sie werden jedoch häufig nicht erkannt und demzufolge nicht behandelt." (MSD Manual 2000 S.1830)

Angststörungen, wie sie die heutige Psychologie und Psychiatrie beschreiben, kommen ansatzweise auch schon im Nei Jing Ling Shu, Kapitel 22 vor: "Wenn der Wahnsinn (des Yang, kuang) in der Entwicklung begriffen ist, wird sich der Kranke niedergeschlagen fühlen und sprunghaft sein, er hat Angstzustände, (was sich in der Regel auf übermäßige Sorgen und Hunger zurückführen lässt.)" (nach einer Übersetzung von Schmidt S.138)

Angststörungen drücken sich in einer ganzen Reihe von psychischen Störungen aus, die ich im Folgenden kurz beschreiben werde. Zu diesen Störungen zählen Panikattacken und Panikstörungen. Symptome einer Panikattacke können sein: Brustschmerzen und Unbehagen, Würgegefühl, Schwindel, schwankendes Gefühl, Ohnmacht, Angst zu sterben, Angst, verrückt zu werden oder die Kontrolle zu verlieren, Gefühl des Unwirklichen, von Entfremdung oder veränderter Wahrnehmung der Umgebung, Hitzewallung, Frösteln, Übelkeit oder Magenschmerzen, Taubheit oder Kribbeln, Herzklopfen oder Herzrasen, Kurzatmigkeit oder Erstickungsgefühl, Schwitzen und Zittern (MSD Manual S.1832).

Kennzeichnend für eine Panikstörung "sind wiederkehrende, schwere Angstattacken, die unvorhersehbar und ohne erkennbaren Grund ausbrechen; der Angstanfall dauert meist nur Minuten, wobei die Betroffenen massive Angst haben, "wahnsinnig" zu werden oder sterben zu müssen." (Naturheilpraxis heute 2000 S. 1251). Häufig stehen Herzangstsymptome im Vordergrund, auch die Hyperventilationstetanie kommt oft vor. "Typischerweise entwickelt sich nach den ersten Attacken eine ausgeprägte Angst vor dem nächsten Anfall ("Angst vor der Angst")" (Naturheilpraxis heute 2000 S. 1251).

Die phobischen Störungen "umfassen Ängste, die hartnäckig, unrealistisch und doch äußerst stark sind, die aber im Gegensatz zur ungerichteten Angst der Panikstörung auf eine äußere Situation oder einen äußeren Stimulus gerichtet sind." (MSD Manual 2000 S. 1833) Zu diesen Ängsten zählen die Agoraphobie = Angst vor großen Plätzen, die Klaustrophobie =Angst vor engen Räumen, die soziale Phobie, also eine Angst, die in Verbindung mit Menschen oder Situationen mit Menschen auftritt (Erröten, Angst vor Sprechen in der Öffentlichkeit usw...) Angst vor Infektionen und spezifische Phobien wie Angst vor Spinnen oder anderen Tieren.

Eine Zwangsstörung ist gekennzeichnet "durch wiederkehrende, unerwünschte, aufdringliche Ideen, Bilder oder Impulse, die als dumm, unheimlich, abscheulich oder schrecklich erlebt werden (fixe Idee, Zwangsgedanken) und einen Drang auslöst, etwas zu tun, um das durch die Zwangsgedanken entstandene Unbehagen zu lindern (Zwangshandlung)." (MSD Manual 2000 S. 1836)

Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht als Folge eines belastenden Ereignisses mit schweren Verletzungen, Todesgefahr oder Tod von anderen. Während dieser Situation empfindet der Mensch ungeheure Angst, Hilflosigkeit und Entsetzen Dieses Trauma wird hinterher immer wieder in Form von Flashbacks oder Alpträumen durchlebt (MSD Manual 2000 S.1837).

Als generalisierte Angststörung definiert das MSD Manual (2000 S. 1838) "ausgeprägte, über mehr als sechs Monate fast täglich auftretende Angst und Befürchtungen bezüglich einer Reihe von Aktivitäten und Ereignissen."..."Die Angst und Befürchtungen sind so ausgeprägt, dass sie kaum zu kontrollieren sind...kennzeichnend ist die anhaltende, frei flottierende Angst, d.h. die Angst bezieht sich nicht auf ein bestimmtes Objekt oder eine bestimmte Situation." (Naturheilpraxis heute 2000 S. 1251)

Wenn man sich die Symptome von Angststörungen, die hier nicht alle aufgelistet sind, ansieht, findet man oft eine Zuordnung zu chinesischen Wandlungsphasen. Schon bei der westlichen Auflistung der Symptome von Panikattacken und Panikstörungen gibt es für jedes Symptom mindestens eine Zuordnung zu einer Wandlungsphase:

Ähnliches kann man für die Symptome von Panikstörungen, Phobien, Zwangsstörung, posttraumatische Belastungsstörung, und die generalisierte Angststörung herausarbeiten. Damit haben wir als Therapeuten der chinesischen Medizin auch schon Ansätze für die Behandlung des Patienten.

Bei der Behandlung von Patienten mit Angststörungen sollte man beachten, das häufig eine Nadelphobie vorliegt (Naturheilpraxis heute 2000 S. 1253). Hier könnte man den Ratschlägen von Platsch (2000) folgen, der für empfindliche Patienten und auch für Kinder die Laser-Akupunktur als sanfte Methode vorschlägt; oder man verwende sehr dünne Nadeln und verzichte auf das gezielte Suchen nach dem DeQi (Platsch 2000 S.219).

 

2.3. Hammers Modell der chronischen Angst

Hammer hat ein eigenes Modell für chronische Angst entwickelt. In seinem Modell wird chronische Angst von den Betroffenen erfahren, wenn sie in ihrer körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklung gehemmt oder bedroht werden (ontogenetisches Modell = entwicklungsgeschichtliches Modell). Er nennt es die "Bedrohung ihres Werdens" (Hammer 2002 S.359). Darin stimmt er mit Riemann überein. "Jede Entwicklung, jeder Reifeschritt ist mit Angst verbunden... Angstüberwindung führt zu Reifung und Erwachsenwerden, "Reifungsschritte mit den dazugehörigen Ängsten" (Riemann 1998 S.9) müssen gemeistert werden, um im Leben weiterzukommen.

Die Reifeschritte und die damit verbundenen Ängste hat Hammer in 10 Kategorien eingeteilt.

2.3.1. Als erstes nennt er die Angst vor dem Unbekannten, Sie tritt bei jedem Übergang von einem Entwicklungsstadium in das nächste auf. Diese Form der Angst ist sehr häufig und meist natürlich und unvermeidlich.

Eine ungesunde Variante dieser Angst entsteht, "wenn ein Mensch mit einer Situation konfrontiert wird, die seiner Persönlichkeitsorganisation zuwiderläuft." (Hammer 2002 S.359) Dazu gibt Hammer folgendes Beispiel: Ein Mensch mit Nieren-Yin-Mangel erwartet von seiner Umgebung Feindseligkeit; freundliche (ihm unbekannte) Gesten versetzen ihn in akute Angst.

Die Angst vor dem Unbekannten, besonders aber vor dem Tod als dem größten Unbekannten, ist eine Angst, die von den Energien der Wandlungsphase Wasser gesteuert wird. Entwicklungsgeschichtlich wurden Menschen, die unter chronischer Angst – besonders nächtlicher Angst - leiden, schon im Mutterleib geschädigt. Nach Hammers Erfahrung haben viele der Betroffenen einen Abtreibungsversuch im Mutterleib überlebt. Sie mussten also schon vor ihrer Geburt um ihr Leben fürchten.

2.3.2. Trennungsangst

Die zweite Angst ist die Trennungsangst, eine spezielle Form der Angst vor dem Unbekannten. Dabei spielt die Wandlungsphase Metall eine große Rolle, weil das scharfe Metall trennt; das ist bei jedem Prozess, in dem es um Festhalten und Loslassen geht, wichtig, denn für die Fähigkeit loszulassen ist das Metall zuständig. Im Laufe des Lebens spielen ungefähr 10 Trennungen eine besonders wichtige Rolle.

I. Trennung: Mitose

"In diesem viel verheißenden Anfangsstadium lenken die Energien des Wassers die Geschicke und werden meiner Meinung nach dabei von denen des Metalls unterstützt." (Hammer 2002 S. 360). In diese Zeit kann es zu neurologischen Fehlentwicklungen und Gehirnstörungen kleinerer und größerer Art mit unabsehbaren Folgen kommen.

II. Trennung: Geburt (und die direkte Zeit danach)

An diesem Ereignis sind nach Hammer die Wandlungsphasen Wasser und Erde beteiligt. Das Wasser gibt die Energie für den Übergang der Essenz ins Leben und für das Überleben. Die Erde liefert die Energie für das Aufgeben der alten Bindung und das Eingehen von lebenswichtigen neuen Bindungen an die Mutter oder Bezugsperson . Können diese Bindungen nicht harmonisch gestaltet werden, kann das zu lebenslangen Ängsten führen.

 

III. Trennung: Selbstdurchsetzung – Das Nein-Stadium

Von Geburt an wächst das kindliche Selbstbewusstsein. Wie gut es sich entwickeln kann, hängt von der wohlwollenden Reaktion der Eltern ab. Wird das kindliche Selbst bis zum vierten Lebensjahr (incl. der Trotzphase) zu stark unterdrückt, werden die Wasser-Energien, die für die Entwicklung zuständig sind, unter Umständen lebenslang geschädigt. Daraus entwickelt sich eine Angst vor persönlicher Durchsetzung oder eigenen Aggressionen. Die Betroffenen erwarten aufgrund ihrer schlechten frühen Erfahrungen mit Selbstdurchsetzung immer eine potenzielle Erniedrigung. In vielen Alltagssituationen, in denen sie später einer direkten Beobachtung ausgesetzt sind, kann es zu Ängsten kommen, z.B. bei mündlichen Prüfungen, Auftritten in der Öffentlichkeit etc. Als eine andere Variante dieser Ängste können Schuldgefühle entstehen, die zu einem passiv-aggressiven Verhalten führen. Der Grund für dieses Verhalten liegt in der Furcht vor der Missbilligung der bloßen Tatsache, das man >ist<. (Entschuldige, dass ich auf der Welt bin.)

Das kindliche Ich wird nicht nur von brutalen Eltern unterdrückt. Im Gegenteil: besonders die überbesorgten Mütter (und Väter) lassen dem Kind keinen Raum für Entwicklung und lebensnotwendige Erfahrung. (siehe auch Riemanns depressive Persönlichkeit)

In dieser Zeit wird die Wandlungsphase Holz aktiv. Das Nein-Sagen wird vom Metall im Holz unterstützt.. Werden die Wasser-Energien geschädigt, folgt über den Ernährungszyklus eine Schädigung der Wandlungsphase Holz. Der Abschnitt über die Folgen eines Leber-Yang-Mangels beschreibt die passiv-aggressive Störung detaillierter.

IV. Trennung: Ödipus-Elektra-Komplex

Laut Freud definiert sich dieser Komplex als ein Konkurrenzkampf des Kindes mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil um die Liebe und Aufmerksamkeit des anderen Elternteils.

Als Schlagworte dafür dienen bis heute die Kastrationsangst des Jungen und die Angst des Mädchens vor dem Verlust der Mutterliebe. In dieser Zeit können sich Ängste vor Zurückweisung oder ein herabgesetztes Selbstwertgefühl entwickeln, wenn die Eltern nicht angemessen mit den Problemen ihrer Kinder umgehen können.

In dieser "ödipalen" Phase rückt die Feuer-Energie erstmals in den Vordergrund. "Die Energien des Herzens fühlen und bringen zum Ausdruck, die Energien des Herzbeutels (Perikard) schützen und liefern die Energie für alle restitutiven (wiederherstellenden) Manöver, die Menschen entwickeln, um Angst zu vermeiden." (Hammer 2002 S. 366) In dieser Zeit entwickelt sich nach Riemann die hysterische Persönlichkeit.

V. Trennung: Ersatzeltern

Während einer erfolgreichen Entwicklung sucht sich das Kind irgendwann sogenannte Ersatzeltern, die das von den Eltern geprägte Weltbild erweitern und bereichern. Meist sind das Erzieher, Lehrer, Leiter von Jugendfreizeiten oder ähnliches. In dieser Phase wird das Metall in der Erde aktiv. Das Metall unterstützt das Loslassen vom Bekannten, die Erde unterstützt die neue Bindung. Gelingt das nicht, so können Schulängste auftreten.

VI.Trennung: Beziehungen mit Gleichaltrigen

In der Vorpubertät beginnend werden die Loyalitäten von Erwachsenen auf Gleichaltrige übertragen. "Das Bedürfnis nach Autorität und Anerkennung wird nicht mehr innerhalb der Welt der Erwachsenen, sondern innerhalb einer Peergroup befriedigt." (Hammer 2002 S. 367). In dieser Phase wachsen die auf Selbstbehauptung gerichteten Energien des Holzes.

Hammer beschreibt, dass sich der Jugendliche in seiner Gruppe einen Seelenverwandten gleichen Geschlechts sucht. Diese Freundschaft ist besonders wichtig in Hinblick auf eine gesunde Entwicklung von Sympathie, Empathie und Versöhnlichkeit für das spätere Leben.

Die wichtigste Angst, die in dieser Phase entstehen kann, ist die "Angst vor der Trennung von der verwandten Seele, die seitens der Familie provoziert wird." (Hammer 2002 S. 368)

VII. Trennung: Übertragung der Autorität auf die eigene Person

In dieser Entwicklungsphase wird die Autorität nicht mehr auf andere übertragen, sondern auf sich selbst. Denken und Fühlen werden mit wachsendem Selbstbewusstsein von eigenen Werten bestimmt. In dieser Zeit kann jedoch auch eine Angst vor der eigenen Autonomie entstehen. Jetzt sind die Energien aller Wandlungsphasen am Werk, besonders jedoch die von Metall für das Loslassen und diejenige des Holzes für die Selbstdurchsetzung. Genährt wird die Bindung an das eigene Selbst von der Wandlungsphase Erde.

VIII. Trennung: Liebe für andere

Nachdem der Mensch alle diese Entwicklungen durchlaufen hat, ist er jetzt in der Lage, echte Liebe für andere wachsen zu lassen. "Liebe ist das bedingungslose Akzeptieren eines anderen Menschen im Rahmen einer Beziehung, die von Intimität, Anteilnahme und der Bereitschaft zu verzeihen gekennzeichnet ist." (Hammer 2002 S.370) Ohne eine gesunde Selbstliebe wäre der Mensch unfähig, solch eine Liebe zu leben. Diese Art der Liebe wird vor allem in dem Lebensabschnitt gelebt, in dem man ein Familie gründet, Kinder aufzieht und die entscheidenden Jahre im Berufsleben verbringt.

Die Energie der Erde ist in dieser Phase die wichtigste. Meist wird diese Energie während dieser Zeit sehr stark verbraucht, so dass nur wenig Energie für neues Wachstum danach zur Verfügung steht. Die Angst, die während dieser Zeit auftauchen kann, ist die Angst davor, "sein eigenes Selbst im Dienste der Konventionen und des Überlebens der Rasse für immer zu verlieren." (Hammer 2002 S. 371)

IX. Trennung: Erforschung des eigenen Selbst

Diese Phase schließt sich meist an die vorher erwähnte Familien- und Berufsphase an oder verläuft parallel dazu. Es ist der Weg des geistig-seelischen Wachstums und des Erforschens des eigenen Unterbewusstsein. "Der schöpferische Prozess birgt zwar Gefahren, aber die Alternative hieße Depression und Tod." (Hammer 2002 S. 371) Wenn dieser neue Weg beschritten wird, erreicht die Energie des Feuers in diesen Jahren ihren Höhepunkt.

X. Trennung: Der große Abschied

Dies ist die Zeit, in der die Metall-Energien uns befähigen, loszulassen und neues aufzunehmen. Das Metall braucht dafür noch "die Inspiration des Feuers und den Elan des Holzes. Hat das Feuer das Holz vollständig verbrannt," können wir uns "in spätern Jahren den reinen, kontemplativen Energien des Metalls hingeben." (Hammer 2002 S. 372) "Wir haben den vorletzten Punkt unserer Existenz erreicht, in der nur eine einzige Angst bleibt, nämlich" die Angst vor dem Tod, dem großen Unbekannten. "Die Energien des Wassers...unterstützen uns... beim großen Abschied und bei der Wiedervereinigung mit Gott und dem Kosmos." (Hammer 2002 S. 372). Weil in unserer westlichen Gesellschaft für diesen Übergang nur wenig Raum existiert, werden die Wandlungsphasen-Energien, die die Natur uns für spirituelles Wachstum zur Verfügung gestellt hat, von den meisten Menschen nicht genutzt; der Geist bleibt rastlos bis zum Tod.

2.3.3. Vortäuschung

Die Angst, die mit Vortäuschung und Verstellen verbunden ist, ist nach Hammer die verbreitetste nach der Angst vor dem Unbekannten und der Trennungsangst. Vortäuschen ist ein defensives Muster, Hammer nennt es restitutiv. Vortäuschen wird nötig, wenn das wahre Selbst gering geschätzt wird und die Gefahr besteht, es könne entdeckt und abgelehnt werden. Die Energien aller Wandlungsphasen werden dabei wirksam, die Energie des Perikards koordiniert die anderen Wandlungsphasen.

Ursachen für die Vortäusch-Manöver sind zu starker Anpassungsdruck in Baby- und Kleinkind-Jahren, daher un- oder unterentwickeltes wahres Selbst. Das schwache Selbstbewusstsein entsteht durch frühes Ignorieren des kindlichen Selbst durch ständiges Bemuttern oder dauerhafte Nichtbeachtung des Klein(st)kindes. Das Vortäuschen geschieht meist unbewusst, "und auch die Ursache für die Angst ist nicht bewusst." (Hammer 2002 S.373).

