Spuren im Schnee

 

Aspekte der Wandlungsphase Wasser im deutschen

Volksmärchen am Beispiel Schneewittchen

 

oder

 

Hätte Akupunktur tragische Ereignisse vermeiden können ?

 

 

Diplomarbeit zur dreijährigen Akupunkturausbildung von

2001 bis 2004 im Ausbildungszentrum Nord der AGTCM von

 

 

Kirsten Reinicke

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Erste Worte - Einführung in das Thema S. 1

1. Es war einmal S. 3

1.1. Therapeutische Ansätze im Märchen S. 5

2. Über ein Jahr S. 8

3. Schneewittchen aber wuchs heran S. 9

3.1. Therapeutische Ansätze im Märchen S. 11

4. Da rief sie einen Jäger S. 12

4.1. Therapeutische Ansätze im Märchen S. 15

5. Nun war das arme Kind S. 16

6. In dem Häuschen war alles klein S. 17

6.1. Therapeutische Ansätze im Märchen S. 18

7. Als es Morgen war S. 20

8. Die Königin aber S. 20

9. Und als sie sich endlich S. 21

9.1. Therapeutische Ansätze im Märchen S. 23

10. Das böse Weib aber S. 24

11. Die Königin stellte sich S. 26

12. Die Zwerglein S. 27 12.1.Therapeutische Ansätze im Märchen S. 28

13. Und die Tiere S. 29

14. Nun lag Schneewittchen S. 31

15. Zu dem Fest S. 31

15.1.Therapeutische Ansätze im Märchen S. 32

16. Ein etwas anderer Blickwinkel S. 34

Letzte Worte – Ausblendung des Themas S. 36

Literaturverzeichnis S. 37

 

Erste Worte – Einführung in das Thema

Am Ende unserer Ausbildung wartet neben der Abschlussprüfung auch das Abfassen einer Diplomarbeit auf uns.

Worüber schreiben?

Ideen tauchten auf, wurden begutachtet und für unpassend befunden. Dann erschien in der Tiefe ein Gedanke, der mich fesselte, mein Denken gefangen nahm, mich neugierig werden ließ und nicht wieder abgelegt wurde:

Im ersten Ausbildungsjahr haben wir unter anderem die fünf Wandlungsphasen besprochen. Mich hat sehr fasziniert, wie sehr sich die Grundprinzipien der Wandlungsphasen Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser und deren Beziehungen untereinander in umgangssprachlichen Ausdrücken oder Weisheiten des Volksmundes spiegeln. Einige Beispiele mögen das verdeutlichen:

Holz: Wenn wir wütend sind, läuft uns eine Laus über die Leber, die Galle kommt uns hoch ( gegenläufiges Qi, die Leber sorgt für den geschmeidigen Fluss des Qi ) oder wir spucken Gift und Galle: Zorn –

Nu - ist der emotionale Ausdruck der Wandlungsphase Holz.

Sauer macht lustig: Der saure Geschmack gehört zum Holz, Freude ist der emotionale Ausdruck der Wandlungsphase Feuer – Holz bringt im Sheng Zyklus Feuer hervor.

Feuer: Wir können unser Herz auf der Zunge tragen: Das Herz öffnet sich nach außen durch die Zunge.

Liebe geht durch den Magen: Feuer bringt Erde hervor.

Vor Freude hüpft uns das Herz im Leibe: Freude ist der emotionale Ausdruck der Wandlungsphase Feuer, das Herz ist das zugeordnete Zang.

Wir werden auf Herz und Nieren getestet: Wir werden ausgelotet bis in unsere tiefsten Tiefen ( yinigstes Yin ) und unsere höchsten Höhen

( yangigstes Yang ): Feuer – Wasser Achse

Rot ist die Liebe: Die leidenschaftliche Liebe gehört genauso zum Feuer wie die Farbe Rot.

Erde: Vor lauter Grübeln kann sich alles in unserem Bauch verknoten: Grübeln - Si - ist der emotionale Ausdruck der Wandlungsphase Erde, zuviel Grübeln verknotet das Qi.

Ärger schlägt uns auf den Magen: Cheng Zyklus – Holz überwältigt Erde.

Neues Wissen verleiben wir uns ein und müssen es dann erst einmal verdauen, bevor wir es integrieren können: Das zielgerichtete Denken – Yi – ist die geistige Qualität der Erde.

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Metall: Wenn unsere übermütigen Sprösslinge außer Rand und Band geraten, legen wir ihnen die Zügel an oder versuchen sie im Zaum zu halten: Das Pferd ist das Haustier des Metalls, die Kindheit ist dem Holz zugeordnet - Metall kontrolliert Holz.

Wenn wir Sorgen haben, fühlen wir uns nicht wohl in unserer Haut: ( finanzielle ) Sorgen –You - sind der Wandlungsphase Metall ebenso zugeordnet wie die Haut als entsprechende Körperstruktur.

Wasser: Vor Schreck gefriert uns das Blut in den Adern: Kälte ist die klimatische Energie der Wandlungsphase Wasser, Kälte beeinträchtigt das Blut. Der Schrecken – Jing – ist eine der beiden emotionalen Ausdrücke der Wandlungsphase Wasser.

Wir können uns vor Angst in die Hose machen – Angst - Kong - lässt das Qi absinken, die Niere kontrolliert die beiden unteren Yin.

Wenn jemand stirbt, tragen wir schwarze Kleidung: Der Tod wohnt in der Wandlungsphase Wasser und auch die Farbe schwarz ist hier zu Hause.

 

Ich beschloss, in meiner Diplomarbeit zu ergründen, ob sich entsprechende Zusammenhänge auch in anderem alten deutschen Kulturgut spiegeln.

Für meine Suche verfolgte ich entsprechende Spuren in den Märchen der Gebrüder Grimm. Dem ursprünglichen Plan folgend sollte jeder Wandlungsphase ein entsprechendes Märchen zugeordnet und aufgeschlüsselt werden. Schon bald musste ich erkennen, dass dieses Projekt den Rahmen dieser Arbeit gesprengt hätte. So entschied ich mich für ein Märchen: Meine Wahl fiel auf die Wandlungsphase Wasser und ihre Repräsentantin Schneewittchen.

Das Märchen wurde der Kinder- und Hausmärchensammlung des Insel Verlags, 1997, S. 300 – 311 entnommen.

In der Wandlungsphase Wasser finden wir unsere Wurzeln. Anfang und Ende unseres Lebens sind hier verankert. Die zugeordnete Jahreszeit, der Winter, spiegelt diesen Kreislauf vom Werden und Vergehen: Die Natur ruht, scheinbar leblos und erstarrt unter Schnee und Eis, aber die im Boden schlummernden Samenkörner enthalten bereits das Versprechen neuen Lebens. Sie sind darauf vorbereitet, sich im Frühjahr erneut den Weg ans Licht zu erkämpfen. Sie sind die Matrix, die Grundstruktur des Lebens in der Natur, entsprechend dem Jing, der Essenz im Menschen.

 

 

 

 

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"Der Norden bringt die Kälte hervor, Kälte ergibt das Wasser, Wasser erzeugt Salziges, und Salziges erzeugt die Nieren. Die Nieren erzeugen die Knochen und das Mark, und das Mark bringt die Leber hervor. Für den Norden ist die Kälte am Himmel, der auf der Erde das Wasser entspricht und die Knochen im Körper des Menschen, der Festigkeit ( Härte ) im Qi, unter den Zang – Organen entspricht der Norden den Nieren. Grausamkeit ist das Wesen des Nordens, seine Tugend ist die Kälte, sein Gebrauch

( oder: Anwendung ) ist die Weite und Stärke ( zang ), seine Farbe ist schwarz, seine Umwandlung besteht in der Echtheit, sein Geschöpf ist der Fisch, seine Aufgabe ist Stillstand, seine Jahreszeit ist abwerfend ( alles Erblühte z.B. stirbt, d. Ü. ), sein Wandel ist der Frost, sein Unglück ist der Hagel, sein Geschmack ist das Salzige, und sein Streben ( oder Gemütsstimmung, d. Ü. ) ist die Furcht. Furcht verwundet die Nieren, Nachdenklichkeit kann die Furcht überwinden; Kälte schädigt das Blut, Trockenheit kann die Kälte überwinden; Salziges schädigt das Blut, aber Süßes kann das Salzige überwinden. ( Nei Jing Su Wen, Kptl. 67 )

In der Arbeit werden unter anderem verschiedene Therapieansätze angesprochen. Es wurden keine vollständigen Therapiekonzepte erarbeitet, sondern nur Punkte angesprochen, die dem Kontext des Märchens zu entnehmen sind ( Ausnahme: Niere 6 ).

 

 

1. "Es war einmal

mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab, da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich: "hätt` ich ein Kind, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen." Bald darauf bekam sie ein Töchterlein, das war so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz und ward darum das Schneewittchen (Schneeweißchen) genannt. Und wie das Kind geboren war, starb die Königin."

Auch Schneewittchens Geschichte beginnt mitten im Winter. Die Verheißung neuen Lebens ist das Thema. "Weiß wie Schnee, rot wie Blut und schwarz wie Ebenholz" soll das Wunschkind der Königin sein.

Die Farbe der Wandlungsphase Wasser ist schwarz, das zugeordnete Zang ist die Niere.

Die Niere speichert die Essenz Jing, die Basis unseres Daseins. Jing besteht aus einem vorgeburtlichen und einem nachgeburtlichen Anteil.

Der vorgeburtliche Aspekt entspricht unseren genetischen Anlagen, unserer Erbenergie.

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Um neues Leben zu erschaffen, verschmelzen das Jing des Mannes und das Jing der Frau, hier symbolisiert durch den Stich mit der Nadel in den Finger.

Das Jing des Mannes ist im Samen verankert. Das Vaterprinzip entspricht der Wandlungsphase Metall. Die Farbe des Metalls ist weiß.

Das Jing der Frau ist im Blut verankert. Die Farbe des Blutes ist rot.

Damit ein neues Leben heranwachsen kann, bedarf es jetzt noch der Zustimmung des Himmels, des göttlichen Funkens, Shen.

Der gesundheitliche Zustand unserer Eltern zum Zeitpunkt der Zeugung entscheidet über Qualität und Menge unserer vorhimmlischen Essenz. Dieses Jing wiederum beinhaltet unsere Lebensspanne. Es lässt sich nicht vermehren oder auffüllen. Ist es verbraucht, dann sterben wir. Sind unsere Eltern zum Zeitpunkt der Zeugung zu alt, zu jung, krank oder schwach, werden wir unseren Lebensweg mit einer konstitutionellen

Jing-Schwäche beginnen.

Die nachhimmlische Essenz stellen wir aus Nahrung und Atemluft selber her. Milz und Lunge sind die verantwortlichen Zang. Die Synthese beginnt mit dem ersten Atemzug.

Hier haben wir die Möglichkeit, gut für uns zu sorgen, aufzubauen und Reserven anzulegen. So können wir vorgeburtliches Jing sparen und so indirekt Einfluss auf die Länge und Qualität unseres Erdendaseins nehmen und angeborene Schwächen mildern oder ausgleichen.

Jing ist verantwortlich für Wachstum, Reproduktion, Bildung von Knochen und Mark und Steuerung der Reifezyklen. Bei der Frau finden wir

7- Jahreszyklen, beim Mann beträgt ein Reifezyklus 8 Jahre. Jeweils 2x7, bzw. 2x8 Jahre bestimmt die Energie einer Wandlungsphase unsere Entwicklung, beginnend im Holzelement.

Schneewittchens Mutter stirbt direkt nach der Geburt des Mädchens.

In diesem Tod können wir ein Symbol sehen für den Übergang vom Winter zum Frühling, vom Wasser zum Holz. Tod bringt neues Leben hervor; altes Leben stirbt, nachdem es die Grundlage für neues Leben gebildet hat.

Etwas prosaischer war möglicherweise das Jing der Königin schwach und Schwangerschaft und Geburt haben es endgültig verbraucht. In diesem Fall ist zu vermuten, dass auch Schneewittchen mit einer zarten, anfälligen Konstitution zur Welt gekommen ist.

Vielleicht war auch die Erde der Mutter schwach und es kam zu einem unstillbaren Blutverlust unter der Geburt ( die Milz hält das Blut in den Gefäßen ), möglicherweise bei einer vorbestehenden Blutleere ( die Milz ist einer der Hauptfaktoren in der Blutbildung ).

 

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Wäre Hilfe möglich gewesen?

1.1. Schneewittchens Mutter in der Akupunkturpraxis – Therapeutische Ansätze im Märchen:

Das Märchen selbst gibt verschiedene therapeutische Hinweise:

Ziel der Behandlung ist die Stärkung der Königin, um ihr ein problemloses Austragen des Kindes zu ermöglichen. Nierenenergie und insbesondere Jing, Milz-Qi und Leberblut bedürfen der Unterstützung.

