Udo Lorenzen

Sozialpädagogische Behandlung von "Schizophrenen" in therapeutischen Wohngemeinschaften

 

Examensarbeit

an der Fachhochschule Kiel

Fachbereich Sozialwesen

Dozent: Rainer Nathow

 

Kiel, im März 1980

Einleitung *

1 Über die "Schizophrenie" *

1.1 Historischer Abriß über den professionellen Umgang mit Geisteskranken *

1.2 "Schizophrenie", ein unmöglicher Begriff *

1.3 Der psychoanalytische Begriff der Psychosen *

1.4 Schizophrenie als soziale Störung *

1.4.1 Schizophrenie und Familie *

1.4.2 Double-Bind oder die "Man-kann-nicht-gewinnen-Situation" (D. B.) *

1.4.3 Die Pseudogemeinschaft (P. G.) *

1.4.4 Möglichkeiten und Grenzen des kommunikationstheoretischen Ansatzes *

1.5 Merkmale "schizophrenen" Verhaltens *

1.6 Zusammenfassung *

2 Das Psychiatrische Behandlungssystem *

2.1 Psychiatrie und Geisteskrankheit *

2.2 Therapie *

2.3 Psychiatrie als totale Institution *

2.3.1 Merkmale *

2.3.2 Die Welt der Insassen oder: Prozeß der primären Anpassung *

2.3.3 Das Unterleben *

2.4 Psychiatrie und Gewalt oder: Über das gestörte Verhältnis der Institution zu ihren Patienten *

3 Über die therapeutische Wohngemeinschaft *

3.1 Alternative Ansätze zur Psychiatrie *

3.2 Prinzipien der therapeutischen Gemeinschaft (th. G.) *

3.2.1 Prinzip der demokratisch-egalitären Struktur *

3.2.2 Prinzip der kollektiven Führung *

3.2.3 Entscheidungsprozeß im Konsensus, Teamarbeit *

3.2.4 Soziales Lernen *

3.3 Gruppeninterne Interdepenzen *

Exkurs: Was ist Soziotherapie (S.t.)? *

3.3.1 Wohnen und Soziotherapie *

3.3.2 Aspekte gruppeninterner Interdependenzen *

3.4 Die "Freiheit" in der Gemeinschaft als Alternative zur institutionellen Repression in der Psychiatrie? *

3.4.1 Ideologie der therapeutischen Wohngemeinschaft (th. WG) *

3.4.2 Verändertes Rollenverhältnis und Berufsgruppenproblematik *

3.4.3 Gefahren paradoxer Kommunikation *

3.5. Konzeptionelle Darstellung der therapeutischen Wohngruppen für Psychotiker des DPWV in Lübeck (Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband *

3.5.1 Grundsätzliche Orientierungen und Bedingungen der Einrichtung *

3.5.2 Zu einzelnen Aspekten der Arbeit *

3.5.3 Neuere Entwicklungen, die Therapiekette *

3.5.4 Zusammenarbeit mit Ärzten und Kliniken *

3.5.5 Aufnahmekriterien und Einfluß des Trägers *

4 Probleme sozialpädagogischer Intervention und Behandlung bei schizophren Erkrankten *

4.1 Der Soziapädagoge (S.P.) als "Professionell Normaler" *

4.2 Der Sozialpädagoge und der "Schizophrene" *

4.2.1 Abweichung und pädagogische Reaktion *

4.2.2 Aspekte schizophrener Interaktion; das Bestreben, den anderen verrückt zu machen *

4.2.3 Die therapeutische Beziehung *

4.3 Der Sozialpädagoge in der therapeutischen Wohngemeinschaft *

4.3.1 Multiprofessionelle Kooperation bei psychotischen Erkrankungen *

4.3.2 "Technokrat" oder sozialer "Partner" im professionellen Umgang mit dem Schizophrenen? *

4.3.3 Institutionell-psychotische Mischsyndrome *

4.4 Der Sozialpädagoge als Helfer *

4.4.1 Der "institutionalisierte" Helfer *

4.4.2 Der "hilflose" Helfer *

4.5 Der Sozialarbeiter als Kontrolleur *

4.5.1 Agend der sozialen Kontrolle *

4.5.2 Macht und Kontrolle in der therapeutischen Wohngemeinschaft *

4.6 Möglichkeiten einer Identität für den Sozialpädagogen im psychiatrischen Feld *

Schluß *

Literaturverzeichnis *

Einleitung

Ich habe mein 6-Wochenpraktikum in den therapeutischen Wohngemeinschaften für Psychotiker in Lübeck absolviert. Mit einem Schatz von Erfahrungen, aber auch mit vielen Fragen, die, wie ich meine, sich für meine spätere Berufspraxis als bedeutsam erweisen werden, endete meine Praktikumzeit, in der ich immer wieder in extremen sozialen Konfliktsituationen bis an die Grenzen meiner Belastbarkeit gebracht wurde. Ich will nun meine Examensarbeit zum Anlaß nehmen, mich ausführlicher mit der Problematik des Umganges mit Geistesgestörten zu beschäftigen. Als zukünftiger Sozialpädagoge interessiert mich vor allem die Frage sozialpädagogischer Behandlungsmöglichkeiten "Schizophrener", insbesondere in therapeutischen Wohngemeinschaften.

"Abweichung ist der entscheidende Gegenstand der sozialpädagogischen Arbeit, Abbruch oder Eindämmung von Dissoziierungsprozessen die entscheidende Zielsetzung", schreiben Wurr/Trabandt (Wurr/Trabandt, Arbeitspapier, S. 9). Welche Kriterien gelten für "Abweichung"?. Wer mißt und bewertet sie? Abweichung, Devianz existiert immer in Bezug auf eine Norm, der Begriff enthält ein moralisches Urteil. "Devianz verweist auf gesellschaftliche Unerwünschtheit, auf tatsächlichen Widerstand gegen den Moralkodex und die vorherrschenden Konventionen. Der Begriff ist normativ." (Jervis, 1978, S. 74) Abweichung erscheint also immer im Zusammenhang mit einem bestimmten Normensystem! Was ist normal? "Normal ist, wer sich den herrschenden Normen anpaßt, keine großen Probleme hat und für die anderen keine großen Probleme schafft" (Jervis, ebd., S. 217) Normalität mißt sich an einem bestimmten Verhalten, welches uns vorgeschrieben wird durch eine Reihe von Verhaltenskodizes. Diese können je nach Klassenzugehörigkeit variieren. Insoweit "Normalsein" eine gesellschaftliche Größe ist, haben in jeder Gesellschaft, die durch soziale Ungleichheit und Klassengegensätze gekennzeichnet ist, die jeweils Herrschenden ein besonderes Interesse und bessere Chancen, ihre Normen und Werte als allgemeingültig darzustellen. Marx/Engels schreiben dazu:

 

"Jede neue Klasse nämlich, die sich an die Stelle einer vor ihr herrschenden setzt, ist genötigt, schon um ihren Zweck durchzuführen, ihr Interesse als das gemeinschaftliche Interesse aller Mitglieder der Gesellschaft darzustellen, d. h. ideell ausgedrückt, ihre Gedanken die Form der Allgemeinheit zu geben, sie als die einzig vernünftigen, allgemeingültigen dazustellen." (MEW, Band 3, S. 47)

Um dies in die Köpfe aller Menschen "hinzupressen", entwickelt sie (die herrschende Klasse) dazu ein bestimmtes Wertsystem, eine Ethik. Für die Epoche des Kapitalismus gilt:

"Die kapitalistische Ethik (Disziplin, Verantwortungsbewußtsein, Sparsamkeit, aber auch gelenkte Kreativität im Rahmen der Pläne des Kapitals) bilden den wichtigen Inhalt der kapitalistischen Bewußtseinsstruktur, die sich durch Kapitalismus allgemein durchzusetzen beginnt, sie ist insofern falsches Bewußtsein, als sie eine Bewußtseinsbildung über das Wesen der kapitalistischen Gesellschaft verhindert." (Jervis, a.a.O., S. 224)

 

Jedes Normensystem dient also immer der Stabilisierung der herrschenden Ordnung. Abweichung, Devianz, ist, im Verhältnis zur Normalität, ebenfalls eine gesellschaftliche Kategorie. Abweichendes Verhalten wird sanktioniert. In allen Kulturen existiert eine Ideologie, die den repressiven Umgang mit der Devianz rechtfertigen soll, jede Gesellschaft legitimiert bestimmte Personen, gegen Abweichler vorzugehen. Ich werden diesen Personenkreis die "Professionell Normalen" nennen. Die Sanktion erfolgt umso selbstverständlicher, je mehr das Individuum eine absolute Ordnung übertritt. Ist in unserer heutigen Kultur die Macht und Kraft des Geistes entscheidendes Kriterium für Gesundheit und Normalität (dies findet seine Legitimation in der Ideologie der Wissenschaft und der Objektivität der Naturgesetze), so wird der geistig Abweichende als Kranker, als Geistesgestörter, als anormales Wesen, das dem "Wahnsinn verfallen ist", erkannt. Der Wahnsinn wird Gegenstand der Medizinischen Behandlung durch den Professionell Normalen, dem Arzt. Indem der Psychiater Schizophrenie diagnostiziert, fällt er ein Urteil über das deviante Verhalten einer Person. "Dies Urteil des Wahnsinns ist immer ein Werturteil und immer mit einer moralischen Bewertung verbunden." (Jervis, ebd., S. 75) Die derart ettikettierte Person, der "Verrückte", erhält ein Stigma, welches sie im Verhältnis zum Normalen "zutiefst diskreditiert". (Goffman, 1968, S. 11) Er ist in unerwünschter Weise anders, als es antizipiert wird, er verliert sein Recht auf eine menschliche Identität. Goffman schreibt dazu: "Von der Definition her glauben wir natürlich, daß eine Person mit einem Stigma nicht ganz menschlich ist. Unter diesen Voraussetzungen üben wir eine Vielzahl von Diskriminationen aus, durch die wir ihre Lebenschancen wirksam, wenn auch oft gedankenlos, reduzieren." (Goffman, ebd., S. 14) Dadurch, daß die Wahnsinnsproblematik und ihre Psychiatrische Behandlung aus der Welt der normalen Beziehungen verbannt wird, gelingt es auch, "das psychiatrische Problem von seinem psychologischen und zwischenmenschlichen Problem (das dann auch politischen Charakter hat! d. Verf.) auf ein unhistorisches, streng individuelles, zufälliges, biologisches, auf mechanische Weise nicht-menschliches Problem zu reduzieren." (Jervis, a.a.O., S. 81)

In meiner Arbeit will ich versuchen, das Verhältnis normal – "verrückt" (verrückt heißt ja zunächst einmal nur, von der Norm ver-rückt) zu problematisieren. Konkrete Erscheinungsform dieses Verhältnisses ist die Beziehung "Schizophrener" – Psychiater. Den professionellen Umgang mit "Schizophrenie" will ich als Behandlung bezeichnen. Wo und inwieweit der Sozialpädagoge "Schizophrenie" behandeln kann, soll das zentrale Thema meiner Arbeit werden.

Im ersten Teil, nach einer kurzen Darstellung der Geschichte des Wahnsinns, und des professionellen Umgangs damit, werde ich verschiedene Betrachtungs- und Erklärungsmodelle darstellen, einmal das medizinische Modell, welches den Arzt als Spezialisten im Umgang mit dem Geisteskranken fordert, dann kurz den psychoanalytischen Ansatz, der schon soziale Elemente zur Erklärung der "Schizophrenie" beinhaltet. Der interaktionstheoretische Ansatz, der den Ursprung des Psychose in paradoxen Kommunikationsstrukturen der Familie sucht, bietet, weil er sich hauptsächlich mit sozialen Störungen befaßt, schon mehr Handlungsrelevanz und Interventionsmöglichkeiten für den Sozialpädagogen. Zum Schluß des ersten Teils versuche ich, eine möglichst vielseitige Interpretation von dem, was "Schizophrenie" genannt wird, zu geben, die offen ist für eine menschliche, nicht durch Diskreditierung geprägte Interaktion mit dem Behinderten und seinen Eigenarten.

Der zweite Teil beschäftigt sich mit dem Behandlungssystem der Psychiatrie, welches durch seinen repressiven Umgang mit den Geisteskranken immer mehr zum Kritikpunkt in der Öffentlichkeit wird. Indem ich hier verschiedene Aspekte der Unterdrückung und das Erleben für die Insassen darstelle, ergeben sich für mich notwendigerweise alternative Ansätze für eine "menschlichere" Behandlung des "Schizophrenen".

