LIU HUA YANG, HUI MING KING

DAS BUCH VON BEWUSSTSEIN UND LEBEN

ÜBERSETZT VON L. C. LO

 

1. Aufhören des Ausströmens

Willst du vollenden den diamantnen Leib ohne Ausströmen,

Mußt du mit Fleiß die Wurzel des Bewußtseins und Lebens erhitzen.

Du mußt erleuchten das stets nahe selige Land

Und dort immer dein wahres Ich verborgen wohnen lassen.

[Die Abbildung, die im chinesischen Text hier steht, stellt den Rumpf eines Menschen dar. In der Mitte des Leibes, in dessen unterer Hälfte, ist eine Keimzelle gezeichnet, durch die das Tor des Lebens vom Tor des Bewußtseins getrennt ist. Dazwischen führt der Kanal nach außen, durch den die Lebenssäfte ausströmen].

Das feinste Geheimnis des Dao sind das Wesen und das Leben (Xing Ming). Um Wesen und Leben zu pflegen und zu schmelzen, gibt es kein besseres Mittel, als die beiden zur Einheit zurückzuführen. Die Heiligen des Altertums und hohen Weisen zeigten den Gedanken der Vereinheitung von Wesen und Leben unter Bildern der äußeren Welt; sie scheuten sich ohne Gleichnis frei heraus davon zu reden. Darum ging auf Erden das Geheimnis, beide zugleich zu pflegen, verloren. Was ich durch Bilder der Reihe nach zeige, ist nicht leichtsinnige Preisgabe von Geheimnissen. Sondern indem ich die Aufzeichnungen des Long Yan Jing über das Aufhören der Ausströmungen und die Geheimgedanken des Hua Yan Jing mit gelegentlichen Hinweisen der übrigen Sutren zusammenstelle, um sie in diese wahre Abbildung zusammen zu fassen, so begreift man, daß Bewußtsein und Leben nichts außerhalb der Keimblase sind. Warum ich dieses Bild gezeichnet, das ist, damit gleichstrebende Genossen das himmlische Triebwerk der doppelten Pflege erkennen, daß auf diese Weise der wahre Same heranreift, daß auf diese Weise das Aufhören der Ausströmungen bewirkt wird, daß auf diese Weise die Scheli herausgeschmolzen wird, daß auf diese Weise das große Dao vollendet wird.

Aber diese Keimblase ist eine unsichtbare Höhle, sie hat nicht Gestalt noch Bild. Wenn der Lebensatem sich regt, so entsteht der Keim dieser Blase, wenn er aufhört, so verschwindet sie wieder. Sie ist der Ort, der die Wahrheit birgt, der Altar, auf dem Bewußtsein und Leben hergestellt werden. Sie wird genannt: das Drachenschloß auf dem Grunde des Meeres, das Grenzgebiet der Schneeberge, der Westen, der Urpaß, das Reich der höchsten Freude, das grenzenlose Land. Alle diese vielen verschiedenen Namen bezeichnen diese eine Keimblase. Wenn ein Sterbender diese Keimstelle nicht kennt, so wird er in tausend Geburten und zehntausend Weltaltern die Einheit von Bewußtsein und Leben nicht finden.

 

 

 