  1. Drei Tropfen Blut fallen in den Schnee:
  2. Der Akupunkturpunkt Niere 3 – Tai Xi – Größter Bergstrom

    " birgt das größte Potential der Nierenkraft in sich; angeborenes Vermögen ( Yuan Qi ) verbindet sich hier mit erworbenem Vermögen ( Erdepunkt ) und wird zum mächtigsten Strom, den die Akupunkturlandschaft zu bieten hat." ( Lorenzen/Noll, Die Wandlungsphase Wasser, S. 540 )

    Auf den Yin-Leitbahnen entsprechen die Erdepunkte den Yuan-Punkten. Yuan-Punkte ermöglichen direkten Zugang zum

    Yuan Qi, dem Yang-Aspekt des Jing. Hier besteht die Möglichkeit, einen geschwächten Funktionskreis gezielt wieder aufzubauen. Der Punkt Niere 3 erreicht alle Aspekte der Nierenenergie – Yin, Yang und Qi und stabilisiert das Jing.

    Niere 3 nährt die Leber: Die Leber speichert das Blut – Das Menstruationsblut entsteht aus Überschuss, der im Chong Mai gespeichert wird. Ist der Chong Mai in Fülle, fließt er über und ergießt sich in den Uterus. Das in der Leber gespeicherte Blut ist über den Chong Mai das Blut, das den Uterus empfängnisbereit macht.

    Die Leberleitbahn der Mutter ist während des ersten Schwangerschaftsmonats für die Ernährung des Embryos zuständig. Im Sheng Zyklus ist die Leber das Kind der Niere ( Yin nährt Yin ). Ein schwaches Kind wird durch Tonisierung der Mutter gestärkt.

    "Die Nieren sind Grundlage des Konzeptionsgefäßes ( Ren Mai ) und des Durchdringungsgefäßes ( Chong Mai ), die dem Uterus entspringen und entsprechend Essential Questions heißt es: Das Gefäß des Uterus verbindet sich in den Nieren."

    ( Deadman/Al-Khafaji/Baker, Großes Handbuch der Akupunktur, S.357 )

    Die Funktion von Chong Mai und Ren Mai sind Grundlage für die Fruchtbarkeit der Frau.

    Der Chong Mai, das Meer des Blutes reguliert unter anderem die Menstruation.

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    Der Ren Mai, das Meer des Yin ernährt unter anderem den Fötus und gilt daher als das Schwangerschaftsgefäß. Auch wird durch ihn die Fertilität reguliert, die wesentlich von seiner Durchgängigkeit abhängt.

    Niere 3 macht Chong Mai und Ren Mai durchgängig.

  3. Weiß wie Schnee:
  4. Hier finden wir einen Hinweis auf zwei Akupunkturpunkte:

    Nehmen wir die Farbe Weiß als Symbol für die Wandlungsphase Metall und den Schnee als Symbol für den Winter und damit für die Wandlungsphase Wasser, haben wir Metall im Wasser und damit den Metallpunkt auf der Nierenleitbahn:

    Niere 7 – Fu Liu – Wiederkehrende Strömung

    ist der Tonisierungspunkt auf der Nierenleitbahn. Der Mutter – Kindregel im Sheng Zyklus folgend unterstützt und stärkt er die Nieren.

    Schneeweiß ist ein sehr intensives, absolutes Weiß. Dieses extreme Weiß finden wir auch im Akupunkturpunkt

    Milz 3 – Tai Bai – Höchstes ( Äußerst ) Weiß

    Wie Niere 3 beinhaltet auch Milz 3 sowohl angeborenes- ( Yuan- Punkt ), als auch erworbenes Vermögen ( Erdepunkt auf einer Erdeleitbahn )

    Milz 3 tonisiert Qi und Blut.

    Er stärkt die Milz und unterstützt damit auch ihre Aufgaben während der Schwangerschaft:

    " Die Milz ist die Wurzel von Geburt und Wachstum:

    Die Milz hält den Uterus und den Fötus, sie spielt auch in der gesamten Schwangerschaft eine zentrale Rolle."

    ( Lorenzen/Noll, Die Wandlungsphase Erde, S.152 )

  5. Rot wie Blut:
  6. Auch hier verstecken sich hinter den Worten zwei therapeutische Möglichkeiten:

     

     

     

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    Milz 10 – Xue Hai – Meer des Blutes

    "Dieser Punkt ist hauptsächlich verantwortlich für die Blutregulation; er behandelt Menstruationsprobleme, reinigt das Blut, stoppt Blutungen und ist ein großes Reservoir für die Blutbildung."

    ( Lorenzen/Noll, Die Wandlungsphase Erde, S.213 )

    " Die Milz ist Ausgangspunkt der Blutproduktion, und kann sie das Ausgangssubstrat des Blutes nicht bilden, kommt es zu einem Mangel an Vitalität, zu Kälte und zunehmender Schwäche…. Das Meer des Blutes kann die blutbildende Funktion der Milz anregen und die Blutzirkulation im gesamten Körper verbessern….

    ( Müller, Den Geist verwurzeln, S. 99/100 )

    Im Deadman werden als Indikationen unter anderem angegeben:

    "Unregelmäßige Menstruation, Dysmenorrhoe, Amenorrhoe, Uterusblutung, Uterusblutung mit Klumpen, plötzliche Uterusblutung, postpartaler Qi- und Blutmangel."

    ( Deadman/Al Khafaji/Baker, Großes Handbuch der Akupunktur, S.209 )

    Chong Mai – Das Durchdringungsgefäß - Meer des Blutes

    Die außerordentlichen Meridiane spielen eine vorrangige Rolle in der vorgeburtlichen Zeit. Nach der Geburt treten sie in den Hintergrund.

    Sie helfen dann der Niere bei der Verteilung der Essenzen, versorgen Gehirn, Mark, Gallenblase, Gefäße und Uterus mit Jing und dienen unter anderem als Reservoire, die Fülle aus den Hauptmeridianen aufnehmen können. In Zeiten energetischer Leere können sie diese gespeicherte Energie zur Verfügung stellen.

    Die außerordentlichen Meridiane zirkulieren Jing durch den Körper.

    Dieser Jingspeicher kann in Zeiten großer Schwäche genutzt werden, um Patienten konstitutionell zu stärken.

    Barbara Kirschbaum beschreibt am Beispiel der Menstruation:

    "Das Zang Leber speichert Blut und kontrolliert den angemessenen Blutfluß. Das Zang Milz trägt zur Blutproduktion bei und hält das Blut in den Gefäßen… Das Zang Niere liefert die Wärme, die für den Blutfluß erforderlich ist und reguliert die Qualität des Körpersaftes Blut. Der Chong Mai kontrolliert indessen alle diese Funktionen, d.h. jeden Aspekt der einzelnen Zang. ( Kirschbaum, Die 8 außerordentlichen Gefäße in der traditionellen chinesischen Medizin, S. 19 )

    .

    "…, daß die Reservoirfunktion bei Du Mai, Ren Mai und Chong Mai am ausgeprägtesten vorhanden ist. Sie speichern sowohl Jing als auch Yin, Yang und Blut. Von den 8 außerordentlichen Gefäßen sind sie diejenigen, die am meisten stärkend und kräftigend wirken."

    ( Kirschbaum, Die 8 außerordentlichen Gefäße in der traditionellen chinesischen Medizin, S. 32 )

     

     

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    Weitere Aspekte des Chong Mai im Hinblick auf die Schwangerschaft wurden bereits angesprochen.

    Der mit dem Chong Mai gekoppelte Yin Wei Mai tonisiert unter anderem Blut nach schweren Blutverlusten und kommt bei Wochenbettdepressionen zum Einsatz.

    Um den Chong Mai zu öffnen, werden der Öffnungspunkt Milz 4 und der Kopplungspunkt Pericard 6 genadelt.

  7. Schwarz wie Ebenholz

Über die Hinweise Schwarz ( Farbe der Wandlungsphase Wasser ) und Holz erhalten wir Wasser im Holz und damit den Akupunkturpunkt

Leber 8 – Qu Quan – Quelle an der Krümmung

Leber 8 ist der Tonisierungspunkt der Leberleitbahn. Er stärkt das Leber-Qi, nährt das Leberblut und fördert die Zirkulation von Qi und Blut.

Bei Lorenzen und Noll wird als Indikation unter anderem Stimulierung der Progesteronbildung genannt. Damit gewinnt der Punkt an Bedeutung in den ersten Monaten der Schwangerschaft.

 

 

2. " Über ein Jahr

nahm sich der König eine andere Gemahlin. Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermütig und konnte nicht leiden, dass sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel, wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie:

"Spieglein, Spieglein an der Wand,

wer ist die schönste im ganzen Land ?"

So antwortete der Spiegel:

"Frau Königin, Ihr seid die schönste im Land."

Da war sie zufrieden, denn sie wusste, dass der Spiegel die Wahrheit sagte."

Ein Jahr nach dem Tod von Schneewittchens Mutter nimmt sich der König eine neue Frau.

Diese Frau macht ihren Selbstwert an ihrer Schönheit fest. Hier duldet sie niemanden neben sich. Im Austausch mit ihrem Spiegel muss sie sich immer wieder die Bestätigung ihrer Einzigartigkeit holen. Das Ohr ist das Sinnesorgan der Wandlungsphase Wasser. Und so hört die Königin lange Zeit die erhoffte Antwort auf die Frage nach "der Schönsten im Land".

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Der Blick in den Spiegel gibt ihr die Möglichkeit, ein Bild von sich zu erhalten. Sie kann auf diesem Weg in Kontakt mit sich selbst treten, Zwiesprache halten mit ihrem Abbild. So kann der Spiegel hier Symbol sein für die Innere Stimme, die Verbindung zum Unterbewusstsein.

Was die Königin sieht, bzw. welche Geschichte der Spiegel ihr erzählt,

hängt von ihrer Erwartung, ihrem Wollen ab.

Zhi, der Wille ist der Shen-Aspekt, die geistig seelische Qualität der Wandlungsphase Wasser. In ihrem Yang-Aspekt ist die Willenskraft

"stets auf ein Ziel ausgerichtet. Es geht um aktives Wollen und Umsetzen. Der Wille ist an einem gewünschten Ergebnis orientiert… Natürlich ist er oft mit den eigenen Interessen verknüpft und dient so dem Ich-bezogenen

Bewusstsein, dem was die Psychologie und die Mystik als Ego bezeichnen." ( Platsch, Psychosomatik in der Chinesischen Medizin, S. 15 )

Diese Art des Willens treibt die Königin immer wieder vor den Spiegel.

Vielleicht hilft sie auch durch Kosmetika oder andere Manipulationen nach, um dem Spiegel das gewünschte Resultat zu entlocken. Die moderne Variante, den Willen auf diese Art ein- und umzusetzen, um dem natürlichen Prozess des Alterns ein Schnippchen zu schlagen wäre das Facelifting.

"Der Yinaspekt des Willens ist mit einem inneren Lauschen verbunden….

Seine inneren Impulse spüren und dem Willen seiner inneren Stimme folgen können." ( Platsch, Psychosomatik in der Chinesischen Medizin, S.15 )

Dieser Aspekt des Willens ist ein eher absichtsloses Wollen, das die Ziele der Seele, der höchsten inneren Führung verfolgt. Er wird von der Königin vernachlässigt. Sie ist nicht bereit, sich der inneren Führung anzuvertrauen, dem Fluss der Zeit mit seinen Veränderungen zu folgen. Sie braucht die Sicherheit unvergänglicher Schönheit, die sie mit aller Willenskraft durchzusetzen versucht. Angst vor Alter, Sterben und Tod kann eine mögliche Triebfeder ihres Handelns sein.

 

3. " Schneewittchen aber wuchs heran

und wurde immer schöner, und als es sieben Jahre alt war, war es so schön wie der klare Tag und schöner als die Königin selbst. Als diese einmal ihren Spiegel fragte:

"Spieglein, Spieglein an der Wand,

wer ist die schönste im ganzen Land ?"

So antwortete er:

"Frau Königin, Ihr seid die schönste hier,

aber Schneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr."

Da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor Neid. Von Stund an, wenn sie Schneewittchen erblickte, kehrte sich ihr Herz im Leibe herum, so haßte sie das Mädchen. Und der Neid und Hochmut wuchsen wie ein Unkraut in ihrem Herzen immer höher, dass sie Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte."