Im dritten Teil stelle ich als spezielle Möglichkeit die therapeutische Wohngemeinschaft vor. Auf der Grundlage einer "demokratisch-egalitären sozialen Struktur" (Jones, 1968, S. 80) wird hier ein anderer Umgang mit den "Verrückten" verlangt. Nicht mehr Heilung der Krankheit oder Internierung auf Lebenszeit steht im Vordergrund der Behandlung, der "Schizophrene" soll einen gekonnten Umgang mit seiner Störung erlernen. Hierbei kann ihm der Sozialpädagoge helfen. Indem er Einblick in und Verständnis für die dynamischen Prozesse zwischen den Mitbewohnern gewinnt, entwickeln sich für ihn Interventionsmöglichkeiten. Der Sozialpädagoge arbeitet hier im gewissen Sinne auch therapeutisch. Das Kapitel schließt mit einer ideologischen und konkreten Kritik der therapeutischen Gemeinschaft und einer realistischen Darstellung der Entwicklung eines Projektes in Lübeck. Dieser Bericht erfüllt seinen Zweck, wenn er allzugroße Hoffnungen in diesem alternativen Ansatz zur Psychiatrie relativiert und euphorische Verfechter von Wohngemeinschaften etwas bremst.

Das vierte Kapitel schließlich beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Verhältnis "Schizophrener" – Sozialpädagoge. Neben politischen Aspekten, welche die Arbeit des Sozialpädagogen stark beeinflußen, erscheinen mir auch subjektive Faktoren wichtig zu sein, welche die Person des Professionell Normalen betreffen und deren Erwähnung besonders im Umgang mit seelisch Gestörten relevant ist. Denn für eine verständnisvolle Beziehung zu "Schizophrenen" ist es nicht nur wichtig, psychische Sensibilität für den Gestörten zu entwickeln. Ebenso bedeutsam ist die Konfrontation und Auseinandersetzung mit der eigenen Psyche für den Sozialpädagogen, um in diesem reibungsreichen, konfliktträchtigen "Psycho-Klima" Störungen des Klienten und eigene "Macken" auseinanderhalten zu können.

  1. Über die "Schizophrenie"

1.1 Historischer Abriß über den professionellen Umgang mit
Geisteskranken

In allen Epochen der Geschichte hat es bestimmte Verhaltensweisen gegeben, die von den herrschenden geistigen Wertvorstellungen abwichen, als krank und unvernünftig erkannt wurden und von offziell Gesunden verfolgt und behandelt wurden. Basis dieser "Ausgrenzung der Unvernunft" (Dörner) war der jeweilige Entwicklungsstand der ökonomischen, und daraus resultierend, der ideologischen Verhältnisse. Sie bestimmten Form und Inhalt der Ausgrenzung von geistig Abweichenden. Aus diesem Wechselwirkungszusammenhang – Basis-Oberbau – heraus will ich im folgenden geschichtlich bestimmen, was eine Gesellschaft als vernünftig – unvernünftig definiert, wie sie das Unvernünftige-Auffällige bewertet und welche Umgangsformen und Einrichtungen sie prägt.

  1. Im Altertum waren bestimmte Abweichungen Ausdruck der Wünsche und Ängste der damaligen Zeit. Sie lösten in der Bevölkerung Bewunderung oder Entsetzen aus. Diese Epoche, die durch "mythische, naturreligiös-dämonische Zusammenhänge" geprägt wurde (Dörner/Plag, 1978, S. 428), hatte als "Professionell Normale" Schamanen, Medizinmänner und Zauberer, die sich mit Geistesstörungen beschäftigten. Ihre magisch-religiösen Praktiken (Tempelschlaf, Aussetzung, Exorzismus – vgl. Dörner/Plag, ebd., S. 428) dienten dazu, die Dämonen zu vertreiben sowie ihre Vormachtstellung im Stamm zu festigen. Die weiterentwickelte griechische Kultur hatte nüchtern entmythologisierte Vorstellungen über psychische Krankheiten. Seelisches Leisen war Bestandteil des Menschlichen, der Umgang damit war auf Heilung ausgerichtet. Aus dieser Zeit stammen die Begriffe "Psychotherapie" und der "Eid des Hippokrates". (vgl. Dörner/Plag, ebd., S. 428)
  2. Das Mittelalter war zunächst bestimmt durch die Allmacht der Kirche und dem Glauben an Gott. Zusammen mit den Ordensgemeinschaften übernahm sie die sozialen Angelegenheiten. Die Irren waren anerkannte Kinder Gottes, in den Großfamilien und Dorfgemeinschaften wurden sie akzeptiert und wenn nötig gepflegt. Aus dieser Zeit stammt der Begriff des "Dorftrottels", der als Mensch seine Existenzberechtigung hatte.+ Erst als die Macht der Kirche im Konkurrentenkampf mit dem weltlichen Staat ins Wanken geriet, "schuf sie sich mit der Inquisition ein ebenso erbärmliches wie wirksames Mittel, um ihre Macht dennoch zu demonstrieren." (Dörner/Plag, ebd., S. 429). Der Antipod Gottes, Satan, kam über die Menscheit.

"Eine religiös geprägte Gesellschaft versteht jedes Abweichen von ihren Normen in theologischen Begriffen: Abweichler ist die Hexe, der Handlanger Satans. So wurde die heilkundige Hexe, der Ketzer, der sich seine eigenen Gedanken machte, der Unzüchtige, der sich allzu sehr der Lust ergab, der Jude, der inmitten einer christlichen Gesellschaft unbeirrt die Göttlichkeit Jesu bestritt, so wurden sie alle als Ketzer bezeichnet und als Gottesfeind von der Inquisition verfolgt." (Szasz, 1976, S. 34f)

Alle Abweichler von der herrschenden Meinung waren plötzlich vom Teufel besessen und wurden zum Sündenbock abgestempelt. "Die Inquisition schuf Hexen, indem sie anderen diese Rolle andichtete." (ebd., S. 19) So wurden buchstäblich Hexen fabriziert! Um die Gesellschaft vor inneren Feinden zu schützen, schuf die Kirche im Malleus Malefikarum (Hexenhammer) ein Handbuch für Hexenjäger und damit eine Ideologie zur Hexenjagd. (vgl. Szasz, ebd., S. 38) Szasz geht in seiner radikalen Kritik an den Menschenjagden im Mittelalter ssoweit, daß er Hexenidentifikation und (unfreiwillige!) Schizophreniediagnose und –behandlung in der institutionellen Psychiatrie miteinander vergleicht.

"Obwohl sich Inquisition und Institutionelle Psychiatrie aus unterschiedlichen moralischen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten entwickelte, gleichen sie sich in ihrer Tätigkeit, in ihren Operationen; die Inquisition rettet die Seele des Ketzers und die Integrität seiner Kirche, der Psychiater gibt seinem Patienten die geistig-seelische Gesundheit wieder und schützt seine Gesellschaft vor dem gefährlichen Irren. ... man unterwirft beide bestimmten diagnostischen Prozeduren, um zu ermitteln, ob sie eine Hexe oder geisteskrank ist, und beraubt sie dann, vorgeblich zu ihrem Besten, ihrer Freiheit und oft auch des Lebens." (Szasz, ebd., S. 62)

  1. Das Zeitalter der Vernunft, das seine ökonomische Grundlage im Merkantilismus hat, umschließt die Epochen der Renaissance, der Klassik und des aufgeklärten Absolutismus. Es ist die Zeit der "administrativen Ausgrenzung der Unvernunft". (Dörner, 1969, S. 28) Die sich entwickelnde Bourgeoisie versucht unter der Fahne der Aufklärung sich von allem Irrationalen (Unvernünftigen) zu befreien und ihr gesamtes öffentliches und privates Leben auf die Rationalität (Vernunft) zu gründen. Der Aufstieg dieses Zeitalters
  2. "vollzog sich in eins mit einer neuen rigorosen Raumordnung, die alle Formen der Unvernunft demarkierte und jenseits der zivilen Verkehrs-, Sitten- und Arbeitswelt, kurz: der Vernunftwelt, hinter Schloß und Riegel verschwinden ließ. Bettler und Vagabunden, Besitz-, Arbeits- und Berufslose, Verbrecher, politisch Auffällige und Häretiker, Dirnen, Wüstlinge, mit Lustseuchen Behaftete und Alkoholiker, Verrückte, Idioten und Sonderlinge, aber auch mißliebige Ehefrauen, entjungferte Töchter und ihr Vermögen verschwendende Söhne wurden auf die Weise unschädlich und gleichsam unsichtbar gemacht." (Dörner/Plag, a.a.O., S. 430)

    In der Renaissance wurden die als störend-gefährlich Angesehenen entweder auf Narrenschiffen zusammengepfercht und auf unbekannte Reise geschickt (vgl. Focault, 1969, S. 25), oder in Zellen bzw. Türmen untergebracht, "gleichsam auf der Grenze zwischen zivilisierter Stadt und naturhaft-unzivilisierter Nicht-Stadt." (Dörner/Plag, a.a.O., S. 430) Solche Narrentürme gab es in jeder größeren Stadt, die bekanntesten in Deutschland waren die Tore von Lübeck oder der Jungfer von Hamburg. (vgl. Focault, a.a.O., S. 26) In der klassischen Epoche wurden große Häuser zur Internierung geschaffen, "als Reservoirs für die halsstarrigen Unvernünftigen". (Dörner/Plag, a.a.O., S. 430) Ein Datum kann als Meilenstein gelten:

    1956, das Dekret der Gründung des Hospitals generale in Paris. Das "Hospital" war keine medizinische Einrichtung, eher eine halbjuristische Struktur, eine administrative Einheit, die absolute Macht besaß:

    "Nahezu absolute Souveränität, Rechtssprechung ohne Berufen, das Recht zur Execution, gegen das nichts unternommen werden kann, - das Hospital generale ist eine eigenartige Macht, die der König zwischen der Polizei und der Justiz an den Grenzen des Gesetzes etabliert; die dritte Gewalt der Repression." (Focault, a.a.O., S. 73)

     

    Ähnliche Institutionen mit gleicher Macht hießen in England "houses of correction", in Deutschland Zucht-Korrektions- oder Arbeitshäuser. (Dörner, a.a.O., S. 27) Obwohl die Unvernunft in der Stelle der Internierungshäuser verborgen war, wurde der Wahnsinn als konkrete Auswirkung der Unvernunft an die Öffentlichkeit gebracht. Als Wesen, die nichts menschliches mehr an sich hatten, welche von einer "bestialischen Animalität, die nur durch Dressur und Vertierung zu meistern ist," (Focault, a.a.O., S. 145) befallen waren, wurden psychisch Kranke in Käfige gesperrt und den Bürgern auf Jahrmärkten und Schauplätzen vorgestellt. Dies diente nicht nur dem Amusement und Nervenkitzel der "Menschen", sondern hatte gleichzeitig Abschreckungscharakter, zeigten die "menschlichen Tiere" doch die Abgründe, in die einen der Irrsinn führen konnte.

  3. Zeitalter der industriellen Revolution: ist die Zeit des sich entwickelnden Industriekapitalismus, diese Epoche umfaßt die Romantik, in der die ersten psychiatrischen Ansätze entstehen. Dadurch, daß die kapitalistische Produktionsweise die herrschende wird, sind neue Kriterien für die Vernunft erforderlich. Der Kapitalismus braucht u. a. eine immer größer werdende Zahl verfügbarer Arbeiter, die im bürgerlichen Sinne "frei" sein müssen, um ihre Arbeitskraft dem Kapital verkaufen zu können. "Liberte, Egalite, Fraternit" heißt es auf dem Banner der Französischen Revolution.+ (historisches Grundwissen, S. 47) Vernunft bedeutet hier "ökonomische Hörigkeit." (Marx, MEW, 23, S. 603) Die Fähigkeit zum reibungslosen Funktionieren, Freisein von störenden persönlichen Eigenarten, Kalkulierbarkeit und Vorausberechenbarkeit des Verhaltens sind die neuen Kriterien der Vernunft. Die Ethik der Arbeit wird zur herrschenden Normalität, Müßiggang ist aller Laster Anfang. "Deshalb ist Müßiggang Revolte, gegen die staatlicherseits vorgegangen werden muß." (Focault, a.a.O., S. 90f) Das "Soziale Sichtbarwerden der Unvernunft" (Dörner, a.a.O., S. 53) bedeutet Massenarbeitslosigkeit auf Grund der Verdrängung des Arbeiters durch die Maschine (vgl. Marx, Das Kapital, S. 464ff) und bringt Arme und Irre in einen unlösbaren Zusammenhang.
  4. "Wer nicht arbeiten kann oder will, oder wer sich auf irgendeine andere Weise gegen die autoritäre Ordnung in der Familie, Gesellschaft, Staat, vergeht, wird eingesperrt – gleichgültig ob krank oder kriminell, ob verseucht oder süchtig, verrückt, oder verwahrlost oder auch rebellisch. Die Irren, insbesondere die als gefährlich angesehenen, vegetieren am Boden dieser Konglomerate, in den Kellerverliesen der Anstalten unter den schlimmsten Bedingungen dahin." (Köhler, 1977, S. 152)

    In den Internierungsinstitutionen sollen die "armen Irren" die kapitalistische Ethik lernen; "So erhält die Arbeit in den Internierungshäusern ihre ethische Bedeutung. Weil die Faulheit die absolute Form der Revolte geworden ist, zwingt man die Müßiggänger aus der unbegrenzten Muße in eine nutz- und fruchtlose Mühsal der Arbeit." (Focault, a.a.O., S. 91) Dies ist die Geburt der Psychiatrie als Einrichtung, sowohl des noch heute gültigen sozialen Versorgungssystems. (vgl. Dörner/Plag, a.a.O. S. 432) Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß hier über das Schicksal der "armen Irren" gesprochen wird. Für Irre aus begütertern Familien gab es nach wie vor andere Möglichkeiten: Hauspflege, Hausärzte, Sanatorien oder die damals beliebte Badereise in Begleitung. (vgl. Dörner/Plag, ebd., S. 432) In dieser Zeit entstand auch die Trennung zwischen (wohlhabenden) Bürgern, die es an den Nerven haben, und (armen) Irren, die verrückt sind in Irrenanstalten ausgemeindet werden, obwohl die Symptome die gleichen sind.