Dieser Keimpunkt ist etwas Großes. Ehe dieser unser Leib von den Eltern geboren ist, zur Zeit der Empfängnis, wird zuerst dieser Keimpunkt erzeugt, und Wesen und Leben wohnen darin. Die beiden sind vermischt und bilden eine Einheit: untrennbar gemischt wie der Feuersame im Läuterofen, ein Zusammenhang von ursprünglicher Harmonie und himmlischer Gesetzmäßigkeit. Darum heißt es: "Im Zustand vor der Erscheinung gibt es einen unerschöpflichen Atem". Ferner heißt es: "Ehe die Eltern das Kind gezeugt haben, ist der Lebensatem völlig und die Leibesfrucht vollkommen." Aber wenn der Leib sich bewegt und die Fruchtblase zerreißt, ist es wie wenn man auf hohem Berg den Halt unter den Füßen verliert: mit einem Schrei stürzt der Mensch auf die Erde hinunter, und Wesen und Leben sind von da ab in zwei geteilt. Von diesem Zeitpunkt an vermag das Wesen das Leben und das Leben das Wesen nicht mehr zu sehen. Und nun nimmt das Schicksal seinen Lauf: von der Jugend geht’s zur Reife, von der Reife zum Alter, vom Alter zum Ach und Weh. Darum hat der Julai in seiner großen Barmherzigkeit das Geheimnis des Herstellens und Schmelzens bekannt werden lassen. Er lehrt den Menschen wieder in den Mutterleib einzugehen und das Wesen und das Leben des Ichs aufs neue zu schaffen, er zeigt wie Geist und Seele (Lebensatem) in diese Keimblase eintreten, sich zu einer Einheit verbinden müssen, um die wahre Frucht zu vollenden, gerade wie Same und Seele von Vater und Mutter in diese Keimblase eingingen und sich zu Einem vereinigt haben um die Leibesfrucht zu vollenden. Das Prinzip ist dasselbe. Innerhalb der Keimblase ist das Feuer des Herrschers, am Eingang der Keimblase ist das Feuer der Minister, im ganzen Leib ist das Feuer des Volkes. Wenn das Feuer des Herrschers sich äußert, so wird es von dem Feuer der Minister aufgenommen. Wenn das Feuer der Minister sich bewegt, so folgt ihm das Feuer des Volkes. Wenn die drei Feuer sich in dieser Reihenfolge äußern, so entsteht ein Mensch. Wenn die drei Feuer aber in der entgegengesetzten Reihenfolge zurückkehren, so entsteht das Dao. Darum haben bei der Keimblase, in der das Ausströmen aufhört, alle Weisen ihre Arbeit begonnen. Wenn man nicht diesen Pfad herstellt, sondern andere Dinge herstellt, so hat das keinen Nutzen. Darum bringen alle Schulen und Sekten, die nicht wissen, daß in dieser Keimblase das beherrschende Prinzip von Bewußtsein und Leben ist und die es deshalb draußen suchen, trotz aller Anstrengung es draußen zu enden, auch nichts zustande.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2. Die sechs Perioden des gesetzmäßigen Kreislaufes

Wenn man den Anfangsweg des Buddha unterscheidet,

So wird erscheinen die selige Stadt des Westens.

Nach dem gesetzmäßigen Kreislauf geht beim Einatmen die Wendung

nach dem Himmel empor,

Strömt der Atem aus, so richtet sich die Kraft der Erde zu.

Ein Zeitabschnitt besteht aus sechs Fristen,

In zwei Fristen sammelt man Moni (Sakyamuni). Das große Dao

kommt aus dem Zentrum hervor, Den Urkeim suche nicht draußen.

Die wunderbarste Wirkung des Dao ist der gesetzmäßige Kreislauf.

Was die Bewegung unerschöpflich macht, ist die Bahn.

Was die Geschwindigkeit am besten regelt, sind die Rhythmen (Gui. Was die Anzahl der Übungen am besten bestimmt, ist die Methode der Fristen (Hou).

Diese Darstellung enthält das vollständige Gesetz, und das wahre Aussehen des von Westen Kommenden (Buddha) ist darin enthalten. Die darin enthaltenen Geheimnisse zeigen, wie man den Gang in die Hand bekommt durch Aus: und Einatmen, wie der Wechsel von Abnahme und Zunahme sich im Schließen und Öffnen kundtut, wie man der wahren Gedanken bedarf, um nicht vom Wege abzukommen, wie die feste Begrenzung der Gebiete es ermöglicht, zur rechten Zeit zu beginnen und aufzuhören.