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Lange hat die Königin mit ihrem Willen das Alter bezwingen-, sich ihre einzigartige Schönheit erhalten können. Nun erscheint eine Rivalin auf dem Spielfeld, die nicht nur ebenbürtig, sondern gleich tausendmal schöner ist. Diese vom Spiegel verkündete Wahrheit bewirkt großes Erschrecken bei der Königin. Schrecken – Jing – ist eine der beiden Emotionen, die der Wandlungsphase Wasser zugeordnet sind.

"Schock ( Schreck ) entzieht dem Herzen das, auf dem es basiert, sein Geist kann sich nirgends hinwenden, und seine Gedanken lassen sich auf nichts ausrichten. Und so führt dies zu einem Chaos des Qi." ( Nei Jing Su Wen, Kptl. 39 )

Ein Schreck kann uns bis ins Mark erschüttern, er geht uns an die Nieren, fährt uns in die Knochen, weiß der Volksmund. Das heißt, durch Erschrecken werden wir im tiefsten Inneren erschüttert, unsere Lebenskraft wird angegriffen, es wird an unseren Wurzeln gerüttelt.

Genau dieses Bild malt uns das Märchen: Ruhelosigkeit plagt die Königin bei Tag und bei Nacht.

Möglicherweise litt die Königin aber auch schon vor diesem Schreckenstag an einer beginnenden Nieren-Yin-Leere. Triebfeder für den ständigen Austausch mit dem Spiegel wäre dann Angst vom Yin-Leeretyp gewesen.

Angst - Kong - ist die zweite Emotion der Wandlungsphase Wasser.

" Die Yinleere der Niere äußert sich zunächst in einem relativen Überschuss des Nierenyang, d.h. dieser Angsttyp zeigt Yangcharakter. Die Angst ist zielgerichtet und kann sich als Phobie ausdrücken, als Angst vor etwas. Patienten mit einer Yinleere der Niere können auch eine Art blinde Angst entwickeln, die dann haltlos in wilden Aktionismus umschlagen kann." ( Platsch, Psychosomatik in der Chinesischen Medizin, S. 35 )

Ein schwaches Nierenyin kann das Herzyin nicht mehr ausreichend nähren, das Herzyang wird nicht mehr genügend gekühlt, Schlaflosigkeit und Ruhelosigkeit sind mögliche Resultate.

In beiden Fällen ( Beschwerden durch Schreck, Nieren-Yin-Leere ) kommt es zu einer Störung der Feuer–Wasserachse, der Verbindung zwischen tiefstem Yin ( Wasser ) und höchstem Yang ( Feuer ). Schrecken kann zu einer vorübergehenden Trennung der Feuer-Wasserachse führen.

Manchmal kann man sich sogar "zu Tode erschrecken", d.h. die Trennung von Feuer und Wasser bleibt bestehen und wenn Yin und Yang sich trennen, bedeutet das Tod.

Neid und Begierde sind Charaktereigenschaften der Wandlungsphase Wasser. Neid impliziert Missgunst: Die Königin kann nicht akzeptieren, dass Schneewittchen Schönheit im Übermaß besitzt. Diese Schönheit glaubt sie zum Überleben zu benötigen und sie allein will über dieses besondere Privileg der Dominanz auf dem Schönheitssektor verfügen.

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Neid verbraucht Energie. Die ganze Willenskraft wird in diesem Fall darauf ausgerichtet, die begehrte Schönheit und damit auch Sicherheit zurückzuerlangen.

Andere Gedanken, Lebenspläne, Ziele werden nicht zugelassen.

Aus dem Neid resultiert hier Hass, eine der Gefühlserregungen der Wandlungsphase Wasser.

Hass ist ein Raum einnehmendes Gefühl und lässt alle anderen Emotionen in den Hintergrund treten. Hass füllt vollkommen aus und geht in seiner Destruktivität bis zum gedachten oder gelebten Wunsch, den Gegner zu vernichten, auszulöschen. Wir können abgrundtief oder bodenlos hassen sagt der Volksmund und erläutert damit, wie tief dieses Gefühl uns in unseren Grundfesten berühren kann.

" Diese Unzulänglichkeit ist oft nur Ausdruck einer Nieren-Yin- oder Essenzschwäche, die sich durch den intensiven Hass ( Ausdruck des Nieren-Yang ) noch verstärkt." ( Lorenzen/Noll, Die Wandlungsphase Wasser, S.160 )

3.1. Die Königin in der Akupunkturpraxis – Therapeutische Ansätze im Märchen

1. Niere 6 – Zhao Hai – Leuchtendes Meer

Niere 6 tonisiert das Nieren-Yin.

" Als Einschaltpunkt des Yin Qiao Mai bezieht sich dieser Punkt zurück

auf eine die Leitbahn stützende tiefere Schicht, die der

außerordentlichen Gefäße. Sie stellen gegenüber den normalen Leitbahnen ein Meer, ein größeres Reservoir an Kräften dar,… Deshalb kann zuviel Yang im Sinne von Aktivität durch Niere 6 ausgeglichen werden, indem das Yin im Sinne von Entspannung und Flüssigkeiten aus dem Meer des Yin Qiao Mai gestärkt wird." ( Müller, Den Geist verwurzeln, S. 179 )

" Nach Zhen Jiu Zi Sheng Jing behandelt Niere 6 Schreckhaftigkeit und Kummer der Frauen." ( Lorenzen/Noll, Die Wandlungsphase Wasser, S.156 )

Nach Maciocia "beruhigt Niere 6 über die Nährung des Yin auch den

Geist im Fall von Ängstlichkeit und Ruhelosigkeit aufgrund eines

primären Yin-Mangels." ( Maciocia, Die Grundlagen der Chinesischen Medizin, S.445 )

2. Die Königin wird gelb und grün vor Neid – hier gibt das Märchen einen

Hinweis auf die Auswirkungen des Geschehens auf andere Wandlungsphasen und damit auch auf Heilungswege:

Gelb ist die Farbe der Wandlungsphase Erde. Im Ke Zyklus kontrolliert

die Erde das Wasser.

Überdominantes Wasser kann im pathologischen Wu Zyklus seinen

Kontrolleur verspotten und in die Erde einbrechen. Wie bei einer

Sturmflut wird das Land durch die Gewalt des Wassers

weggeschwemmt.

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Therapeutisch kann durch Verstärkung der Präsenz der Erde im Wasser

entgegengewirkt werden. Der Erdepunkt auf der Nierenleitbahn ist der

bereits besprochene Akupunkturpunkt Niere 3 – Tai Xi.

Grün ist die Farbe der Wandlungsphase Holz. Im Sheng Zyklus ist die

Leber das Kind der Niere. Wird das Wasser zu dominant und gibt seine

Energie nicht weiter, gerät das Holz in Mangel.

Therapeutisch kann entweder über den Holzpunkt der Nierenleitbahn

( Sedierungspunkt ) Energie an die Leber abgeleitet werden oder der

Tonisierungspunkt auf der Leberleitbahn wird genadelt, um Energie aus

der Niere abzuziehen. Zum Einsatz kommen die Punkte

Niere 1 – Yong Quan – Sprudelnde Quelle oder

Leber 8 – Qu Quan – Quelle an der Krümmung

Nach Josef Müller gleicht Niere 1 als Sedierungspunkt "ein Übermaß an Nieren Yang aus, das sich als Getriebensein von Ängsten äußert…

Auf der Shen-Ebene kann die Kraft der sprudelnden Quelle in seiner

Eigenschaft als Holzpunkt benutzt werden, um einen Neubeginn

anzuregen, indem vergiftende Gefühle wie Misstrauen,

Katastrophenerwartung oder ständiges Zweifeln an sich selbst hier

weggewaschen werden." ( Müller, Den Geist verwurzeln, S. 175)

Leber 8 gleicht einen Leberyinmangel aus. Laut Müller besteht

"psychisch eine große Reizbarkeit,…, so dass manche Personen

zwanghafte Gewaltphantasien entwickeln…"( Müller, Den Geist verwurzeln, S.262)

4. " Da rief sie einen Jäger

und sprach:" Bring das Kind hinaus in den Wald, ich will es nicht mehr vor meinen Augen sehen. Du sollst es töten und mir Lunge und Leber zum Wahrzeichen bringen". Der Jäger gehorchte und führte es hinaus, und als er den Hirschfänger gezogen hatte und Sneewittchens unschuldiges Herz durchbohren wollte, fing es an zu weinen und sprach: "Ach lieber Jäger, laß mir mein Leben; ich will in den wilden Wald laufen und nimmermehr wieder heimkommen". Und weil es so schön war, hatte der Jäger Mitleiden und sprach:" So lauf hin, du armes Kind." – "Die wilden Tiere werden dich bald gefressen haben", dachte er, und doch war es ihm, als wäre ein Stein von seinem Herzen gewälzt, weil er es nicht zu töten brauchte. Und als gerade ein junger Frischling daher gesprungen kam, stach er ihn ab, nahm Lunge und Leber heraus und brachte sie als Wahrzeichen der Königin mit. Der Koch musste sie in Salz kochen, und das boshafte Weib aß sie auf und meinte, sie hätte Sneewittchens Lunge und Leber gegessen."

Jetzt versucht die Königin ihre hasserfüllten Gedanken in die Tat umzusetzen. Sie befiehlt den Tod der Rivalin.

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Aber der Jäger hat Erbarmen mit Schneewittchen, er bringt es nicht übers Herz, sie zu töten.

Erbarmen ist die zweite Gefühlserregung der Wandlungsphase Wasser und

" wirkt im Menschen dem Hass positiv entgegen." ( Lorenzen/Noll, Die Wandlungsphase Wasser, S. 160 )

Hier werden die beiden Charaktereigenschaften des Wassers von zwei Personen gelebt. Die Königin verkörpert den Hass, dem das Mitleid des Jägers entgegengesetzt wird. So gelingt ein Ausgleich, der Schneewittchens Überleben ermöglicht.

Warum will die Königin ausgerechnet Leber und Lunge ihrer ungeliebten Stieftochter verspeisen ?

Vielleicht versucht sie, den Tod des Mädchens therapeutisch für sich zu nutzen, denn Nahrung kann auch Medizin sein.

Mehrere Möglichkeiten tun sich auf:

1. Im Sheng Zyklus ist die Lunge die Mutter der Niere, die Leber ihr Kind.

Hinter den Speisewünschen der Königin versteckt sich möglicherweise die Intention, die jugendliche Kraft Schneewittchens zu verwenden, um den eigenen Alterungsprozess aufzuhalten:

Ist das Kind schwach ( hier die Niere ), dann stärke die Mutter:

Dieser Regel des Sheng Zyklus folgt die Königin, indem sie ihr Metallelement im isopathischen Sinne ( Gleiches heilt Gleiches ) durch Verspeisen der Lunge versucht zu stärken.

Ein Tonisieren der Leber nach dem gleichen Prinzip entlastet die Niere, da ein starkes Kind seiner Mutter nicht soviel Energie entziehen muss.

Die Niere wird durch das Kochen der Organe in Salz direkt gefüttert, denn der salzige Geschmack ist der Wandlungsphase Wasser zugeordnet.

" Er ist der Geschmack mit der stärksten Yin Qualität, Yin im Yin." (Lorenzen/Noll, Die Wandlungsphase Wasser, S.135 )

2. Lunge und Leber erfüllen wichtige Aufgaben im Umgang mit Qi.

Das Verspeisen der Organe kann hier die Hoffnung bergen, den eigenen Energiehaushalt zu stärken und zu verbessern:

Die Lunge beherrscht das Qi. Mit der Einatmung nimmt sie das himmlische Qi auf, senkt es ab zur Niere und versorgt damit unsere Wurzeln mit Energie. Die Milz extrahiert Qi aus der Nahrung, die Lunge extrahiert Qi aus der Atemluft:

 

 

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Zusammen bilden sie das Zong Qi ( Versammlungs-Qi, Brust-Qi ), das Herz und Lunge ernährt, als Rhythmusgeber fungiert, Sprache und Kraft der Stimme kontrolliert, den Blutkreislauf zu den Extremitäten beeinflusst und Grundlage für die weitere Qi-Produktion des Körpers ist.

Die Lunge verteilt das Wei Qi im Organismus, insbesondere im Raum zwischen Muskeln und Haut. Damit spielt sie eine übergeordnete Rolle in der Abwehr von exogenen pathogenen Faktoren.

Die Leber sorgt für den geschmeidigen Fluss von Qi, Blut und Emotionen.

Die Leber speichert das Blut und Blut nährt das Qi.

3. Körperseele Po und Geistseele Hun

Po und Hun sind die Shen-Aspekte von Lunge und Leber.