  5. Psychiatrie wird Medizinische Wissenschaft:

Nach der industriellen Revolution ändert sich die Einstellung über und praktische Behandlung der Irren. Der Wahnsinn wird zur Krankheit des Geistes, der Umgang mit ihm zur Heilbehandlung, und der Kranke zum Patienten. In dieser Zeit, Anfang des 19. Jahrhunderts, bildet sich auch der Berufsstand heraus, der offiziell mit Geisteskranken umzugehen hat, der psychiatrische Arzt. Schon damals versuchte der, den Patienten um jeden Preis zur Vernunft zu bringen.

"Beim Wahnsinn verstopfen schwarze Dünste die sehr feinen Gefäße, durch die die Lebensgeister hindurch müssen. In diesem Fall ist das Blut in seiner Bewegungsrichtung gehemmt, es verstopft die Adern im Gehirn, in denen es stagniert, wenn es nicht von einer konfusen Bewegung erregt wird, welche die Ideen verwirrt. ... Die Behandlung hat den Vorteil, kleine Pusteln auf dem Kopf hervorzurufen, die man mit Öl einreibt, um ihre Austrocknung zu verhindern, so daß der Ausgang für die Hirn fixierten schwarzen Dünste geöffent bleibt!" (Tuke, 1882, S. 93)

Die Ursachen der Krankheit des Geistes werden im Körper gesucht, als Schlachtruf gilt: "Geisteskrankheiten sind Gehirnkrankheiten!" (Dörner/Plag, a.a.O. S. 435) Dieser Einseitigkeit der Wahrnehmung entspricht eine bestimmte therapeutische Haltung: "Das Interesse an ihnen (den Patienten, d. Verf.) ist vorwiegend diagnostisch, klassifikatorisch oder beschreibend psychopathologisch." (Dörner/Plag, a.a.O., S. 436) Welche Folgen solche Ideologie für den Kranken haben kann, zeigen besonders krass und extrem die Experimente an Geisteskranken während des Naziregimes.+ Dadurch, daß die Psychiatrie sich als Unterdisziplin der Medizin institutionalisierte, mußten auch die Psychiater immer neue Beweise liefern, daß Geisteskranke körperlich krank seien, um ihren Berufsstand zu legitimieren. Der Arzt sieht durch eine ideologische Brille, die die Welt in gesund und krank aufteilt. Diesen "psychiatrischen Imperialismus" beschreibt Thomas Szasz als "Fabrikation des Wahnsinns" am Beispiel Benjamin Rushs’, dem Vater der amerikanischen Psychiatrie. (Szasz, a.a.O., S. 199ff) Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erweitert sich die Medizinische Auffassung des Geisteskrankheit. S. Freuds Psychoanalyse und seine Entdeckung des Unbewußten waren Anstoß genug dafür, Irrsinn aus krankmachenden Lebens- und Arbeitsbedingungen heraus zu erklären. Mit dieser "Wiederentdeckung der sozialen Aspekte" (Dörner/Plag, a.a.O. S. 438) geht eine umfassende Kritik am bisherigen psychiatrischen Behandlungssystem und der Allmacht der Psychiater einher, auf die ich in den folgenden Kapiteln noch näher eingehen werde.

 

1.2 "Schizophrenie", ein unmöglicher Begriff

Über die Schizophrenie gehen die Meinungen auseinander. Gibt es Schizophrenie als erkennbare Krankheitseinheit, oder, wenn es sie gibt, handelt es sich hier um eine biochemische, eine psychologische oder soziale Krankheit? Liegt dann die Hauptursache in metabolistischen Störungen des Gehirns, in intrapsychischen Konfliktsituationen oder in chronisch gestörten Familienbeziehungen? Im Folgenden werde ich diese Frage behandeln. Zuerst will ich einen Krankheitsbegriff definieren:

"Krankheiten sind Störungen im Ablauf der Lebensvorgänge, ..., es werden akute (rasch ablaufende) und chronische (schleichend verlaufende) Erkrankungen unterschieden. Befragung und Untersuchung (Diagnose), die sich aus verschiedenen Krankheitszeichen (Symptomen) ergibt. Sie ermöglicht wirksame Behandlung (Therapie) und eine einigermaßen sichere Voraussage der Krankheitsausganges (Prognose)." (Dörner/Plag, a.a.O., S. 22)

 

Wenn Schizophrenie eine Krankheit ist, muß sie sich dieser Begriffsbestimmung subsummieren lassen. Kraepelin prägte zuerst den Ausdruck "Dementia Praecox", um eine Gruppe von Krankheitsbildern zu bezeichnen, "deren gemeinsames Kennzeichen eine eigenartige Zerstörung des innern Zusammenhangs der psychischen Persönlichkeit mit vorwiegender Schädigung des Gemütslebens und des Willens bildet." (Kraepelin, 1896) Später faßte er Dementia praecox und mansich depressive Psychosen unter dem Oberbegriff "endogene Psychosen" zusammen, (Kraepelin, 1899) Bleuler lehnte in seiner 1911 erschienen Monographie über schizophrene Psychosen (Bleuler, 1911) den Begriff Dementia praecox ab, weil seiner Ansicht nach die Krankheit nicht zum völligen Verfall der Persönlichkeit zu führen brauchte.

Er betrachtete den Verlust des Zusammenhangs und der Wechselwirkung zwischen den verschiedenen psychischen Funktionen als die Kernstörung und schlug deshalb den Ausdruck "Schizophrenie" vor. (vgl. van Prag, 1978, S. 74)

Symptomatologie: Die Frage, ob Schizophrenie charakteristische Symptome aufweist, hat Schneider durch viele Untersuchungen am ausführlichsten beantwortet: (Schneider, 1959) Er beschrieb elf Symptome und nannte sie Symptome ersten Ranges". Die ersten drei sind spezielle Formen von Halluzinationen, beim vierten handelt es sich um illusionäre Verkennungen, die Symptome fünf bis elf sind Äußerungen einer sich verwischenden Grenze zwischen Ich- und Außenwelt. (vgl. genauer bei: v. Praag, a.a.O., S. 75)

Phatogenese versus Ätiologie: Über die Entstehung und Ursache der Schizophrenie gibt es ebenfalls unterschiedlich Meinungen. Der Grundwiderspruch drückt sich in der Frage aus, "ob Schizophrenie eine biochemische oder psychosoziale Krankheit ist." (van Praag, en Leijnse 1963, 1964) Van Praag löst den Widerspruch auf, indem er davon ausgeht,

"daß die Funktionen der lebendigen Materie, seien sie nun psychischer oder leiblicher Art, ohne ein materielles Substrat unmöglich sind. Auch dem Verhalten liegt dann ein zerebrales Substrat zugrunde. Dies Substrat ist im Prinzip analysierbar." (v. Praag, a.a.O., S. 77)

Den gesamten Komplex zerebraler Funktionsstörungen, der das Auftreten von Verhaltensstörungen bewirkt, nennt er Phathogenese des Krankheitsbidles. Bestimmte ätiologische Faktoren beeinflußen dann das Verhalten nicht direkt, sondern über Funktionsveränderungen im Gehirn, Veränderungen, die insgesamt das Krankheitsbild ausmachen. (v. Praag, ebd.) Als ätiologische Gesichtspunkte führt er an: Erbliche Faktoren, exogene Faktoren (Hirnschädigungen), psychische und soziale Faktoren. Insofern ist Schizophrenie eine biochemische Krankheit, die hauptsächlich durch psychosoziale und somatische Faktoren verursacht wird.

Prognose: Auch über den Krankheitsverlauf gibt es unterschiedliche Auffassungen; Kraepelin beschreibt eine schlechte Prognose, der Patient sollte entweder immer weiter zurückfallen, ohne ausgesprochene Remissionen, oder das Krankheitsbild sollte schubweise verlaufen, mit unvollständiger Wiederherstellung nach jeder Phase, woraus sich schließlich ein chronischer Defektzustand entwickelt. (Kraepelin, 1899) Bleuler prognostizierte gleichfalls die Unheilbarkeit der Schizophrenie. (Bleuler, 1911) Van Praag ist in seiner Antwort auf die Frage der Heilbarkeit von Schizophrenie unentschlossen:

"Alles zusammen genommen hat sich gezeigt, daß die Bilder, die man Schizophrenie nennt, offenbar jeden erdenklichen Verlauf nehmen können: Wiederherstellung mit zurückbleibenden Persönlichkeitsdefekt, chronisch-rezidivierend mit oder ohne Persönlichkeitsdefekt nach jedem Schub oder chronisch, um alle Symptome zusammenzufassen, die als schizophren angesehen werden." (v. Praag, a.a.O., S. 82)

Diagnose: In der Betrachtung psychiatrischer Krankheitsbilder hat sich also gezeigt, daß diese ätiologisch unspezifisch sind. Deshalb müssen Verhaltensstörungen stets nach drei Kritieren typisiert werden: Symptomatologie, Ätiologie und Verlauf. Das bedeutet, daß Diagnosen, die aus einem einzigen Wort bestehen, wie etwa Neurose, Depression, Schizophrenie usw. nichts taugen. (vgl. van Praag, eb., S. 82) Sie suggerieren gleichzeitig etwas über Symptome, Ursachen und Wirkungen, aber ohne dies zu explizieren, wodurch diese Begriffe dann die diagnostische Schärfe eines schlecht eingestellten Dias haben. Zur genaueren Begriffsbestimmung der Krankheit prägt von Praag eine Dreidimensionale Klassifikation schizophrener Psychosen, welche explizit diese drei Kriterien enthält:

Alles in allem: "Schizophrenie" ist ein unmöglicher Begriff. Es wird damit eine Gruppe von Psychosen zusammengefaßt, die das gemeinsame Kennzeichen haben, daß sie normalerweise, aber selbst das nicht immer, bei klarem Bewußtsein verlaufen. Im übrigen sind keine übereinstimmenden Punkte nachzuweisen, weder in Bezug auf die Symptome, der Ätiologie n och der Prognose.

1.3 Der psychoanalytische Begriff der Psychosen

In diesem Kapitel gehe ich näher auf psychologische Ursachen der "Schizophrenie" ein. S. Freud, dem Begründer der Psychoanalyse, gelang es, indem er für die Genesis aller psychischen Leiden, eine zusammenhängende Erklärung fand, mehr Licht in die Ätiologie der Psychosen zu bringen. Er entwickelte Zusammenhänge zwischen psychischer Krankheit und Normalität, so daß keine klare Trennung gesund – krank mehr möglich war. Über Neurosen sagte er:

"Sie sind durch fließende Übergänge mit der sogenannten Norm verbunden, andererseits gibt es kaum einen als normal anerkannten Zustand, in dem nicht Andeutungen neurotischer Züge nachweisbar wären." (Freud, 1953, S. 40)

Ähnlich äußert er sich über die Psychosen:

"Jeder Normale ist eben nur durchschnittlich normal, sein Ich nähert sich dem Psychotiker in dem oder jenem Stück ..." (Freud, St. A. Ergänzungsband, S. 375)

Diese Verknüpfung Psychose – Neurose – Normalität brachte Licht in das Dunkel der Dynamik psychischer Krankheiten.

"Die Neurose ist der Erfolg eines Konfliktes zwischen dem Ich und dem Es, die Psychose aber der analoge Ausgang einer solchen Störung in den Beziehungen zwischen Ich- und Außenwelt." (Freud, St. A. III, S. 333)

Was passiert in dem Konflikt?

"In der Neurose geschieht es, daß das Ich eine im Es mächtige Triebregung nicht aufnehmen und nicht zu motorischen Erledigungen bringen will, oder ihr das Objekt bestreitet, auf das sie zielt. Das Ich erwehrt sich ihrer durch den Mechanismus der Verdrängung, das Verdrängte sträubt sich gegen dies Schicksal und schafft sich auf Wegen, über die das Ich keine Macht hat, eine Ersatzvertretung, die sich dem Ich auf dem Wege des Kompromisses aufdrängt, das Symptom. Das Ich findet seine Einheitlichkeit durch diesen Eindringling bedroht und geschädigt, setzt den Kampf gegen das Symptom fort, wie es sich gegen die ursprüngliche Triebregung gewehrt hatte, und dies alles ergibt das Bild der Neurose." (Freud, ebd. S. 334)

Das Ich nimmt also Partei für die Außenwelt, es arrangiert sich, wenn auch unter großen Opfern, mit der Realität. Die Psychose jedoch ist gekennzeichnet durch eine fundamentale Störung zur Außenwelt. Sie bedeutet den totalen Rückzug aus ihr.