2.3.4. Unterdrückte Erregung

Menschen, die bereits früh im Leben gelernt haben, dass positive Erregung gefährlich ist, unterdrücken daher dieses Erregungsgefühl. Gründe dafür können religiöser oder abergläubischer Art oder "Böswilligkeit" sein. Statt zum Beispiel unterdrückter Freude erleben viele Menschen in solchen Momenten ein Angstgefühl. Fritz Perls, der Vater der Gestalttherapie, hat laut Hammer diese weit verbreitete Angst als erster erkannt. Die Energien des Perikard verwenden in diesem Fall nur die Herz-Energien, um die Gefühle zu unterdrücken.

2.3.5. Ein tröstliches Gefühl

Paradoxerweise kann Angst ein tröstliches Gefühl sein, nämlich für die Menschen, die nach der Geburt mit einer angstbesetzten Mutter aufwuchsen. Da für sie Angst und Mutter dasselbe bedeutete, empfinden sie Angst als tröstlich. Erde- und Herz-Energien sind hierbei beteiligt. Eine lange Abwesenheit von Angst ruft tiefe Panik hervor.

2.3.6. Magische Kunstgriffe

Zwanghaftes Denken oder Grübeln kann zu magischem Denken führen, in dem unangenehme Emotionen oder Erfahrungen als magischer Talisman gegen neues Unglück verwendet werden. Gestörte Erd-Energien und das Perikard sind daran beteiligt.

2.3.7. Schuldgefühle als Talisman

Eine zu 6. verwandte Form der Angst sind Schuldgefühle statt Angst. Solange ein Mensch Schuldgefühle hat, empfindet er nicht die Angst z.B. vor dem Zorn bedeutender Menschen oder vor der Vernichtung durch die Götter. Da man den Grund für den Zorn der Götter nie genau weiß, empfinden die Menschen Schuldgefühle für eventuell begangene Sünden, die früher mit Opfergaben gesühnt wurden. In den großen Glaubensgemeinschaften unserer Zeit und im Aberglauben existieren diese Gefühle weiter. Deutlich wird dieses Arbeiten mit Schuldgefühlen besonders in fundamentalistisch ausgerichteten Glaubensrichtungen.

2.3.8. Existentielle Angst

"Angst ist in diesem Kontext eine gesunde Emotion, die uns zu Ereignissen in uns selbst und in der äußeren Umgebung führen kann, die andernfalls unbemerkt bleiben würden." (Hammer 2002 S. 376) Die Ereignisse können lebenswichtig für uns sein, jedoch ist es sehr unangenehm, sie bewusst wahrzunehmen. Hier sind "die Feuer-Energien der kreativen Intelligenz und die Verteidigungsenergien des Herzbeutels in dieses Zusammenspiel von Wissen und Bewusstsein eingebunden." Dabei mag man vor allem an die vielen Umweltprobleme denken, die in unserer Welt existieren, und an die unangenehmen Gefühle, die das Denken an sie hervorrufen kann.

 

 

2.3.9. Angst als motivierende Kraft

Menschen, die es nicht geschafft haben, in ihrer Jugend die Autorität von außen auf sich selbst zu übertragen, brauchen die Angst vor Autoritäten als treibende Kraft für ihr Leben. Sie übernehmen nie die volle Verantwortung für ihr Handeln, erleben aber auch nie die Befriedigung, die eine eigene, große Leistung einem verschaffen kann.

2.3.10. Angst als Lebensgefühl

Vor allem in den 60-er Jahren wurde es wohl modern, die eigenen Ängste kennen zu lernen und sie allen und jedem mitzuteilen. So wurde das Mitteilen von Angst zum wichtigsten Mittel, zwischenmenschlichen Kontakt herzustellen. Hammer führt die Woody Allen-Filme als einen zeitgenössischen Ausdruck dieser Haltung auf. In Wirklichkeit verhindert diese Art des Umgehens mit Angst eine angemessene Verarbeitung dessen.

Die beteiligten Wandlungsphasen bei Angst als Mittel zum Kontakt sind die Erde, sowie das Metall, das zur Ausdehnung und Trennung von Bindungen beiträgt. "Wenn Angst als Form des Ausdrucks dient, spielen auch die Energien des Feuers eine Rolle." (Hammer 2002 S.377)

In Hammers Modell der chronischen Angst werden viele Wechselwirkungen zwischen Wandlungsphasen und Angst genannt. Im folgenden Überblick kann man sehen, dass jede Wandlungsphase mehrfach vorkommt:

Trennungsängste im Verlauf des Lebens:

    1. Mitose: Wasser und Metall
    2. Geburt: Wasser und Erde
    3. Nein-Sagen: Metall im Holz
    4. Zeit der ersten Eltern-Ablösung (Ödipus/Elektra-Komplex): Feuer
    5. Ersatzeltern, Loslassen vom Bekannten: Metall in der Erde
    6. Beziehungen mit Gleichaltrigen: Holz
    7. Autorität in sich selbst finden: alle Wandlungsphasen, besonders Metall, Holz und Erde
    8. Liebe für andere: Erde
    9. Selbsterforschung: Feuer
    10. Abschied vom Leben: Metall, Feuer, Holz, Wasser

Spitzenreiter in dieser Aufzählung ist die Wandlungsphase Feuer: Sie wird insgesamt neun Mal erwähnt, als nächstes kommt die Erde mit acht, dann das Metall mit sechs sowie Holz und Wasser mit je fünf Nennungen.

 

2.4. Ursachen von Angst

Neben den "natürlichen" Ursachen von Angst wie Bedrohung von Körper und Geist kann Angst durch körperliche Erkrankungen wie Schilddrüsenüberfunktion oder durch Drogenmissbrauch entstehen. Auch die Einnahme von Kortikosteroiden kann zu Angst führen. (MSD Manual 2000 S.1830).

Nach Hammer kennt man im klassischen chinesischen Modell fünf Ursachen von Angst (Hammer 2002, S.356-358). Im folgenden sind sie zusammengefasst, Symptome, Therapie und Punkteauswahl wurde von Hammer übernommen:

Erste Ursache: Kombination aus schwacher Konstitution und plötzlichem Erschrecken,

- Symptome: Herzklopfen, Unruhe, von Träumen gestörter Schlaf, Anorexie

- Betroffen ist in erster Linie das Herz, Puls: fein und schwach, Zunge normal

- Therapie: Herz und Shen beruhigen durch Anregen der Zirkulation des Herz-Qi

- Punkte: Bl 15 Xinshu, Ren 14 Juque, He 7 Shenmen, Pe 6 Neiguan, Pe 7 Daling,

Zweite Ursache: Mangel an Herz-Blut durch Blutverlust und/oder chronische Krankheit,

Dritte Ursache: ein durch Yin-Mangel hervorgerufener Überschuss an Feuer,

Vierte Ursache: Retention schädlicher Flüssigkeiten im Inneren aufgrund eines Mangels in

Milz und Niere,

Fünfte Ursache : inneres Schleim-Feuer,

Die Ursachen von Angst können nach chinesischem Modell also ebenfalls in verschiedenen Wandlungsphasen liegen. Hier sind sie noch einmal im Überblick:

1. Kombination von schwacher Konstitution und plötzlichem Erschrecken:

Feuer-Problematik

2. Mangel an Herz-Blut durch Blutverlust und/oder chronischer Krankheit:

Feuer-Problematik

3. Überschuss an Feuer durchYin-Mangel: Feuer- und Wasser-Problematik

4. Retention schädlicher Flüssigkeiten im Inneren aufgrund eines Mangels in Milz und Niere:

Erde- und Wasser-Problematik

5. Inneres Schleim-Feuer, entstanden aus langfristiger Milz-Problematik und Leber-Qi-

Stagnation: Erde- und Holz-Problematik

In dieser Aufzählung fehlt die Wandlungsphase Metall. Nach Hammer (2002 S.125) kann jedoch auch eine Lungen-Dysfunktion Angst entstehen lassen.

 

2.5. Wirkung von Angst und Schreck

Sowohl in der chinesischen wie auch in der westlichen Medizin gibt es komplexe Vorstellungen darüber, wie die verschiedenen Formen von Angst im Körper wirken. Die Funktionskreise Wasser und Feuer sind in besonderer Weise davon betroffen.

Angst und die Funktionskreise Wasser und Feuer

Nei Jing Su Wen Kap.5: "Der Gefühlsausdruck des Wassers ist die Furcht. Furcht kann die Niere schädigen, aber Nachdenken überwindet die Furcht." (zitiert nach Lorenzen 2000 S.153) "Übermäßige Angst verursacht Dis-Stress und Funktionsstörungen." (MSD Manual 2000 S.1830)

Physiologisch steigt das Nieren-Qi auf. Um den Körper zu schützen, reagiert das Nieren-Qi bei Angst, indem es die Wandlungsphase Holz aktiviert, dem Herz-Qi den Impuls zum vollen Einsatz zu geben. In der westlichen Vorstellung erfolgt ein Adrenalinstoß, und das jetzt kraftvoller schlagende Herz stellt Energien für Flucht oder Abwehr zur Verfügung.

Plötzlicher Schreck erfordert eine sofortige Reaktion von Nerven- und Kreislaufsystem, vor allem das vegetative Nervensystem arbeitet auf Hochtouren und erhöht die Pumpleistung des Herzens dramatisch. Als Reaktion auf einen jing-Schrecken werden nach der chinesischen Vorstellung zwei Möglichkeiten beschrieben:

1. Das Nieren-Qi sinkt nach unten. Die Niere kontrolliert die Körperöffnungen nicht mehr. Es kommt zu unkontrolliertem Wasserlassen und "Schiss" im doppelten Sinn. "Jing (hier=Schreck, d.A.) ist immer etwas Pathologisches, das Einem widerfährt und bis ins Tiefste verletzen kann." (Lorenzen 2000 S.154) Nei Jing Su Wen, Kap.39 : "Angst und Furcht bewirken, dass das Jing (hier=Essenz, d.A.) zurückweicht. Wenn das Jing zurückweicht, entsteht ein Verschluss (Blockade) im oberen Erwärmer, so dass das Qi (nach unten) zurückkehren muss und Schwellungen im unteren Erwärmer verursacht. Das Qi ist nun eingeschlossen und kann nicht mehr zirkulieren, schließlich kann Kälte die Poren versiegeln, und das Qi ist nun restlos eingeschlossen und kann sich nicht mehr bewegen." (zitiert nach Lorenzen 2000 S. 151)

Das Qi staut sich nicht nur im unteren, sondern auch im oberen Erwärmer. Dadurch wird die Kommunikation zwischen oben und unten bzw. zwischen Herz und Nieren unterbrochen. Durch die Stagnation des Qi im Thorax entstehen Palpitationen und Herzsensationen, "die Ansammlung des Yin in den unteren Körperregionen führt zu Ödemen und Inkontinenz..." (Platsch 2000 S.107)

Umgekehrt kann Angst entstehen, wenn die Kommunikation von Herz und Niere gestört ist. Das ist zum Beispiel möglich wenn eine Leber-Qi-Stagnation den mittleren Erwärmer blockiert. (Platsch 2000 S.306).

2. Ein Schreck (jing) kann den Shen zerstreuen. Platsch ( 2000 S.104) und Larre/Rochat (1996 S.96) erzählten von einen sehr anschaulichen Vergleich aus China: Auf den Ästen eines Baumes sitzen viele Vögel. Der Schreck scheucht die Vögel auf und sie fliegen weg. Die Vögel symbolisieren den heiteren und gelassenen Geist Shen. Durch den Schreck wird der Shen zerstreut. Der harmonische Qi-Fluss geht verloren. Die Lebensachse Feuer-Wasser, genauer die shao-yin-Achse (Herz-Niere) kann dadurch unterbrochen werden. Nei Jing Su Wen Kap.39: "Schock entzieht dem Herzen das, auf dem es basiert, sein Geist (Shen, d.A.) kann sich nirgends hinwenden, und seine Gedanken lassen sich auf nichts ausrichten. Und so führt dies zu einem Chaos des Qi." (Übersetzung von W.Schmidt S.218)

Heftige Emotionen wie plötzliche Angst oder schockartige Freude schädigen das Herz, weil sie unter anderem auch den mit dem Dünndarm verbundenen Teil des Nervensystems angreifen (Hammer 2000 S.122). Das Nei Jing Ling Shu Kapitel 8 gibt noch eine weitere Begründung: "Angst bedingt eine Verschwendung des Geistes und dessen Verflüchtigung. Furcht, Nervosität, Denken und das Insichgehen schädigen den Geist, und das Herz beherbergt ja den Geist." (Übersetzung von W.Schmidt S.69) Umgekehrt können Herz- und Pericard-Disharmonien zu übermäßiger Angst führen, (Hammer 2002 S. 125)

Auch chronische Angst schädigt die Niere: sie steigt langsam von der Oberfläche in die Tiefe ab, dabei wird zuerst der Tai-Yang-Bereich geschädigt (BL-Dü), dann anschließend die Niere. "Die Angst wandert durch die Luo- und divergierenden Meridiane sowie durch die tieferen Bahnen des Blasen – und Nieren-Meridians." (Hammer 2002, S.122) Chronische Angst schädigt nach Hammer das Nieren-Yang zusätzlich in Verbindung mit tiefsitzender Traurigkeit. Tiefsitzende Traurigkeit schädigt das Nieren-Yin, weil sie durch fehlende Tränen den Wasserhaushalt unterdrückt. Dies führt zu Trockenheit, Trockenheit verwandelt sich in Feuer, das führt zu nervlicher Anspannung, Unruhe und Erschöpfung des Nieren-Yin.

Ein Säfteverlust kann aber auch durch eine Yang-Leere der Niere zu "kalter" Angst des Herzens führen (Platsch 2000 S.306)

Das Nei Jing Ling Shu, Kap. 8 (Übersetzung von W.Schmidt S.69) sagt zum Problem der chronischen Angst: "Eine über längere Zeit vorhaltende Angst führt zu einer Verletzung des sich regenerierenden Qi, und in einem solchen Fall wird es zu stechenden Schmerzen an den Knochen und ihren Punktstellen kommen, zu kalten (weil nicht durchbluteten, d.Ü.) und zu schwachen Füßen und (ungewollter, d.Ü.) Samenausscheidung." Diese existenzielle Angst, "die an die Nieren geht", dürfte vor allem bei Kriegs- und Katastrophentraumata von großer Bedeutung sein.

Im Körper erfolgt eine langsame Anpassung des endokrinen Systems an ständige Angst. Nach westlichen Vorstellungen wird das in erster Linie von der Nebenniere geleistet. Hammer sieht eine Ähnlichkeit der Funktionen des Nieren-Yang, bzw. des Ming-Men mit denen des Nebennierenmarks. Beide versorgen den Körper mit Vitalität und aktivieren den Stoffwechsel, nicht zuletzt auch durch die Verbindung zur Schilddrüse. Und laut Hammer funktioniert das Nieren-Yin ähnlich wie die Nebennierenrinde, beide wirkten entzündungshemmend und regulieren den Wasserhaushalt. Die Nebennierenrinde steht

mit der Hirnanhangsdrüse in Verbindung, die das gesamte endokrine System steuert. Es sind also Nieren-Yin und Nieren-Yang, die die Folgen chronischer Angst bewältigen müssen.

Angst schwächt nicht nur die Nieren, umgekehrt begünstigt eine Nieren-Schwäche das Entstehen von Angst (Hammer 2002 S.125).

 

Angst und der Funktionskreis Holz

Nei Jing Su Wen Kap. 22: "Handelt es sich bei der Lebererkrankung um eine Mangelerscheinung, wird man blind, und man kann nicht mehr hören. Dies verursacht Ängste beim Kranken, der unter Verfolgungs- und Angriffsängsten leidet. (Gemeint ist hier nicht Verfolgungswahn, Anm. des Ü. W.Schmidt S. 144) Symptome im Ohr sind auf eine Leere in der Gallenblase zurückzuführen. (Larre/Rochat 1996 S.104)

Angst kann entstehen, weil "hun" nicht ausreichend durch Yin und Blut der Leber genährt ist. (Platsch 2000 S. 306) Sind Leber und Gallenblase zu schwach, um die Kraft von "hun" in der Kraft von Analyse und Überlegung auszudrücken, wird das als eine Art Angst empfunden. (Larre/Rochat 1996 S.104) Der Betroffene ist zögerlich, furchtsam und wagt es nicht, sich zu entscheiden.

Auch "ein Mangel an Leber-Qi führt zur Gefühlsregung der Angst." (Nei Jing Ling Shu Kap.8 Übersetzung von W.Schmidt Seite 69) Die Leber ist zu schwach, sie kann nicht länger die Kommunikation zwischen Nieren-Yin und Herz-Yin unterhalten.

Fehlt das Empfinden von Angst, liegt der Grund in einer Fülle der Gallenblase. Solch ein Mangel an Angst kann lebensbedrohlich sein, weil der Mensch nicht mehr wachsam ist und Gefahr nicht mehr erkennen kann. (Larre/Rochat 1996 S.105)

 

Angst und der Funktionskreis Erde

Nieren-Yang-Mangel, der durch Angst entsteht, wärmt die Milz nicht mehr und führt zu Milz-Yang-Mangel (Platsch 2000 S. 306).