Po ist der Seelenanteil, der mit dem Körper stirbt. Po entspricht unseren Trieben und Instinkten, der Bedürfnisbefriedigung, dem Selbsterhaltungstrieb und beeinflusst Gefühlsleben ( auch Sensibilität im Sinne individueller Schmerzempfindlichkeit ), Leidenschaften und Temperament. Po haftet am Körper und hat daher Bedeutung in der Entstehung psychosomatischer Erkrankungen. Po haust im Qi der Lunge.

Hun überlebt den körperlichen Tod und ähnelt daher dem westlichen, in der Religion verankerten Prinzip der Seele.

Das Leberblut beherbergt Hun. Hun entspricht dem (Selbst)bewusstsein und stellt dieses nach außen dar, Phantasie und kreativer Ausdruck haben hier ihre Wurzeln, Charakter und Wesen werden durch Hun geprägt.

Hier kann das Verspeisen von Lunge und Leber als Seelenraub gesehen werden. Mit dem Vereinnahmen der Seele eines Menschen geht dieser in allen Aspekten des individuellen Seins in den Besitz des Diebes über. Er wird als Persönlichkeit vollkommen ausgelöscht, nur eine leere Hülle bleibt zurück.

4. Dieser Aspekt des Verspeisens der Organe liegt im Kontrollzyklus –

Ke Zyklus – begründet. Hier überwacht die Großmutter das Enkelkind.

Es wird verhindert, dass eine Wandlungsphase zu sehr bei sich bleibt, sich nicht im Sinne des Sheng Zyklus weiterentwickeln will.

Yin wird durch Yang kontrolliert ( Magen kontrolliert Niere ) und Yin kontrolliert Yang ( Milz kontrolliert Blase ). Im pathologischen Cheng Zyklus kommt es zu einer Überkontrolle und damit zu einem Einbruch in das zu überwachende Element.

Nahrung wird über den Magen aufgenommen. Im Ke Zyklus kontrolliert dieser die Niere ( Erde kontrolliert Wasser ). Ist das Wasser zu schwach, kann die Erde einbrechen und das ganze Wasser aufsaugen. Es entsteht eine Wüste.

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Durch die Konsumierung von Lunge ( Metall ) und Leber ( Holz ) wird die Niere aus ihren Verbindungen im Sheng Zyklus gelöst. Die Niere kann nicht mehr von der Lunge genährt werden, die Niere kann keine Energie mehr an ihr Kind, die Leber abgeben. Damit ist die Niere vollkommen isoliert, aus ihren energetischen Verbindungen gelöst.

Die Königin erlangt auf diese Weise über die Erde die totale Kontrolle über das Wasser.

4.1. Schneewittchen in der Akupunkturpraxis – Therapeutische Ansätze im Märchen

Metall und Holz ( Lunge und Leber ) beinhalten auch das therapeutische Konzept zur Unterstützung des Mädchens.

Im Sheng Zyklus bringt Metall das Wasser hervor. Ist das Kind ( Niere ) schwach, tonisiere die Mutter ( Lunge ): Der Akupunkturpunkt

Niere 7 – Fu Liu – Wiederkehrende Strömung

ist der Metallpunkt und damit der Tonisierungspunkt auf der Nierenleitbahn.

Lunge 9 – Tai Yuan – Größter Wasserstrudel

ist der Erdepunkt auf dem Lungenmeridian und damit auch der Tonisierungspunkt zur Stärkung der Lunge.

Beide Punkte bewirken über das Metall eine Unterstützung der Niere.

Im Ke Zyklus kontrolliert die Leber den Magen, das heißt durch gesteigerte Präsenz des Holzes wird die Erde unter Kontrolle gehalten:

Der Holzpunkt auf der Magenleitbahn ist

Magen 43 – Xian Gu – Versunkenes Tal

Hier wird direkt das Holz in der Erde angesprochen.

Leber 1 – Da Dun – Großes Dickes

"Ist der Holzpunkt einer Holzleitbahn; Holz kontrolliert Erde, d.h. dieser Punkt kann angehäufte Erde bewegen und zerstreuen. ( Lorenzen/Noll, Die Wandlungsphase Holz, S.185 )

" Selbstwertgefühl und Bestimmtheit werden durch Leber 1 angeregt bei einem Menschen, dem es an Vertrauen und Hoffnung mangelt, sich gegen andere durchsetzen zu können." ( Müller, Den Geist verwurzeln, S. 257 )

 

 

 

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Mit Verwendung der Feuerpunkte wird der Shen-Aspekt der jeweiligen Wandlungsphase beeinflusst, da Shen eine Facette der Wandlungsphase Feuer ist:

Zur Stärkung der Körperseele Po kann der Feuerpunkt auf der Lungenleitbahn,

Lunge 10 – Yu Ji – Region der Fische genadelt werden.

Die Geistseele Hun kann durch den Feuerpunkt auf der Leberleitbahn,

Leber 2 – Xing Jian – Zwischenraum der Wandlung gestärkt werden.

- Der Plan der Königin geht nicht auf. Statt des Mädchens lässt ein Frischling sein Leben. Das Wildschwein ist der wilde Verwandte des Hausschweins. Dieses ist das der Wandlungsphase Wasser zugeordnete Haustier. Schweine sind in ihre Anatomie und Physiologie dem Menschen sehr ähnlich, so dass der Austausch unbemerkt bleibt.

Therapeutisch sollte er der Königin genutzt haben, denn Schweinefleisch tonisiert das Yin und befeuchtet die Zang Organe.

 

 

5. "Nun war das arme Kind

in dem großen Wald mutterseelig allein, und ward ihm so Angst, dass es alle Blätter an den Bäumen ansah und nicht wusste, wie es sich helfen sollte. Da fing es an zu laufen und lief über die spitzen Steine und durch die Dornen, und die wilden Tiere sprangen an ihm vorbei, aber sie taten ihm nichts. Es lief, solange nur die Füße noch fort konnten, bis es bald Abend werden wollte; da sah es ein kleines Häuschen und ging hinein, sich zu ruhen."

In diesem Abschnitt spielt Angst die vorherrschende Rolle, hervorgerufen durch das Gefühl der unmittelbaren Lebensbedrohung und des völlig hilflosen Verlassenseins.

Angst ist die Emotion, die unser Überleben möglich macht. Sie warnt uns vor existentiell bedrohlichen Situationen. Sie ist direkt mit Überlebenswillen und Selbsterhaltungstrieb gekoppelt. Instinktiv reagieren wir auf Gefahr mit Angst. Angst bewirkt im vegetativen Nervensystem eine Sympatikusbetonung, die uns fliehen, kämpfen oder auch erstarren lässt.

Flucht und Kampf sind Yang-Aspekte der Angst. Deutliche Bilder hierzu finden wir im Volksmund:

Jemand ist ein Angstbeißer oder er rennt vor Angst wie ein Hase davon.

Die Unfähigkeit, sich von der Stelle zu rühren, entspricht dem Yin-Aspekt der Angst. Hier weiß der Volksmund, dass man starr vor Angst sein kann oder vor Angst zur Salzsäule erstarrt.

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In dieser Situation regiert das Yang. Schneewittchen ergreift ziellos die Flucht. Diese Angst nimmt keine Rücksicht auf Kraftreserven, haushalten ist ihr fremd. Sie ist instinktiv darauf ausgerichtet zu entkommen, das nackte Leben zu retten und kann sich dabei völlig verausgaben. Angst geht uns an die Nieren, sie fährt uns in die Knochen, wir lassen uns von ihr jagen bis zur völligen Erschöpfung unserer Ressourcen. Angst schwächt also im Extremfall nicht nur die Niere, sondern auch die Essenz, geht uns bis ins Mark.

Schneewittchen läuft bis zum Abend. Der Abend gehört zum Yin. Die haltlose Yangaktion wird unterbrochen und abgelöst durch den Wunsch nach Ruhe, um die Leere wieder aufzufüllen, der tiefen Erschöpfung nachzugeben.

 

 

6. " In dem Häuschen war alles klein,

aber so zierlich und reinlich, dass es nicht zu sagen ist. Da stand ein weißgedecktes Tischlein mit sieben kleinen Tellern, jedes Tellerlein mit seinem Löffelein, ferner sieben Messerlein und Gäblein und sieben Becherlein. An der Wand waren sieben Bettlein nebeneinander aufgestellt und schneeweiße Laken darüber gedeckt. Schneewittchen, weil es so hungrig und durstig war, aß von jedem Tellerlein ein wenig Gemüs und Brot und trank aus jedem Becherlein einen Tropfen Wein; denn es wollte nicht einem allein alles wegnehmen. Hernach, weil es so müde war, legte es sich in ein Bettchen, aber keins passte; das eine war zu lang, das andere zu kurz, bis endlich das siebente recht war: Und darin blieb es liegen, befahl sich Gott und schlief ein.

Als es ganz dunkel geworden war, kamen die Herren von dem Häuslein: das waren die sieben Zwerge, die in den Bergen nach Erz hackten und gruben. Sie zündeten ihre sieben Lichtlein an, und wie es nun hell im Häuslein ward, sahen sie, dass jemand darin gewesen war; denn es stand nicht alles so in der Ordnung, wie sie es verlassen hatten. Der erste sprach: " Wer hat auf meinem Stühlchen gesessen ?" Der zweite: "Wer hat von meinem Tellerchen gegessen ?" Der dritte:" Wer hat von meinem Brötchen genommen ?" Der vierte: "Wer hat von meinem Gemüschen gegessen ?" Der fünfte: "Wer hat mit meinem Gäbelchen gestochen ?" Der sechste:" Wer hat mit meinem Messerchen geschnitten ?" Der siebente: "Wer hat aus meinem Becherlein getrunken ?"

Dann sah sich der erste um und sah, dass auf seinem Bett eine kleine Delle war; da sprach er: "Wer hat in mein Bettchen getreten ?" Die anderen kamen gelaufen und riefen:" In meinem hat auch jemand gelegen". Der siebente aber, als er in sein Bett sah, erblickte Sneewittchen, das lag darin und schlief. Nun rief er die anderen, die kamen herbeigelaufen und schrieen vor Verwunderung, holten ihre sieben Lichtlein und beleuchteten Sneewittchen." Ei, du mein Gott ! ei, du mein Gott !" riefen sie, "was ist das Kind so schön !" und hatten so große Freude, dass sie es nicht aufweckten, sondern im Bettlein fortschlafen ließen. Der siebente Zwerg aber schlief bei seinen Gesellen, bei jedem eine Stunde: da war die Nacht herum.

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Dieser Abschnitt des Märchens wird von der Wandlungsphase Metall beherrscht. Alles ist strukturiert und geordnet, hat seinen festen Platz.

Die vorherrschende Farbe ist weiß, die Farbe des Metalls.

"Schneewittchen wird vor der Hexenkönigin im deutschen Märchen bei den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen verborgen…

In der alchemistischen Symbolik bedeuten Berge, wie ausdrücklich erklärt wird, die Metalle – als Grundkräfte der Welt stets in der Siebenzahl angeführt ( Pernety ): Bezeichnenderweise sind auch die sieben in unserem Volksmärchen stets damit beschäftigt, die Erze zu graben und zu bearbeiten."( Bauer, Dümotz, Golowin, Lexikon der Symbole, S.237 und 238 )

Metall nährt im Sheng Zyklus Wasser: Hier besteht die Möglichkeit für Schneewittchen, ihre vollkommen erschöpften Wasserreserven zu pflegen, zu regenerieren, neue Kraft zu schöpfen. Wieder weist das Märchen mit der Zahl sieben auf den Tonisierungspunkt der Nierenleitbahn hin:

6.1. Schneewittchen in der Akupunkturpraxis – Therapeutische Ansätze im Märchen

 

Niere 7 – Fu Liu – Wiederkehrende Strömung

"Niere 7 stärkt als Metallpunkt das Flussbett der Nierenleitbahn, so wie ein erhöhter Gehalt an Metallen und Mineralien die Wasserleitfähigkeit des Bodens verbessert…

Auch die Gefühle können wieder in Fluss kommen und v.a. Ängste werden durch das vom Metall befestigte Flussbett zum Fließen gebracht, ohne die Psyche zu überschwemmen." ( Müller, Den Geist verwurzeln, S. 180 )

Nach Maciocia ist "Dieser Punkt in der Lage, die Niere auf ähnliche Weise wie N 3 zu stärken, mit dem einzigen Unterschied, daß N 7 besser zur Tonisierung des Nieren – Yang geeignet ist."

( Maciocia, Die Grundlagen der Chinesischen Medizin, S. 446 )

 

Die Zahl Sieben ist aber auch der Wandlungsphase Feuer zugeordnet. Vielleicht kann sie hier im Zusammenhang mit den antiken Punkten interpretiert, und so als Hinweis auf die Feuerpunkte gesehen werden.