"Das Ich schafft sich selbstherrlich eine neue Außenwelt und es ist kein Zweifel an zwei Tatsachen, daß diese neue Welt im Sinne der Wunschregungen des Es aufgebaut ist und daß eine schwere unerträglich erscheinende Wunschversagung der Realität das Motiv dieses Zerfalls mit der Außenwelt ist. Die innere Verwandtschaft dieser Psychose mit dem normalen Traum ist nicht zu verkennen." (Freud, ebd., S. 335)

1) Der charakteristische Vorgang bei der Psychose ist die Regression. Der Psychotiker regrediert in Phasen seiner kindlichen Entwicklung, und zwar in sehr frühen Phasen, die die Psychoanalyse als oral, narzistische und autoerotisch bezeichnet. Es ist die Zeit nach der Geburt bis etwa zum 3. Lebensjahr. (vgl. Kursbuch 28, S. 23)

2) Realitätsverlust bedeutet nicht den Verlust der intellektuellen Fähigkeiten, der Kranke gebraucht sie nach den Bestimmungen seinen infantilen Situation, er fühlt sich allmächtig. "Der Skandal des Psychotikers besteht darin, daß er mit den Ansprüchen eines Kindes auftritt!" (ebd., S. 24) Der Regredierte betrachtet von seinem Lebensgefühl als Kind her seine spätere Geschichte der Entsagungen und Bedrohungen und formt daraus seine Realität. Bei Freud heißt es:

"Neurose wie Psychose sind also beide Ausdruck der Rebellion des Es gegen die Außenwelt, seiner Unlust oder, wenn man will, seiner Unfähigkeit, sich der realen Not anzupassen." (Freud, St. A. III, S. 358) "Es ist kaum zweifelhaft, daß die Phantasiewelt bei der Psychose die nämliche Rolle spielt, daß sie auch hier die Vorratskammer darstellt, aus der der Stoff oder Muster für den Aufbau der neuen Realität geholten werden." (Freud, ebd., S. 361)

3) Der kataton Starre hat die "absolut bösartige, sinnlose, tödliche Wirklichkeit" erfahren (Kursbuch 28, S. 25) und ist zurückgekehrt in die Welt kindlicher Allmacht. Obgleich er damit die Realität zerstört, kann er doch nicht als gegenwärtig existierendes Wesen seine Phantasiewelt er- und ausleben, gesellschaftliche Normen und Verpflichtungen hindern ihn daran. Im Gegensatz zum Neurotiker, der durch Regression Sicherheit für seine Existenz erhält, macht das Psychotische genau die "Unfähigkeit aus, seine Sicherheit durch Regression wiederzuerlangen." (Lidz, 1959, S. 259) Der so in die Enge getriebene Kranke wird starr! Derart wäre die Grundtendenz einer Psychose ein Versuch der Selbstrettung, ein Versuch, der aber dennoch zu seinem sozialen Untergang führt.

1.4 Schizophrenie als soziale Störung

Dieser Ansatz versucht, die Entwicklungsgeschichte der Schizophrenie nicht als individualistische Deformation, sondern als komplizierten Interaktionsprozeß zu fassen, indem der Kranke systematisch mit paradoxen Kommunikationsinhalten "verrückt" gemacht wird. Das ist der Fall, wenn für ihn lebenswichtige "Doppelbindungen" zu einer chronischen Erscheinung und damit langsam zu einer gewohnheitsmäßigen Erwartung werden. (vgl. Watzlawik u. a., 1969, S. 197) Die Grundlagen dieses Ansatzes liegen in der Kommunikationstheorie, welche die Verwendung unterschiedlicher Kommunikationsweisen in den zwischenmenschlichen Beziehungen definiert. Gestik, Körperhaltung, Gesichtsausdruck, Tonfall, Humor sind z. B. averbale Kommunikationsmöglichkeiten, die, indem sie in Widerspruch zu verbalen Äußerungen eingesetzt werden, in Doppelbindungen verstrickte Personen verwirren können. Versteht man unter Ich-Funktion "haargenau den Prozeß der Unterscheidung an Kommunikationsmodi, sei es im Selbst oder zwischen dem Selbst und anderen" (Bateson, u. a., 1969, S. 14), so zeigt der Schizophrene Schwächen bzw. Verlust einer Ich-Funktion. Er hat Schwierigkeiten, den Botschaften, die er von anderen empfängt, den richtigen Kommunikationsmodus zuzuordnen, ebenso wie er jenen Botschaften, die er selbst ausdrückt, widersprüchliche Modi gibt. Seine eigenen Gedanken, Empfindungen und Wahrnehmungen spiegeln sich als uneindeutige Äußerungen wieder, die voller Symbolik und Metaphern sind.

1.4.1 Schizophrenie und Familie

Nach dieser Theorie ist Schizophrenie im wesentlichen ein Ergebnis gestörter Interaktion in der Familie. Es wird nicht nach einem besonderen traumatischen Erlebnis in der Krankheitsgeschichte gesucht (wie bei der Psychoanalyse), sondern vielmehr nach charakteristischen Grundmustern solcher Erlebnisfolgen. (vgl. Bateson u. a., ebd., S. 16) Die für das Kind wichtigste Indentifikationsfigur ist normalerweise die Mutter. Nach Spitz muß die Mutter fähig sein, dem Kind zu regredieren, um ein affektives Klima gegenseitiger Zuwendung herzustellen.

"Für die Mutter bedeutet das Miterleben und Dulden des kindlichen Verhaltens ein Wiederaufleben aller schuldvollen und zugleich köstlichen Phantasien, die sie selbst einmal hat überwinden müssen." (Spitz, 1967, S. 143)

Da die eineingeschränkte Triebhaftigkeit des Kleinkindes (Freud bezeichnet dies als "polymorph pervers"; in: drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, St. A. V., S. 97) ohnehin eine Belastung für das Über-Ich des Erwachsenen bedeutet, ist darüber hinaus der Verhalten des Mannes entscheidend: Wenn die affektiven Äußerungen der Mutter mit abwehrenden oder feindseligem Verhalten des Mannes konfrontiert werden, wird sie kaum in der Lage sein, ein freies Verhältnis zum Kind zu entwickeln. Die Erinnerungsspuren der ersten Beziehung, die das Kind aufnimmt, nämlich die zur Mutter, sind die Vorläufer aller späteren Objektbeziehungen.

Bateson u. a. stellen eine Hypothese auf, nach der die Familiensituation des Schizophrenen allgemeine Merkmale aufweist:

a) die bloße Existenz des Kindes hat für die Mutter eine spezielle Bedeutung, die in ihr Angst und Feinseligkeit erregt, sobald die Gefahr besteht, daß sie mit dem Kind in innigen Kontakt gerät;

b) die Mutter kann ihr Gefühl der Angst und Feindseligkeit gegenüber dem Kind nicht akzeptieren, verleugnet es deshalb und "spielt" eine liebevolle Mutter;

c) das Fehlen von jemand in der Familie, z. B. eines starken und einsichtigen Vaters, der sich in die Beziehung zwischen Mutter und Kind einmischt und das Kind angesichts der auftretenden Widersprüche unterstützen kann. (vgl. Bateson u. a., a. a. O., S. 24) Angesichts einer solchen Familienstruktur kristallisiert sich ein Interaktionsmechanismus heraus, der für die Entwicklung und das Erleben des Kindes folgenschwer ist, die "Beziehungsfalle".

1.4.2 Double-Bind oder die "Man-kann-nicht-gewinnen-Situation" (D. B.)

Dieser "schizophrene" Interaktionsmechanismut hat folgende Bestandteile:

"1. Zwei oder mehr Personen. Eine davon bezeichnen wir zum Zweck unserer Definition als das ’Opfer’. Wir nehmen nicht an, daß das D. B. von der Mutter allein erzwungen wird, sondern durch ein Zusammenwirken mit dem Vater oder den Geschwistern zustande kommt.

2. Wiederholte Erfahrung. Wir nehmen an, daß das D. B. sich in der Erfahrung des Opfers wiederholt. Unsere Hypothese beschwört keine einzelne traumatische Erfahrung, sondern eine derart wiederkehrende Erfahrung, daß die Struktur des D. B. zu einer habituellen Erwartung wird.

3. Ein primäres, negatives Gebot. Dies kann zwei Formen haben: entweder (a) ’Tue das nicht, oder ich bestrafe dich’ oder (b) ’Wenn du das und das nicht tust, bestrafe ich dich’. Hier wählen wir einen Lernkontext aus, der stärker auf Vermeidung von Strafe aufbaut als auf Streben nach Belohnung. ... Wir gehen davon aus, daß die Strafe entweder in Liebesentzug oder in der Äußerung von Haß oder Ärger bzw. – am verheerendsten – in jender Art von Verlassenheit besteht, die Ausdruck extremer Hilflosigkeit seitens der Eltern ist.

4. Ein sekundäres Gebot, das mit dem ersten auf einer abstrakteren Ebene in Konflikt gerät und wie das erste durch Strafen oder Signale durchgesetzt werd, die das Leben bedrohen. ... Erstens wird das sekundäre Gebot gewöhnlich auf averbalem Weg vermittelt. ... Zweitens kann es gegen ein Element des primären Verbots verstoßen. Die Verbalisierung des sekundären Gebots kann einen weiten Spielraum von Formen umfassen, z. B.: ’Betrachte mich nicht als Strafinstanz’. Weitere Beispiele werden möglich, wenn das D. B. nicht nur von Person, sondern von zweien verhängt wird. So kann z. B. ein Elternteil auf einer abstrakteren Ebene die Gebote des anderen Elternteils negieren.

5. Ein tertiäres negatives Gebot, das dem Opfer untersagt, das Feld zu räumen. Ein in der Kindheit aufgezwungenes D. B. macht eine Flucht unmöglich, da sie lebensbedrohend ist. Die Räumung des Feldes kann auch durch Mittel unmöglich gemacht werden, die nicht völlig negativ sind: unbeständige Liebesversprechungen z. B.

6. Die komplette Serie von Einzelelementen ist unnötig geworden, wenn das Opfer gelernt hat, sein Universum in der Schablone des D. B. wahrzunehmen. Fast jeder Teil der D.-B.-Sequenz kann dann ausreichen, um Panik oder Wut auszulösen. Die Struktur der widerstreitenden Gebote kann sogar von halluzinatorischen Stimmen übernommen werden." (Bateson u. a., ebd., S. 16ff)

Es sind dies die Bestandteile einer perfekten Folter. Das Kind wird gezwungen, in einem Universum zu leben, in dem die Abfolge der Ereignisse dergestalt ist, daß seine unkonventionellen Kommunikationsgewohnheiten in gewissem Sinne angemessen sind. Cooper beschreibt ein alltägliches Beispiel:

"Eine Mutter sagt zu ihrem Sohn: ‚Geh nur fort und such dir deine eigenen Freunde, häng dich nicht so sehr an mich.’ Zur gleichen Zeit gibt sie aber averbal zu verstehen, daß sie sehr bestürzt wäre, wenn er sie verließe, selbst in so begrenzter Weise." (Cooper, 1971, s. 37)

Bei jedem Versuch, es selbst zu sein, trifft das Kind auf den mächtigen anderen, der sagt: "Dub ist anders" und damit zu verstehen gibt "Du bleibst in meiner Hand!" Dies nennt Cooper "die Entfremdung im Sinne einer passiven Unterwerfung unter die Invasion anderer". (Cooper, 1972, S. 11) Der in der D.-B.-Situation Gefangene reagiert ähnlich defensic wie ein Schizophrener:

"Wenn das Kind nun nicht eine gewisse Unbarmherzigkeit, eine Gegengewalt aufzubringen vermag, vermittels derer es den ganzen absurden Austausch zunichte machen kann, kann seine Reaktion nur Verwirrung und letztlich das sein, was man psychotische Verwirrtheit, Denkstörung, Katatonie etc. nennt." (Cooper, 1971, S. 37)

Die psychologischen Folgen sind: die psychosexuelle Entwicklung des Kindes bleibt stehen, da die elementaren Identifikationsmöglichkeiten blockiert werden. Die Eltern als Identifikationsobjekte sind widersprüchlich, sie sagen "ja" und vermitteln zugleich "Nein". Das Kind weiß nie, was gemeint ist, es weiß nie, wie es ich verhalten soll, es fühlt sich ständig in die Enge getrieben. Das Ich ist derart in einer Situation des Umstelltseins befangen, die die Psychologie als "autistisch" bezeichnet. Batesond u. a. weisen darauf hin, daß die Interaktion solch "gestörter" Menschen zu anderen Menschen auch immer diese D.-B.-Muster implizieren:

"Angesichts dieser Unfähigkeit, genau zu beurteilen, was ein anderer wiklich meint und einer übertriebenen Besorgtheit um das, was tatsächlich gemeint ist, kann dieser Mensch sich schützen, indem er eine oder mehrere aus einer Reihe von Alternativen wählt. Er kann z. B. annehmen, daß hinter jeder Äußerung eine Bedeutung verborgen ist, die ihm zum Schaden gereicht. Er wird dann ein übertriebenes Interesse an verborgenen Bedeutungen zeigen und entschlossen sein zu demonstrieren, daß man ihn nicht täsuchen kann – so wie man ihn sein ganzes Leben getäuscht hat." (Bateson u. a., ebd., S. 22)

Mit anderen Worten:

"Wenn jemand nicht weiß, welcher Art von Botschaft er sich gegenüber sieht, mag er sich auf eine Weise schützen, die als paranoid, hebephren oder katatonisch beschrieben worden ist. Der springende Punkt ist, daß er nicht die Alternative wählen kann, die ihm dazu verhelfen würde, das was die Leute meinen, zu entschlüsseln; ohne beträchtliche Hilfe kann er die Botschaften anderer nicht erwidern. Angesichts dieser Unfähigkeit verhält sich der Mensch wie jedes Selbstregelungssystem, das seinen Regler verloren hat; es dreht sich in endlosen, aber stets systemgebundenen Spiralen der Verzerrung." (Bateson u. a., ebd. S. 23)

Kurz: Zuerst machen Einen die Umstände zum Narren, dann macht man sich unter allen Umständen immer wieder dazu.+

Die widersprüchlichen Elterninstanzen werden, da man sich mit ihnen nicht identifizieren kann, introjiziert, d. h. beide Seiten des Widerspruchs werden gewissermaßen unverarbeitet verschluckt und auf die gesellschaftlichen Verhältnisse projiziert. "In allen späteren Lebenssituationen kehren widerspruchsvoll und drohend die Elternfiguren wieder." (vgl. Kursbuch 28, a. a. O., S. 36)

1.4.3 Die Pseudogemeinschaft (P. G.)

Bei der Untersuchung von D. B. geschädigten Menschen erstaunt und erschreckt das Zeitmaß und die Intensität, die Eltern aufbringen, um ihren Kindern die Identität "wegzufoltern". Die Nachstellungen gehen bis in die Klinik. (vgl. Falldarstellung von Wynne, in Bateson u. a., S. 73ff) Was besonders erschreckt ist vor allem die "die Öde des Konflikts, das Fehlen einer gesellschaftlichen Dimension". (Kursbuch 28, a. a. O., S. 37) Wie kann es einer "familiären Subkultur aus Mythen, Legenden und Ideologie" (Wynne, a. a. O., S. 58) gelingen, ihre falsche, tödliche Wirklichkeit gegen die wehrlosen Opfer durchzusetzen? Warum greift da niemand ein? Die bestehende Form des Familienlebens ist eine umfassende Kulturzerstörung, eine umfassende Barbarei. (vgl. Kursbuch 28, a. a. O., S. 37) Im folgenden werde ich eine soziale Organisation der Familie darstellen, die Schizophrene "fabriziert".

Wynne geht davon aus, daß die Aufnahme einer Beziehung mit anderen Menschen ein fundamentales Gebot oder Bedürfnis der menschlichen Existenz ist. (Wynne, a. a. O., S. 45) In einem lebenslangen Prozeß strebt der Mensch danach, ein Gefühl der Identität zu entwickeln. Die Notwendigkeit zur Befriedigung dieser Grundbedürfnisse kann zu dreierlei Lösungen führen: Die Gemeinschaft, die Nicht-Gemeinschaft und die Pseudo-Gemeinschaft (P. G.) Letztere hat solch eine spezifische Art von Beziehungen, daß der Mensch später, falls andere Faktoren ebenfalls gegeben sind, in einen akuten schizophrenen Schub geraten kann. (vgl. Wynne, ebd., S. 47) Der Charakter der Beziehungen in P. G.s ist folgender: Verlust der Identität auf Kosten eines "Familiensinns", wobei die subjekte Spannung in Konfliktsituationen, die "aus der Divergenz der Erwartungen neben der offenen Betonung eines Gefühls der eigenen Identität" erwächst, als mögliche Zerstörung der gesamten Beziehung erlebt wird. (Wynne, ebd., S. 48) In der P. G. Ist der Gefühlsaufwand mehr auf die Erhaltung des Gefühls einer gegenseitigen Erfüllung von Erwartungen gerichtet als darauf, veränderte Erwartungen richtig wahrzunehmen. "Kurz, P. G.-Beziehungen enthalten ein charakteristisches Dilemma: Divergenz erscheint als Störung der Beziehung und muß deshalb vermieden werden; vermeidet man aber Divergenzen, so ist ein Wachstum der Beziehung unmöglich." (Wynne, ebd., S. 49)

Nach diesen Betrachtungen stellt Wynne hinsichtlich der Familienbeziehungen potentieller Schizophrener drei Hypothesen auf:

1. Hypothese: "In den Familien von Menschen, bei denen es später zu einem akut-schizophrenen Schub kommt, haben jene Beziehungen (die familiären, d. Verf.) den Charakter einer einschneidenden und beständigen Pseudo-Gemeinschaft." (Wynne, ebd., S. 51)

Er betont, daß die P. G. nicht an sich schon Schizophrenie erzeugt, sie ist allenfalls Indiz für eine Milieubestimmung der Krankheit. Die Rollenstruktur einer solchen Familie gibt er als starr und rigide an:

"Bei der P. G. jedoch schlagen sich Äußerungen der sich wandelnden oder entfaltenden Bedürfnisse der Familienmitglieder nicht in Veränderungen der Rollenstruktur nieder. In der Organisation der schizophrenen Familie darf die Rollenstruktur nicht einmal angesichts derartiger Wesenszüge angetastet werden, wie sie mit dem Geschlecht, dem Alter und dem Grad an Passivität oder Aggressivität der betreffenden Personen gegeben sind." (Wynne, ebd., S. 51)

Bei dennoch auftretenden Konflikten, speziell zwischen den Eltern, hat sich die "Sündenbockjagd" als funktional erwiesen, die Rollenstruktur zu festigen und damit auch die Pseudogemeinschaft zu reproduzieren. (vgl. Vogel/Bell in Bateson u. a., a. a. O., S. 245f)

2. Hypothese: "In den Familien von potentiellen Schizophrenen hat die Intensität und Dauer der P. G. zur Entwicklung einer Anzahl von gemeinsamen Familienmechanismen geführt, mittels derer Abweichungen von der Rollenstruktur der Familie der Erkenntnis ferngehalten oder wahnhaft umgedeutet werden." (Wynne, a. a. O., S. 55)

Unheimliche Anstrengungen werden unternommen, um eine Fiktion vom Glück aufrechtzuerhalten. Dabei zeigt sich oft, daß engste Familienbande und glücklichste Ehen solche sind, in denen die Beziehungen am stärksten entfremdet sind. (vgl. Cooper, 1971, S. 51) Wynne bemerkt:

"Hinsichtlich des prähistorischen Lebens akut Schizophrener gehen wir davon aus, daß diese gemeinsamen Familienmechanismen dazu dienen, die Wirkung des chaotischen, entleerten und erschreckenden Erlebens zu dämpfen, indem eine Rollenstruktur geschaffen wird, in der die Person pseudogemeinsam existieren kann." (Wynne, a. a.O., S. 57)

Dabei erlebt er die Familie als allumfassend. Die unsichere, aber ständig gegebene Grenze, die das Familiensystem des Schizophrenen ohne erkennbare Öffnungen umschließt, bezeichnet er als "Gummizaun" (rubber fence).(Wynne, ebd., S. 58)

3. Hypothese: "Die Fragmentierung der Erfahrung, die Identitätsdiffussion, die gestörten Wahrnehmungs- und Kommunikationsmöglichkeiten und bestimmte andere Merkmale der Charakterstruktur des akut-Schizophrenen entstammen in bedeutendem Maße, aufgrund von Verinnerlichungsprozessen, den Wesenseigenschaften, der familiären Sozialorganisation." (Wynn, ebd., S. 68)

Das genaue Funktionieren dieser Verinnerlichungsmechanismen habe ich schon mit Double-Bind oder Beziehungsfalle ausführlich beschrieben. Das, was als Krankheitssymptom erscheint, der "schizophrene Schub", wäre dann nach den oben genannten Hypothesen nichts weiter als Rebellion gegen eine unmenschliche, repressive, alles verschlingende soziale Struktur einer Familie, die Pseudo-Gemeinschaft heißt. (vgl. hierzu auch: Kursbuch 28, a. a. O., S. 39) Andersherum wäre Katatonie der letzte Versuch, einen solchen Gewaltausbruch zu vermeiden. Er hätte zum sozialen Untergang des Rebellierenden geführt.

1.4.4 Möglichkeiten und Grenzen des kommunikationstheoretischen Ansatzes

Der Fortschritt gegenüber der Psychonalyse ist nicht zu übersehen; waren dort soziale Faktoren nur vage als "Außenwelt" bei der Entstehung der Schizophrenie im Spiel, wird dies in der Familienforschung konkretisiert, indem sie mehr soziale Realität zur Kenntnis nimmt und die Sozialorganisation der Familie als ganze in die Analyse einbezieht. Stärker noch als Freud stellt sie Beziehungen zur Normalität her, wobei sie allgemeine Prinzipien entwickelt, die bei jeder Kommunikation präsent wird. Einige Kritikpunkte dieser Theorie möchte ich dennoch aufzeigen:

a) Dadurch, daß die Familienforschung in der schizophrenogenen Familie nur von "zwischenmenschlichen Beziehungen" ausgeht, vernachlässigt sie die natürlichen Triebanteile der Persönlichkeit, die nach Freud mitbestimmend für psychotische Erkrankungen sind, wobei Triebregungen durch Regression pervertiert werden. Es fehlt also eine psychologische Basis der Triebökonomie.

b) Obgleich die Ansicht, schizophrene Dispositionen wären Resultat eines Lernprozesses innerhalb der pathogenen Familie, gegenüber der herrschenden Lehre der Psychiatrie einen Fortschritt darstellt, welche die Schizophrenie als erbliche Deformation ansieht, ist sie dennoch ideologisch gefärbt. Sie stellt die Familie als isoliertes Sozialsystem dar, "als exterritoriales Gebiet", dessen Verstrickungen in gesellschaftliche Zusammenhänge vernachlässigt werden." (Vinnai, 1973, S. 27) Ferner unterschlägt diese Theorie eine empirisch nachgewiesene Tatsache, daß nämlich die Schizophrenierate in der Unterschicht am höchsten ist. (vgl. die Untersuchungen von Hollingshead & Redlich, aus Kursbuch 28, a. a. O., S. 26f) und damit auch etwas für ihren gesellschaftlichen Stellenwert ausgesagt wird. Vinnai kommt zu dem Schluß:

"Nicht in der Iraationalität der kapitalistischen Produktionsweise, nicht in entfremdeten Arbeitsverhältnissen und ungerechten Eigentumsverhältnissen wird das soziale Übel dingfest gemacht, sondern in der bloß vermittelnden Instanz der Familie. Nicht an den wesentlichn gesamtgesellschaftlichen Antagonismen setzt die Kritik an, sondern an den Erscheinungsweisen dieser Antagonismen in Gestalt der familiären Phathogenität. Die Sündenbockrolle wird einem individuellen, elterlichen Defekt, einer bloß privaten Familienpathogenität zugeschoben; durch den politischen Kampf veränderbare, maßgebende sozialstrukturelle Gegebenheiten, die pychisches Leiden primär verursachen, bleiben außerhalb des Schußfeldes." (Vinnai, a. a. O., S. 27)

Der Interaktionstheoretische Ansatz ist also insofern Ideologie, weil über die Entstehung psychotischer Erkrankung ein falsches Bewußtsein erzeugt wird. Aus der gesellschaftlichen Totatliät des Kapitalismus wird Schizophrenie in die Zwangsjacke der Kleinfamilie gepresst, dem Kranken wird der politische Status abgesprochen und die Familie als allein schuldhaft hingestellt. Diese Theorie spricht die Gesellschaft von der Verantwortung für ihre Mitglieder frei, sie verhindert eine Bewußtseinsbildung über das Wesen des Kapitalismus und dient so der Stabilisierung der herrschenden, repressiven Verhältnisse.