Einen weiteren Aspekt von Milz-Schädigung bringt Rochat in die Diskussion, dabei nimmt sie Bezug auf das Nei Jing Su Wen Kap.21:. Wenn ein Mensch hinfällt und dabei Muskeln oder Knochen verletzt, gibt es im Moment des Fallens eine Empfindung der Angst, die im Blut und in der Nieren-Flüssigkeit (Yin) präsent ist. Gleichzeitig verbraucht der Körper für den physischen Ausgleich Nieren- und Leber-Energie, Leber und Niere sind also doppelt belastet. Dadurch entsteht ein Leber-Blut-Mangel und das Qi steigt zu rasch nach oben zum oberen Erwärmer. Auf dem Weg dahin verletzt das Qi die Milz. (Larre/Rochat 1996 S.96) Einen weiteren Aspekt fügt sie auf Seite 99 hinzu : Wenn das Herz durch Angst geschwächt wurde, ist das Herz-Feuer unfähig, die Erde (sheng) der Milz zu produzieren und die Milz wird schwach.

- Rochat (Larre/Rochat 1996 S.94) zitiert zwei Stellen aus dem Nei Jing, die das Entstehen von Angst durch Magenprobleme erläutern:

1. Nei Jing Ling Shu Kap. 10: Dringt querlaufendem Qi in den Magenmeridian ein, dann entsteht Angst vor Holz-Instrumenten, also Angst aus dem Bereich des kontrollierenden Funktionskreises Holz.

2. Nei Jing Su Wen Kap.23: "Krankheiten der fünf Klimazustände...Der Magen erzeugt Dämpfe...es entsteht Aufstoßen und Erbrechen, was zu Angstzuständen führt." Rochat erklärt die Angst damit, dass der Magen den oberen Erwärmer und das Herz nicht unterstützt und so der Geist geschädigt wird. Auch Platsch sieht das so: Angst kann entstehen, weil ein schwacher Magen das Herz und damit den "Shen" nicht mehr ausreichend ernährt (Platsch 2000 S. 306). Und "Ist der Geist geschädigt, kann es zu wild anmutenden Angstzuständen kommen..." (Nei Jing Ling Shu Kap.8 Übersetzung von W.Schmidt Seite 69)

 

Angst und der Funktionskreis Metall

Eine Lungendysfunktion kann Angst erzeugen (Hammer 2002 S. 125). Wird nämlich das Qi in seinem Fluss blockiert oder kann die Niere das Lungen-Qi nicht mehr ergreifen und nach unter führen, so entsteht Angst, die ihren Ausdruck z.B. im Asthma findet.

Panik (jing kong) kann die Lunge schädigen, so dass sie das Qi nicht mehr beherrscht und der Rhythmus der Zirkulation gestört ist. Dadurch wird das Herz verletzt. (Nei Jing Su Wen Kap. 21, nach Larre/Rochat 1996 S. 96)

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Physiologie der Angst also alle Wandlungsphasen mit einbezieht, besonders jedoch die Yin-Anteile der Wandlungsphasen, nämlich Niere, Leber, Herz, Pericard, Milz und Lunge. Als Yang-Anteile der Wandlungsphasen sind die Blase, die Gallenblase, der Magen, der Dünndarm und der dreifache Erwärmer betroffen.

Erwähnenswert finde ich noch, dass die gegenseitige Verstärkung körperlicher (vegetativer) und psychischer Symptome der Angst durch die westliche Psychologie gut belegt ist. Die körperlich empfundene Angst wird vom Betroffenen als Gefahr wahrgenommen, dadurch verstärkt sich das Angstgefühl, welches wiederum die körperlichen Symptome verstärkt. Es entsteht ein Angstkreis. (Naturheilpraxis heute 2000 S. 1251)

 

 

 

3. Psychologische Aspekte von Angst in den Wandlungsphasen

Neben dem physiologischen Aspekt sollen nun die psychologischen und psychosomatischen Aspekte aus chinesischer und westlicher Sicht herausgearbeitet werden.

Die der Niere zugeordnete Angst verändert sich durch den Einfluss der anderen Wandlungsphasen. Lorenzen beschreibt dies in seinem Band "Wandlungsphase Wasser" (2000 S.153). Hammer ordnet in seinem Buch "Psychologie&Chinesische Medizin" (2002) den zang fu der Wandlungsphasen bis zu vier verschiedene Ängste zu, entsprechend einem jeweiligen Yin- oder Yang-Überschuss oder –Mangel.

 

3.1. Wandlungsphase Holz

Die Holz-Angst sieht Lorenzen folgendermaßen: "Die Dynamik zur Reaktion ist vermindert, man ist ängstlich, verzagt und hat nicht den Mut zur Verteidigung (Angst vor Gewalt und vor Hunden); im positiven Sinn kann aber auch ein starkes Holz seinen Mut fassen und der Furcht gegenübertreten." Er schlägt vor, über den Ke-Zyklus: "Holz-Angst mit dem Metallpunkt auf der Leber-Leitbahn (Le 4)..." zu behandeln. Im Rahmen einer Psychotherapie favorisiert Lorenzen für Holz-Angst eine "verhaltensorientierte Therapie." (Lorenzen 2000 S.153)

Leberdisharmonien zeigen sich ganz allgemein in Anspannung. "Sowohl Körper als auch Psyche sind angespannt, wobei sich die Spannung im unteren (Körper-)Bereich konzentriert." (Hammer 2002 S.207) Der Betroffene versucht immer wieder, sich aus diesem Gefängnis zu befreien, scheitert dabei jedoch, was zu wiederholten Zusammenbrüchen und Anfällen von Verzweiflung führt. Hinter diesen fruchtlosen Versuchen steht die Angst vor einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Schmerz durch emotionale oder physische Bestrafung "kann ein vorübergehendes, aber lebensrettendes Weinen hervorrufen, in dem sich die Spannung, die sich zwischen dem Streben nach Sein und der Angst vor dem Sein aufbaut, zu lösen vermag. Diese Entladung der Spannung kann die...Persönlichkeit jedoch auch mit Angst vor der Zurückweisung oder Erniedrigung assoziieren." (Hammer 2002 S.206)

Angst bei Leber-Yin-Mangel (Persönlichkeit: Rückzug ist unmöglich)

"Angst wird durch alles hervorgerufen, was der an Leber-Yin-Mangel leidende Mensch als Bedrohung seines territorial ausgerichteten Ich erlebt. Auch der leiseste Verdacht, jemand könnte versuchen, ihn zu unterwerfen, lässt in ihm Kampflust ...aufkommen." (Hammer 2002 S. 210) Oft befindet sich so jemand in permanentem Bereitschaftszustand. Er glaubt, in allen Beziehungen eine unterdrückerische Tendenz erkennen zu können. Dies führt zu dem Gefühl, verfolgt zu werden. In höherem Alter kann daraus eine paranoide Psychose (Verfolgungswahn) entstehen. Dies entspricht der Angst vor Einschränkung von außen, wie sie Riemann für den schizoiden Menschen beschreibt.

Angst bei Leber-Yin-Überschuss (mit der Persönlichkeit: Ewiger Rückzug)

"Jede Situation, in der es notwendig ist zu kämpfen, anderen gegenüber aggressiv zu sein oder äußere Kraft zu zeigen, führt bei Menschen mit Leber-Yin-Überschuss zu Angst...die größte Angst verursacht die eigene Aggressivität...Aggressionen gegen sich selbst hingegen ist für diesen Menschen akzeptabel, wenn auch nicht erwünscht." (Hammer 2002 S. 214)

Angst bei Leber-Yang-Mangel" (Persönlichkeit: passiv-aggressiv)

"Angst kann verschieden Formen annehmen, sobald einmal die Fähigkeit zur Selbstdurchsetzung unterdrückt ist. An erster Stelle steht hier die Angst vor jeder direkten Selbstbehauptung oder Aggression...weil ...(der Mensch).. eine Erniedrigung fürchtet -" ,(Hammer 2002 S.220) Eine solche Erniedrigung erfolgt zum Beispiel durch Menschen wie Eltern oder Lehrer, die einen eigentlich stärken sollten, stattdessen aber immer wieder abweisen. Hammer nennt folgende Ängste: direkte Konfrontation mit der Öffentlichkeit wie "Sprechen vor Publikum, mündliche Prüfungen, Arbeiten unter Beobachtung".

- Entschuldige bitte, dass ich auf der Welt bin! – könnte diesen Menschen auf die Stirn geschrieben sein. Da diese Menschen sich nicht direkt wehren können, entwickeln sie eine besondere Art des "passiven Widerstandes". Dieser Widerstand zeigt sich in "Manövern, die alle nur ein Ziel verfolgen: den Gegner derart zu frustrieren und zu schwächen, dass er nicht mehr direkt gegen den Täter vorgehen kann." (Hammer 2002 S.220) Hammer gibt viele plastische Beispiele für Boshaftigkeiten: Unfälle, die zufällig den Besitz des Feindes zerstören (z.B. Totalschaden an Papas Auto) Verzögerungen, das Verlegen von Gegenständen, Schuleschwänzen, Stehlen, Lügen...

Boshaftigkeiten fühlen sich nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für den Verursacher schlecht an, daraus kann ein teuflischer Kreislauf entstehen: aus dem sich Schlecht-Fühlen wird der Glaube, schlecht zu sein, das wiederum führt erneut zu Schuldgefühlen, Scham und der Angst vor dem Exponiert-Sein. Laut Hammer (2002 S. 221) ist diese Kategorie des Leber Yang-Mangels die in seiner Praxis häufigste Form eines Mangel-Zustandes. Die hier beschriebene Persönlichkeit erinnert an den depressiven Typus, wie ihn Riemann vorstellt.

Angst bei Leber-Yang-Überschuss" (Persönlichkeit: Ständig aggressiv)

Diese Menschen wirken ständig aggressiv. "Wenn Menschen mit Leber-Yang-Überschuss ihren Kopf nicht durchsetzen können, zeigen sie... Anzeichen einer Agitiertheit. Unterhalb der Oberfläche verbirgt sich jedoch in vielen Fällen eine überwältigende, reale Angst, die diese Agitiertheit nährt...Wir haben es nicht mit glücklichen, sondern mit getriebenen Menschen zu tun." (Hammer 2002 S. 225/226) Man denke dabei an die durch den zweiten Weltkrieg geprägten Menschen, die ihre tiefe Angst zum Beispiel mit "schaffe, schaffe, Häusle baue" überspielen. In meinem Bekanntenkreis gibt es jemanden, der als Zweijährige aus dem Osten Deutschlands geflohen ist und bis heute auf der Flucht zu sein scheint. Wanderungen müssen im Eiltempo absolviert werden, alle Aktivitäten werden in ständiger Hetze absolviert und nur selten gibt es einen Moment der Ruhe.

 

3.2. Wandlungsphase Feuer

"Feuer-Angst: Die Panik steht ins Gesicht geschrieben, der Shen ist in Aufruhr und agiert wahllos und hektisch, starkes Herzklopfen dominiert (Angst vor Feuer und vor Geisteskrankheit); im positiven Sinn kann allerdings ein starkes Feuer auch Klarheit und Transparenz in einer scheinbar ausweglosen Lage bringen!" (Lorenzen 2000 S. 153) Zur Behandlung der Feuer-Angst über den Ke-Zyklus wählt Lorenzen den Nieren-Punkt auf der Feuer-Leitbahn (He 3, Dü 2). Psychotherapeutische Behandlung wäre in Form von tiefenpsychologisch ausgerichteter Therapie empfehlenswert, von Therapie, die ans "Eingemachte" geht. (Lorenzen 2000 S. 153)

Angst bei Herz-Yin-Mangel (Persönlichkeit: der phantasielose Bürokrat)

Angst tritt hier verstärkt in Form einer frei flottierenden Angst auf, was Hammer mit dem Verlust der Kontrolle über diese Erregung in Zusammenhang bringt. Diese Angst kommt vor allem dann zum Vorschein, wenn frühe Entwicklungsphasen nicht zufriedenstellend abgeschlossen wurden. (Hammer 2002 S. 238) Angst kann sich auch in Form von psychosomatischen Erkrankungen ausdrücken.

"Angst kann in Verbindung mit den unzähligen Varianten des Ödipus/Elektra-Komplexes auftreten, die mit den schöpferischen Kräften der Liebe zu tun haben....In diesen Bereich fallen auch jene Ängste, die bei Jungen als "Kastrationsangst" und bei Mädchen als Angst vor dem Verlust der Liebe und des Schutzes der Mutter bekannt sind. In allen darauf folgenden Entwicklungsphasen, in denen Liebesbeziehungen eine Rolle spielen, ist das Herz-Yin gefährdet, was sich in Form einer Angst vor Zurückweisung zeigt. Angst tritt immer dann auf, wenn jene Kräfte, die einen Menschen zu einem anderen hinziehen, auf bewusster oder unbewusster Ebene wirksam sind.

Phobien richten sich gegen jede Art von emotionaler Öffnung, die mit Freude und lustvollen Empfindungen einhergeht. In gewissen Situationen kann es zu Platzangst kommen, vor allem dann, wenn der Trennungsaspekt der Erd-Energie ebenfalls beeinträchtigt ist." (Hammer 2002 S.239)

Ängste können auch in der Lebensmitte aufkommen, "wenn der Betroffene aus dem gewöhnlichen (aber zu seiner Zeit doch sehr befriedigenden) Alltag von Familie bzw. Karriere herausgerissen wird." (Hammer 2002 S.239) Diese Ängste beziehen sich auf die Zukunft und den dort liegenden Tod. "Enorme Ängste werden freigesetzt, sobald die Sicherheit, die Altbekanntes vermittelt, zu Gunsten des unfassbaren Unbekannten aufgegeben werden muss. Der Begriff "Krise" ist ein gewaltiges Understatement, wenn es um Ängste geht, die in Zeiten dieses Übergangs verheerende Dimensionen annehmen können." (Hammer 2002 S.240) In dieser Phase des Lebens ist der Mensch auf sich allein gestellt, da es in unserer westlichen Welt keine Riten mehr gibt, die den Übergang von dieser Lebensphase in die nächste begleiten und unterstützen.

Angst bei Herz-Yin-Überschuss (Persönlichkeit: Agitiertheit und Unruhe)

Menschen mit Herz-Yin-Überschuss nehmen viel mehr aus ihrer inneren und äußeren Umgebung auf als andere. Deswegen haben sie ständig Angst, verrückt zu werden, und sie haben zusätzlich Angst davor, auf andere verrückt zu wirken. Aus diesen Gründen meiden sie die Nähe anderer Menschen. "Dieses Vermeidungsverhalten kann phobische Dimensionen annehmen." (Hammer 2002 S.249)

Angst bei Herz-Yang-Mangel (Persönlichkeit: Unverwirklichte Ideen)

"Auf Grund der Unfähigkeit, die vielen kreativen Gedanken und Gefühle erfolgreich auszudrücken,... verfügt der Betroffene über eine Menge unfokussierter Energie, die er als potenziell desorganisierende Kraft in seinem Leben erlebt und die ihm Angst macht. ...Situationen, die "Ausdruck" verlangen, sowie alle Versuche, das Herz-Yang von außen oder von innen zu organisieren, dass es eine effiziente Ich-Struktur bilden kann, verursachen ebenfalls Angst, weil diese Versuche mit wiederholtem Misserfolg assoziiert werden. Ausdruck kann immer ein Gefühl der Bedrohung und Angst hervorrufen. Einen andere Ursache von Angst, die Fritz Perls beschreibt, bilden die Erregung und das hohe energetische Niveau, die aus verschiedenen Gründen nicht auf sichere, erfüllende Art und Weise verwirklicht werden können.

Mit Phobien reagieren Menschen mit Herz-Yang-Defizit auf Situationen, in denen ein konsequenter, strukturierter Ausdruck von Gedanken und Gefühlen notwendig ist und erwartet wird. Unterrichten, Sprechen vor Publikum oder Musikaufführungen führen zu Lampenfieber. In extremen Fällen können Menschen eine Aversion dagegen verspüren, ihren eigenen Namen in einem öffentlichen Rahmen bekannt zu geben, wie sie Angst haben, nicht einmal mehr den eigenen Namen richtig aussprechen zu können." (Hammer 2002 S. 255)

Abhängig von der verfügbaren Wasser-Energie kann das bis zur Depression führen. Sollte die seelische Erkrankung in Psychotische abgleiten, ist diese Form der Psychose (Involutionsspychose) mit Vorstellungen von Wertlosigkeit und einem gesteigerten Schuldgefühl verbunden.