Ich opfere mich auf und diene den Menschen, indem ich diese Abbildung voll: kommen dargestellt habe, die die himmlischen Keime vollständig preisgibt, so daß jeder Laie und Weltmensch sie erlangen und es so zur Vollendung bringen kann. Aber wer nicht die rechte Beschaffenheit hat, der mag wohl etwas davon finden, aber der Himmel wird ihm sein Dao nicht gewähren. Warum nicht? Die rechte innere Beschaffenheit gehört zum Dao wie ein Flügel eines Vogels zum anderen: wenn einer fehlt, kann er auch den anderen zu nichts brauchen. Darum bedarf es der Treue und Ehrfurcht, der Güte und Gerechtigkeit und der reinen Befolgung der fünf Gebote, dann erst hat man Aussicht etwas zu erreichen. Aber alle Feinheiten und Geheimnisse sind in diesem Buch von Bewußtsein und Leben zur Überlegung und Erwägung dargeboten, so daß man alles in seiner Wahrheit erlangen kann.

 

 

 

 

 

 

 

 

3. Die zwei Kraftbahnen der Funktion und Kontrolle

Es erscheint der Weg der Zunahme und der Abnahme der Urgrenze. Vergiß nicht die weiße Bahn unterhalb des gesetzmäßigen Kreislaufs! Laß immer durch das Feuer die Höhle des Ewigen Lebens ernähren!

Ach, prüfe der leuchtenden Perle unsterbliche Grenze!

[Im Text ist hier eine weitere Abbildung, die der vorigen sehr ähnlich ist. Die Abbildung stellt noch einmal die Kraftbahnen dar, von denen die vordere, abwärts führende als Funktionsbahn (Ren), die hintere, aufwärts führende als Kontrollbahn (Du) bezeichnet ist.]

Diese Abbildung ist eigentlich dieselbe wie die vorangehenden. Der Grund, weshalb ich sie nochmals zeige, ist, damit die nach der Pflege des Dao Strebenden er: kennen, daß es im eigenen Körper einen gesetzmäßigen Kreislauf gibt. Deshalb habe ich diese Abbildung besorgt, um die Zielgenossen aufzuklären. Wenn es gelingt, diese beiden Bahnen (die funktionierende und die kontrollierende) zum durchgehend den Anschluß zu bringen, so kommen alle Kraftbahnen in Verbindung. Das Reh schläft mit der Schnauze am Schwanz, um seine kontrollierende Kraftbahn zu schließen. Der Kranich und die Schildkröte schließen ihre funktionierende Bahn. Deshalb werden diese drei Tiere wohl tausend Jahre alt. Wie viel weiter kann es der Mensch bringen! Ein Mensch, der die Pflege des Dao betreibt, den gesetzmäßigen Kreislauf in Gang bringt, um Bewußtsein und Leben kreisen zu lassen, braucht nicht zu fürchten, daß er nicht sein Leben verlängert und nicht seine Bahn vollendet.

 

4. Der Embryo des Dao

Nach dem Gesetz, doch ohne Anstrengung, muß man sich fleißig durchleuchten, Der Gestalt vergessend schau nach innen und hilf der wahren Geistesmacht. Zehn Monate steht der Embryo des Dao unter Feuer,

Nach einem Jahr werden die Waschungen und Bäder warm.

Diese Abbildung ist in der ursprünglichen Ausgabe des Long Yan Jing vorhanden. Aber die unkundigen Mönche, die den geheimen Sinn nicht erkannten und vom Embryo des Dao nichts wußten, haben aus diesem Grund den Fehler gemacht, diese Abbildung wegzulassen. Erst durch die Aufklärung von Adepten erfuhr ich, daß der Julai (Tathagata) wirkliche Arbeit am Embryo des Dao kennt. Dieser Embryo ist nichts körperlich Sichtbares, das von anderen Wesen vollendet werden könnte, sondern er ist in Wirklichkeit die geistige Atemkraft des Ichs. Erst muß der Geist in die Atemkraft (Seele) eindringen, dann umhüllt die Atemkraft den Geist. Wenn Geist und Atemkraft fest verbunden sind und die Gedanken ruhig und unbeweglich: das wird als Embryo bezeichnet. Die Atemkraft muß sich kristallisieren, dann erst wird der Geist wirkungskräftig. Darum heißt es in dem Long Yan Jing: "Mütterlich wahre man das Erwachen und Antworten." Die beiden Kräfte nähren und stärken einander, darum heißt es: "Tägliches Wachstum findet statt." Wenn die Kraft genügend stark und der Embryo rund und voll ist, so tritt er aus dem Scheitel hervor. Das ist, was genannt wird: die vollendete Gestalt, die als Embryo hervortritt und selbst sich als Sohn des Buddha erzeugt.

