AUFLÖSUNG DER EHE Im ALTEN CHINA, FREIWILLIGER TOD EINES DER EHEGATTEN, DIE SCHWIEGERMUTTER
- Wilhelm Filchner -
Die Gemeinschaft der Eheleute kann auf drei Wegen aufgelöst werden: einmal auf normale Weise durch den Tod eines der beiden Ehegatten oder dadurch, daß einer von ihnen freiwillig aus dem Leben scheidet, zweitens durch die gerichtliche Scheidung und drittens durch den Verkauf der Frau.
Nach chinesischen Begriffen ist, wie wir wissen, der Mann der absolute Herrscher in seinem Hause. Er kann tun und lassen, was ihm beliebt. Anders die Frau; sie ist ihm unbedingten Gehorsam schuldig! Der Ehebruch, dessen sich die Frau schuldig macht, ist demnach vor dem Gesetz ein triftiger Scheidungsgrund.
Dem Ehemann, der seine Frau mit ihrem Liebhaber überrascht, steht ohne weiteres das Recht zu, beide zu töten. Er bleibt straffrei. Schenkt er der Frau das Leben, so wird sie als Sklavin verkauft. Der aus dem Verkauf erzielte Gewinn fließt in die Staatskasse. Liegt nur ein Ehebruchsverdacht vor, und läßt sich der Mann vom Zorn hinreißen, die nach seiner Meinung Schuldigen zu töten, so wir die "Wasserprobe" vorgenommen. Die "Wasserprobe" soll es an den Tag bringen, ab der Ehemann das leichtfertige Paar zu Recht aus dem Wege räumte. Bei dieser "Wasserprobe" werden die Köpfe der Toten in ein großes, mit Wasser angefülltes Gefäß geworfen. Darauf wird das Wasser mittels eines Stockes in heftige rotierende Bewegungen versetzt. Gilt die Schuld als erwiesen, so müssen die Gesichter der Toten, sobald das Wasser zur Ruhe gekommen ist, einander zugekehrt sein, als oh sie sich küssen wollten. Mit dieser Stellung ist dann der Beweis des vollendeten Ehebruchs erbracht, und der betrogene Ehegatte hat die Tötung des Paares zu Recht vollzogenl
Bei allen Verstößen in der ehelichen Gemeinschaft fällt die Schuld auf die Ehefrau zurück. Als Scheidungsgründe werden vor dem Gesetz anerkannt: Eifersucht der Frau, Ungehorsam gegen die Schwiegereltern, Neigung zur Schwatzhaftigkeit und zum Diebstahl, fortgesetzter liederlicher Lebenswandel und Pflichtverletzung, kurz alle Charakterfehler bedenklicher Art. Außerdem bedingen schwere körperliche Mängel und Gebrechen oder abstoßende Krankheiten, z. B. Aussatz, die sofortige Scheidung. Chinakenner berichten übereinstimmend, daß keiner der oben angeführten Gründe mehr geltend gemacht werden kann, sobald die betreffende Frau mindestens drei Jahre um die Eltern ihres Gatten getrauert und Ahnenopfer dargebracht hat. War außerdem die Familie des Ehemannes zur Zeit der Eheschließung arm und gelangte im Verlaufe der Ehe in bessere Lebensumstände, so gereicht das der Frau zum Schutz. Ebensowenig darf die Scheidung ausgesprochen werden, wenn die Frau bereits elternlos, damit also heimatlos geworden ist. Trennt sich der Mann unter Nichtachtung dieser Bestimmungen dennoch von seiner Frau, so verfällt er der Strafe durch den Bambus und muß die unterbrochene eheliche Gemeinschaft mit der verlassenen Frau alsbald wieder aufnehmen.
Ein anderer, besonders ernster und triftiger Scheidungsgrund ist die Unfruchtbarkeit der Ehefrau. Dieses tragische Geschick wird von der liebenden Chinesin ebenso bitter empfunden wie von ihrer europäischen Schwester, die sich in gleicher Lage sieht. Die chinesische Frau weiß nur zu genau, daß die hingebendste und opferfreudigste Liebe diesen entscheidenden Mangel nicht ausgleichen kann. Ohne Sohn ist ihr der Gatte verloren; er führt ein unzufriedenes, ehrloses Dasein und kann nicht ruhig in das Reich der Schatten eingehen, weil er ohne Nachkommen blieb und niemand mehr den Ahnen opfern würde. Eine unfruchtbare Frau ist im Reiche der Mitte in der Tat beklagenswert. Hoffnungslos steht sie vor den Trümmern ihres Glückes, niemals wird sie das höchste Ziel ihres Daseins erreichen, einem Knaben das Leben zu schenken! Gelingt es ihr aber, sich mit dem Gedanken an eine Nebenfrau abzufinden, dann hat sie Aussicht, ihr Los zu erleichtern. Daneben gibt es noch eine andere Lösung: Das kinderlose Ehepaar kann in besonderen Glücksfällen den verwaisten Sohn eines Bruders des Gatten, einen Enkel des Oheims oder endlich einen Urenkel des Großoheims, oder falls alle diese Voraussetzungen fehlen, auch einen beliebigen Jungen an Kindes Statt annehmen. Damit ist der häusliche Friede meist wieder hergestellt und gesichert. Schlagen aber alle diese Erwartungen fehl, so wird die Scheidung vorgenommen. Sie ist, wie bei uns, auch in China leichter durchzuführen, wenn die Ehe kinderlos blieb. Sind aber Kinder, also Mädchen aus der Verbindung entsprossen, so bringt die Scheidung den Müttern doch tiefes Herzeleid, weil die Wechselbeziehungen zwischen Mutter und Kind im Reiche der Mitte viel stärker und inniger betont sind, als vielfach bei uns in Europa. Auch die Kinder hängen in großer Liebe an ihren Eltern und lassen keine Gelegenheit ungenutzt, ihre Dankbarkeit und Ehrfurcht zum Ausdruck zu bringen. Oft genug ist es einzig und allein die Hingabe der Kinder an ihre Eltern, die diese wieder enger zu einander führt, wenn die Beziehungen der Ehegatten vielleicht zu erkalten drohen.