Angst bei Herz-Yang-Überschuss (Persönlichkeit: der zwanghafte Kommunikator)

Angst entsteht, wenn dem inneren Druck, kommunizieren zu müssen, nicht entsprochen werden kann. Die Angst ist umso ausgeprägter, je stärker die unterdrückte Energie hervorbrechen will, "was bisweilen überwältigende Ausmaße annehmen kann. Der Ausdrucksdrang dieser Kraft kann manchmal dazu führen, dass einschränkend wirkende Situationen oder Orte als relativ unerträglich empfunden werden, ja, es kann zu einer Vorform von Platzangst kommen.." (Hammer 2002 S.258) Bei Menschen, die anfangs viel versprechende Leistungen bieten, deren Qualität dann aber absackt, kann ein Ich-Problem mitspielen. Die Betroffenen täuschen dann – oft unbewusst - andere und sich selbst. Diese Vortäuschung geht mit der Angst einher, entdeckt zu werden. Besonders in der Lebensmitte kann durch hohe Erwartungen und die Erkenntnis, nicht viel oder nur Mittelmäßiges erreicht zu haben, eine größere Depression entstehen. (Hammer 2002 S.259)

 

Pericard:

"Um sein Verhältnis mit der Außenwelt zu regeln, hat das Feuer seine verschiedenen Beamten und Minister, die es in "Allerweltsangelegenheiten " vertreten." (Lorenzen 1998 S.9) Der Herzbeutel muss die Energien von Holz, Erde, Metall und Wasser "bändigen und regulieren, so dass nicht mehr Energie ausströmt als aufgenommen wird....so trägt das Herzbeutel-Yin...dazu bei, die wichtigsten Versorgungslinien und Energiespeicher zu schützen, denn es wahrt die Balance zwischen Input und Output. Um uns wohl zu fühlen, und um überleben zu können, müssen wir zwischen Menschen unterscheiden, mit denen wir unser inneres Sein gefahrlos teilen können, und solchen, denen wir kein Vertrauen entgegenbringen dürfen. Dies trifft vor allem in Augenblicken des Überschusses zu, z.B. wenn wir uns verlieben, ohne darauf gefasst zu sein, wenn wir offen und von der geistigen Verwandtschaft mit andern überwältigt sind und die tief sitzende Angst vor Isolation in uns spüren." (Hammer 2002 S. 266)

"Es ist Aufgabe der Herzbeutel-Energie, sowohl Shen als auch das Herz zu nähren und zu schützen...Die Energien des Herzbeutels dienen als Nahtstelle zwischen dem kommunizierenden Ich eines Menschen und dem eines anderen Menschen. Sie sind verantwortlich für den erfolgreichen Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen, für die Qualität und Quantität des Kontaktes mit der äußeren Welt, der die individuelle Entwicklung stimuliert." (Hammer 2002 S.261) Der Pericard beschützt das Herz und "muss dabei die Bedeutung des gewünschten Kontaktes richtig einschätzen. Empfindet er das Anliegen des Besuchers als ernsthaft und aufrichtig, öffnet er die Schranke und lässt den Gast in die inneren Räume des Herz-Kaisers." (Lorenzen 1998 S.9) "Unseren Gefühlen freien Lauf zu lassen oder die Emotionen zurückzuhalten, das entscheidet das ministerielle Feuer, vertreten durch den Xin Bao Luo (Pericard, Anm. d. Verf.) und unterstützt von der Leber über die Jue Yin-Achse." (Lorenzen 1998 S.11) Der Pericard soll besonders die Emotionen Lust und Freude im Inneren "kultivieren und wohldosiert nach außen bringen." (Lorenzen 1998 S. 10)

"Während die Herz-Energien dafür sorgen, dass sich die Kinder sowohl zu Hause als auch in der Fremde, im Kindergarten und auf dem Spielplatz von neuen Menschen angezogen fühlen, entwickelt sich ihr Ich mit großer Geschwindigkeit. Parallel dazu entwickeln sich auch die Herzbeutel-Energien, die raffiniertere psychologische Strategien und damit die Bewältigung komplexer Beziehungen ermöglichen." (Hammer 2002 S. 264)

"Bietet eine direkte Kommunikation nicht genügend Sicherheit, so entwickeln sich indirekte Formen des Kontakts." (Hammer 2002 S.262) Diese dienen dem Schutz des Herzens. Sie sollen Umweltbedingungen wiederherstellen, unter denen der "kontinuierliche, sichere Kontakt mit anderen bedeutungsvollen Menschen." erhalten bleiben kann. Dazu entwickelt der Mensch diverse Strategien. "Taktiken des Energiesystems Herzbeutel, die das Überleben eines Organismus...durch "Kontakt" sicherstellen sollen, sind: Introjektion, Identifikation, Projektion, Regression, Ungeschehenmachen, Verkehrung ins Gegenteil, Wendungen gegen die eigene Person, Verleugnung sowie die raffinierteren Formen wie Verdrängung, Reaktionsbildung, Rationalisierung, Intellektualisierung und Sublimierung." (Hammer 2002 S.262)

Angst bei Herzbeutel-Yin-Mangel

Ein Mangel an Pericard-Yin zeigt sich in einem Mangel an Authentizität des Betroffenen. Psychologen nennen das die "Als-ob-Persönlichkeit". Sie ist geprägt von einer übergroßen Sorge darum, von anderen akzeptiert zu werden. "Solche Menschen sind leicht auszubeuten, denn sie wollen um jeden Preis gefallen und akzeptiert werden... Bewusste wie unbewusste Vortäuschung ist ein wichtiger Bestandteil dieses Charakters." (Hammer 2002 S.267) Das hypomanische Verhalten und das aggressive, schnelle und sich in Nebensächlichkeiten verlierende Sprechen spiegeln den verzweifelten Versuch wider, Kontakt herzustellen und aufrechtzuerhalten." (Hammer 2002 S.269)

"Die übermäßig verführerische junge Frau, deren Selbstwertgefühl durch die Gleichgültigkeit des Vaters beschädigt wurde, empfindet Angst, sobald jemand nahe genug an sie herankommt, um ihre Unsicherheit bemerken zu können. Angst tritt also dann auf, wenn das Risiko besteht, dass das Täuschungsmanöver aufgedeckt wird. Fast genauso häufig" manifestiert sich Angst, "wenn die aufsteigenden, sehnsüchtigen Herz-Energien die vor Intimität schützenden Barrieren zu durchbrechen drohen." (Hammer 2002 S.271) In der Zeit beginnender Liebesbeziehungen ist das besonders problematisch.

Wenn sich eine Phobie entwickelt, ist es die Angst vor offenen Räumen. In der Psychologie (siehe auch Riemann) entspricht dieser Charakter der hysterischen Persönlichkeit.

Angst bei Überschuss an Herzbeutel-Energie

Betroffene unterdrücken ihre Herz-Energien, sie können ihr Herz nicht öffnen und bekommen ein "verschlossenes Herz" oder ein "kaltes Herz". "Für einen Menschen mit einem Überschuss an Herzbeutel-Yin ist Liebe...eine äußerst schmerzhafte Erfahrung," (Hammer 2002 S. 272) "Da es ihnen an Intimität fehlt, fühlen sie sich leer und isoliert." (Hammer 2002 S.269) "Ihre ungewöhnlich erfolgreichen Restitutionsmanöver sind Barrieren gegen Intimität und führen zu Isolation und letzten Endes zu einer existentiellen Angst vor einer tief greifenden Entfremdung." (Hammer 2002 S.271)

Im Gegensatz zu den Herz-Yin-Mangel-Typen leiden sie an einer Phobie vor geschlossenen Räumen. "Die Angst zu fallen wird ebenfalls mit einer Dysfunktion des Herzbeutel-Yin in Zusammenhang gebracht." (Hammer 2002 S. 274)

Angst bei Herzbeutel-Yang-Mangel bzw.-Überschuss

Wenn es Betroffenen .."wieder und wieder nicht gelingt, sich selbst zu "verkaufen", so stellt sich langsam eine Angst ein, denn der Mensch mit einem Defizit ans Herzbeutel-Yang sieht sich Situationen ausgesetzt, in denen diese Art von Durchsetzungsvermögen...notwendig ist." (Hammer 2002 S. 278/279) Er ist unfähig, so bestimmt aufzutreten, dass er in ihren Zielen erfolgreich ist.

Ein Mensch mit einem Überschuss an Herzbeutel-Yang bekommt Angst, sobald er sich in Lebenssituationen befindet, in denen der Inhalt wichtiger als die äußere Form ist. Zum Beispiel werden in großen Institutionen effiziente Mitarbeiter auf Grund ihres Dienstalters in Positionen mit Entscheidungsbefugnis befördert. Dort fühlen sie sich dann überfordert, weil sie nicht die fachliche oder personalpolitische Kompetenz ausfüllen können. Angst empfinden auch manche Menschen, die plötzlich auf andere angewiesen sind, die nicht genauso penibel wie sie selbst handeln. Eine Psychose, die sich eventuell entwickelt, ist durch "zwanghaftes Verhalten und ein intensives Leeregefühl gekennzeichnet." (Hammer 2002 S. 278/280)

Dünndarm

Die Aufgaben des Dünndarms sind trennen, absorbieren und transformieren. Hammer sieht sie als Yang-Funktionen "weil für diese Arbeit eine gute funktionelle Hitze notwendig ist." (Hammer 2002 S.283) Disharmonien entstehen deswegen im wesentlichen aus Mangel oder Überschuss von Yang im Funktionskreis.

Angst bei Dünndarm-Yang-Mangel

"Ein Mensch, dem es an Dünndarm-Energie fehlt, hat Schwierigkeiten, Gedanken von Gefühlen, einen Gedanken vom anderen und ein Gefühl vom anderen zu trennen." (Hammer 2002 S.283) Diese Menschen sind desorientiert und leiden unter ständiger, charakteristischer Verwirrung, die sie in Unsicherheit und Angst stürzt. Hammer beschreibt den Fall einer 64-jährigen Künstlerin mit den Worten: "Angst war ihr Markenzeichen...Ihr Sortiermechanismus verfügte offenbar nicht über genug Kraft, um sie bei den allerbanalsten Aktivitäten zu unterstützen, z.B. wenn es galt, einen Schuh von einem anderen zu unterscheiden." (Hammer 2002 S. 285) "Diese Menschen sprechen manchmal im Schlaf und beklagen sich über Herzklopfen, Hitze und Ohrensausen, sie können an Epilepsie und Schizophrenie leiden, sofern gleichzeitig auch Schleim im Herzen vorhanden ist." (Hammer 2002 S. 284)

Angst bei Dünndarm-Yang-Überschuss

Diese Menschen beurteilen Unterschiede zu sehr nach einem Schwarz-Weiß-Schema, sie können die feinen Unterschiede nicht wahrnehmen und keine Kompromisse schließen. Sie legen die Betonung zu sehr auf Analyse und setzen nur auf Vernunft. Hammer erwähnt keine Form von Angst.

Dreifacher Erwärmer:

Seine wichtigsten Funktionen sind "Verteilung, Integration, Gleichgewicht und Homöostase." (Hammer 2002 S. 286) Der San Jiao ist "aufs Engste am Kontakt mit der Außenwelt und an Beziehungen beteiligt. Dadurch... spielt er bei der für die zwischenmenschlichen Beziehungen so wesentlichen Integrität von Grenzen eine wichtige Rolle." (Hammer 2002 S. 288)

"Der San Jiao beherrscht ...die notwendigen sozialen Beziehungen des alltäglichen Lebens... Die Fähigkeit, Kontakte aufzunehmen, den "Small Talk" zu pflegen, sich in einer Gruppe wohl zu fühlen, sind Eigenschaften, die einen gesunden San Jiao benötigen. Ein gesunder San Jiao zeigt einen Menschen, der offen, höflich, freundlich und hilfsbereit ist. Er zeigt sich in der Eigenschaft, ohne Angst auf Fremde zuzugehen und ohne Misstrauen in einer Gruppe zu interagieren... Die "äußere Schranke" (Wai Guan) kann sowohl den Kontakt nach außen hin herstellen als auch unterbinden. Ob wir uns schützen oder öffnen wollen, das entscheidet das ministerielle Feuer, vertreten durch den San Jiao und unterstützt von der Gallenblase über die Shao-Yang-Achse." (Lorenzen 1998 S.9)

Ein Mangel im Dreifachen Erwärmer stellt sich in der Persönlichkeit als ein Mangel an Integrität dar. Hammer unterscheidet hier nicht in Yin- bzw. Yang-Mangel, sondern spricht nur von einem allgemeinen Mangelzustand. "Der Prototyp ist ein Mensch, der unausgewogen, schlecht integriert und schlecht koordiniert wirkt, bei dem beträchtliche Leistungs-schwankungen besteht, der Wahrnehmungsprobleme hat und dessen zwischenmenschliche Beziehungen schwer gestört sind, vor allem dort, wo es auf den Austausch von Wärme und die Stärke der Bindung ankommt." (Hammer 2002 S. 289) Hammer beschreibt einen Fall aus seiner Praxis: einen Patienten, der "Angst vor sich selbst hatte", weil er zum einen sehr gewalttätig war, zum anderen davon überzeugt war, im Inneren ein vernünftiger, sanfter Mensch zu sein (Hammer 2002 S.290).

 

3.3. Wandlungsphase Erde

"Die Hauptaufgabe des Erde-Yin (Milz) besteht im Aufbau von Bindungen sowie in der anfänglichen Ausbildung von Grenzen, während das Erd-Yang (Magen) in erster Linie für die Reifung der Grenzsetzungen und Trennung zuständig ist." (Hammer 2002 S. 292) "Die Schwerkraft der Erde ist eine zentripedale Kraft, die von Natur aus die bindende Energie unserer Existenz darstellt." (Hammer 2002 S. 293)

Wenn ein Kind auf die Welt kommt, hat es nur wenig Erde, der Funktionskreis Erde muss sich erst entwickeln. Dabei ist das Kind auf die Erd-Energie aus seiner Umgebung angewiesen, besonders die Erd-Energie der Mutter spielt dabei eine große Rolle. Hammer (2002 S. 294) geht sogar soweit, dass er behauptet, die Möglichkeiten für eine gesunde Ich-Entwicklung werden bereits im Mutterleib gelegt. "Das Vertrauen und das Selbstwertgefühl (ich bin die Aufmerksamkeit wert), die aus einer relativ konsistenten, positiven Initiative und Reaktion der Erd-Mutter in Bezug auf ihren Sprössling bei diesen ersten Begegnungen erwachsen, führen zu einer Prägung, die im Grunde nur durch eine lebenslang wirkende andere Erfahrung zum Besseren oder Schlechteren verändert werden kann. Das Vertrauen in die Mutter ist paradoxerweise die Voraussetzung, die Menschen daran glauben lässt, dass sie diese Bindung gefahrlos auf andere ausdehnen und dadurch ihr entwicklungsmäßiges Schicksal als Erwachsene erfüllen können." (Hammer 2002 S. 293)

Nach Lorenzen (2000 S.153) braucht die Erde-Angst eine sympathische Therapeutin mit systemischen Ansätzen. Die Angst der Erde äußert sich darin, dass sich die Gedanken im Kreis drehen, "zwanghafte Besessenheit und Paranoia breiten sich aus (Angst vor Menschen, Platzangst); im positiven Sinn kann jedoch eine starke Erde durch Nachdenken auch eine Lösung aus der Angst finden!" (Lorenzen 2000 S.153) Hier unterscheidet er sich von Hammer, der diese Art der Angst in den Pericard-Bereich stellt (siehe oben).

Angst bei Mangel an Erd-Yin

Hammer (2002 S. 296) geht davon aus, dass ein Mangel an Erd-Yin schon im Mutterleib oder in der ersten Phase nach der Geburt angelegt wird. Als intrauterine Störungen können z.B. vorkommen: Erkrankungen wie Plazenta-Probleme, Traumata in der Schwangerschaft oder auch unerwünschte Schwangerschaften mit und ohne Abbruchsversuche. Deren Auswirkungen sind für den entstehenden Menschen mit gravierenden psychischen Problemen verbunden, die sich später alle in Problemen mit Bindungen an andere Menschen äußern. Hammer beschreibt Schizophrenie als das heftigste Problem, weniger gravierend nennt er die Entwicklung einer schizoiden Persönlichkeit. Störungen, die auf Säuglinge oder auf Kleinkindern einwirken, wie zum Beispiel der Verlust der Mutter in dieser Zeit, "können zur Ausbildung eines "oralen " Charakters führen". Dementsprechend sind die beschriebenen Ängste diejenigen, die schweren Persönlichkeitsstörungen zugeschrieben werden.

"Die Angst des Schizophrenen ist die Angst vor der Vernichtung." (Hammer 2002 S.302/303) Diese Angst entsteht durch den Verlust der Grenzen zwischen Realität und inneren Vorstellungen und "durch den Verlust des Gleichgewichtes zwischen inneren Energien des Körpers und den äußeren Mechanismen, die normalerweise diese Energien kontrollieren..." (Hammer 2002 S.299) Das führt zu einem Verlust der Ich-Grenzen; das, was von innen und von außen auf den Menschen einwirkt, wird miteinander verwechselt. Das beste Beispiel dafür sind Stimmen, die viele Schizophrene hören. Deswegen kommen für den Schizophrenen die "Vernichtungsdrohungen aus allen Richtungen" (Hammer 2002 S.299), besonders bedrohlich aber sind sie, wenn sie von außen zu kommen scheinen.

"Träume von Schizophrenen sind im Grunde Wachträume oder Nachtangst. Nachtangst wird definiert als Albtraum, aus dem der Träumer zwar erwacht, wobei die Angst aber bestehen bleibt. Diese Nachtängste reflektieren den Verlust der Grenzen zwischen bewusstem und Unbewusstem – zwischen Innen und außen – und den daraus resultierenden Kontrollverlust, der von Angst zu panischer Angst führt." (Hammer 2002 S.299)

Bei der paranoiden Schizophrenie, also einer Schizophrenie mit Verfolgungswahn, ist neben der Wandlungsphase Erde auch die Wandlungsphase Wasser betroffen. Das Wasser gibt die Grenzen vor, die die schwache Erde nicht aufbauen kann. Dadurch sind die Grenzen zwischen dem Inneren und Äußeren des Menschen zwar besser strukturiert, aber dafür vertauscht: das Innere wird nach außen projiziert und das Äußere als im Inneren entstanden gesehen.

Die schizoide Persönlichkeitsstörung kann durch einen Mangel an Erd- und Wasser-Energie während oder kurz nach der Schwangerschaft entstehen. Menschen mit dieser Störung charakterisiert Hammer als gleichgültig gegenüber ihren Mitmenschen, gleichgültig gegenüber Lob, Kritik und den Gefühlen anderer. Es fehlen freundliche oder zärtliche Gefühle für andere. Oft sind diese Menschen Einzelgänger. Ängste beschreibt Hammer in diesem Zusammenhang nicht.