Feuerpunkte wirken nicht nur auf der körperlichen Ebene. Da Shen im Herzen und damit im Feuer residiert, wirken sie auch auf der geistigen Ebene, nehmen Einfluss auf den Shen-Aspekt der jeweiligen Wandlungsphase.

Durch den Yang-gesteuerten Impuls, vor Angst bis "zur völligen Verausgabung" zu flüchten, ist das Nieren-Yang des Mädchens in Leere geraten.

Das Nieren-Yang wärmt das Milz-Yang, d.h. auch hier ist eine reaktive Leere anzunehmen.

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Die Milz ist die Wurzel des erworbenen Qi, sie ist zuständig für Umwandlung und Transport, sie sorgt für die Verteilung der Nahrungsessenzen an die Zang Fu. Kann das Milz-Qi seiner Aufgabe nicht nachkommen, fehlt es an nachgeburtlicher Essenz, gerät die angeborene Essenz in Mangel – Die Erschöpfung geht dann "bis an die Wurzeln", das grundlegende Potential wird geschwächt.

Schneewittchen isst von jedem der sieben Tellerchen ein wenig: Nehmen wir die Nahrung als Hinweis auf die Milz und ihre Aufgabe aus der Nahrung neues Potential aufzubauen und die Zahl sieben als Repräsentantin der Wandlungsphase Feuer, erhalten wir Feuer in der Erde und damit den Akupunkturpunkt

 

Milz 2 – Da Du – Die große Hauptstadt

 

Milz 2 ist der Tonisierungspunkt der Milzleitbahn. Mit der Kraft des Feuers kann hier die geschwächte Erde wieder aufgebaut werden.

Erworbenes Vermögen wird aufgebaut, die Vorratskammer wieder gefüllt, um das durch Panik in Mangel geratene Jing zu entlasten.

"Dieser Punkt stellt ein großes Reservoir für das Qi der Erde dar. Ebenso wie eine Hauptstadt ist Mi 2 der Dreh– und Angelpunkt ihrer Region. Von ihm aus gehen alle Aktivitäten der Erde aus, besonders die Feuergeprägten. Der Shen–Aspekt in der Erde, Yi = das gerichtete Denken, hat hier seinen zentralen Amtssitz."

( Lorenzen/Noll, Die Wandlungsphase Erde, S. 196 )

"Durch den Feuerpunkt wird der innere Erdboden, man könnte sagen das Bindegewebe, als Ort des Stoffwechsels wieder erwärmt, so dass Dinge darin reifen und umgewandelt werden können...

Die Wirkung dieses Punktes gibt dem Denken ein Zentrum, von dem aus es sich dynamisch bewegen kann. Statt leer und schwach sich im Kreis zu drehen, geht von dort ein ordnender Einfluss wie von einer großen Hauptstadt aus." ( Müller, Den Geist verwurzeln, S. 91 – 93 )

In der Nacht schläft der siebente Zwerg, dessen Bett Schneewittchen besetzt jeweils eine Stunde im Bett der anderen Zwerge. Sechs Stunden vergehen: Vielleicht verbirgt sich hier eine Zeitangabe.

Sieben Jahre lebt Schneewittchen im Schloss ihres Vaters. Vielleicht sind jetzt sechs Jahre vergangen.

Schneewittchen wäre dann dreizehn Jahre alt und stände kurz vor dem Übergang in die Wandlungsphase Feuer, d.h. langsam reift in dem Mädchen die Frau heran.

 

 

 

 

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7. "Als es Morgen war,

erwachte Sneewittchen, und wie es die sieben Zwerge sah, erschrak es. Sie waren aber freundlich und fragten: "Wie heißt du" ? – "Ich heiße Sneewittchen", antwortete es." Wie bist du in unser Haus gekommen ?" sprachen weiter die Zwerge. Da erzählte es ihnen, dass seine Stiefmutter es hätte wollen umbringen lassen, der Jäger hätte ihm aber das Leben geschenkt, und da wäre es gelaufen den ganzen Tag, bis es endlich ihr Häuslein gefunden hätte. Die Zwerge sprachen:" willst du unsern Haushalt versehen, kochen, betten, waschen, nähen und stricken, so kannst du bei uns bleiben, und es soll dir an nichts fehlen". – "Ja", sagte Sneewittchen," von Herzen gern", und blieb bei ihnen. Es hielt ihnen das Haus in Ordnung: Morgens gingen sie in die Berge und suchten Erz und Gold, abends kamen sie wieder, und da musste ihr Essen bereit sein. Den Tag über war das Mädchen allein; da warnten es die guten Zwerglein und sprachen:" hüte dich vor deiner Stiefmutter, die wird bald wissen, dass du hier bist; laß ja niemand herein".

Dieser Abschnitt lässt sich als Vorbereitungszeit des Mädchens auf seine Rolle als Frau interpretieren.

Der Abschied von der Kindheit naht.

Unter der strukturierenden Aufsicht des Metalls ( 7 Zwerge ) lernt das ausklingende Holz ( Schneewittchen ) seine Pflichten zu erfüllen.

 

 

8. "Die Königin aber,

nachdem sie Sneewittchens Lunge und Leber glaubte gegessen zu haben, dachte nicht anders als, sie wäre wieder die erste und allerschönste, trat vor ihren Spiegel und sprach:

"Spieglein, Spieglein an der Wand,

wer ist die schönste im ganzen Land ?"

Da antwortete der Spiegel:

"Frau Königin, Ihr seid die schönste hier,

aber Sneewittchen über den Bergen

bei den sieben Zwergen

ist noch tausendmal schöner als Ihr".

Da erschrak sie; denn sie wusste, dass der Spiegel keine Unwahrheit sprach, und merkte, dass der Jäger sie betrogen hatte, und Sneewittchen noch am Leben war. Und da sann und sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte; denn, solange sie nicht die schönste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid keine Ruhe."

Auch weiterhin wird die Königin vom Schreckgespenst der Rivalin um den ersten Platz in der Hierarchie der Schönheit gejagt.

Furcht schwächt die Niere, aber Nachdenken überwindet die Angst.

 

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Gemäß diesem Grundsatz nutzt die Frau die geistige Qualität der Erde, das zielgerichtete Denken – Yi -, um eine Lösung für ihr Problem zu finden.

Der emotionale Ausdruck der Erde ist das Nachdenken ( Nachsinnen ), das Grübeln – Si -.

" Als Übergangsphase nimmt die Erde den Willen der Niere, etwas zu erreichen, auf und gibt ihn, gründlich durchdacht, an die Leber weiter. Erst nach Prüfung aller Umstände ( Si Lü ) gibt die Erde den Willen der Niere ( Zhi ) an das Holz weiter. Hier erst wird die dafür notwendige Aktion geplant und eingeleitet. Jeder gesunde Denkprozeß nimmt diesen Verlauf ! Jede realistische Wunschvorstellung braucht die integrative Kraft der Erde. ( Lorenzen/Noll, Die Wandlungsphase Erde, S. 93 )

"Zuviel Grübeln schädigt die Milz und ein erschöpftes Milz–Qi ist kein angenehmes zu Hause für gute Absichten." ( Lorenzen/Noll, Die Wandlungsphase Erde, S.99 )

Schneewittchen steht mittlerweile auf der Schwelle des Lebens vom Kinde zur Frau.

Die Pubertät ist ein großer Meilenstein in der Entwicklung des Menschen. Durch die hormonell induzierten Veränderungen im Körper gerät der gesamte Organismus in Aufruhr. Nicht nur Stimmungsschwankungen oder Pickel sind Thema. Alte Krankheiten ( z.B. Neurodermitis oder

Asthma ) können wieder aufflackern, neu auftreten oder verschwinden.

So stellt die pubertäre Übergangszeit gleichzeitig Chance und Gefahr für den weiteren Verlauf des Lebens dar.

Nach Scott und Barlow "ist der Vierzehn–Jahres Übergang eine der Pforten des Lebens, eine Zeit, in der die Gesundheit eine starke Wendung zum Besseren oder Schlechteren nehmen kann…

Der Vierzehn – Jahres Übergang ist schwierig. Zunächst einmal benötigt das Kind die Nieren–Yang Energie, um den pathogenen Restfaktor ausscheiden zu können…

… könnte es notwendig sein, die Nieren-Yang Energie zu stärken, besonders bei den Kindern, deren Nierenenergie konstitutionell schwach ist oder die immer noch einen starken pathogenen Restfaktor aufweisen."

( Scott/Barlow, Akupunktur in der Behandlung von Kindern, S.544, 547, 548 )

 

9. "Und als sie sich endlich

etwas ausgedacht hatte, färbte sie sich das Gesicht und kleidete sich wie eine alte Krämerin und war ganz unkenntlich. In dieser Gestalt ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Türe und rief:" schöne Ware feil! feil!" Sneewittchen guckte zum Fenster heraus und rief:" guten Tag, liebe Frau, was habt Ihr zu verkaufen ?" –

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" Gute Ware, schöne Ware", antwortete sie, "Schnürriemen von allen Farben", und holte einen hervor, der aus bunter Seide geflochten war. "Die ehrliche Frau kann ich hereinlassen", dachte Sneewittchen, riegelte die Türe auf und kaufte sich den hübschen Schnürriemen." Kind", sprach die Alte, "wie du aussiehst! Komm, ich will dich einmal ordentlich schnüren". Sneewittchen hatte keine Arg, stellte sich vor sie und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren: aber die Alte schnürte geschwind und schnürte so fest, dass dem Sneewittchen der Atem verging, und es für tot hinfiel." Nun bist du die schönste gewesen", sprach sie und eilte hinaus.

Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge nach Haus, aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Sneewittchen auf der Erde liegen sahen; und es regte und bewegte sich nicht, als wäre es tot. Sie hoben es in die Höhe, und weil sie sahen, dass es zu fest geschnürt war, schnitten sie den Schnürriemen entzwei: da fing es an ein wenig zu atmen und ward nach und nach wieder lebendig. Als die Zwerge hörten, was geschehen war, sprachen sie:" die alte Krämerfrau war niemand als die gottlose Königin: hüte dich und laß keinen Menschen herein, wenn wir nicht bei dir sind."

 

Merkur ist der Planet der Wandlungsphase Wasser. Merkur ist auch der Gott der Händler und Kaufleute. Diese Gestalt wählt die Königin, um ihre Mordpläne nun eigenhändig in die Tat umzusetzen.

"Merkurier lieben die wissenschaftlichen Studien und können sie auch mit viel Geschick praktisch anwenden. Sie erforschen sehr gern die heimlichen Künste. Sie sind sehr gelehrig und verschlagen, listig, vorsichtig… In ihre schlechte Seite verdreht gibt es nach Welling: unbeständige, tückische, diebische, lügenhafte, boshafte Menschen."

( Bauer/Dümotz/Golowin, Lexikon der Symbole, S.282 )

Mordwerkzeug soll ein Schnürriemen sein. Ein Schnürriemen soll durch festes Einschnüren für eine schmale Taille sorgen. Hier wird durch zu starkes Anziehen die Kommunikation von Lunge und Niere unterbrochen.

Der bunte Riemen verhindert, dass Schneewittchen Luft holen kann, d.h. die Einatmung ist behindert.

Die Lunge ist verantwortlich für das Absteigen des Qi, die Nieren nehmen das Qi in Empfang, d.h. in Schneewittchens Fall liegt eine Schwäche der Nieren vor.

"Sind sie schwach, so kann das Qi nicht nach unten gelangen, sondern sammelt sich im Oberen Erwärmer und behindert die Einatmung."

( Scott/Barlow, Akupunktur in der Behandlung von Kindern, S. 254)

Nach Maciocia "handelt es sich im Grunde um eine Störung der Funktion der Niere, das Qi zu empfangen; sie wird daher auch der Nieren–Yang Schwäche zugeordnet."( Maciocia, Die Grundlagen der Chinesischen Medizin, S.267 )

Bei korrektem Anlegen des Riemens werden mehrere Akupunkturpunkte berührt, die der Stärkung des Nierenyang dienen können:

 

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9.1. Schneewittchen in der Akupunkturpraxis – Therapeutische Ansätze im Märchen

1. Du Mai 4 – Ming Men – Tor des Schicksals

Du Mai 4 tonisiert die Niere. Durch seine Lage auf dem Lenkergefäß, dem Meer des Yang, wird seine besondere Bedeutung für die Stärkung der Yangenergie klar.

Der alternative Name Jing Gong – Palast der Essenz, zeigt seine Jing tonisierende Wirkung an ( Yangaspekt des Jing = Yuan Qi ).

2. Blase 23 – Shen Shu – Zustimmungspunkt der Niere

stärkt die Niere, tonisiert das Nieren-Yang und unterstützt das Jing.