Für die Behandlung der subjektiv leidenden "Schizophrenen" bietet dieser Ansatz allerdings neue Möglichkeiten. Interaktionstheoretische Erklärungen der psychischen Krankheit berühren gleichzeitig das festgeschweißte, tabuisierte Verhältnis Arzt – Patient. Nicht mehr der Psychiater ist der alleinige Spezialist für "medizinische" Geisteskrankheiten, der Sozialpädagoge als Professionell Normaler erhält mit der Möglichkeit einer "sozialen Störung" Handlungsrelevanz. Bezweckt Sozialpädagogik " über zielgerichtete Interaktionsprozesse eine Veränderung der Verhaltensdispositionen der Adressaten, um diese zu einer sinnvollen und befriedigenden Bewältigung ihrer Lebensprobleme zu befähigen" (Lampe, Arbeitspapier, 1979, S. 3), so hat der Pädagoge, indem er bestimmte schizophrenogene Kommunikationsstrukturen in der Geschichte und Interaktion mit dem seelisch Behinderten erkennt, die Chance, eine Beziehung zum Schizophrenen zu bekommen, ihn quasi auch zu behandeln. Wo und wieweit dies möglich ist, werde ich in den Kapiteln drei und vier ausführlicher behandeln.

1.5 Merkmale "schizophrenen" Verhaltens

Obgleich die Wissenschaft mit der Definition und Begriffsbestimmung der "Schizophrenie" einige Probleme hat, ist sie sich doch über ein Charakteristikum des "Schizophrenen" einig: In seinem Verhalten widerspricht er der Normalität der Gesellschaft, seine Aktionen und Reaktionen erscheinen fremd, anders. Laing formuliert vorsichtig: "Einige als schizophren etikettierte Leute zeigen (nicht alle, nicht unbedingt) in Worten und Gesten und Aktionen (linguistisch, paralinguistisch und kinetisch) ein Verhalten, das ungewöhnlich ist." (Laing, 1971, S. 112) Jervis beschreibt:

"Schizophren ist der konventionelle Ausdruck, mit dem Personen belegt werden, die gewisse Verhaltensweisen haben, die – nach Meinung einiger durch eine hypothetische Krankheit, eben die Schizophrenie, verursacht werden. Darüber, welche Verhaltensweisen den "Schizophrenen" ausmachen, besteht keine volle Klarheit und unter den verschiedenen Psychiatrischen Schulen keine Übereinstimmung." (Jervis, 1978, S. 387)

Gewöhnlich wird ohne Zögern die Diagnose "Schizophrenie" erstellt, wenn folgende fünf Merkmale vorhanden sind:

"a) die Isolierung von der Realität; die oft dramatische Schwierigkeit, auf spontane Weise eine fließende Kommunikationsbeziehung im Einklang mit den anderen Personen herzustellen; die Abgeschlossenheit des eigenen Lebens in einer kaum mitteilbaren persönlichen Welt; all das wird unter dem Namen "Autismus" subsumiert; b) die Wahnvorstellungen; c) die Halluzinationen; d) die Erhaltung einer normalen Intelligenz und – im allgemeinen – eines Zustands perfekter zeitlicher und örtlicher Orientierungsfähigkeit; e) die äußerste Schwierigkeit des Betroffenen zu verstehen, inwiefern das eigene Verhalten im Vergleich mit den gesellschaftlich akzeptierten Verhaltensweisen als anormal betrachtet werden kann." (Jervis, ebd., S. 388)

Insgesamt betrachtet gibt es keine offensichtliche und unmißverständliche Grenze zwischen dem, was Schizophrenie ist und was es nicht ist. Trotz aller Widersprüche scheint jedoch bezüglich der psychischen Mechanismen der als "schizophren" Diagnostizierten eine Homogenität zu existieren. Psychisch Kranke leiden unter ihrem "Anderssein". Für einen menschlichen Umgang und eine effektive Behandlung ist es wichtig für den Professionell Normalen, ein psychologisches Verständnis dieser Mechanismen zu entwickeln. Läßt man sich tiefer auf die Verhaltensweisen des Schizophrenen ein, stellt man fest, daß die betreffende Person nichts wirklich "Krankes" an sich hat. Das Verhalten stellt sich als "Reaktionsweise auf eine nicht lebbare psychische und soziale Situation" dar. (vgl. Jervis, ebd., S. 41) Immer befindet sich die als "schizophren" etikettierte Person in einer ausweglosen Lage. Sie weiß nicht, wer sie ist, kann sich selbst nur mit äußerster Mühe, auf unsichere, gewundene, verzerrte Weise und mit symbolischen Kunstgriffen definieren. Sie fühlt sich ihrer selbst nicht Herr, und ganz akut ist das Gefühl, nicht Herr über den eigenen Körper zu sein. "Die Autonomie des Selbst ist vom Verschlungenwerden bedroht. Es muß sich schützen vor dem Verlust seiner Subjektivität und seines Gefühls, lebendig zu sein." (Laing, 1972, S. 65) Das daraus resultierende Verhalten ist das Ergebnis eines Kompromisses zwischen der Versuchung, sich in einer Art äußerster Abwehr zurückzuziehen, der totale Abbruch der Beziehungen mit der Welt:

"Fast immer liegt ein gewisses Maß an Realitätsflucht vor, ein Versuch, sich vom Kontakt mit einer angsterregenden und unerträglichen Welt zu abstrahieren, oder die Anstrengung, sie mit Hilfe von magischen Formeln und Interpretationen zu beherrschen." (Jervis, ebd., S. 402)

Ein derart wahrnehmender Mensch lebt in einem "ciculum virtuosum" schizophrener Erfahrungen, welche sein Dasein bestimmen.

Dies wirft einige Probleme in der Behandlung auf. Hier hängt das Lebensschicksal des seelisch Gestörten weniger von therapeutischen Techniken ab als von hauptsächlich zwei Fragen: Wie stark ist der Patient durch jahrelange Unterdrückung im Irrenhaus kaputtgemacht worden? Welche täglichen interpersonellen Beziehungen werden ihm als Modell angeboten. Jervis meint dazu:

"Im allgemeinen besteht die Therapie der Schizophrenie vor allem im geduldigen Wiederaufbauen von interpersonellen Beziehungen, die für die betreffende Person einen Sinn haben, in dem langsamen und schrittweisen Versuch, ihm zu helfen bei der Findung seiner Identität, eines Grundes zum Leben und konkret erreichbarer Ziele, für die er existieren kann." (Jervis, ebd., S. 406)

Aber welche sozialen Strukturen benötigt der hospitalisierte, psychiatriegeschädigte Mensch, um solche Beziehungen leben zu können? Darüber werde ich im 3. Kapitel Näheres ausführen.

1.6 Zusammenfassung

Nach allem, was ich im Vorigen über die Problematik einer Begriffsbestimmung der "Schizophrenie" und dem daraus resultierenden Verhalten gesagt habe, will ich hier nun allgemein festhalten: Wahnsinn ist die Gesamtheit geistiger Störungen, die Psychosen genannt werden, deren Kennzeichen wahnhafte Erfahrungen sind. Die Unterscheidung zwischen Geistesstörung und Normalität ist nicht strikt, sondern graduell. Niemand ist völlig immun gegen Störungen, da das, was wir Störungen nennen, nichts anderes ist als eine Reihe persönlicher Schwierigkeiten, die den gleichen Gesetzen gehorchen. Sind diese geistigen Störungen derart, daß sie das betroffene Individuum den gesellschaftlichen Normen gemäß lebensunfähig machen, werden sie einer Behandlung unterzogen. Der "kranke" Geist, die Psyche, als Funktion des Gehirns, soll "geheilt" werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich das Individuum als soziales Wesen bestimmt. "Sein sozialer Ort und seine soziale Praxis beherrschen seine Art zu handeln, zu fühlen und zu denken, im Guten wie im Bösen, in dem was ihm leicht fällt und in dem, was ihm schwer fällt."(Jers, ebd., S. 87) Demgemäß ist die Störung seines Geistes eine Definition seiner Beziehung zur Außenwelt, mit der er im Zwiespalt liegt und der keine geeigneten Mittel hat, in diesem Kampf mit gesellschaftlich angemessenen Mitteln zu siegen. Weil das menschliche Leben grundsätzlich im Wechselwirkungszusammenhang körperlich, geistig-seelischer und sozial-kultureller Bedingungen geschieht, will ich in dem was wissenschaftlich "Schizophrenie" genannt wird, das multifaktorielle Zusammenwirken dieser drei Bedingungen vermuten.+

Der Geistig-Gestörte ist angesichts der Schwierigkeiten des Lebens an eine Reaktionsweise gebunden, die seine Leiden jedoch verschärfen anstatt zu lindern. Er "fährt auf eingefahrenen Gleisen". Aus dieser Perspektive bedeutet behandeln, der Person helfen, die eigenen Erfahrungen besser zu nutzen und auf weniger verheerende Weise auf die Umstände zu reagieren. (vgl. Jervis, a. a. O., S. 88) Die geistige Störung bedingt eine Lage der Unfreiheit, sie ist ein Mangel an seelischer Freiheit, in dem man nicht fähig ist, über sich zu verfügen. Sie ist eine Situation des Gefangenseins, der Alternativlosigkeit, der Repression und auch der Unterdrückung durch die Anderen. Natürlich impliziert die multifaktorielle Bestimmung der "Schizophrenie" einen politischen Status des Kranken. Das bedeutet, einerseits die volle menschliche Würde des "Verrückten" anzuerkennen, andererseits aber auch, die Geschichte und Ursachen des Wahnsinns in ungleichen sozialen und ökonomischen gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen zu suchen. (vgl. auch: Jervis, ebd., S. 84) All das sind grundsätzliche Bedingungen für einen menschlichen Umgang mit seelisch Gestörten.

Das folgende Kapitel behandelt nun näher den gegenwärtigen, professionellen Umgang mit der Schizophrenie; es zeigt die Entmenschlichung des Subjekts, die systematische Zerstörung der persönlichen Identität. Gemeint ist das konventionelle psychiatrische Behandlungssystem.

  1. Das Psychiatrische Behandlungssystem
  2. 2.1 Psychiatrie und Geisteskrankheit

    In der geschichtlichen Entwicklung des professionellen Umgangs mit dem Wahnsinn habe ich gezeigt, daß die psychiatrische Institution entstanden ist aus dem Bedürfnis des Staates, bestimmte Formen der Abweichung besser unter Kontrolle zu halten. Damals waren es hauptsächlich die "armen Irren", welche interniert wurden, wichtigstes Kriterium der Normalität und Gesundheit war die Möglichkeit und die Fähigkeit, zu arbeiten. Später, als die Psychiatrie medizinische Wissenschaft wurde, kümmerte sie sich auch um die Behandlung der Geisteskranke, mit dem Ziel, die geistig-seelische Gesundheit wieder herzustellen. Dörner faßt zusammen:

    "Die Entstehung der Psychiatrie zeigt, daß wir psychiatrisch Tätigen von der Gesellschaft für zwei Aufgaben bezahlt werden, die oft genug miteinander im Streit liegen: Für die Kontrolle und für die Befreiung (Heilung, d. Verf.) der psychisch Kranken." (Dörner/Plag, a. a. O., S. 434)

    Dieser doppeldeutige Charakter der "Irrenanstalt" hat sich bis heute nicht geändert. Die Personen, die in die Anstalt kommen, sind größtenteils Angehörige der unteren Gesellschaftsschichten: "Subproletarier, Arbeiter, Bauern. In den Abteilungen für chronische Fälle kommen fast alle Insassen aus diesen Schichten." (Jervis, a. a. O., S. 113) Gesundheit drückt die Psychiatrie noch immer in den Kriterien der Arbeitsfähigkeit aus, krank ist, wer unfähig ist, seine Arbeitskraft zu verkaufen. (vgl. Leavy/Freedmann, in, Weinberg, 1967, S. 112) Der aufsässigen Arbeitskraft wird die Differentialdiagnose gestellt: "psychopathischer Querulant". In diesem Sinne wird in jeder psychiatrischen Diagnose auch erspürt und bestraft die Weigerung des betreffenden "Falles", weiter mitzumachen, weiter die Arbeitskraft zu verkaufen. "Die Parteinahme für die Gesundheit ist im Kapitalismus eine Parteinahme für die Interessen des Kapitals." (Kursbuch 28, a. a. O., S. 46) Die Psychiatrie, als die "heilige Inquisition der seelischen Gesundheit" (Kursbuch 28, ebd., S. 46) ist eine der kapitalistischen Gewaltapparaturen, die zugleich die Aussichtslosigkeit von Widerstand vermitteln. Jedes "Aufmucken" des Patienten wird als Symptom ihrer Krankheit wahrgenommen.