Die "orale" Persönlichkeit entsteht, wenn ein Kind zu früh von der Person getrennt wird, die es als die Sorgende erlebt hat. Solche Menschen können nicht für sich selbst sorgen und brauchen immer jemanden, der für sie da ist. Durch Reifungsprozesse kann einen positive Entwicklung eintreten. Es kann sich daraus aber auch eine Zwangsneurose oder eine Borderline-Persönlichkeit herausbilden, die zwischen oralem und schizophrenem Charakter liegt.

Ein "oraler" Mensch hat Schwierigkeiten "Gedanken zu verdauen", er fühlt sich schnell von Informationen überschwemmt. Weiterhin zeigt sich bei ihm ein Hang zu zwanghafter, aber relativ chaotischer Sorge. (Hammer 2002 S. 311)

Angst trägt hier die zentrale Frage nach dem Überleben in sich. Sie kommt daher, dass der Mensch in ständiger Erwartung lebt, die benötigte Unterstützung zu verlieren. Weil er meist durch seine Ich-Zentriertheit die Bedürfnisse des Unterstützenden nicht wahrnehmen kann, fühlt sich der Unterstützende oft ambivalent und die Gefahr des Verlassens liegt ständig in der Luft. (Hammer 2002 S.313)

Eine weitere Angst kann entstehen, wenn "oral" geprägte Menschen ihre Bedürfnisse mit Süßigkeiten in größeren Mengen befriedigen. Milz und Bauchspeicheldrüse sind überfordert und reagieren mit einem schwankenden Zuckerspiegel. Ist der Zuckerspiegel dann zu niedrig (Hypoglykämie), führt das zu Angst, neben Lethargie, schlechter Konzentrationsfähigkeit, Erschöpfung Benommenheit und Schwäche . "Mit graduellen Unterschieden sind wir fast alle davon betroffen." (Hammer 2002 S. 311)

 

 

Angst bei Überschuss an Erd-Yin

Ein Überschuss an Erd-Yin-Energie führt laut Hammer zu einer narzistischen Persönlichkeitsstörung. Besonders oft trifft das für Einzelkinder zu, die über die natürliche Grenze hinaus in dem Glauben gelassen werden, sie wären das Zentrum des Universums. Enorme Ängste entstehen dann, wenn diese Kinder groß genug sind, um zu erkennen, das es eine zunehmende Differenz zwischen ihren Phantasien und der Realität ihrer Fähigkeiten gibt. Um sich weiter mächtig fühlen zu können, entwickeln sie enorme Fähigkeiten in der Manipulation ihrer Mitmenschen. "Jede Form von Verantwortung kann diese Angst hervorrufen, und damit auch all jene unsäglichen, komplizierten zwischenmenschlichen Machenschaften, deren einziges Ziel es ist, dieser Angst zu entrinnen...Sie schaffen es meist, in jenen Menschen, die nicht bereit sind, ihren Bedürfnissen Vorrang einzuräumen, enorme Schuldgefühle hervorzurufen. Sie entwickeln ein klammerndes Verhalten, dass am besten als "klebrig" beschreiben werden kann...", (Hammer 2002 S. 318) eine besondere Variante eines Schleimproblems der Milz.

Angst bei Erd-Yang-Mangel

Disharmonien bei der Erd-Yang-Energie führen zu Trennungsproblemen. Bei einen Mangel an Erd-Yang entsteht Trennungsangst. Meist werden die Kinder in frühester Kindheit nicht den Gefahren der Umwelt ausgesetzt. Sie haben deswegen wenig Kontakt mit Gleichaltrigen oder Erwachsenen. Auf den ersten Blick hat das Ähnlichkeit mit der Entstehung von Narzissmus. "Im Unterschied zu narzistischen Kindern sind diese Kinder nicht unbedingt zu sehr verwöhnt. Ihr Gefühl der Unzulänglichkeit resultiert im wesentlichen aus einem Mangel an Erfahrung und nicht so sehr aus einem psychologischen "Misstrauensantrag", der in einem Mangel an Erwartungen wurzelt...Diese Kinder...klammern aus Angst vor dem Unbekannten...Wenn diese Menschen stark genug dafür sind, entwickeln sie oft Zwangsvorstellungen und Phobien, um ihre Angst kontrollieren zu können, wobei die Schulphobie die früheste und auffälligste ist...Oft werden diese Menschen schizoid, bleiben distanziert und vermeiden den Kontakt mit anderen Menschen." (Hammer 2002 S. 321)

Angst bei Erd-Yang-Überschuss

Ein Überschuss an Erd-Yang entsteht dann, wenn Kinder zwar am Anfang ihres Lebens gut versorgt werden, so dass sich ihre Wasser-, Erd- und Holzphasen energetisch vollständig entwickeln konnten, sie aber zu früh aus dem Nest geworfen werden. Das Lebensmotto dieser Kinder ist dann: "Hart werden oder zugrunde gehen." Sie leben mit Verhaltensmustern, die sie gegen weitere seelische Verletzungen schützen sollen, indem sie sich enorme Macht verschaffen. "Angst wird durch Nähe, Zärtlichkeit und Wärme hervorgerufen, während Depression nur selten als Reaktion auf einen Rückschlag im Machtstreben eintritt. Die Denkprozesse sind zwanghaft, wobei Macht ein ständig wiederkehrendes Thema ist." (Hammer 2002 S. 324) Hammer beschreibt dazu sehr interessante, persönliche Erfahrungen aus seiner Kinder- und Jugendzeit. Er wuchs in New York in einem Viertel der unteren Mittelschicht auf, in dem vorwiegend irische und italienische Familien wohnten. Die Mütter hatten zu ihren Kindern meist nur bis zu einem Alter von zweieinhalb Jahren Kontakt, versorgten sie in dieser Zeit aber gut. Danach führten die Kinder ein Leben auf der Straße und in Gangs. Meist bekamen die Mütter entweder ein Kind nach dem anderen oder starben bei der Geburt und die Kinder wurden von den Geschwistern aufgezogen, bis das von der Gang übernommen wurde. Die italienischen Kinder blieben in der Familie, indem sie sich in Familiengangs organisierten und gegen andere Familiengangs um die Vorherrschaft auf der Straße kämpften.

Hammer (2002 S.325/326) erzählt dazu, ebenfalls aus persönlicher Erfahrung, von einer Art "modernem Robin Hood". Dieser Junge arbeitete zuerst als Schuhputzer und kontrollierte bald alle Schuhputzsalons im Viertel. Dank eines fotographischen Gedächtnisses und besonderer mathematischer Begabungen wurde er später im Wettgeschäft sehr erfolgreich. Mit 40 Jahren war er reich. Er war selbst nicht gewalttätig und finanziell sehr großzügig zu weniger glücklichen Menschen, die seine Macht nicht gefährdeten. Am Ende wurde er von seiner Mutter und seinem Bruder, denen er offensichtlich zuwenig misstraute, um sein ganzes "Imperium" gebracht. Neben der deutlichen Kennzeichnung eines Erd-Yang-Überschusses erscheint mir diese Geschichte als eine bemerkenswerte Illustration des amerikanischen Traums "vom Tellerwäscher zum Millionär".

 

3.4. Wandlungsphase Metall

Lorenzen beschreibt die Metall-Angst folgendermaßen: " Angst schnürt die Brust zu und löst unwillkürliche Entleerungen aus (Angst vor Versagen, vor Geistern, Prüfungsängste); im positiven Sinn kann allerdings auch ein starkes Metall durch Sammlung der Kräfte und dem Aufbau einer starken Abwehr (Struktur!) die Furcht überwinden." Zur Akupunkturbehandlung wählt man den Feuerpunkt im Metall, weil Feuer das Metall kontrolliert. Metall-Ängste brauchen eine verhaltensorientierte Therapie. (Lorenzen 2000 S.153)

In der Entwicklung vom Kind zum Jugendlichen setzt laut Hammer (2002 S.330/331) im Alter von 8 bis 10 Jahren die Einwirkung der Metallphase ein. Bei einer gesunden Entwicklung lockern sich in diesem Alter die familiären Bindungen und mit Hilfe der Metallenergie kann der Jugendliche neue, außerfamiliäre Bindungen eingehen. Es bilden sich Bindungen an Ersatzeltern wie z.B. Lehrer, Freizeitleiter/innen, Ersatzgeschwister, Spielkameraden u.ä..

Besonders erwähnt Hammer die "Kumpanei", eine kameradschaftliche Beziehung zu einer gleichaltrigen und gleichgeschlechtlichen Person. Die Blütezeit dieser Art von Beziehung sei zwischen 14 und 15 Jahren. Durch diese Entwicklung kann der Heranwachsende langsam erkennen, dass er mit seinen Problemen nicht alleine dasteht, sondern dass andere genauso oder ähnlich wie er denken und fühlen. Dadurch können auch Mitgefühl und Empathie wachsen. Die gesunde Yin-Funktion der Metallphase ist dabei eine "haltende, zentripedale Qualität, die der Beziehung Festigkeit verleiht." (Hammer 2002 S. 332) Außerdem entwickelt der Jugendliche in dieser Zeit ein Vertrauen, sich auf die eigene, innere Autorität zu verlassen und immer weniger abhängig von äußerer Autorität zu werden.

Hammer beschreibt die Pubertät unter Wandlungsphasen-Aspekten: "An dieser Entwicklung sind alle Wandlungsphase beteiligt: Das Wasser verleiht den Mut, sich Unbekanntem auszusetzen; das Holz gibt die Richtung vor; Feuer sorgt für Ausdruck und Erde für Mitgefühl. Die Yang-Energien des Metalls liefern den Impuls, neue Räume zu erobern, aber die Yin-Energien des Metalls, sofern sie zur Verfügung stehen, sorgen dafür, dass man so lange bei einer Aufgabe bleibt, bis sie einen vernünftigen Abschluss gefunden hat." (Hammer 2002 S. 335)

Die gesunden Yang-Funktionen des Metalls beschreibt Hammer als zentrifugal, "sie unterstützen die Ausdehnungs- und Ablösungstendenz und helfen, das Anhaften an Gedanken und Ansichten sowie auch an Emotionen und Menschen aufzugeben." (Hammer 2002 S. 333)

 

 

Angst bei Lungen-Yin-Mangel (Persönlichkeit: Unfähigkeit, Beziehungen zu gestalten)

"Bei Menschen, die von Anfang an keine altersgemäßen Bindungen aufbauen konnten, tritt Angst immer dann auf, wenn sie den Wunsch nach einer neuen Beziehung verspüren oder am Beginn einer neuen Beziehung stehen. Situationen, die einer Position der Stärke und Autorität oder Verhaltensweisen verlangen, die sanktionierte rechtliche Privilegien in Frage stellen oder ihnen zuwiderlaufen, führen zu Konflikten und Ängsten. Da diese Menschen aber relativ unfähig sind, starke Gefühle aufrechtzuerhalten, kann ein intensives Angstgefühl erst gar nicht aufkommen, sondern es drückt sich in körperlichen Symptomen, Vermeidungsverhalten oder unmotiviertem Irritiertsein aus." (Hammer 2002 S. 340)

Angst bei Lungen-Yin-Überschuss (Persönlichkeit: dominierend und besitzergreifend)

"Angst tritt in der Gegenwart von Personen auf, die ihre Grenzen auch angesichts der Aufdringlichkeit des Betroffenen wahren können. Da wir es hier mit einem Überschuss der schweren Yin-Energie zu tun haben, wird der Verlust der Kontrolle über andere in erster Linie als Depression und nicht so sehr als die aufwühlende Emotion der Angst erfahren." Diese Menschen sind .."in erster Linie mit sich selbst beschäftigt und stellen große Ansprüche an die Aufmerksamkeit und Vitalität anderer Menschen." (Hammer 2002 S. 345)

Angst bei Lungen-Yang-Mangel (Persönlichkeit: Energiemangel)

"Im Gegensatz zum Charakter mit Yin-Überschuss, der mit fokussierter Intensität festhält, hält ein Mensch mit Yang-Mangel fest, weil er nicht loslassen kann. Eine Erklärung dafür wäre, dass das Metall-Yang nicht stark genug ist , um das Nieren-Yang, das für die Bewältigung der existentiellen "Angst vor dem Unbekannten" verantwortlich ist, zu nähren." (Hammer 2002 S. 347) Es geht also in erster Linie um die energetische Unfähigkeit, loszulassen. Solche Menschen sind "nicht im Stande, Menschen, Gedanken und Ansichten loszulassen und klammern sich ans Bekannte." Dem entsprechend treten Ängste auf, wenn sie "altbekannte, vertraute Situationen oder Menschen verlassen müssen. Die häufigste Reaktion auf Neues ist jedoch Widerstand und nicht Angst, die im Wesentlichen nur ein Nebenprodukt des Kampfes und Konfliktes mit einer ständig Druck ausübenden Welt ist. Es treten Vermeidungsverhalten, wie z.B. scheinbare Schulphobien, und in der weiteren Entwicklung Platzangst und soziale Phobien auf. Sie können sich sowohl im sozialen als auch im kognitiven Bereich lähmend auswirken." (Hammer 2002 S.348) Der Verlust von Vertrautem kann - vor allem in jungen Jahren – zu einer Art Depression führen, die "durch eine Flachheit des Affekts und agitierte Langeweile gekennzeichnet" ist. (Hammer 2002 S. 349) Auch das Loslassen von Kummer fällt schwer; Verletzungen und Demütigungen durch andere können nur schwer verziehen werden. Diese Menschen sind oft lebenslang auf Unterstützung durch die Familie angewiesen, natürliche Entwicklungsprozesse kommen nur verzögert voran, bei vielen finden sie kaum statt. Deshalb entstehen in diesem Rahmen auch oft inzestuöse Liebesbeziehungen. Hammer zitiert eine Studie über Männer, die ihre Töchter missbrauchen. Diese Männer sind meist isolierte Einzelgänger, die sich nie "über die rudimentären Bindungen an ihre Ursprungsfamilie hinausentwickelt haben." (Hammer 2002 S. 349)

Angst bei Lungen-Yang-Überschuss (Persönlichkeit: sich treiben lassen):

"Angst kommt in intimen Situationen auf, in denen der Betroffene nicht der unmäßige, ziellos Wandernde sein kann, wie es seinem energetischen Programm entspräche." (Hammer 2002 S. 350/351) "Phobien hinsichtlich geschlossener Räume sind vorhersehbar..." (Hammer 2002 S. 352)

 

3.5. Wandlungsphase Wasser

Lorenzen (2000 S. 153) beschreibt die Wasser-Angst mit "Zittern, Panik, Eiseskälte, man ist wie paralysiert (Angst vor Wasser und im Dunkeln); im positiven Sinn kann allerdings auch ein starkes Wasser die Angst eindämmen und willentlich beeinflussen!" "Wasserängste bedürfen einer tiefenpsychologisch ausgerichteten Therapie, die ans "Eingemachte" geht, d.h. direkt die Jing-Shen-Achse berührt." (Lorenzen 2002 S. 153)

"Die Energien des Nieren-Yin spielen...eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung jener Angst, die mit einer uns tief berührenden Trennung – und der Tod ist wohl die einschneidendste Trennung – verbunden ist." (Hammer 2002 S. 16)

" Die Hitze des Nieren-Yang kontrolliert das Wasser, indem es die anderen Teile des Körpers damit >benetzt<. Das Nieren-Yin hingegen ist das Wasser selbst. Welche Bedeutung das Nieren-Yin für den gesamten Organismus hat, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass der Mensch zu über 80% aus Wasser besteht und Wasser einen essenziellen Bestandteil jedes Stoffwechselprozesses darstellt. Die Funktionen der einzelnen Körpersysteme sind von der Niere abhängig, vor allen dann, wenn ein System überarbeitet ist. So erklärt es sich, dass das Nieren-Yin zu jenen Energien zählt, die im Alter als erstes versagen." (Hammer 2002 S. 157)

"Die Fähigkeit der Phase Erde zu Bindung und Trennung hängt von der motivierenden Kraft des Nieren-Feuers (= Nieren-Yang) ab. Auf geistiger Ebene äußert sich dieser Antrieb als Motivation und Willenskraft... Von Anfang an verleiht es (das Nieren-Feuer) der >Lebenskraft< die >Kraft< und dem >Lebenswillen< den >Willen<." (Hammer 2002 S. 160) "Das Nieren-Qi ist die dynamische, kinetische Entlandung von Energien am Berührungspunkt zwischen Nieren-Yin und Nieren-Yang." (Hammer 2002 S. 162)

"Eine Komponente dieser durch die Energien des Nieren-Yang vermittelten Vorwärtsbewegung ist die angemessene Beschäftigung mit der Zukunft...In unserer Zeit ist das >prophetische< Talent vor allem bei Science-Fiction-Schriftstellern ausgeprägt, denen es in unserem wissenschaftlichen Zeitalter im Allgemeinen besser ergeht als ihren Kollegen in früheren Zeiten." (Hammer 2002 S. 161)

 

Angst bei Disharmonie der Nieren-Energie

Neben den Differenzierungen von Hammer führe ich hier auch diejenigen von Platsch mit auf. Hammer unterscheidet wie zuvor in Nieren-Yin-Mangel und -Überschuss, sowie in Nieren-Yang-Mangel und –Überschuss. Zusätzlich unternimmt Hammer hier noch eine weitere Differenzierung. Beim Nieren-Yin-Mangel unterschiedet er Persönlichkeitsstörungen mit intaktem und geschädigtem Zentralnervensystem sowie beim Nieren-Yin-Überschuss Störungen mit Dominanz der rechten und der linken Gehirnhälfte.

Platsch ( 2000 S.32) differenziert drei Reaktions-Typen der Nieren-Angst: den Yin-Leere-Typ, den Yang-Leere-Typ und den Qi-Leere-Typ der Angst.