Nach Maciocia ist Blase 23 der bedeutendste Punkt zur Stärkung der Niere und muss bei chronischer Nierenleere zum Einsatz kommen.

Das Nieren-Yang wird insbesondere durch Moxibustion des Punktes tonisiert.

3. Blase 52 – Zhi Shi – Zimmer des Willens

hat ebenfalls eine Nieren stärkende Wirkung und potenziert durch gleichzeitige Nadelung die Wirkung von Blase 23.

"B 52 stärkt auch die Willens- und Entschlusskraft, die ja beide jene mental–spirituellen Phänomene sind, die zur Niere gehören."

( Maciocia ,Die Grundlagen der Chinesischen Medizin, S. 439 )

5. Gallenblase 25 – Jing Men – Tor zur Hauptstadt

Ist der Mu- Alarmpunkt der Niere. Im Deadman wird hervorgehoben, dass seine Hauptwirkung in der Unterstützung des Zusammenspiels von Niere und Milz liegt.

Die Niere ist die Basis, der Speicher des angeborenen Jing, die Milz ist die Wurzel des erworbenen Vermögens.

Das Nieren-Yang ist die Wurzel des gesamten Yang des Körpers und wärmt somit auch das Yang der Milz. So liefert das Nieren-Yang auch die Energie für die Transport- und Transformationsaufgaben der Milz.

Die Milz ergänzt das angeborene Jing durch die aus der Nahrung extrahierten Essenzen.

Somit werden hier angeborenes Vermögen ( Niere ) und erworbenes Vermögen ( Milz ) gestärkt.

6. Ren Mai 8 – Shen Que – Wachturm des Shen

liegt im Zentrum des Nabels. Dieser Punkt wird nicht genadelt. Er kann das Yang z.B. durch Nabelmoxa auf Salz ( der salzige Geschmack gehört zur Wandlungsphase Wasser ) tonisieren.

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Der Shen tritt über die Nabelschnur in den Körper ein.

"Ren Mai 8 stellt die Kommunikation zwischen Himmel und Erde wieder her, indem er Shen und Yang kräftigt und den Nabel als vermittelndes Zentrum stärkt." ( Müller, Den Geist verwurzeln, S. 276 )

7. Abgesehen von den genannte Punkten auf der "Schnürriemenlinie" weist die Rettung Schneewittchens durch die sieben Zwerge wieder auf den schon mehrfach genannten Punkt

Niere 7 – Fu Liu – Wiederkehrende Strömung hin.

 

 

10. Das böse Weib aber,

als es nach Haus gekommen war, ging vor den Spiegel und fragte:

"Spieglein, Spieglein an der Wand,

wer ist die schönste im ganzen Land ?"

Da antwortete er wie sonst:

"Frau Königin, Ihr seid die schönste hier,

aber Sneewittchen über den Bergen

bei den sieben Zwergen

ist noch tausendmal schöner als Ihr".

Als sie das hörte, lief ihr alles Blut zum Herzen, so erschrak sie; denn sie sah wohl, dass Sneewittchen wieder lebendig geworden war." Nun aber", sprach sie", will ich etwas aussinnen, das dich zu Grunde richten soll", und mit Hexenkünsten, die sie verstand, machte sie einen giftigen Kamm. Dann verkleidete sie sich und nahm die Gestalt eines andern alten Weibes an. So ging sie hin über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Türe und rief:" gute Ware feil! Feil!" Sneewittchen schaute heraus und sprach:" geht nur weiter, ich darf niemand hereinlassen". – "Das Ansehen wird dir doch erlaubt sein", sprach die Alte, zog den giftigen Kamm heraus und hielt ihn in die Höhe. Da gefiel er dem Kinde so gut, dass es sich betören ließ und die Türe öffnete. Als sie des Kaufs einig waren, sprach die Alte: "nun will ich dich einmal ordentlich kämmen". Das arme Sneewittchen dachte an nichts und ließ die Alte gewähren, aber kaum hatte sie den Kamm in die Haare gesteckt, als das Gift darin wirkte, und das Mädchen ohne Besinnung nieder fiel. "Du Ausbund von Schönheit", sprach das boshafte Weib, "jetzt ist es um dich geschehen", und ging fort. Zum Glück aber war es bald Abend, wo die sieben Zwerglein nach Haus kamen. Als sie Sneewittchen wie tot auf der Erde liegen sahen, hatten sie gleich die Stiefmutter in Verdacht, suchten nach und fanden den giftigen Kamm, und kaum hatten sie ihn herausgezogen, kam Sneewittchen wieder zu sich und erzählte, was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal, auf seiner Hut zu sein und niemand die Türe zu öffnen.

 

 

 

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Die Niere zeigt ihren Glanz im Kopfhaar und der Zustand der Haare gibt Aufschluss über die Kraft der Nierenenergie ( Nieren-Qi, Nieren-Jing ).

Sehen wir die Königin in diesem Bild als Symbol für negative mütterliche Energie, kann diese Szene als Schwächung des Nieren-Qi bzw des Nieren-Yang durch pathogene Restfaktoren ( Tai Du Gift ) gesehen werden.

Tai Du Gift ( Erbgift ) wird von Vater und Mutter während der Zeugung in die Zelle gebracht und sollte nach der Geburt über die Nabelschnur zurück zur Mutter fließen. Unter anderem kann ein zu frühes Abnabeln Ursache für den Verbleib des Tai Du Giftes im kindlichen Körper sein.

Die Pubertät zeigt häufig Probleme, die durch pathogene Restfaktoren entstehen.

"Bleibt der pathogene Restfaktor nun über den Vierzehn–Jahres– Übergang hinaus bestehen, so wandert er noch tiefer. Nicht nur, dass er ein physisches und emotionales Ungleichgewicht zurücklässt, er wirkt sich auch auf die Art und Weise aus, wie das Individuum sich anderen gegenüber verhält. Die gesamte Persönlichkeit ist betroffen… Die Pubertät ist eine wundervolle Gelegenheit, den pathogenen Restfaktor loszuwerden… Die zu dieser Zeit nach oben brandende Energie fließt durch die Leitbahnen und drückt jedes Hindernis nach außen." ( Scott/Barlow, Akupunktur in der Behandlung von Kindern, S. 545, 546 )

Wichtig für die Abwehr dieses krankmachenden Faktors ist ein starkes Nieren-Yang. Daher sollte in der Pubertät das Nieren-Yang unterstützt werden. Auch im Märchen wird dieser Behandlungsweg angezeigt, denn wieder weist die Rettung durch die sieben Zwerge auf den Punkt

Niere 7 – Fu Liu – Wiederkehrende Strömung

hin, der das Nieren-Yang tonisiert.

"Der wiederkehrende Strom kann sich natürlich auch auf die Wirkung dieses Punktes beziehen, der in seiner Eigenschaft als Metall- und somit Tonisierungspunkt die Kommunikation zur Lunge als Lenkerin des Wei Qi wiederherstellt. Dadurch können bei einbehaltenen pathogenen Faktoren die Hautporen wieder geöffnet werden, so dass mit dem Schweißfluss auch das üble Qi nach außen hin abfließt." ( Müller, Den Geist verwurzeln, S. 180 )

Die Pathologie der Königin schreitet fort. Fanden sich zunächst im Märchen Zeichen einer Nieren-Yin-Leere, gefolgt von einer Herz-Yin-Leere, deutet das Märchen jetzt ein Zunehmen des Herz-Yin-Mangels mit Überhandnehmen des Herz-Yang an: Das Pumpen des Blutes durch die Gefäße ist eine aktive Funktion und damit dem Yang zugehörig. Der Rückfluss des gesamten Blutes zum Herzen deutet eine scheinbare Fülle an – Das Bild des emporlodernden Herzfeuers auf dem Boden eines Yin-Mangels.

 

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11. Die Königin stellte sich

daheim vor den Spiegel und sprach:

"Spieglein, Spieglein an der Wand,

wer ist die schönste im ganzen Land ?"

Da antwortete er wie vorher:

"Frau Königin, Ihr seid die schönste hier,

aber Sneewittchen über den Bergen

bei den sieben Zwergen

ist doch noch tausendmal schöner als Ihr."

Als sie den Spiegel so reden hörte, zitterte und bebte sie vor Zorn. Sneewittchen soll sterben, rief sie, und wenn es mein eignes Leben kostet. Darauf ging sie in eine ganz verborgene einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen giftigen Apfel. Äußerlich sah er schön aus, weiß mit roten Backen, dass jeder, der ihn erblickte, Lust danach bekam, aber wer ein Stückchen davon aß, der musste sterben. Als der Apfel fertig war, färbte sie sich das Gesicht und verkleidete sich in eine Bauersfrau, und so ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen. Sie klopfte an, Sneewittchen streckte den Kopf zum Fenster heraus und sprach:" ich darf keinen Menschen einlassen, die sieben Zwerge haben es mir verboten". –" Mir auch recht", antwortete die Bäurin," meine Äpfel will ich schon los werden. Da, einen will ich dir schenken". – "Nein", sprach Sneewittchen," ich darf nichts annehmen". – "Fürchtest du dich vor Gift ?" sprach die Alte, "siehst du, da schneide ich den Apfel in zwei Teile; den roten Backen isst du, den weißen will ich essen". Der Apfel war aber so künstlich gemacht, dass der rote Backen allein vergiftet war. Sneewittchen lusterte den schönen Apfel an, und als es sah, dass die Bäurin davon aß, so konnte es nicht länger widerstehen, streckte die Hand hinaus und nahm die giftige Hälfte. Kaum aber hatte es einen Bissen davon im Mund, so fiel es tot zur Erde nieder. Da betrachtete es die Königin mit grausigen Blicken und lachte überlaut und sprach:" Weiß wie Schnee, rot wie Blut , schwarz wie Ebenholz! Diesmal können dich die Zwerge nicht wieder erwecken". Und als sie daheim den Spiegel befragte:

"Spieglein, Spieglein an der Wand,

wer ist die schönste im ganzen Land ?"

So antwortete er endlich:

"Frau Königin, Ihr seid die schönste im Land."

Da hatte ihr neidisches Herz Ruhe, so gut ein neidisches Herz Ruhe haben kann.

Trotz der nachdrücklichen Warnung durch die Zwerge lässt Schneewittchen sich auch beim dritten Mordversuch auf die böse Stiefmutter ein. Ein ständiges Wiederholen von Fehlern, die das eigene Leben gefährden, lässt auf ein schwaches Nieren-Qi schließen. Die gesunde Angst, deren Aufgabe der Erhalt des Lebens, die Warnung vor bedrohlichen Situationen ist, fehlt. Neugier lässt unkalkulierbare Risiken eingehen.

 

 

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Dieses Mal soll ein Apfel das Schicksal Schneewittchens besiegeln.

Der Apfel stellt hier ein deutliches Übergangssymbol dar. Die Wandlungsphase Feuer wird durch diese Frucht repräsentiert:

Liebe und Leidenschaft sind Themen des Feuers. Die erwachende Sexualität findet hier ihren Ausdruck. Der Geist – Shen – hat hier seine Heimat.

Eva verführt Adam, einen Apfel vom Baum der Erkenntnis zu essen, um die Dinge wie Gott in ihrer Wahrheit zu sehen.

( Der Geist Gottes = Shen ). Die Vertreibung aus dem Paradies ist die Folge.

Auch die Schlacht um Troja beginnt mit einem Apfel, den Paris der schönsten Göttin reichen soll. Er entscheidet sich für Aphrodite, die

Göttin der Schönheit, die ihm dafür die schönste Frau, Helena zum Weibe verspricht.

Mit rotem Zuckerguss überzogene Äpfel tragen den Namen Liebesapfel.

Der goldene Reichsapfel ist ein Symbol des Herrschers, auch das Zang der Wandlungsphase Feuer, das Herz, hat den Status des Kaisers inne.

Der Tod des Mädchens nach dem Biss in den Apfel zeigt den Impuls des Jing an, der den Wechsel vom Holz ( Kind ) zum Feuer ( Frau ) initiiert.

Altes muss sterben bevor Neues geboren werden kann.

Die Geschichte der Königin zeigt eine weitere Verschlechterung der Symptomatik an. Sie ist mittlerweile zur Selbstaufgabe bereit. Nicht länger ist die Wiedererlangung ihrer Führungsposition Thema, es geht nur noch um Vernichtung um jeden Preis und sei es die Opferung des eigenen Lebens.