Da dem Ehemann das unbeschränkte Züchtigungsrecht zusteht, bilden Schläge, mit denen er seine bessere Hälfte traktiert, k e i n e n Scheidungsgrund. Er darf seine Frau nur nicht totschlagen! Bei tragischem Ausgang der Züchtigung verfällt er dem Richterspruch und wird erdrosselt.
Die Ehefrau jedoch darf es niemals wagen, ihre Hand gegen ihre Eltern oder Schwiegereltern zu erheben; täte sie das, so müßte sie alsbald enthauptet werden. Wollte sie gar die schwere Schuld auf sich laden, ihren Gatten zu beseitigen, so würde sie "in 10 000 Stücke" zerschnitten.
Für den chinesischen Ehemann gibt es aber noch eine Möglichkeit, sich auf legalem Wege seiner Frau zu entledigen: er kann sie verkaufen! In Si Ning Fu entspricht der Preis einer Frau dem eines Pferdes. Sind die Füße der Frau nur ungenügend verkrüppelt, so sinkt der Preis auf 15 bis 16 Taels herab, für die man auch ein mit Mängeln behaftetes Pferd ersteht. Für 50 Taels und mehr wird schon wertvolleres Material angeboten; die vollendetste Frau erzielt einen Marktpreis von höchstens 100 Taels. Das ist aber ein Luxus, den sich nur Mandarinen oder reiche Kaufleute leisten können.
Endlich kann eine chinesische Ehe dadurch gelöst werden, daß einer der Gatten – fast ausnahmslos die Frau – freiwillig in den Tod geht. Für diese Art der Scheidung gibt es mannigfaltige Gründe, z. B. Lebensüberdruß, Gemütskrankheit, Weltflucht, um der Peinigung einer bösen Schwiegermutter zu entfliehen u. a. m. Unter den Selbstmörderinnen begegnen uns häufig auch Witwen, die sich nach dem Tode ihres Mannes unter umständlichen Vorbereitungen erhängen, ertränken oder sich mit Arsenik oder Opium vergiften. Sie stehen in China im Rufe von Märtyrerinnen, die hochgeachtet werden, und denen nach ihrem freiwilligen Scheiden ein Ehrenbogen sicher ist.
Dieselbe Ehrung erwarten, wie wir bereits sahen, alle jene Frauen, die sich selbst töten, um der Schändung oder der Hand des Feindes zu entgehen.
Es ereignet sich zuweilen aber auch, daß Frauen sich das Leben nehmen, um dauernder schlechter Behandlung seitens ihrer Männer zu entrinnen, oder weil sie einer Konkubine, die sich der Ehemann hält, nur auf diese Weise das Feld räumen wollen. Alle derartigen Fälle werden jedoch nicht tragisch genommen. Das Gesetz entbindet den Ehemann ohne weiteres jeder Schuld; es enthält z. B. die ausdrückliche Bestimmung, daß "Männer, deren Frauen den Tod suchen, weil sie von ihrem Gebieter gezüchtigt wurden, schuldlos sind". Dieser Gesetzesparagraph soll wohl mehr ein Gegengewicht schaffen, damit die stark ausgeprägte Rachsucht der Frauen nicht allzusehr überhand nimmt; denn häufig genug hat es sich ereignet, daß Frauen in den Tod gingen, um ihren Mann und dessen Angehörige in der öffentlichen Meinung herabzusetzen und ihnen ernste Schwierigkeiten zu bereiten. Bei der unglaublichen Lebensverachtung der Chinesen werfen oft sogar ganze Familien aus Sympathie mit der Selbstmörderin das ihnen wertlos erscheinende Leben fort. Auch Frauen und Jungfrauen, die verkauft werden sollen oder häuslicher Not und einer unglücklichen Ehe entfliehen wollen, machen ihrem Leben kurz entschlossen ein Ende. Bei weitem der haufigste Grund für den Selbstmord chinesischer Frauen bildet die vielfach wirklich recht schlechte Behandlung seitens der S c h w i e g e r m u t t e r.