 

Disharmoniemuster des Nieren-Yin

Der Yin-Leere-Typ der Angst zeigt wegen der Yin-Leere eine Yang-Charakter, das heißt, die Patienten reagieren mit Davon-laufen und Die-Flucht-ergreifen auf ihre Angst. "Die Angst ist zielgerichtet und kann sich als Phobie ausdrücken." (Platsch 2000 S.35) Patienten mit Yin-Leere der Angst können auch "blinde Angst" entwickeln und mit Aktionismus reagieren. Leber- oder Herz-Yang kann nach oben schlagen und sich in Aufbrausen, Reizbarkeit und Hektik oder Schwindel zeigen (Platsch 2000 S.35).

Platsch fügt seiner Beschreibung vegetativ-somatische Symptome bei: heiße Füße, schnelle Erschöpfung, die unter Umständen schon einen Jing-Mangel anzeigt, Hitze-Zeichen am Oberkörper (gerötete Wangen), Hitze der fünf Flächen, gerötete, trockene oder rissige Zunge, beschleunigter Puls (Platsch 2000 S.36).

Hammer unterscheidet noch detaillierter. Er unterscheidet Nieren-Yin-Mangel mit intaktem und gestörtem Zentralnervensystem.

Nieren-Yin-Mangel bei intaktem Zentralnervensystem (Persönlichkeit: der brutale Konkurrent)

"Ein Mensch, dessen Nieren-Yin einen genetisch bedingten Mangel aufweist, identifiziert sich nicht mit den menschlichen Werten und ethischen Grundsätzen und wird im Extremfall von seinen Mitmenschen als roh und brutal eingeschätzt....seine Philosophie ist es zu töten – sei es im wörtlichen oder im übertragenen Sinn -, bevor er selbst getötet wird." (Hammer 2002 S. 169) "Diese existentielle Haltung geht immer mit Furcht einher, die jedoch oft durch eine aggressive Pose maskiert wird und bei anderen Menschen in der Umgebung ein unangenehmes Gefühl des Eingeschüchtertseins hervorruft. Die übertriebene Zurschaustellung von Willen und Elan ist als kompensatorischer Faktor in Form eines Yang-Überschusses zu werten, der den Yin-Mangel ausgleichen soll." (Hammer 2002 S. 171) Als Beispiel dafür nennt er den brutalen Bauunternehmer, der keine Ethik im Umgang mit Natur und Mitmenschen kennt und nur seine eigenen Gesetze akzeptiert.

"Bei Menschen mit einem konstitutionell bedingten Nieren-Yin-Mangel ruft jedes Bedürfnis nach Freundschaft, Zärtlichkeit und zarten Gefühlen gegenüber einer anderen Person Angst hervor. Die Angst wird durch Freundlichkeit erzeugt, weil Freundlichkeit als Versuch zu entwaffnen erfahren wird. Die Persönlichkeit ist um die Erwartung eines Angriffs herum organisiert. Die Phobie, die in dieser Gruppe am häufigsten auftritt, ist die Angst vor jeder Art von Intimität, bei der Zärtlichkeit ins Spiel kommt." Gefahr hingegen provoziert nicht Angst, "sondern ein beträchtliches, scheinbar erstrebenswertes Gefühl der Erregung. Diese Erregung kann manchmal die einzige relativ angenehme Emotion sein, die sich solche Menschen zugestehen." (Hammer 2002 S. 172) Diese Erregungskomponente ist auf Schwache Hitze bei Yin-Mangel zurückzuführen. Es erinnert an die Adrenalin-Junkies, die immer noch einen neuen Kick suchen, indem sie sich immer neuer Gefahr aussetzen und dies anscheinend genießen.

Menschen mit den eben beschriebenen Ängsten neigen zu einem Gefühl vollkommener Isolation und ständiger Bedrohung. Eine daraus möglicherweise entstehende Psychose geht mit Wahnvorstellungen einher, die sich durch eine Bedrohung der äußeren Welt darstellt und doch nur eine Projektion der eigenen, brutalen Sicht vom Leben ist.

Nieren-Yin-Mangel bei Störung des Zentralnervensystems:

Hammer (2002 S. 174/175) ist überzeugt davon, das die folgenden Probleme mit konstitutionell bedingten Störungen des Zentralnervensystems erklärbar sind: Lernstörungen, Unfähigkeit, abstrakte Begriffe zu gebrauchen, Schizophrenie, Autismus und geistiges Zurückgebliebensein.

Angst bei Nieren-Yin-Überschuss (Persönlichkeit: Stolz auf das überlegene Gehirn)

Hammer unterteilt Persönlichkeiten mit Nieren-Yin-Überschuss in solche mit einer Dominanz der linken und der rechten Gehirnhälfte:

"Dominanz der linken Gehirnhälfte: Dieser Mensch glorifiziert die logischen, rationalen Kräfte der Vernunft und schließt dabei alle andern Erkenntnismodalitäten aus. Beziehungen gründen sich auf klar definierte, von Logik und Vernunft vorgegebene Verhaltensregeln... für diesen Menschen ist der Tod etwas Endgültiges...Da es nichts jenseits des Todes gibt, muss der Tod um jeden Preis vermieden werden. Unsere heroische, lebensrettende Medizin mit ihren Intensivstationen ist der ultimative Ausdruck dieser materialistischen, existenziellen Grundhaltung...Angst tritt immer dann auf , wenn der Betroffene mit Problemen konfrontiert ist, die sich der Logik entziehen, oder wenn er sich in einer Situation befindet, in der Unvernunft das Handeln zu bestimmen scheint. Er neigt dazu, auf soziale Situationen, die Spontaneität fördern und in denen er die Kontrolle über seine Gefühle verlieren könnte, phobisch zu reagieren..." (Hammer 2002 S. 179/180)

"Dominanz der rechten Gehirnhälfte: Dieser Mensch verherrlicht die Fähigkeiten der rechten Gehirnhälfte. Intuitive Erkenntnis oder übersinnliche Kräfte sind für ihn der einzige Weg zum Wissen...Angst provozieren alle Situationen, in denen Vernunft und Logik besonders wichtig sind. Dieser Mensch wird vor allem in solchen Situationen mit Angst reagieren, in denen andere von ihm Regelmäßigkeit und Routine ...verlangen." (Hammer 2002 S. 179/180)

 

Disharmoniemuster des Nieren-Yang

Der Yang-Leere-Typ der Angst zeigt nach Platsch eine psychische Dynamik, die beherrscht wird von Kälte: der Patient erscheint starr, gelähmt durch Kälte, die Emotionen wie eingefroren. Die Ängste sind diffus und der Patient fühlt sich ihnen hilflos ausgeliefert. Aus Angst reagieren viele Patienten nicht rechtzeitig; in diesem Fall hat sich die Angst auch schon auf die Wandlungsphase Holz ausgewirkt und den Impuls des Holzes verlangsamt (Platsch 2000 S.32).

Vegetativ-somatische Symptome sind: Kälte im ganzen Körper, besonders in der unteren Hälfte, ganz typisch: kalte Füße, Lumbalregion kalt und/oder schmerzhaft, häufiges Wasserlassen, Urin hell und klar, wenig Durst, blasse Hautfarbe, Zunge: blass, dünner, weißlicher Belag, Puls: langsam (Platsch 2000 S.32).

Angst bei Nieren-Yang-Mangel (Persönlichkeit: mangelnde Tatkraft) nach Hammer

"Angst ruft bei einem Menschen mit Nieren-Yang-Mangel jede Situation hervor, in der von ihm ein sehr ausdauerndes, aggressiv energiebetontes Verhalten oder die Übernahme von Verantwortung erwartet werden können. Er kann mit Angst auch auf Personen reagieren, die für sich einen Erfolg verbuchen konnten oder die einer Situation herbeiführen können, die ihm selbst ein Erfolgserlebnis bescheren könnte...Die Angst vor einem Misserfolg, die bereits ein kleiner Erfolg auslösen kann, reicht, um die beschriebene Form von Angst hervorzurufen. Dieses tief sitzende Gefühl der Unzulänglichkeit geht einher mit lebenslanger Angst." (Hammer 2002 S. 185)

Angst bei Nieren-Yang-Überschuss (Persönlichkeit: Wille und Antrieb)

"Im Extremfall ähnelt ein Mensch mit Nieren-Yang-Überschuss einem menschlichen Dynamo, der in seiner eigenen Aktivität seine enormen Antriebskräfte nicht vollkommen aufbrauchen kann, der andere in diese Raserei mit hineinzieht und kein Mitleid mit jenen kennt, die mit der vorgegebenen Geschwindigkeit nicht Schritt halten können....Das Ergebnis ist eine egoistische, selbstzentrierte, von sich selbst besessene, unerträglich anmaßende Persönlichkeit, die sich selbst als das Zentrum der Welt begreift und die Zentren aller anderen Selbste auslöscht." (Hammer 2002 S. 185) Diese Typen können in einer Gesellschaft zu echten Tyrannen werden und sich selbst zum Gott erheben. Hammer nennt als Beispiel Hitler.

"Angst wird durch jede Situation provoziert, die das starke Streben nach Macht, vor allen nach Macht über andere, zeitweise bremst oder erstickt. Menschen mit Nieren-Yang-Überschuss reagieren phobisch auf alle Situationen...in denen von ihnen erwartet oder verlangt wird, sich passiv oder inaktiv zu verhalten oder sich in die Routine anderer einzufügen." (Hammer 2002 S. 185)

 

Disharmoniemuster des Nieren-Qi

Nieren-Qi-Mangel nach Platsch:

Bei Nieren-Qi-Mangel kommt es zum Absinken des Qi. Dies äußert sich in Problemen der drei unteren Körperöffnungen Vagina, Urethra und Anus, es kann zu Inkontinenz kommen. Die Patienten sind ängstlich und überlassen sich ihrer Angst, sie fühlen sich von ihr "überflutet, ...die Angst wirkt grundlos, diffus und allumfassend" (Platsch 2000 S.38). Die Betroffenen können Hilfe kaum annehmen, weil das Qi zu schwach ist, "etwas zu empfangen" (Platsch 2000 S.38). Vegetativ-somatische Symptome stehen unter dem Zeichen der körperlichen Schwäche, ebenso der Puls, auch die Zunge ist schlaff und blaß, mit zunehmender Qi-Schwäche können Kältezeichen auftreten.

Angst bei Nieren-Qi-Mangel (Persönlichkeit: Mangel an Vertrauen) nach Hammer

"Einem Menschen, den an einem Mangel an Nieren-Qi leidet, fehlt es an Vertrauen und an Eigenschaften, die Vertrauen voraussetzen, wie Ehrfurcht, Demut, Akzeptanz und Hingabe. Die Antithese zu Vertrauen ist Angst, und diese Angst führt dazu, dass der Betreffende sein Leben lang alles Mögliche unternimmt, um diese Angst nicht ehrlich anerkennen zu müssen. Es handelt sich um Menschen, die Angst haben zu >sein< und die einer authentischen Konfrontation mit starken, unmittelbaren Gefühlen aus dem Weg gehen, weil ihnen der Glaube an die stille Kraft in ihnen selbst und in anderen fehlt...Das Bedürfnis nach Nähe...kann... nicht befriedigt werden. Stattdessen lebt" der Mensch "im inneren Konflikt zwischen Sehnsucht und Angst, der oft mit einem Gefühl der Leblosigkeit einhergeht...Die wesentliche Quelle für diesen Mangel an Vertrauen ist...jedoch eine unglückliche Erfahrung früh im Leben und nicht so sehr ein angeborener Nieren-Qi-Mangel." (Hammer 2002 S. 193)

Häufig ist Hammer in seiner Praxis Menschen begegnet, die diese Angst durch eine demonstrative Waghalsigkeit mildern wollen. Außerdem kann sich diese Angst in allgemeinem Unwohlsein manifestieren. Das kann durch jede zwischenmenschliche Beziehung ausgelöst werden, die Vertrauen, Glaube, Authentizität und direkte Konfrontation erfordert, besonders, wenn dabei die intimen Gefühle zum Vorschein kommen könnten.

"Bei Menschen, die in ihrem Inneren ängstlich sind, denen es an Ausgewogenheit sowie an einem Sinn für Grenzen mangelt und die keinen Zugang zu ihrer >dunklen Seite< finden, besteht immer ein gewisses Risiko, dass sie tatsächlich gewalttätig werden." (Hammer 2002 S. 194)

Angst bei Nieren-Qi-Überschuss (Persönlichkeit: rigide und konformistisch)

"Menschen mit Nieren-Qi-Überschuss sind intelligente, motivierte Menschen, die sich aus den verschiedensten Gründen mit esoterischen Lehren beschäftigen, was so weit gehen kann, dass sie ihr Leben und das anderer Menschen nur aus diesem Blickwinkel betrachten können..." Bei diesen Menschen können sich Phasen von "überschwänglicher Ehrfurcht mit einem Zustand geistiger und emotionaler Lähmung" abwechseln, wenn ihr Ich und Selbstvertrauen unterentwickelt ist und sie zusätzlich Angst haben. (Hammer 2002 S. 196)

Hammer unterscheidet den Yin-Typ, der eher "engelsgleich", passiv und friedlich ist und den Yang-Typen, der mehr zum Fanatischen tendiert. "Angst rufen Menschen und Situationen hervor, die" diesen Glauben hinterfragen oder ablehnen. "Diese Angst kann durch die Unterstützung seitens der Gruppe (der Mitgläubigen, Anm.d.A.) gemildert werden. Mit einer Phobie reagieren Menschen mit Nieren-Qi-Überschuss auf Menschen, die in einem engen Verwandtschaftsverhältnis zu ihnen stehen. Diese Menschen können (nämlich) leichter starke negativer emotionale Reaktionen auslösen, z.B. Zorn und Furcht, also Emotionen, die sich nicht mit ihrem wahnhaften Dogma, das endlose Liebe für alle fordert, vereinbaren lassen...In jedem Fall wird ein spontaner, emotionaler Kontakt mit engen Angehörigen vermieden." (Hammer 2002 S. 196) Diesem Yang-Typus begegnet man laut Hammer sehr häufig in den Medien.

Wie man feststellen konnte, lassen sich schon bei drei Autoren (Lorenzen, Hammer und Platsch) eine Menge Hinweise über verschiedene Formen der Angst in den Wandlungsphasen finden. Im folgenden Kapitel und in der Zusammenfassung möchte ich diese Beschreibungen der Ängste noch einmal verknappen und sie dann mit Riemanns westlichen Vorstellungen verbinden.

 

4. Riemanns Grundformen der Angst

4.1. Ein kosmisches Modell

Riemann hat ein Modell der menschlichen Grundängste und Grundbindungen entworfen, dass er mit dem Modell Erde-Sonne vergleicht (Riemann 1998 S.11-15). Im folgenden möchte ich dieses Modell vorstellen. Die Eckpunkte im Modell Erde-Sonne sind:

  1. Die Erde umkreist die Sonne (Revolution)
  2. Die Erde dreht sich um die eigene Achse (Rotation)

Dabei wirken

Diese vier Impulse –Revolution, Rotation, Zentripedale und Zentrifugale – müssen im Gleichgewicht sein. Nur eine Ausgewogenheit der Kräfte garantiert Ordnung, sonst drohen Zerstörung und Chaos.

Riemann sieht den Menschen als Teil dieses Sonnensystems und damit den gleichen Gesetzmäßigkeiten unterworfen. Er überträgt diese Gesetzmäßigkeiten ins Psychologische und deutet sie folgendermaßen:

Jede dieser Forderungen kann beim Menschen Angst auslösen:

So formuliert Riemann (1998 S.15) die vier Grundformen der Angst:

  1. die Angst vor der Selbsthingabe, als Ich-Verlust und Abhängigkeit erlebt;
  2. die Angst vor der Selbstwerdung, als Ungeborgenheit und Isolierung erlebt;
  3. die Angst vor der Wandlung, als Vergänglichkeit und Unsicherheit erlebt;
  4. die Angst vor der Notwendigkeit, als Endgültigkeit und Unfreiheit erlebt.

Alle möglichen Ängste sind letztlich immer Varianten dieser vier Grundängste und hängen mit den vier Grundimpulsen (Forderungen) zusammen" (Riemann 1998 S. 15). Die Ängste und Forderungen gehören zu unserem Dasein. Sie ergänzen und widersprechen sich paarweise. Der erste Widerspruch lautet: wir sollen "sowohl wir selbst werden, als uns in überindividuelle Zusammenhänge einfügen" (Riemann 1998 S. 12), der zweite: wir sollen zugleich nach Dauer und Wandel streben. Wir können nur wir Selbst werden, wenn wir uns auch als Teil einer Gemeinschaft fühlen, wir können uns nur weiter wandeln, wenn wir die Dauer kennen gelernt haben. Ein Kind kann sich zum Beispiel nur gesund weiterentwickeln, wenn es dauerhafte Zuwendung bekommt.

In diesem Wechselspiel gelten die gleichen Regeln wie im Sonnensystem: wenn alle Kräfte vorhanden und gleichgewichtig sind, erlebt der Mensch geistige und seelische Gesundheit. Dieses Gleichgewicht ist jedoch nicht statisch, im Idealfall wird es immer wieder neu hergestellt. Im Laufe unserer Entwicklung vom Neugeborenen zum alten Menschen durchlaufen wir viele Stadien, in denen die eine oder andere Kraft überwiegt. Wird die gesunde Entwicklung gestört, geraten wir unter Umständen für länger aus dem Gleichgewicht. Aus der jeweils überwiegenden Grundform der Angst kann sich eine seelische Erkrankung entwickeln, wie sie in den Formen der Schizoidie, der Depression, der Zwangsneurose oder der Hysterie beschrieben sind.