 

 

12. Die Zwerglein,

wie sie abends nach Haus kamen, fanden Sneewittchen auf der Erde liegen, und es ging kein Atem mehr aus seinem Mund, und es war tot. Sie hoben es auf, suchten, ob sie was Giftiges fänden, schnürten es auf, kämmten ihm die Haare, wuschen es mit Wasser und Wein, aber es half alles nichts; das liebe Kind war tot und blieb tot. Sie legten es auf eine Bahre und setzten sich alle siebene daran und beweinten es und weinten drei Tage lang. Da wollten sie es begraben, aber es sah noch so frisch aus wie ein lebender Mensch und hatte noch seine schönen roten Backen. Sie sprachen:" Das können wir nicht in die schwarze Erde versenken", und ließen einen durchsichtigen Sarg von Glas machen, dass man es von allen Seiten sehen konnte, legten es hinein und schrieben mit goldenen Buchstaben seinen Namen darauf und, dass es eine Königstochter wäre. Dann setzten sie den Sarg hinaus auf den Berg, und einer von ihnen blieb immer dabei und bewachte ihn.

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Dieser Abschnitt deutet eine Stagnation an. Statt den Weg des Todes über das Begraben in der schwarzen Erde zu gehen, um im Feuer neu zu erstehen, kommt es zu einem Stillstand. Schneewittchen verändert sich nicht, in Bewegungslosigkeit verharrt sie für alle sichtbar im Holz.

Neben einer Schwäche des Nieren-Yang ist eine Stagnation des Leber-Qi häufiges Thema der Pubertät:

"Wenn das Kind unter emotionaler Anspannung steht…, kann dies den freien Fluss des Leber–Qi schädigen und das Kind kann sein ganzes Leben hindurch an einer Leber–Qi–Stagnation leiden… Während des Vierzehn– Jahres–Übergangs kann sich dies wesentlich schwerwiegender auswirken und zu Kopfschmerzen, Muskelversteifung und Asthma führen.

( Scott/Barlow, Akupunktur in der Behandlung von Kindern, S. 549 )

Auch diese Hürde muss genommen werden, bevor Schneewittchen erwachsen werden darf:

12.1. Schneewittchen in der Akupunkturpraxis – Therapeutische Ansätze im Märchen:

Die sieben Zwerge weinen = Metall im Holz ( Tränen sind die Körperflüssigkeit der Wandlungsphase Holz ) =

Leber 4 – Zhong Feng – Versiegelte Mitte

Leber 4 fördert den harmonischen Fluss des Leber-Qi. Über den Kontrollzyklus nimmt das Metall Einfluss auf das bei sich verharrende Holz und löst Stagnation.

 

Die Zwerge weinen drei Tage:

Leber 3 – Tai Chong – Hauptverkehrsstraße

Leber 3 ist der Erdepunkt und damit auch der Yuan-Punkt auf der Leberleitbahn.

Seine Nadelung unterstützt den reibungslosen Fluss des Leber-Qi.

Zum Erwachsenwerden eines Mädchens gehört das Auftreten der Menstruationsblutung. Der Chong Mai muss in Fülle sein, um seinen Überfluss in den Uterus ergießen zu können. Leber 3 hat Bezug zum Chong Mai.

"Chong Mai ist das Meer des Blutes, die Leber speichert das Blut; das

Su Wen bezeichnet Tai Chong als die Stelle, an der der Chong Mai und die Nierenleitbahn eine große Fülle aufweisen. Bewegung des Yuan-Qi

über diesen Yuan-Punkt der Leberleitbahn, somit die wichtigste Durchgangsstraße für Qi und Xue auf der Leberleitbahn."

( Lorenzen/Noll, Die Wandlungsphase Holz, S. 187 )

 

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Da die Zwerge drei Tage weinen, wird eine Kombination von Leber 3 mit einem Metallpunkt angedeutet. Ich werte dies als Hinweis auf die Vier Schranken, die Nadelung von Leber 3 und

Dickdarm 4 – He Gu – Tal der Harmonie

Diese Kombination fördert Loslassen und freies Fließen. Insbesondere auch psychische und emotionale Blockaden werden gelöst.

 

Schneewittchens Wangen sind immer noch rot, d.h. nach wie vor zeigt sich Shen im Gesicht. Jeweils ein Zwerg bewacht das leblose, aber weiter vom Geist beseelte Mädchen in seinem Sarg auf dem Berg:

Ren Mai 8 – Shen Que – Wachturm des Shen

"Wenn der Shen den Menschen vollkommen verlässt, tritt ein todesähnlicher Zustand ein. Der Bauchnabel ist der Wächter, der dafür Sorge trägt, daß der Mensch nicht von allen guten Geistern verlassen wird." ( Lorenzen/Noll, Die Wandlungsphase Feuer, S. 37 )

 

 

13. Und die Tiere

kamen auch und beweinten Sneewittchen, erst eine Eule, dann ein Rabe, zuletzt ein Täubchen.

Eule:

"Die Eule als Vorbotin allen Unglücks und Ruferin der Seelen gehört zum Gemeingut der Menschheit. Sie konnte das Dunkle, Unwirtliche und Erstarrende des Winters repräsentieren…"

(Zerling/Bauer, Lexikon der Tiersymbolik, S.87 )

"Grundbedeutungen ( Eule ): Dunkelheit und Gefahren in der Nachtseite des Lebens, der Tod; Weisheit und Torheit; Wachsamkeit gegenüber den wahren Problemen" (Zerling/Bauer, Lexikon der Tiersymbolik, S.88 )

 

Rabe:

"Legenden und Mythen vieler Kulturen wissen noch, dass der Rabe einst weiß war. Doch als er das göttliche Feuer raubte, verbrannte er sich gründlich… In China gab es zehn Sonnenraben, die soviel Hitze erzeugten, dass alles dem Untergang geweiht schien. Dann aber holte der Bogenschütze Hou I neun der sengenden Sonnen vom Himmel. So blieb jetzt noch ein Rabe am Himmel, aber der hat drei Beine: die Phasen Wachsen, Blühen und Verwelken…

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Als Symbol der Sonne brachte der Rabe das Feuer… Als Boten des Unheils kennzeichneten Raben bereits im babylonischen Kalender den verdächtigen dreizehnten Schaltmonat. Die Dreizehn kündete vom Ende eines Zyklus, war aber gleichzeitig schon Beginn des neuen. Orphisch griechische Kunst fügte dem Raben des Todes Pinienzapfen und Fackel zu, Licht und Leben, Symbole der Wiedergeburt in ein besseres Leben." (Zerling/Bauer, Lexikon der Tiersymbolik, S.164-166 )

Taube:

"Verliebt sein wie zwei Turteltäubchen"; der Volksmund zeigt uns hier die Verbindung zur Wandlungsphase Feuer, zu Liebe und Leidenschaft, die uns alles vergessen lässt bis auf den Liebsten, mit dem wir "schnäbeln wie die Täubchen" bevor wir vielleicht "ein gemeinsames Nest bauen" und damit in die Wandlungsphase Erde wechseln.

"Als Seelenvogel konnten sie dort auftauchen, wo das Leben aus einer Gefahr gerettet werden sollte… Christus selbst führte uns alle durch sein eigenes Blut als feuerrote Taube ins Leben… Mit Oliven- oder Lorbeerzweig im Schnabel verkündete sie die Erneuerung des Lebens…, mit Palmzweig den Sieg über den Tod… Die Tarotkarte Die Kaiserin als Ausdruck der Liebesgöttinnen Venus/Aphrodite verweist mit einer Taube darauf, woher das mit ihr verbundene Prinzip schöpferischer Vorstellungskraft einströmt." (Zerling/Bauer, Lexikon der Tiersymbolik, S.303-305 )

Der Heilige Geist kommt in Form einer Taube zu den Jüngern Jesu, Gottes Geist schwebt wie eine Taube über den Wassern ( Shen ).

Diese Sequenz des Märchens kann ebenfalls als Wechsel von einem Entwicklungszyklus in den nächsten interpretiert werden:

Der Abschied der Tiere des Waldes ( Bäume = Holz ) kann als Metapher für den Ausklang der Wandlungsphase Holz gesehen werden.

Die Eule ist einerseits ein Symbol des Todes ( Holz stirbt und bietet durch seinen Tod die Nahrungsgrundlage für das neu erwachende Feuer ) andererseits symbolisiert sie auch die Wandlungsphase Wasser, die über das Jing die Entwicklungszyklen steuert.

Der Rabe "bringt das Feuer". Hier kann er auch als Repräsentant des Yuan Qi angenommen werden. Yuan Qi ist der Yang-Aspekt des Jing, der aktive Part, der als Zündfunke den Impuls zur Weiterentwicklung gibt.

Die Taube symbolisiert die Wandlungsphase Feuer und damit das derzeitige Ziel der Entwicklung.

Das Kind stirbt und wird in der Frau neu geboren.

 

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14. Nun lag Sneewittchen

lange lange Zeit in dem Sarg und verweste nicht, sondern sah aus, als wenn es schliefe; denn es war noch so weiß als Schnee, so rot als Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz.

Es geschah aber, dass ein Königssohn in den Wald geriet und zu dem Zwergenhaus kam, da zu übernachten. Er sah auf dem Berg den Sarg und das schöne Sneewittchen darin und las, was mit goldenen Buchstaben darauf geschrieben war. Da sprach er zu den Zwergen:" lasst mir den Sarg, ich will euch geben, was ihr dafür haben wollt". Aber die Zwerge antworteten:" wir geben ihn nicht um alles Gold in der Welt". Da sprach er:" so schenkt mir ihn, denn ich kann nicht leben, ohne Sneewittchen zu sehen, ich will es ehren und hoch achten wie mein Liebstes". Wie er so sprach, empfanden die guten Zwerglein Mitleiden mit ihm und gaben ihm den Sarg.

Der Königssohn ließ ihn nun von seinen Dienern auf den Schultern forttragen. Da geschah es, dass sie über einen Strauch stolperten, und von dem Schüttern fuhr der giftige Apfelgrütz, den Sneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals. Und nicht lange, so öffnete es die Augen, hob den Deckel vom Sarg in die Höhe und richtete sich auf und war wieder lebendig." Ach Gott, wo bin ich ?" rief es. Der Königssohn sagte voll Freude:" du bist bei mir", und erzählte, was sich zugetragen hatte, und sprach:" ich habe dich lieber als alles auf der Welt; komm mit mir in meines Vaters Schloß, du sollst meine Gemahlin werden". Da war ihm Sneewittchen gut und ging mit ihm, und ihre Hochzeit ward mit großer Pracht und Herrlichkeit angeordnet.

Endlich ist der schwierige Übergang vollzogen.

Ein letzter bewegender Impuls im Holz: In der Regel sind vier Menschen notwendig, um einen Sarg auf den Schultern zu tragen, wieder wird auf den Punkt Leber 4 hingewiesen.

Das Apfelstück kann dem Mädchen nicht länger schaden, denn es entspricht der jetzt herrschenden Wandlungsphase.

Auf der Körperebene tut sich Neuland auf, die sexuelle Energie erwacht und Schneewittchen wird im Zeitraffertempo vom Kind zur Ehefrau.

 

 

15. Zu dem Fest

wurde aber auch Sneewittchens gottlose Stiefmutter eingeladen. Wie sie sich nun mit schönen Kleidern angetan hatte, trat sie vor den Spiegel und sprach:

"Spieglein; Spieglein an der Wand,

wer ist die schönste im ganzen Land ?"

Der Spiegel antwortete:

"Frau Königin, Ihr seid die schönste hier,

aber die junge Königin ist tausendmal schöner als Ihr."

Da stieß das böse Weib einen Fluch aus, und ward ihr so angst, so angst, dass sie sich nicht zu lassen wusste. Sie wollte zuerst gar nicht auf die Hochzeit kommen: doch ließ es ihr

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keine Ruhe, sie musste fort und die junge Königin sehen. Und wie sie hineintrat, erkannte sie Sneewittchen, und vor Angst und Schrecken stand sie da und konnte sich nicht regen. Aber es waren schon eiserne Pantoffeln über Kohlenfeuer gestellt und wurden mit Zangen hereingetragen und vor sie hingestellt. Da musste sie in die rotglühenden Schuhe treten und solange tanzen, bis sie tot zur Erde fiel.

Das Schicksal der Königin neigt sich dem Ende zu. Hass, Neid, Schreck und Eifersucht haben nach und nach das Yin verzehrt und das Yang im Exzess agieren lassen. Nun bricht auch diese Energie zusammen. Starr vor Angst blickt die Frau ihrem Ende entgegen.