    Die Masse der Patienten besteht aus Individuum, die außer Medikamentenbehandlung, die sie oft überhaupt nicht brauchen, keinerlei andere Behandlung erhalten. Die Stillegung durch Psychopharmaka dient nur zur Rechtfertigung der Internierung: "um den Eindruck zu vermitteln, daß etwas für sie getan werde, um sie zu überzeugen, daß sie krank sind und um sie ... daran zu hindern, Protest oder Mißbilligung auszudrücken." (Jervis, a. a. O., S. 112) Auch das terminologische Chaos der psychiatrischen Sprache hat seinen Sinn. Indem Lebensprobleme, die ihren Ausdruck in geistig-seelischen Störungen haben, mit anderen Krankheiten gleichgesetzt werden, wird ihnen der soziale Charakter abgesprochen. Szasz schreibt dazu:

    "Wenn man von Geisteskrankheiten spricht, ist die Norm, an der die Abweichung gemessen wird, ein psycho-sozialer und ethischer Richtwert. Und dennoch sucht man dem (Übel, d. Verf.) mit medizinischen Mittel beizukommen – wobei man annimmt, daß diese großen ethischen Wertunterschiede frei seien." (Szasz, 1975, S. 26)

     

    Kurz, indem die Geisteskrankheit zum "Mythos" wird (Szasz, ebd., S. 37), dient sie der Gesellschaft als Mittel zum Zweck, ihre internen sozialen Widersprüche zu leugnen und die Bildung einer Internierungsstätte zu legitimieren. Hier zeigt sich die politische Funktion der Psychiatrie: der Kranke wird zum Objekt staatlicher Maßnahmen gemacht, die Gesellschaft entledigt sich ihrer "inneren Feinde". Weitbrecht, ein Vertreter der herrschenden Psychiatrie, bemerkt dazu:

    "Wir dürfen vor lauter Faszination durch den schizophrenen Menschen in seiner abgewandelten Welt und der Begegnung mit ihm nicht vergessen, danach zu suchen, was ihn denn zum schizophrenen Menschen werden ließ: die schreckliche Krankheit. Unsere vornehmste Aufgabe als Psychiater ist es, am "Feind" zu bleiben, d. h. die Krankheit als solche weiter aufzuklären und behandeln zu lernen, und nicht nur das vom Feind okkupierte Land (das Kranksein) zu betrachten." (Weitbrecht, 1963, S. 361)

    Der Kranke ist immer noch der Bessene, dessen Verhalten etwas Faszinierendes, Übernatürliches, anhaftet. Szasz vergleicht diese Ideologie des Wahnsinns mit dem Hexenglauben des Mittelalters und die Institutionelle Psychiatrie mit der damaligen Inquisition. Beide verfolgen denselben Zweck: Aufspüren des Bösen, der inneren Feinde der Gesellschaft und den Schutz der Normalen, Gesunden. (vgl. Szasz, 1974, S. 167ff)

    Ebenso verknüpft die institutionelle Psychiatrie den Begriff der Geisteskrankheit mit dem Kriminalitätsbegriff. Indem sie die Ideologie des "gemeingefährlichen Irren" verbreitet (Szasz schildert dafür ausführliche Beispiele in seinem Buch Las, Liberty and Psychiatry, S. 91 – 108), festigt und etabliert die Psychiatrie ihre Machtstellung im Staat.+

    Der psychiatrische Arzt, als Fachmann für den Umgang mit Geisteskranken, stellt mit einer Differentialdiagnose fest, wie der Kranke am zweckmäßigsten zu behandeln ist.

    "Als Diagnostiker ist dieser Arzt letzten Endes ein Schiedsrichter, der darüber befindet, wer mit Drogen oder chirurgisch oder mit anderen medizinischen Methoden und wer mit Elektroschock, Anstaltseinweisung und anders psychiatrisch behandelt werden soll." (Szasz, ebd., S. 57)

    Hierbei erschreckt die furcheinflößende Machtfülle des Arztes. Als Vertreter einer staatlichen Institution beschuldigt er den Bürger einer Geisteskrankheit und diagnostiziert ihn als psychiatrisch behandlungsdürftig; dann überstellt er ihn den Gerichten, daß heißt dem Staat, und läßt ihn in eine "Heilanstalt" genanntes Gefängnis werfen. (vgl. Szasz, bed. S. 108) Wie der Psychiater als Stellvertreter der Gesundheit den Geisteskranken behandelt, stelle ich im nächsten Kapitel dar.

    2.2 Therapie

    Indem der Geisteskranke also in die Mühle der Psychiatrie gerät und vom Arzt die Diagnose "Schizophrenie" erhält, wird ihm gleichzeitig ein Stigma aufgenötigt, welches ihn in seinen Lebensverhältnissen etikettiert und diskreditiert. Kurzum, der Psychiater produziert für den Patienten einen gesellschaftlichen Status, der ihn (den Kranken) zum Sündenbock abstempelt.

    Der Psychiater hat jedoch in seiner Funktion als professionell Normaler noch eine zweite Aufgabe, nämlich die der Behandlung Geisterkranker mit dem Ziel der Heilung. Mit Hilfe verschiedener Methoden versucht der Arzt, seinen gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen. Als Repräsentant geistig-seelischer Gesundheit, müssen auch seine Therapieziele der herrschenden Gesundheit entsprechen. Rosen erklärt:

    "Zunächst einmal soll der Mensch so schnell wie möglich von seiner Psychose geheilt werden. ... Im Endergebnis könnte es sich um eine Persönlichkeit handeln, die sich aus der Menge nicht hervorhebt und auch nicht durch besondere Fähigkeiten auffällt. Dieser Mensch kann Mechaniker, Handelsvertreter, Angestellter oder überhaupt ein berufstätiger Mensch von durchschnittlicher Befähigung sein. Er fühlt sich verheiratet am wohlsten oder strebt Heirat und die Gründung einer Familie an." (Rosen, 1969, S. 81)

    Therapieziel ist Konformität im Sinne einer kapitalistischen Ethik; gesund ist, wer möglichst symptomfrei, d. h. unauffällig mit dem Leben fertig wird.

    In der Behandlung selbst, d. h. im Verhältnis Arzt – Patient, zeigt der Psychiater all seine politische Macht. "Sich vor dem Patienten hinstellen und sagen: ‚Sie brauchen eine Arznei!’, heißt, als Macht und nicht nur als Beratender auftreten." (Basaglia, 1971, S. 221) Der meist zwangseingewiesene Kranke hat keine Möglichkeit, sich gegen ungerechte Behandlung zu wehren. Als schizophren etikettiert, ist er seiner Menschenwürde verlustig. Was er auch sagt, wie er auch reagiert, alles wird ihm als Krankheitssymptom ausgelegt. Die Umgangs- und Behandlungsformen variieren nach Klassen- bzw. Schichtzugehörigkeit. Hollingshead & Redlich haben empirisch nachgewiesen, daß z. B. in den staatlichen, psychiatrischen Krankenhäusern der USA Patienten der Unterschicht nur in 9,1 % der hospitalisierten Fälle psychotherapeutische Behandlung erhalten, Patienten der Mittel- und Oberschicht jedoch zu 51,7 %. (vgl. Hollingshead & Redlich, 1959) Demnach besteht zwischen Therapie und Klassenlage ein signifikanter Zusammenhang. Im folgenden stelle ich einige "klassenspezifische" Therapien vor:

    a) Patienten der Unterschicht: Die erste und oft auch einzige Behandlung besteht in der Verordnung bestimmter Psychopharmaka, welche die unmittelbare Prognose zwar verbessern (d. h. die Chance für eine Entlassung erhöhen), langfristig aber keine der bisher erkannten ätiologischen Faktoren angreift.

    "Durch die ‚beruhigende’ Wirkung der Medikamente verharrt der Patient in seiner passiven Krankenrolle; ... sie wirken gleichzeitig auf die Angstsituation des Kranken wie des Arztes ein und führen damit zu einem Paradoxon: Der Arzt lindert mit Hilfe der Medikamente, die er dem Patienten verschreibt, sein Gefühl der ängstlichen Unsicherheit gegenüber einem Kranken, zu dem er keine Beziehung und mit dem er keine Verständigungsmöglichkeit zu finden weiß." (Basaglia, a. a. O., S. 156)

    Cooper spricht von einer "chemischen Zwangsjacke". (Cooper, 1971, S. 106) Durch die Verabreichung von Medikamenten wird also nichts an der Krankheit verändert; der Kranke bleibt in seiner passiven Rolle ebenso wie der Arzt in seiner Rolle bestätigt wird.+ Weitere Körpertherapietechniken zur "Heilung" von Geisteskranken sind: der Elektroschock und Lobotomie, welche ausschlißelich den Organismus behandeln.++ "Die Auflösung der Qual durch ihre Zerstörung mit einer anderen, nichts anderes bedeutet die Anwendung dieser, nur als verbrecherisch zu bezeichnenden Methoden." (Kursbuch 28, a. a. O., S. 82) Nirgends wird die Gewalt der Psychiatrie, in der Gestalt des Arztes, so deutlich wie hier. Indem die Gesellschaft einen professionell Normalen dazu legitimiert, erhält er die Erlaubnis, das Verhalten eines Menschen zu zerstören, um an die Stelle des Zerstörten ein Torso zu setzen, der als stumpfsinnige, menschlich – tote Hülse ein Verhalten zeigt, das den Normvorstellungen der Allgemeinheit entspricht.

    b) Patienten der Mittel- und Oberschicht erhalten neben der medikamentösen Behandlung hauptsächlich Psychotherapie. Im ersten Kapitel habe ich mit der Psychoanalyse eine generelle Theorie für psychotische Erkrankungen dargestellt, welche gleichfalls Möglichkeiten der Behandlung impliziert. Allerdings hat die analytische Situation spezielle Ansprüche. Sie setzt einen bestimmten, analysefähigen Patiententypus voraus: da die Therapie darin besteht, durch freies Assoziieren frühkindliche Traumata "aufzuwecken", sie dem Kranken bewußt zu machen, damit dieser ein freieres Verhältnis zu seiner Geschichte bekommt, muß er intellektuell zu solchen Reflexionen fähig sein. Der Analytiker ist als Übertragungsobjekt Spiegel und Resonanzkörper für die infantilen Konflikte des Gestörten mit seinen Eltern. In diesem Sinne muß der Schizophrene auch zur Übertragung fähig sein. (vgl. Freud, Abriß der Psychoanalyse, in: StA Ergänzungsband, S. 413) Obgleich Freud die Heilungschancen ei Psychotikern seinerzeit als sehr gering einstufte (vgl. Freud, ebd., S. 412), haben sich doch verschiedene Psychoanalytiker erfolgreich mit der Heilung schizophren Erkrankter befaßt. (vgl. H. Green, Ich habe dir nie einen Rosengarten versprochen, 1978, Bericht einer Heilung) Dabei muß der Psychotiker richtiggehend bemuttert werden, eine Tatsache, die für den Analytiker sehr zeitwendig, für den Schizophrenen äußerst kostspielig ist.

    Die erfolgreiche Durchführung einer Analyse erfordert also beim Analysanden intellekturelle Fähigkeiten sowie materielle Verhältnisse, die mehr bürgerlichen Patienten zugesprochen werden als proletarischen. Ebenso werden an den Analytikern selbst besondere Ansprüche gestellt; durch die Institutionalisierung der Ausbildung entwickelte sich ein elitärer Auswahlmodus: "Auswahlbedingungen sind gute Intelligenz, etwas Erfolg im Leben und geglückte soziale Anpassung." (Balint, 1969, S. 267) Ein weiterer wichtiger Bestandteil der "Therapie-Ideologie" ist die Notwendigkeit der Eigenanalyse des Arztes. Nur dadurch könne er Widerstandstechnik, Übertragungsproblematik, Deutungsarbeit usw. richtig handhaben. (vgl. Kursbuch 28, a. a. O., S. 77)

    Alles in allem: Ein spezifisches, hundertprozentiges, therapeutisches Konzept für die Behandlung "Schizophrener" gibt es nicht. Was bleibt, ist ein gesellschaftliches Verhältnis, in das der Patient unter dem Titel "Therapie" eintritt (bzw. hineingezwungen wird), die Behandlungsform richtet sich nach dessen gesellschaftlicher sozialer Zugehörigkeit. In allen Fällen ist der Arzt der Spezialist, der allein die Umgangsformen mit dem Kranken bestimmt und dadurch uneingeschränkte Macht ausübt.

    2.3 Psychiatrie als totale Institution

    Nachdem ich oben allgemein die Psychiatrie in ihrem gesellschaftlichen Verhältnis zum Patienten dargestellt habe, welches seinen Ausdruck hat in der allumfassenden Macht des Arztes und der erschreckenden Ohnmacht des Geisteskranken, will ich in diesem Kapitel näher auf das konkrete Verhältnis der Insassen zu der Anstalt eingehen. Hier interessiert jetzt das Leben und Erleben des Internierten in den sozialen Strukturen einer totalen Institution.