"Der in seiner Entwicklung nicht Gestörte wird im allgemeinen mit den Ängsten umgehen und sie vielleicht überwinden können...Am schwersten belastend sind Ängste, die zu früh in der Kindheit erlebt werden, in einem Alter, wo das Kind noch keine Abwehrkräfte gegen sie entwickeln konnte." (Riemann 1998 S. 16). Überschreiten die Ängste die individuell unterschiedliche Toleranzgrenze, so führt das zur seelischen Erkrankung. Bei gesunden Erwachsenen kann das zusätzlich in Ausnahmesituationen wie Katastrophen, Krieg oder sonstigen Lebensgefährdungen der Fall sein. Im Gegensatz zum Kind verfügt der Erwachsene jedoch über ein größeres Repertoire an "Antwortmöglichkeiten und Gegenkräften gegen die Angst" (Riemann 1998 S. 17) Vor allem kann er verstehen, woher seine Angst stammt, ein kleines Kind ist seiner Angst hilflos ausgeliefert, oft ohne sie zu verstehen. Es ist also vor allem die Kindheit, die den Menschen und seine Ängste entscheidend prägen. Schon in dieser Zeit entstehen die Persönlichkeiten, wie sie in den eben beschriebenen Typen vorgestellt wurden. Riemann hat daher die Kindheitsgeschichte jedes Typen eingehend beschrieben.

 

4.2. Entstehung der vier Persönlichkeitsstrukturen

Die vier Persönlichkeitsformen, die sich entwickeln können, werde ich im Folgenden, an Rieman angelehnt, zusammengefasst darstellen:

Zuviel Eigenrotation, zuwenig Revolution:

Dies führt zum schizoiden Persönlichkeitstyp. Er hat den Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit. Er hat Angst vor allem, "was seine Freiheit und Unabhängigkeit einzuschränken droht." (Riemann 1998 S.30) Konstitutionell sind diese Menschen sehr sensibel und dünnhäutig.

In der Entwicklungsgeschichte zeigt sich Ungeborgenheit in der ersten Phase nach der Geburt des Kindes. Häufig sind es unerwünschte Kinder. Ihre Mütter fühlen sich überfordert, weil sie selbst zu jung oder zu unreif sind. Oft sind Gründe für eine schizoide Entwicklung auch ein überforderndes Klima zu Hause, zu viele Reize, wechselnde Bezugspersonen, wenig einfühlsame Mütter, die in die Welt des Kleinstkindes einbrechen oder extrem instabile Umweltsituationen. "Wir können hier nur andeuten, dass die Generationen, in deren Frühzeit der Krieg fiel...gehäuft schizoide Züge aufweist: ihre Abneigung gegen familiäre Bindungen; die Neigung zu Gruppenbildungen und Massenveranstaltungen, bei denen man sich als zugehörig erleben und doch anonym bleiben kann; die Unverbindlichkeit in der Beziehung der Geschlechter" (Riemann 1998 S.39)...aber auch die gesamte Umweltsituation des westlichen Menschen wirkt sich schizoidisierend aus: die Welt gibt uns immer weniger Geborgenheit; trotz allem Komfort fühlen wir uns immer gefährdeter, wir werden reizüberflutet, die Entwicklung unseres Wissens lässt in uns ein Gefühl existentieller Bedrohtheit entstehen (Riemann 1998 S.40).

"Die positiven Seiten schizoider Menschen zeigen sich vor allem in souveräner Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, im Mut zu sich selbst, zur Autonomie des Individuums. Schizoide Menschen von Format können die Auslöser großer Umschwünge, Pioniere und Initiatoren sein...manche verstehen es auch, weise zu werden.... als Philosophen sind sie oft die lebensfernen abstrakten Denker..." (Riemann 1998 S. 56/57) Dies sind auch die Attribute, die einer Persönlichkeit der Wandlungsphase Wasser zugesprochen werden. (Lorenzen 2000 S.205) "Der Archetypus des Wassers ist der Philosoph" der schonungslos nach der Wahrheit sucht (Lorenzen 2000 S.43). Auch Beinfield/Korngold (1991) beschreiben den Philosophen als den Archetyp des Wasser. Das Ziel des Philosophen ist die Weisheit. Auf dem Weg dahin wird der Mensch als Ganzes betrachtend akzeptiert und nicht nach Gut und Böse beurteilt.

Riemann nennt eine ganze Reihe körperlicher Symptome, die bei schweren Belastungen und unbewältigten Konflikten auftreten können. Vor allem die Sinnesorgane, sowie die Organe des Kontaktes und des Austausches sind betroffen, nämlich die Haut und die Atmung. Asthmatische Beschwerden und Ekzeme, die manchmal schon sehr früh auftreten, gehören hierher, sowie Durchblutungsstörungen, Psoriasis und starkes Schwitzen. (Riemann 1998 S.47). Diese Symptome bieten dem Therapeuten der chinesischen Medizin eine gute Orientierung.

 

Zuviel Drehung um ein größeres Zentrum, zuwenig Eigendrehung (Rotation)

Dies entspricht dem depressiven Typ. Er wird getrieben von Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit, nach Aufgehobensein in der Gemeinschaft. Er hat Angst, aus dem Geborgensein herauszufallen, Angst, ein eigenständiges Ich zu werden, auch Verlustangst kann auftauchen. Konstitutionell ist solch ein Mensch von gemütshaft-gefühlswarmer Veranlagung.

Entwicklungsgeschichtlich wird dieser Typus durch Störungen in der Kleinkindphase (6 Monate bis 2 Jahre) geprägt, zum Beispiel durch Übermütter, die zuwenig kindliche Impulse der Eigenentwicklung zulassen, oder gefühlskalte Mütter, die nicht auf die Regungen ihres Kindes reagieren und unfähig sind, dem Kind Zuneigung zu zeigen. Als Überlebensstrategie passt sich dieses Kinder den erahnten Wünschen der Eltern an und lernt dadurch nicht, eigene Wünsche zu fühlen und zu entwickeln.

Das Ausweichen vor der Individuation wird vom Erwachsenen teuer bezahlt. Der Depressive muss darauf hoffen, dass seine Wünsche und Erwartungen von anderen erfüllt werden, weil er nicht wagt, sie selbst zu leben (Riemann 1998 S. 63). "Die Konflikte Depressiver drücken sich körperlich bevorzugt in Störungen des Aufnahmetraktes aus," in Affektionen des Schlundes, der Mandeln, der Speiseröhre, des Magens, sowie in Fettsucht und Magersucht, Gedächtnisschwäche (passiv-aggressive Verhaltesweisen), Lernschwierigkeiten, Müdigkeit und Teilnahmslosigkeit. (Riemann 1998 S.65/66) Nirgendwo trauen sich die Depressiven, zuzulangen, weil sie schon vorher Angst vor dem Nichterfolg und der Ablehnung durch andere haben. Angst und Angstvermeidung stehen immer im Vordergrund.

Der gesunde Mensch mit depressiven Einschlägen zeichnet sich aus durch Einfühlung und die Bereitschaft, sich seiner Mitmenschen anzunehmen. Er kann sehr fürsorglich, hilfsbereit und verstehend sein. In seinen Gefühlsbeziehungen ist er sehr anhänglich. "Ausharren und Ertragenkönnen sind Haupttugenden..."(Riemann 1998 S.104) Als Gegengewicht kann der Depressive Humor entwickeln. Außerdem findet man bei ihm oft eine große Religiosität. "Der gesunde Mensch mit depressiven Einschlägen kann in seiner Religiosität eine große Innigkeit und Tiefe erreichen, die nicht selten mystische Erlebnisse ermöglicht. Den Tod erlebt er am ehesten als Erlösung..." (Riemann 1998 S.102).

Die Beschreibung des Depressiven kommt der Charakterisierung einer Feuerpersönlichkeit nahe. "Ein gesundes Feuer vermittelt auf der emotionalen Ebene eine Wärme, bei der man sich wohl fühlt und gut aufgehoben ist." (Lorenzen 1998 S.7) "Attribute eines gesunden Feuers sind...Hingabe, Öffnung und Freude im sozialen Kontakt. Sich einem geliebten Menschen hinzugeben, in seiner Gegenwart inspiriert und fröhlich zu sein, zeigt die Kraft der Feuerenergie...." (Lorenzen 1998 S.9) Das Element Feuer ist zuständig für die Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt, für das Herstellen von Kontakt, für Offenherzigkeit und Lachen, für die Sehnsucht nach Verschmelzung. (Lorenzen 1998 S.8).

"Wenn das Feuer aus dem Gleichgewicht ist, kann die emotionale Wärme fehlen oder eine ständige Gier nach emotionaler Nähe aufkommen." (Lorenzen 1998 S.12) "Entweder zeigt sich die Liebe dann verzehrend bis zur Selbstaufgabe oder cool, distanziert, ohne Herzenswärme. Wenn das Feuer ganz verlischt, entstehen Einsamkeit, Verlassenheitsgefühle und schließlich Verzweiflung. Die Verbundenheit zu anderen ist verloren, ebenso das Gefühl, Teil eines Ganzen zu sein." (Lorenzen 1998 S. 12/13)

Chinesisch betrachtet zeigt sich in den Persönlichkeitsstrukturen von Schizoiden und Depressiven die Feuer-Wasser-Achse. Der Depressive neigt in seiner Gefühlsbetonung und seinem Wunsch nach Verschmelzung zur Feuer-Persönlichkeit, der Schizoide in seiner Nüchternheit, seiner Abgeklärtheit und seinem Wunsch nach Distanz zur Wasserpersönlichkeit.

Schizoide und Depressive zeigen deutlich die beiden Pole eines Gegensatzes. "Bedeutet dem Depressiven Nähe: Sicherheit und Geborgenheit, so dem Schizoiden: Bedrohung und Einschränkung seiner Autarkie; bedeutet dem Schizoiden Distanz: Sicherheit und Unabhängigkeit, so dem Depressiven Bedrohung und Alleingelassenwerden." (Riemann 1998 S. 61)

 

Zuwenig Fliehkraft, zuviel Schwerkraft:

Damit wird der zwanghafte Mensch beschreiben. Die zwanghafte Persönlichkeit verspürt einen starken Wunsch nach Dauer und Sicherheit. Sie hat Angst vor dem Wandel und dem Unbekannten. Konstitutionell ist diese Persönlichkeit mit einer lebhaften, motorisch-aggressiven, sexuell und allgemein expansiven Veranlagung ausgestattet, sie ist betont eigenwillig und eigenständig.

Entwicklungsgeschichtlich beginnen die Störungen in der Ablösungsphase, der "Nein"-Phase des Kindes. Zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr wird ein zu starkes Halten an Regeln erwartet, die lebhaften Impulse des Kindes werden dabei unterdrückt, meist, ohne dass das Kind eine Erklärung dafür bekommt außer: "Das darfst du nicht." Besonders eine zu rigorose, der natürlichen Entwicklung des Kindes nicht angepasste Sauberkeitserziehung wirkt sich negativ aus. Auch Geschwistergeburten in dieser Zeit sind problematisch, die Geschwister werden schon bewusst als Rivalen empfunden. Durch die ständige Einschränkung seiner lebhaften Impulse wird das Kind in seinen Empfindungen verunsichert und versucht, sie zu unterdrücken. Sind die Störungen zu stark, leben die erwachsenen Zwanghaften mit einem überwertigen Sicherheitsbedürfnis. Um Sicherheit zu erleben, (er)finden sie Zwänge, das heißt Handlungsabfolgen, die zum Beispiel einem übertriebenen Sauberkeitsbedürfnis nachkommen, und geraten in Angst, wenn sie diese Zwänge nicht ausüben können. Zudem quälen sie sich und ihre Umwelt mit dem Bemühen um äußerste Perfektion in allem, was sie tun. Zusätzlich fühlen sich diese Menschen von der Meinung der Anderen abhängig. "Das tut man nicht." "Was werden die Leute sagen..." sind typische Aussagen. (Riemann 1998 S.143) Hintergründe all dieser Zwänge ist das Meiden der lebendigen Impulse, die diese Menschen in sich tragen, der aggressiven, affektiven und sexuellen Impulse, die das Leben interessant und bunt gestalten. Schon in früher Kindheit haben sie gelernt, diese Impulse zu unterdrücken.

Gewohnheiten und liebgewordene Rituale tragen zwar auch etwas zwanghaftes an sich, werden jedoch im Gegensatz zu zwanghaften Handlungen nicht als quälend empfunden. Es gehört zu unserem Leben, dass wir uns Zeremonien, Ordnungen und Verhaltensregeln schaffen. Wenn diese allerdings ihren Sinn verlieren und sie nur noch als äußere Form existieren, kann man von Zwang reden (Riemann 1998 S. 146). "Der gesunde Mensch mit zwanghaften Strukturanteilen ist ausgezeichnet durch Stabilität, Tragfähigkeit, Ausdauer und Pflichtgefühl... Mit seiner Konsequenz, Tüchtigkeit und Zähigkeit, mit seinem Verantwortungsbewusstsein und seinem ausgeprägten Wirklichkeitssinn kann er Großes erreichen. Solidarität, Korrektheit, Zuverlässigkeit, Beständigkeit und Sauberkeit – auch im übertragenen sittlichen Sinn – gehören zu seinen Tugenden. Im Gefühl ist er eher zurückhaltend, aber dauerhaft..." (Riemann 1998 S. 154)

Die Metallpersönlichkeit der chinesischen Elementelehre steht diesem Typus am nächsten. "Das sittliche Verhalten des Wandlungsphase Metall (der Lunge) ist "Yi" Pflichtgefühl und Gerechtigkeit im Einklang mit dem vorgegebenen Wertsystem". (Lorenzen 1994 S.127, 129) Die Körperseele "Po" wohnt in der Lunge, die zum Metall gehört; sie herrscht über das Fleischliche, die Instinkte, das Triebverhalten (Lorenzen 1994 S. 160,166), also über die Impulse, die der zwanghaften Persönlichkeitsstruktur als Konstitution mitgegeben wurden. In der Wandlungsphase Metall geht es darum, Neues zu integrieren oder abzuweisen, Grenzen zu ziehen, Aufgenommenes zu strukturieren und Klarheit zu gewinnen.

 

Zuwenig Schwerkraft, zuviel Fliehkraft:

Dies führt zu hysterischen Persönlichkeit. Diese lebt mit dem Wunsch nach Veränderung, nach Wachstum und Wandel. Sie hat Angst vor Dauer, Beständigkeit und Routine. Konstitutionell wurden ihr Lebhaftigkeit und Ansprechbarkeit im Emotionalen, große Spontaneität, ein lebhafter Drang, sich mitzuteilen und oft ein angeborener Charme in die Wiege gelegt.

Entwicklungsgeschichtlich beginnt die hysterische Entfaltung zwischen dem 4.-6. Lebensjahr. In dieser Zeit hat das Kind schon viele Erfahrungen mit der Umwelt hinter sich, die ihm neue Fähigkeiten und Verhaltensmöglichkeiten gebracht haben. Es wächst langsam in die Erwachsenenwelt hinein und muss lernen, die Realität zu erkennen und mit ihr umzugehen. Dafür muss es die eigene magische Wunschwelt mit den unbegrenzten Möglichkeiten aufgeben. Jetzt braucht es erwachsene Vorbilder, an denen es sich in seiner weiteren Entwicklung orientieren kann, Vorbilder, die ihm eine positive Welt zeigen. Besonders der gleichgeschlechtliche Elternteil spielt hier eine wesentliche Rolle.

Lebt das Kind in einem chaotischen oder unstrukturierten Milieu, in einer Welt, die ihm nicht erstrebenswert erscheint, so bleibt es in seiner Entwicklung weiter unsicher, da die Vorbilder fehlen. Das führt zu einem labilen Selbstwertgefühl, das durch Kritik sehr schnell erschüttert werden kann. Daher versucht das Kind immer wieder und oft mit großem Einfallsreichtum, Situationen herzustellen, in denen es Bestätigung für sein schwaches Ego erfährt. Das kann von Menschen, die gerne im Mittelpunkt stehen, bis hin zur narzistischen, ich-verliebten Persönlichkeit führen. Wird die Realität zu anstrengend, versuchen Hysteriker, sich mit Ausflüchten, unlogischen Begründungen, Realitätsflucht und Phobien aus der Affäre zu ziehen.

Ursachen für fehlende Vorbilder können unglückliche Elternehen sein, Eltern, die mit ihrem Leben unzufrieden sind, psychisch kranke Eltern, Eltern, die ihre Kinder als Partnerersatz nehmen und Eltern mit unklaren Geschlechtsrollen. Bei letzterem haben Kinder oft Schwierigkeiten, zu ihrem eigenen Geschlecht eine positive Grundhaltung zu entwickeln. (Riemann 1998 S. 173-179)

"Ein gesunder Mensch mit hysterischen Strukturanteilen ist risikofreudig, unternehmungslustig, immer bereit, sich Neuem zuzuwenden; er ist elastisch, plastisch, lebendig, oft sprühend und mitreißend, lebhaft und spontan..."bei ihm ist immer etwas los"; er liebt alle Anfänge und ist voll optimistischer Erwartungsvorstellungen vom Leben... er ist stärker im Impulse-Setzen und Etwas-in-Gang-bringen als in der Ausdauer und geduldigen Durchführung von Geplantem....gerade seine Ungeduld, seine Neugier und Unbeschwertheit...lässt ihn manche Chance sehen und ergreifen, die anders Geartete nicht sehen oder die diesen...eine Grenze bedeuten würde." (Riemann 1998 S. 198)

Der gesunde Mensch mit hysterischen Anteilen entspricht in vielem einer durch die Wandlungsphase Holz geprägten Persönlichkeit. Dem Holz zugeordnet ist die Fähigkeit, einen Impuls zu setzen, etwas in Gang zu bringen, wie es Riemann oben ausdrückt. Das Holz "gibt die richtungsweisenden Impulse für alle anderen Organe ... Die Leber macht Pläne und entwickelt Strategien, " (Lorenzen 1992 S. 35) Der geistig-seelische Aspekt des Holzes ist die Geist-Seele "Hun". "Sie prägt den Charakter und die Persönlichkeit eines Individuums, insbesondere seine Darstellung nach außen...durch Kreativität, Phantasie und Intuition." (Lorenzen 1992 S.98)

 

 

4.3. Die Grundformen der Angst und die natürliche Ordnung

Ordnet man die vier Grundtypen von Riemann den chinesischen Wandlungsphasen zu, so fehlt auf den ersten Blick die Wandlungsphase Erde. Die Erde ist jedoch in allen anderen Wandlungsphasen präsent. Sie wirkt auf die anderen Wandlungsphasen, indem sie mit ihrer Fähigkeit des Harmonisierens bei gesunden Menschen das Gleichgewicht zwischen den Phasen herstellt und die Bindungen zwischen den Menschen gestaltet, wie es Hammer (2002) und Lorenzen (1996 S.135) beschreiben.