Beim Yang-Leere-Typ der Angst "erscheinen die Patienten emotional eingefroren und unbeweglich. Die Betroffenen spüren ihre Ängste diffus, können aber nichts gegen sie tun und fühlen sich ihnen hilflos ausgeliefert." ( Platsch, Psychosomatik in der Chinesischen Medizin, S. 32 )

Heiße Füße sind Zeichen einer Nieren-Yin-Leere. Der Jing-Brunnenpunkt der Nierenleitbahn, Niere 1, ist der yinigste Punkt im Menschen. Hitzeeinwirkung verbraucht hier das letzte Yin. Der Yang-Impuls der Bewegung, des Tanzens unterstützt diesen Vorgang. Das Yang kann nicht mehr gehalten werden und steigt auf. Gemäß den Gesetzmäßigkeiten von Yin und Yang bedeutet deren Trennung den Tod.

Aber auch der bösen Königin bietet das Märchen Wege zur Rettung an:

15.1. Die Königin in der Akupunkturpraxis –

Therapeutische Ansätze im Märchen:

Die Königin hat ihre Bestimmung, den vorgezeichneten Weg ihrer Seele vollkommen verloren. Haltlos hat sie sich von ihrem Willen, ihrem Ego in die Vernichtung treiben lassen.

Eiserne Pantoffeln werden über das Feuer gestellt = Metall im Feuer =

Herz 4 – Ling Dao – Der natürliche Weg des Ling

"Herz 4 ist ein besonders wichtiger Punkt bei allen Shen-Störungen. Denjenigen, die ihren Weg verloren haben, kann Ling Dao helfen, ihren individuellen Weg mit Herz wiederzufinden."

( Lorenzen/Noll, Die Wandlungsphase Feuer, S. 253 )

"Ling Dao bringt uns zurück auf den Weg der Seele, indem wir über Ling wieder Kontakt mit Shen aufnehmen und diesem Weg auch folgen, mit der Integrität, die Metall vermittelt." ( Müller, Den Geist verwurzeln, S. 116 )

 

Pantoffeln berühren beim Tragen zwei Punkte auf der Nierenleitbahn, die beide Bezug zu Hitze haben:

 

 

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Niere 1 – Yong Quan – Sprudelnde Quelle

ist der Holzpunkt und damit der Sedierungspunkt auf der Nierenleitbahn.

Er beseitigt Hitze, unterdrückt Leerehitze und stellt das Bewusstsein wieder her ( eine der neun Nadeln zum Zurückholen des Yang ).

"Als Sedierungspunkt gleicht er ein Übermaß an Nieren Yang aus, das sich als Getriebensein von Ängsten äußert… Niere 1 löst die Erstarrung wie eine sprudelnde Quelle… Dadurch wird ein Mensch tiefer unten verankert, und angeschlossen an diese Kraftquelle kann neue Energie sprudeln. So gesehen bedeutet die Sedierung eines Aspektes gleichzeitig Tonisierung des Ganzen ! Auf der Shen-Ebene kann die Kraft der sprudelnden Quelle

in seiner Eigenschaft als Holzpunkt benutzt werden, um einen Neubeginn anzuregen, indem vergiftende Gefühle wie Misstrauen, Katastrophenerwartung oder ständiges Zweifeln an sich selbst hier weggewaschen werden." ( Müller, Den Geist verwurzeln, S. 175 )

Niere 2 – Ran Gu – Flammendes Tal

ist der Feuerpunkt auf der Nierenleitbahn und hat damit Verbindung zum Shen-Aspekt.

Nach Maciocia ist er der Hauptpunkt zur Behandlung der Leerehitze der Niere.

Da Niere 2 der Anfangspunkt des Yin Qiao Mai ist, wird seine Yin stärkende Funktion potenziert.

"Im weiteren Sinn wird durch das flammende Tal der gesamte den Nieren unterstehende Bereich der Sexualität und Vitalität dynamisiert und durch Angst eingefrorenes Potential wieder in Bewegung gesetzt."

( Müller, Den Geist verwurzeln, S. 176 )

 

Die Königin ist während der gesamten Geschichte besessen von der Idee, Schneewittchens Tod sei notwendig für ihr zufriedenes Weiterleben. Fixe Ideen sind wie Dämonen, die das Handeln der besessenen Person beeinflussen, auch wenn es zum eigenen Schaden geschieht.

Die dreizehen Dämonenpunkte des Sun Si Miao wirken bei Besessenheit.

Sie sind psychische Regulierungspunkte, die den geistig seelischen Aspekt jeder Erkrankung erreichen. Der Geist wird entspannt und eine andere Einstellung zur Krankheit wird möglich. Sie werden in einer festgelegten Reihenfolge genadelt, um den bösen Geist auszutreiben.

Tanzen ohne eigenen Antrieb erinnert an neurologische oder psychiatrische Erkrankungen, wie den Veitstanz, auch an nicht zu kontrollierende Agitiertheit, falsche Freude.

Rotglühende Schuhe haben Bezug zur Wandlungsphase Feuer. Diese Kombination weist auf den Punkt

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Pericard 7 – Gui Xin - Dämonenherz hin

Pericard 7 ist indiziert bei emotionalen Erkrankungen, die mit aufsteigender Hitze in Verbindung stehen, durch die der Geist gestört wird.

" Wir stechen in das Dämonenherz, wenn sich der Dämon durch exzessive Ausschweifungen aller Art darstellt. So befreien wir den Herz-Kaiser und Shen-geprägte, heitere Gelassenheit kann anstelle von exaltierter Freude treten." ( Lorenzen/Noll, Die Wandlungsphase Feuer, S. 68 )

 

 

16. Ein etwas anderer Blickwinkel auf das Märchen:

Lösen wir die Hauptfiguren der Geschichte aus dem Kontext des Märchens und betrachten die Ereignisse ausschließlich als Metaphern, erhalten wir einen Überblick auf die vom Jing gesteuerten Entwicklungszyklen des Menschen.

Schneewittchen:

Schneewittchens Werdegang beginnt mit dem Tod der Mutter. Dieser Tod kann auch ausschließlich sinnbildlich als erste Trennung aus der beschützenden, versorgenden, nährenden Einheit in das eigene Leben gesehen werden.

Ein Jahr später erscheint eine neue Mutter, die vielleicht nicht wirklich als andere Person, sondern als neuer Aspekt des Mutterbildes gesehen werden kann.

Mit einem Jahr erkennen Kinder sich selbst im Spiegel. Sie beginnen sich selbst als eigenständige außerhalb der Mutter existierende Wesen zu begreifen. Die Mutter ist plötzlich nicht mehr ein Teil ihres Seins, sondern ein Gegenüber, ein anderer Mensch.

Die nächste Zeitangabe der Geschichte bringt uns in die Mitte der Wandlungsphase Holz, der erste 7- Jahreszyklus ist abgeschlossen.

In diesem Alter ist der Zahnwechsel angesiedelt, der nach dem Weltbild der anthroprosophischen Medizin die Schulreife anzeigt. Ein weiterer Schritt ins Leben wird dadurch markiert.

Die Wandlungsphase Holz mit ihrer starken Dynamik steht in voller Blüte und läuft Gefahr auszuufern.

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Diese überwältigende Kraft des Holzes wird im Märchen markiert durch den riesigen Wald, den das Mädchen den ganzen Tag durchlaufen kann, ohne an sein Ende zu gelangen.

Zu langes Laufen schädigt Muskeln und Sehnen, d.h. das Holz muss auch zu seinem eigenen Schutz in seinem expansiven Bewegungsdrang gebremst werden.

Ein zu stark wuchernder Wald wird durch die Axt "im Zaum gehalten": Metall kontrolliert Holz, hier symbolisiert durch die sieben Zwerge.

Struktur und Ordnung halten so Einzug in den rebellierenden Wildwuchs.

Die Schwierigkeiten des Vierzehn Jahresüberganges wurden bereits angesprochen.

Das erneut auftauchende Thema Tod zeigt einen weiteren Impuls des Jing an, der Schneewittchen in die Wandlungsphase Feuer katapultiert.

 

Die Mutter:

Auch die Figur der Mutter werte ich hier nicht als zwei Personen, sondern als unterschiedliche Aspekte eines Menschen.

Zunächst finden wir das Bild der Wandlungsphase Erde mit ihren nährenden, mütterlichen, tragenden und gebärenden Aspekten skizziert.

Nach dem symbolischen Tod, den ich jeweils als Impuls des Jing zur Weiterentwicklung werte, befindet sich die Königin im Reich des Metalls.

Das wird auch dadurch deutlich, dass die Frau nicht am Biss in die weiße Apfelhälfte stirbt, denn weiß ist die Farbe des Metalls und entspricht somit ihrem Entwicklungsstand.

Beschrieben wird im Märchen eine Frau im Klimakterium mit den damit verbundenen Problemen.

Auf der Körperebene werden Einschlaf- und Durchschlafprobleme

( Herzblutleere, Herzyinleere ), innere Unruhe ( Yinleere ) und Herzsymptome angesprochen.

Auf der psychischen Ebene werden die Auseinandersetzung mit dem Alterungsprozess und die damit verbundenen Ängste thematisiert. Innere Unruhe, Gereiztheit, Angst und Nervosität werden angesprochen.

 

 

 

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Eine Szene des Märchens beschreibt das Zurückfließen des ganzen Blutes zum Herzen. Möglicherweise wird hier das Versiegen der Monatsblutung angezeigt. Der Bao Mai, das Uterusgefäß, ein Aspekt des Chong Mai verbindet Herz und Uterus.

Er "verändert mit der Menopause seine Fließrichtung: Statt sein Blut zur Gebärmutter zu senden, fließt das Blut von nun an dem Herzen zu."

( Kaffka, Wechseljahre Wandeljahre, S. 92 )

Auch die Königin stirbt einen symbolischen Tod, der den Übergang in die Wandlungsphase Wasser markiert.

Glühende eiserne Pantoffeln führen diesen Tod herbei: Feuer kontrolliert Metall. Die Hitze des Feuers bringt das Metall zum Schmelzen und sorgt dafür, dass Metall in die Lage versetzt wird, sich zu wandeln.

Nächste Station ist die zu erlangende Weisheit des Alters.

 

Der Hauptfokus des Märchens liegt bei dieser Betrachtungsweise auf den Wandlungsphasen Holz und Metall. Die Thematik der Holz- Metallachse mit ihren großen Gegensätzen Expansion, Dynamik und Rebellion gegen Begrenzung auf der einen Seite und Beschneidung, Kontrolle und Strukturierung auf der anderen Seite wird durch den Kampf der Königin gegen die Prinzessin anschaulich verdeutlicht.

 

 

Letzte Worte – Ausblendung des Themas

 

Ich bin nun am Ende meiner Ausführungen angelangt.

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte Schneewittchens hat mich sehr nachdenklich werden lassen.

Ich habe großen Respekt bekommen vor der Macht des Wassers, dem bedingungslosen Einsatz, dem Willen, der freigesetzt wird, um das eigene Leben, das Ego zu erhalten, zu stärken, zu schützen, zu verteidigen.

Aber ich habe auch gelernt, die ordnende Kraft des Lebens ( die Notwendigkeit des Zusammenspiels der fünf Wandlungsphasen ) zu respektieren, die hier einschreitet, als das Wasser ausufert;

Respekt vor den Schranken, die dem zu starken, fehlgeleiteten Willen gesetzt werden, indem sich das zu allmächtig gelebte Wasser selbst verzehrt wie im Fall der Königin.

Und so verlasse ich nun Schneewittchen, die hoffentlich in den Armen ihres Prinzen glücklich wird, und wenn sie nicht gestorben sind, so…

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Literaturverzeichnis

 

Kinder- und Hausmärchen gesammelt durch die Brüder Grimm, 1997

Nei Jing – Der Klassiker des gelben Kaisers zur inneren Medizin – Su Wen

In der Übersetzung von W. G. A. Schmidt

Bauer, W./Dümotz, I./Golowin, S.: Lexikon der Symbole, 2003

Deadman, P./Al Khafaji, M./Baker, K.: Großes Handbuch der Akupunktur, 2000

Kaffka, A.: Wechseljahre Wandeljahre, 2003

Kirschbaum, B.: Die 8 außerordentlichen Gefäße in der traditionellen chinesischen Medizin, 1995

Lorenzen, U./Noll, A.: Die Wandlungsphasen der traditionellen chinesischen Medizin – Band 1 Wandlungsphase Holz, 1992

Band 3 Wandlungsphase Erde, 1996

Band 4 Wandlungsphase Feuer, 1998

Band 5 Wandlungsphase Wasser, 2000

Maciocia, G.: Die Grundlagen der Chinesischen Medizin, 1994

Müller, J. V.: Den Geist verwurzeln, 2001

Platsch, K.D.: Psychosomatik in der Chinesischen Medizin, 2000

Scott, J./Barlow, T.: Akupunktur in der Behandlung von Kindern, 2003

Zerling, C./Bauer, W.: Lexikon der Tiersymbolik, 2003

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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