Schon ein europäisches Sprichwort sagt: "Eine Schwiegermutter ist bitter, und wäre sie auch von Zucker." Hierzulande ist sie von den Herren der Schöpfung meist gefürchtet; sie gehen ihr gern aus dem Wege. In China liegen die Dinge umgekehrt; dort schafft sie der Ehefrau die Hölle auf Erden. Der Schwiegermutter ist gleich dem Eheherrn unumschränkte Gewalt verliehen; ihr steht sogar das Züchtigungsrecht über die Frau ihres Sohnes zu!
Sind Nebenfrauen im Hause, so haben sich diese unbedingt ihren Befehlen unterzuordnen.
Gelingt es der ausgeschalteten legitimen Frau nicht, sich mit der Schwiegermutter auf guten Fuß zu stellen, dann trägt sie ein schweres Joch. Ist die junge Frau das einzige weibliche Wesen im Hause, wird ihr die böse Schwiegermutter schonungslos alle schwere Arbeit aufbürden. Es wird ihr kaum gelingen, etwas zur Zufriedenheit der harten Herrin zu verrichten. Während des ganzen Tages hört die Ärmste nichts als Scheltworte, und ihre Augen sind oft tränenschwer. Soll es in China doch sogar Schwiegermütter geben, die ihre Tochter wegen geringer Verstöße umbringen, verkaufen, oder von I-laus und Hof jagen; zuweilen allein nur deshalb, um eine Mitwisserin ihres eigenen liederlichen Lebenswandels mundtot zu machen. So ist das Bild der chinesischen Schwiegermutter keineswegs erfreulich. Mancher Selbstmord der jungen Frauen ist lediglich auf die unwürdige Behandlung böser Schwiegermütter zurückzuführen. Nur durch die Drohung mit dem Selbstmord gelingt es der Gequälten manchmal, die Schwiegermutter zu besserer Behandlung zu veranlassen. Die Schwiegermütter vergreifen sich aber auch an den sogenannten Kinderbräuten, an Mädchen, die in früher Jugend in die Hausgemeinschaft aufgenommen wurden, um später einem der Söhne vermählt zu werden. Selbst diese ganz unschuldigen Mädchen haben schwer unter den Launen solcher Xanthippen zu leiden.
Ich erinnere niich eines typischen Falles, der sich nach einer Meldung der "Peking Gazette" im Jahre 1895 in Hunan zugetragen haben soll. Er zeigt die skrupellose Hartherzigkeit einer solchen Frau in den schwärzesten Farben:
Ein kleines Mädchen war im Alter von drei Jahren von einer Familie angekauft worden. Im sechsten Lebensjahre wurde das Kind plötzlich leidend und konnte seine Hausarbeit nicht mehr so mustergültig verrichten wie bisher. Häufig erhielt es deshalb Schlage von der Schwiegermutter. Eines Tages ließ sich diese in ihrem unbeherrschten Zorne sogar hinreißen, dem Kinde ein brennendes Zündholz unter den Arm zu halten und bald darauf verbrannte sie ihm die Kopfhaut und den Nacken mit glühenden Zangen! In seiner Todesangst schrie das beklagenswerte Wesen, wodurch die Frau nur noch rasender wurde. In heller Wut ergriff sie ein Gefäß mit siedendem Wasser, das sie dem armen Mädchen über den Körper goß. Bald darauf starb das Kind an den Brandwunden. Die böse Schwiegermutter wurde angezeigt. Das Gericht verurteilte sie lediglich zu einer lächerlich geringen Geldbuße!
Die chinesische Schwiegermutter weiß sehr gut, welche Rechte ihr im Hauswesen des Sohnes zustehen; sie hat unbeschränkte Gewalt. Das Gericht wird ihr, selbst wenn sie die eigene Schwiegertochter meuchlings umbringt, keine ernsten Schwierigkeiten bereiten. Sogar in diesem Falle wird die schwere Schuld der Schwiegermutter durch Verhängung einer Geldbuße vor dem Gesetz gesühnt.
Zuweilen erwächst ihr aber in den Verwandten der Ermordeten oder zu Tode Gequälten ein Richterkollegium, das ihr doch einige Angst einjagt. Da ereignet es sich wohl, daß die Angehörigen der getöteten Schwiegertochter in ihrer Rache den Frieden im Hause der bösen Schwiegermutter zerstören. Meist endet ein solcher hartnäckiger Kampf mit einer schließlichen Einigung der Parteien. Die hartherzige Frau und ihr Anhang müssen sich bereit erklären, der Verstorbenen nachträglich ein pompöses, sehr teures Leichenbegräbnis zu bereiten. Erst dann stellen die Verwandten die weitere Verfolgung ein.
Wie überall, gibt es auch hier rühmliche Ausnahmen, in denen die Schwiegermütter in friedlicher Harmonie mit ihren Hausgenossen leben und die Eintracht der Familienmitglieder in weiser Erkenntnis höher bewerten, als die Machtgelüste, die ihnen aus ihrer bevorzugten und einflußreichen Stellung im Hauswesen des Sohnes erwachsen. Sie teilen die Sorgen ihrer Kinder und erfüllen bis zuletzt ihre Pflichten im Dienste aufopfernder Liebel