5. Die Geburt der Frucht

Außerhalb des Leibes gibt es einen Leib, der heißt das Buddhabild.

Der Gedanke, der mächtig ist, die Abwesenheit von Gedanken ist Bodhi.

Die tausendblättrige Lotosblume öffnet sich, verwandelt durch Atemkraft.

Hundertfältiger Glanz erstrahlt vermittelst der Kristallisation des Geistes.

Im Long Yan Chou heißt es: "Zu jener Zeit ließ der Weltherr aus seinem Haar knoten hundertfachen kostbaren Schein aufstrahlen. Inmitten des Scheines leuchtete die tausendblättrige kostbare Lotosblume auf. Und da war ein verwandelter Julai, der inmitten der kostbaren Blume saß und von dessen Scheitel zehn Strahlen weißen herrlichen Lichtes ausgingen, die allenthalben sichtbar waren. Die Menge blickte empor zu dem ausstrahlenden Licht und der Julai verkündete: "Das göttliche Zauberwort ist die Erscheinung des lichten Geistes, darum ist sein Name: Sohn des Buddha."

Wenn man die Lehre von Bewußtsein und Leben nicht vernimmt, sondern nur trocken und einsam Meditationsformeln hersagt, wie entstünde da aus dem eigenen Leib der Julai, der in dieser herrlichen Lotosblume sitzt und strahlt und in seinem Geistleib erscheint. Manche sagen, der Geist des Lichts sei eine kleine Lehre, aber wie sollte das, was man vom Weltherrn bekommt, eine kleine Lehre sein! Hiermit habe ich das tiefste Geheimnis des Long Yan verraten, um künftige Jünger zu lehren. Wer diesen Weg vernimmt, der steigt sofort auf zum dunklen Geheimnis und versinkt nicht mehr im Staub des Alltags.

 

6. Vom Festhalten des verwandelten Leibes

Jeder Teilgedanke gewinnt Gestalt und wird sichtbar in Farbe und Form.

Die Gesamtseelenkraft entfaltet ihre Spuren und wandelt sich ins Leere.

In das Sein hervorgehend und in das Nichtsein hineingehend vollendet man das wunderbare Dao. Alle geteilten Gestalten erscheinen als Körper, verbunden mit einer wahren Quelle.

 

7. Das Gesicht nach der Wand gekehrt

Die durch das Geistfeuer gebildeten Gestalten sind nur leere Farben und Formen.

Das Licht des Wesens strahlt zurück auf das Ursprüngliche, Wahre.

Der Abdruck des Herzens schwebt im Raum, rein scheint das Mondlicht.

Der Lebenskahn ist am Ufer angelangt, hell strahlt der Sonnenschein.

 

 

 

 

 

 

8. Die leere Unendlichkeit

Ohne Entstehen, ohne Vergehen,

Ohne Vergangenheit, ohne Zukunft

Ein Lichtschein umgibt die Welt des Geistes,

Man vergißt einander, still und rein, ganz mächtig und leer.

Die Leere wird durchleuchtet vom Schein des Herzens des Himmels,

Das Meerwasser ist glatt und spiegelt auf seiner Fläche den Mond

Die Wolken schwinden im blauen Raum,

Die Berge leuchten klar.

Bewußtsein löst sich in Schauen auf,

Die Mondscheibe einsam ruht.