Hier bietet sich das chinesische Modell der natürliche Ordnung an, das die Erde in die Mitte stellt und die anderen Wandlungsphasen darum herum anordnet. Maciocia nennt es die kosmische Sequenz (Maciocia 1997 S.26). Die Erde als Mitte zeigt die grundlegende Bedeutung von Milz und Magen als Wurzel des Nach-Himmels-Qi und als Ursprung von Qi und Blut (Maciocia 1997 S.27). Sie nährt alle Organe, die Erde als Symbol für Mütterlichkeit und als "Mutter Erde" nährt das menschliche Reifen von Foetus zum erwachsenen Menschen.

 

 

 

 

Graphik: Die natürliche Ordnung und Riemanns Persönlichkeitstypen

Wenn der Mensch die gesunden Anteile aller vier Persönlichkeitsformen nach Riemann in sich vereinen kann, dann hat er seine Mitte gefunden. Lorenzen zitiert in seinem Buch zur Wandlungsphase Erde ein schönes Beispiel aus China: Der Kaiser reist am Beginn seiner Amtszeit zur entsprechenden Jahreszeit in die vier Himmelsrichtungen seines Reiches:

Er beginnt damit, dass er im Frühjahr nach Osten reist, im Sommer reist er weiter nach Süden, im Herbst nach Westen und im Winter nach Norden. "Das Zurückkehren in die Mitte (Ming Tang) signalisierte die Vollendung dieses Vereinigungsprozesses, jetzt konnte er in

Übereinstimmung zwischen Himmel und Erde sein Amt als Huang Di (Gelber Kaiser) ausüben." Erst nach dem Durchreisen aller vier Richtungen kann die Erde mit ihrer "integrativen Kraft" das Ganze zusammenhalten und verbinden. (Lorenzen (1996 S. 126) So könnte man auch die Grundformen der Angst als Stationen des Lebens sehen, die man nacheinander durchreisten muss, um seine Mitte zu finden.

Die beiden Achsen Feuer-Erde-Wasser und Holz-Erde-Metall werden jeweils durch die Erde in der Mitte verbunden. Feuer und Wasser sowie Holz und Metall stellen dabei je zwei Pole dar, die nur die Eckpunkte einer Verbindung bilden, auf denen sich die Gegensätze annähern und ergänzen können.

Die Persönlichkeitsstrukturen nach Riemann sind selten in Reinkultur anzutreffen. Vielmehr mischen sich in den meisten Menschen die Eigenschaften verschiedener Typen in unterschiedlichen Anteilen. So kann man sich auf den beiden genannten Achsen eine Annäherung der beide Gegenpole in Richtung Mitte vorstellen, durch die die Extreme einer Charakterausprägung gemildert werden. Wenn ein Charakter Übergewicht bekommt, kann die Imbalance durch den Gegenschwerpunkt austariert und ins Gleichgewicht gebracht werden.

Störungen der Mitte, der Erde, stören immer auch das Gleichgewicht der sie umgebenden Elemente. Die Harmonie kann nicht mehr zuverlässig hergestellt werden und die Bindungen können nicht aufrechterhalten werden. Die Wandlungsphase Erde ist enorm wichtig für die Entwicklung des Menschen. Besonders das Kind ist auf Erde-Energien von außen angewiesen. Chinesische Medizin und westliche Psychologie sind sich darin einig, dass die Grundlage für einen gesunden Menschen in einer starken Mitte liegen, also auch in einer gesunden Kindesentwicklung.

 

 

 

 

4.4. Ein Vergleich der Persönlichkeitsstörungen nach Hammer mit den Persönlichkeitstypen nach Riemann

Da Hammer bei seiner Beschreibung der Angst in den Wandlungsphasen differenzierte Unterscheidungen vorgenommen hat, die psychologisch sehr in die Tiefe gehen, möchte ich den Versuch wagen, sie mit den Persönlichkeitstypen von Riemann in Beziehung zu setzen, sofern Ähnlichkeiten vorhanden sind. Dazu werde ich den Ängsten nach Hammer die entsprechenden Riemannschen Persönlichkeitstypen zuordnen.

 

 

 

Persönlichkeitsstörung

nach Hammer

Persönlichkeitsstörung nach Riemann

 

Tendenz:

Wandlungsphase Holz

 

Leber-Yin Mangel: Angst vor Einschränkung

Schizoid

Leber-Yin Überschuss: Angst vor der eigenen Aggression

Depressiv

Leber-Yang Mangel: passiv-aggressives Verhalten

Depressiv

Leber-Yang-Überschuss: ständig gereizt bzw. aggressiv

Schizoid, auch zwanghaft

   

Wandlungsphase Feuer

 

Herz-Yin-Mangel: phantasieloser Bürokrat, Angst vor Zurückweisung

Zwanghaft

Herz-Yin-Überschuss: Agitiertheit, Angst, verrückt zu werden

??

Herz-Yang-Mangel: unverwirklichte Ideen

Hysterisch

Herz-Yang-Überschuss: zwanghafter Kommunikator

Depressiv

Pericard-Yin-Mangel: Als-ob-Persönlichkeit

Hysterisch

Pericard-Yin-Überschuss: Angst vor Liebe, kaltes Herz

Schizoid

Pericard-Yang-Mangel: Angst durch zuwenig Durchsetzungsvermögen

Depressiv ?

Pericard-Yang-Überschuss: äußere Form überwichtig

Zwanghaft

Dünndarm-Yang-Mangel: keine Sortierung möglich, ständige Angst

??

Dünndarm-Yang- Überschuss: Borderline-Persönlickeit, Vernunft überwertig

Schizoid

Mangel im San Jiao: Mangel an Integrität

Schizoid

   

Wandlungsphase Erde

 

Erd-Yin-Mangel: a) Angst vor der Vernichtung

b) Orale Persönlichkeit

a) Schizoid

b) Depressiv

Erd-Yin-Überschuss: narzistische Persönlichkeit

Hysterisch

Erd-Yang-Mangel: Trennungsängste

Zwanghaft oder schizoid

Erd-Yang-Überschuss: zu früh aus dem Nest geworden, machthungrig, Angst vor Liebe

Zwanghaft

   

Wandlungsphase Metall

 

Hammer: zentripedale Kraft

 

Lungen-Yin-Mangel: unfähig, Beziehungen zu gestalten, Vermeidungsverhalten

zwanghaft

Lungen-Yin-Überschuss: dominierende Persönlichkeit

Depressiv

Lungen-Yang-Mangel: Energiemangel

Schizoid

Lungen-Yang-Überschuss: sich treiben lassen

Hysterisch

   

Wandlungsphase Wasser

 

Nieren-Yin-Mangel bei intaktem ZNS: brutaler Konkurrent, Angst vor Liebe

Schizoid

Nieren-Yin-Mangel bei geschädigtem ZNS: Lernstörungen, Autismus ...

Depressiv

Nieren-Yin-Überschuss, linke Gehirnhälfte dominant: Vernunft glorifiziert

Schizoid

Nieren-Yin-Überschuss, rechte Gehirnhälfte dominant: Angst vor Routine

Hysterisch

Nieren-Yang-Mangel: mangelnde Tatkraft, Angst vor Misserfolg

Depressiv

Nieren-Yang-Überschuss: menschlicher Dynamo, a) Angst vor Einschränkung -

b) braucht Macht über andere -

c) egoistisch, selbstzentriert -

a) Hysterisch

b) Zwanghaft

c) Schizoid

Nieren-Qi-Mangel: kein Vertrauen

Schizoid

Nieren-Qi-Überschuss: Esoteriker oder Fanatiker

Depressiv

Zwanghaft

 

Es finden sich also in vier Wandlungsphasen die Tendenzen zum schizoiden, depressiven, zwanghaften oder hysterischen Charakter, nämlich in Feuer, Erde, Metall und Wasser.

Die Wandlungsphase Holz bildet die Ausnahme: Hier wechseln sich die depressiven und schizoiden Tendenzen ab. Der Leber-Yin-Mangel und der Leber-Yang-Überschuss haben beide die Tendenz zum Schizoiden, der Leber-Yin-Überschuss und der Leber-Yang-Mangel haben eine Tendenz zum Depressiven.

Schon bei der Beschreibung der Disharmonie-Muster im Holz fiel auf, dass diejenigen von Leber-Yin-Mangel und Leber-Yang-Überschuss sehr ähnlich sind, ebenso wie diejenigen von Leber-Yin-Überschuss und Leber-Yang-Mangel. Es ist klar, dass Yin-Mangel immer mit einem relativen Yang-Überschuss einhergeht und umgekehrt. Dies stimmt mit der Zuordnung zu depressiven und schizoiden Persönlichkeitstypen überein.

In den vier übrigen Wandlungsphasen trifft das jedoch nicht für Hammers Beschreibungen zu. Die Verteilung der Riemannschen Persönlichkeitstypen zeigt in den vier anderen Wandlungsphasen keine sich wiederholenden Verteilungsmuster, bis auf die schon erwähnte Tatsache, dass in den Disharmoniemustern jeder Wandlungsphase alle Typen vorkommen.

 

 

5. Zusammenfassung

Die Zusammenhänge von Angst und den chinesischen Wandlungsphasen wurden in dieser Arbeit von verschiedenen Seiten aus betrachtet. Es wurden westliche und chinesische Sichtweisen nebeneinander gestellt und Verbindungen hergestellt.

Im Kapitel Angststörungen wurde auf den Aspekt hingewiesen, dass die Symptome von Angst, die sich in westlichen Beschreibungen finden, auch in der Diagnostik der chinesischen Medizin anwendbar sind. Am Beispiel von Panikstörungen wurde gezeigt, dass die Symptome aus allen Wandlungsphasen kommen können.

"Hammers Modell der chronischen Angst" wurde vorgestellt. Darin beschreibt der Autor Wechselwirkungen zwischen den Wandlungsphasen und einer besonderen Form der Angst, die chronische Angst. Am häufigsten trat dabei die Wandlungsphase Feuer in den Vordergrund.

Im Kapitel "Ursachen von Angst" wurden einige westliche und chinesische Erkenntnisse vorgestellt. Laut einem chinesisches Modell liegen die Ursachen von Angst in Störungen der Wandlungsphasen Holz, Feuer, Erde und Wasser.

Das Kapitel "Wirkung von Angst und Schreck" erläutert die chinesische und zum Teil auch die westliche Physiologie von Angst. Als Ergebnis zeigte sich, dass Angst und Schreck auf alle Wandlungsphasen einwirken und sie in Mitleidenschaft ziehen können. Vor allem die Zang-Organe bzw. die Yin-Anteile der Wandlungsphasen sind betroffen.

Im nächsten Kapitel geht es um "Psychologische Aspekte von Angst in den Wandlungsphasen". Darin wurde die Differenzierung von Ängsten bei Yin-Mangel, Yin-Überschuss, Yang -Mangel und Yang-Überschuss der Wandlungsphasen nach Hammer vorgestellt. Hammer berücksichtigt in den Wandlungsphasen Holz, Metall und Wasser nur die Zang-Organe, in der Wandlungsphase Feuer beschreibt er auch Ängste bei Disharmonien der Fu-Organe (Dünndarm, San Jiao), in der Wandlungsphase Erde geht er von der Erd-Energie aus und differenziert nicht nach Zang und Fu. Die Beschreibungen der Ängste und ihrer psychologischen Hintergründe stellen eine erste Querverbindung von westlichen Psychologie und Psychotherapie zu chinesischer Medizin her. Sie geben Gelegenheit, aus dem reichen Erfahrungsschatz eines Psychiaters, Psychotherapeuten und chinesischen Therapeuten zu schöpfen.

Ergänzt werden die Betrachtungen durch die Erfahrungen von Lorenzen und Platsch. Lorenzen definiert Ängste, die durch den Einfluss der Wandlungsphasen gefärbt sind, Platsch konzentriert sich auf die Wandlungsphase Wasser und unterscheidet hier nach Yin-Leere, Yang-Leere und Qi-Leere der Niere.

Im dann folgenden Kapitel habe ich ein westliches Modell von Grundängsten erläutert. Der Autor Fritz Riemann hat eine Typologie mit vier Persönlichkeitsstrukturen entworfen, jedem eine Grundangst zugeordnet und diese in ein kosmisches Modell eingegliedert. Riemann hat zu jeder seiner Persönlichkeiten eine umfangreiche Kindheitsentwicklung und mögliche Störungen dieser Entwicklung beschrieben. Er stellt die These auf, dass der Mensch im seelischen Gleichgewicht ist, wenn er einen Anteil von jedem dieser Typen in sich trägt. Je mehr einer dieser Typen überwiegt, desto stärker bewegt sich der Mensch hin zum Krankhaften.

Ich habe diese Grundformen der Angst mit den Grundtypen der Wandlungsphasen in Verbindung gebracht. Dazu habe ich versucht, die Gleichgewichtsvorstellung von Riemann auf die natürliche Ordnung der Wandlungsphasen, die um die Erde herum angeordnet ist, zu übertragen. Des weiteren habe ich versucht, Übereinstimmungen zwischen Hammers und Riemanns Beschreibung der Ängste zu finden. Es gibt zwar viele Ähnlichkeiten, es lies sich jedoch keine gemeinsame Struktur herausarbeiten.

Insgesamt hat sich meine Vermutung, dass Angst nicht nur auf die Wandlungsphase Wasser beschränkt ist, sondern auch mit anderen Wandlungsphasen in vielfältige Wechselwirkung tritt, bestätigt. Es zeigte sich, dass es eine reichhaltige Palette von Ängsten gibt, die die westliche Psychologie seit circa 100 Jahren erforscht. Im Zuge des zunehmenden Bekanntheitsgrades von chinesischer Medizin in Europa und Amerika befassen sich erstmals auch westliche Autoren damit, diese Ängste in die chinesische Medizin zu integrieren.

In der chinesischen Tradition steht bis heute der Konfuzianismus mit seiner Überzeugung, dass die Interessen der Gemeinschaft über denen des Einzelnen stehen, einer chinesischen Erforschung von Individual-Ängsten im Wege. Mit der Öffnung nach Westen und dem Einzug der westlichen Medizin in die chinesischen Krankenhäuser wird es in Zukunft sicher Wege geben, Übereinstimmungen und Ergänzungen zwischen chinesischer und westlicher Behandlung von psychischen Erkrankungen zu finden. Wie meine Arbeit gezeigt hat, gibt es schon Ansätze dazu.

 

 

 

6. Literaturverzeichnis

Beinfield, Harriet und Korngold, Efrem: Between Heaven And Earth, A Guide To Chinese Medicine, New York 1991

Hammer, Leon: Psychologie & chinesische Medizin: zukunftsweisende Erkenntnisse über das energetische Zusammenspiel von Emotionen und Körperfunktionen, Sulzberg 2002

Larre, Claude und Rochat de la Vallée, Elisabeth : The Seven Emotions, Psychology And Health In Ancient China, Monkey Press Cambridge 1996

Lorenzen, Udo/Noll, Andreas: Die Wandlungsphasen der traditionellen chinesischen Medizin, Band 1, Wandlungsphase Holz, München 1992

Lorenzen, Udo/Noll, Andreas: Die Wandlungsphasen der traditionellen chinesischen Medizin, Band 2, Wandlungsphase Metall, München 1994

Lorenzen, Udo/Noll, Andreas: Die Wandlungsphasen der traditionellen chinesischen Medizin, Band 3, Wandlungsphase Erde, München 1996

Lorenzen, Udo/Noll, Andreas: Die Wandlungsphasen der traditionellen chinesischen Medizin, Band 4, Die Wandlungsphase Feuer, München 1998

Lorenzen Udo/ Noll, Andreas: Die Wandlungsphasen der traditionellen chinesischen Medizin, Band 5, Die Wandlungsphase Wasser, München 2000

Maciocia, Giovanni: Die Grundlagen der Chinesischen Medizin, Kötzing 1997

Das MSD Manual der Diagnostik und Therapie, Jahrhundertausgabe The Merck Manual, 6.Auflage, München 2000

Platsch, Klaus Dieter: Psychosomatik in der Chinesischen Medizin, Wenn Geist Essenz durchdringt, München 2000

Riemann, Fritz: Grundformen der Angst, München 1998

Schmidt, Wolfgang G.A.: Klassiker des Gelben Kaisers zur Inneren Medizin, Band 1-4 Leipzig 2001, als CD-ROM-Ausgabe veröffentlicht

Wieger, Leon: Chinese Characters, Dover Publications, 1965, aus: Lorenzen, Udo, 2000

Wilder/Ingrim: Analysis of Chinese Characters, Dover Publications, 1974, aus: Lorenzen, Udo, 2000