    2.3.1 Merkmale

    "Eine totale Institution läßt sich als Wohn- und Arbeitsstätte einer Vielzahl ähnlich gestellter Individuen definieren, die für längere Zeit von der übrigen Gesellschaft abgeschnitten sind und miteinander ein abgeschlossenes, formal reglementiertes Leben führen." (Goffman, 1972, S. 11) Ihr allumfassender oder totaler Charakter wird symbolisiert durch Beschränkungen des sozialen Verkehrs mit der Außenwelt. Vier Merkmale sind charakteristisch für totale Instituionen:

    "a) Im Gegensatz zur sozialen Ordnung der Gesellschaft, nach der der einzelne an verschiedenen Orten schläft, spielt und arbeitet, finden in totalen Institutionen diese Angelegenheiten des Lebens an ein und derselben Stelle, unter ein und derselben Autorität statt.

    b) Die Mitglieder der Institution führen alle Phasen ihrer täglichen Arbeit in unmittelbarer Gesellschaft einer großen Gruppe von Schicksalsgenossen aus, wobei allen die gleiche Behandlung zuteil wird und alle die gleiche Arbeit gemeinsam verrichten müssen.

    c) Alle Phasen des Arbeitstages sind exakt geplant, die ganze Folge der Tätigkeiten wird von oben durch ein System expliziter, formaler Regeln und durch einen Stab von Funktionären vorgeschrieben.

    d) Die verschiedenen erzwungenen Tätigkeiten werden einem einzigen rationalen Plan vereinigt, der angeblich dazu dient, die offiziellen Ziele der Institution zu erreichen." (Goffman, ebd., S. 17)

    Um diese bürokratische Organisation ganzer Menschengruppen aufrechtzuerhalten zu können, ist ein Aufsichtspersonal erforderlich, dessen Hauptaufgabe die Überwachung der Internierten ist. Ein weiteres Kennzeichen totaler Institution ist also das Vorhandensein zweier, diametral entgegengesetzter Gruppen; auf der einen Seite die "gemanagten" Insassen, auf der anderen Seite das aufsichtsführende Personal. (vgl. Goffman, ebd. S. 18) Beide Gruppen leben in unterschiedlichen sozialen und kulturellen Welten, wobei achtsam darauf Wert gelegt wird, daß die Trennung unüberbrückbar bleibt. Die Kommunikation ist von Stereotypien geprägt. Der Verrückte muß verrückt bleiben, um dem Personal permanent zu demonstrieren, wie vernünftig und normal es ist. Auf der anderen Seite halten die Insassen den Stab oft für herablassend, hochmütig und niederträchtig. (vgl. Goffman, ebd., S. 19) Goffman faßt zusammen:

    "Totale Institutionen sind soziale Zwitter, einerseits Wohn- und Lebensgemeinschaft, andererseits formale Organisation. Sie sind Treibhäuser, in denen unsere Gesellschaft versucht, den Charakter von Menschen zu verändern. Jede dieser Anstalten ist ein natürliches Experiment, welches beweist, was mit dem Ich des Menschen angestellt werden kann." (ebd., S. 23)

    2.3.2 Die Welt der Insassen oder: Prozeß der primären Anpassung

    Für sich selbst und seine Umwelt gefährlich und Gegenstand öffentlichen Ärgernisses; mit dieser Begründung kommt der Geisteskranke in die Irrenanstalt. In seiner Metamorphose vom Status eines Bürgers zum Status des Patienten durchläuft der Kranke "eine Kette von Agenten oder Agenturen, die schicksalshaft bei seiner Veränderung mitwirken." (Goffman, ebd., S. 135) An erster Stelle steht der nächste Vertraute, also der Mensch, auf den der Patient glaubt, sich in Krisenzeiten am meisten verlassen zu können. an zweiter Stelle steht die Person des Beschwerdeführers, welche die Einweisung in die Klinik angeordnet zu haben schein (in der Regel ein praktischer Nervenarzt). Da der Weg in die Anstalt oft durch massiven Widerstand des Kranken erschwert wird, schaltet sich eine dritte Agentur ein, die für einen reibungslosen Ablauf des Einweisungsprozesses sorgt. Es sind dies die Vermittler, meist Spezialisten, die Erfahrungen im Umgang "renitenter Patienten" haben. (vgl. Goffman, ebd., S. 136) Die Karriere des vorklinischen Geisteskranken ist also ein Modell der Ausgrenzung:

    "Anfangs hat er Beziehungen und Rechte und schließlich, zu Beginn seines Klinikaufenthaltes verfügt er kaum noch über das eine oder andere. Die moralischen Aspekte dieser Karriere beginnen typischerweise mit der Erfahrung des Verlassenseins, des Treuebruchs und der Verbitterung." (Goffman, ebd., S. 133)

    Ist der Kranke erst eingeliefert, tritt er in die klinische Phase seiner Karriere ein. Dadurch, daß er von der Außenwelt abgespalten wird, hat er sich mit einer für ihn völlig neuen Welt auseinander zu setzen. Die Ansprüche der Anstalt an ihre Insassen erfordert einen völlig anderen, der Institution adäquaten Menschen. Die Anpassung an diese neue Welt geht einher mit der systematischen Zerstörung der Identität des Patienten. Alle individuellen, sozialen und kulturellen Bezüge, welche ihm draußen eine relative Sicherheit vermittelten, werden dem Kranken geraubt. In einer Reihe von demütigenden Prozessen wird die Person in seiner Selbst-Definition zerrüttet: entpersonalisiert. Durch die Trennung des Insassen von der Außenwelt geht ein totaler Rollenverlust einher.

    "Das Privileg, Besuch zu empfangen, oder außerhalb der Anstalt Besuche zu machen, wird anfangs völlig vorenthalten, wodurch ein tiefer Bruch mit den früheren Rollen und einer Anerkennung des Rollenverlustes sichergestellt wird." (Goffman, ebd., S. 26)

    Die Prozesse, durch die das Ich eines Menschen gedemütigt wird, sind in totalen Institutionen ziemlich gleich: z. B. das Entkleidungsritual:

    "Die Zeichen seiner (des Patienen, d. Verf.) früheren Existenz verschwinden in der Kleiderkammer, während des Pflegers "Jungchen" nackt vor der Badewanne, sozusagen am Nullpunkt seiner Anstalts-Karriere steht. Die obligatorische "Säuberung" – das ist der symbolische Tauf- und Einweihungsritus der Anstalt." (Fischer, 1969, S. 39)

    Die Kleidungsstücke sind für den Kranken mehr als nur Gebrauchsgegenstände. Wenn Eigentum die materielle Definition der bürgerlichen Person ist, sind seine Sachen Ausdruck seiner Identität, des Menschen der er draußen war. Sobald dem Insassen seine persönliche Habe genommen ist, werden einige Dinge durch die Anstalt wieder ersetzt, und zwar in standartisierter Form. (vgl. Goffman, a. a. O., S. 27)

    "Zunächst kommt die Aufseherin des Duschraumes, die sie zwingt, sich zu entkleiden, ihnen die egenen Kleider fortnimmt und darauf achtet, daß sie ein Bad nehmen und ihre Gefängniskleidung erhalten: ein Paar schwarze Halbschuhe, mit breitem Absatz, zwei Paar schon oft gestopfte Socken, drei Baumwollkleider, zwei Baumwollschlüpfer, zwei Paar Höschen und einen Büstenhalter. Die Büstenhalter sind allesamt flach und nutzlos. Korsetts oder Strumpfhalter werden nicht ausgegeben. Ein tristerer Anblick als ihn manche dieser fetten Insassen bieten, die draußen zumindest ein anständiges Äußeres wahren konnten, sobald sie sich zum ersten Mal in Anstaltskleidung erblicken." (Murlagh/Harris 1958, S. 239f)

    Die Kleiderkammer wird zum Symbol der Herrschaft; einerseits beweist die Anstalt hier die Totalität ihrer Machtfülle, indem sie dem Patienten mit dem Eigentum ihm stückweise seine Individualität wegnimmt, andererseits beginnt hier für den Kranken eine tertiäre Sozialisation, die in ihrer Omnipotenz die Brechung seines Willens und zweckmäßige Anpassung zum Ziel hat. Dementsprechend lassen sich alle folgenden Aufnahmeprozeduren eher als ein Trimmen auf oder eine Programmierung für ein reibungsloses Funktionieren im Gefüge der totalen Institution bezeichnen.

    Zu der persönlichen Verunstaltung, die von der Wegnahme der Identitäts-Ausrüstung herrührt, kommt noch die persönliche Entstellung, d. h. eine permanente Atmosphäre der Angst hinsichtlich körperlicher Verstümmelungen. Durch die Internierung eines Gefühls der persönlichen Sicherheit verlustig geworden, entsteht bei vielen Insassen eine latente Angst, "daß sie sich in einer Umgebung befinden, die keine Gewähr für ihre physische Integrität bietet." (Goffman, ebd., S. 31) Allerdings sind solche Befürchtungen durchaus begründet, da z. B. Schocktherapie und chirurgische Eingriffe zum Alltag psychiatrischer Behandlung gehören. Der Personalstab macht sich diese existentielle Angst zu Nutze, um den Patienten zum Gehorsam zu zwingen. Andere Demütigungsstrategien sind verbale und gestische Entwürdigungen: "Das Personal oder die Mitinsassen belegen den Einzelnen mit obszönen Namen, beschimpfen ihn, streichen seine negativen Eigenschaften heraus, hänseln ihn oder sprechen über ihn, als wäre er nicht anwesend." (Goffman, ebd., S. 32) Kollektive Schlafgelegenheiten und türlose Toiletten bewirken eine Entblößung des Individuums, die zur Entpersonalisierung beiträgt. Indem der Insasse bei allem für ihn sonst selbstverständlichen Intimitäten beobachtet werden kann, wird seine Privatsphäre zerstört.

    Außer diesen direkten Demütigungen, die das Selbst des Insassen elementar angreifen, gibt es viele andere, subtilere Methoden der Entmenschlichung. Goffman beschreibt sie als Prozesse der indirekten Zerstörung. Eine davon nennt er "Looping-Effekt" (Rückkoppelung im Regelkreis):

    "Jemand ruft beim Insassen eine Abwehrreaktion hervor und richtet dann seinen nächsten Angriff gerade gegen diese Reaktion. Die Schutzreaktion des Individuums gegenüber einem Angriff auf sein Selbst bricht zusammen angesichts der Tatsache, daß er sich nicht, wie gewohnt, dadurch zur Wehr setzen kann, indem er sich aus der demütigenden Situation entfernt." (Goffman, a. a. O., S. 43)

    Die Ähnlichkeiten mit der weiter oben beschriebenen Double-Bind-Situation in der schizophrenogenen Familie sind unverkennbar: Dem Insassen, der aus der "Beziehungsfalle" Personal – Patient nicht herauskam, wird eine bestimmte Kommunikationsstruktur aufgezwungen, durch die er in die Enge getrieben wird. Egal, wie er reagiert, es wird ihm als pathologisch ausgelegt. Wutausbrüche sind Symptome einer paranoiden Schizophrenie, Schweigen und Zurückhaltung Symptome einer katatonen. Indem es ihm unmöglich gemacht wird, sein Gesicht zu wahren, lernt er, die Realität der Anstalt zu akzeptieren. Der Anstaltsartefakt (katatone Starre) als extremste Form von Realitätsverlust und Ich-Verlust ist zugleich die konsequenteste Reproduktion der Anstaltssituation. Dabei kommt der Kranke sogar der Institution entgegen.

    "In einer psychiatrischen Abteilung liegen zwei Patienten unbeweglich im selben Bett. Da es an Plätzen fehlt, nutzt man die Tatsache aus, daß Katatoniker sich gegenseitig nicht stören und steckt je zwei in ein Bett." (Basaglia, a. a. O., S. 122)

    Die Psychiatrie ist eine Institution der Gewalt. Im Prozess der primären Anpassung, der einhergeht mit einer moralistischen Karriere des Geisteskranken, wird beim Patienten radikal die Definition seines Selbst zerstört. Der Kranke wird zum natürlichen Wesen, zum Körper, seine Existenzweise sind Zustände, jede Autonomie des Handelns ist pathologisch und wird strengstens bestraft.

    Da jede Aktivität eines Menschen bis in kleinste vom Personal reguliert und beurteilt wird, erfordert es für den Insassen eine dauernde bewußte Anstrengung, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Sein Ohnmachtsgefühl im Verhältnis zu seinen Wünschen und den idealen Interessen der Anstalt ist allgegenwärtig. Jedoch, in allen Demütigungsprozessen wird er darüber informiert, in welchem Rahmen er sich persönlich reorganisieren kann. Ein klar umrissenes "Privilegiensystem" bietet ihm die Möglichkeit dazu. (vgl. Goffman, a. a. O., S. 54) In der Hausordnung hat der Patient eine ausführliche Sammlung von Vorschriften und Verordnungen, die die Anforderungen der Anstalt an ihn festlegen. Er weiß genau, welche Strafen auf Regelübertretungen folgen. Bei unbedingtem erhält der Kranke Belohnungen in Form von Privilegien (z. B. Urlaub, Besuchserlaubnis usw. Verstöße gegen die Hausordnung haben unmittelbaren Entzug dieser Privilegien zur Folge. Als für den Insassen höchst bedeutungsvoll ist die Frage der Entlassung aus der totalen Institution in das Privilegiensystem eingebaut. (vgl. Goffman ebd., S. 57) Der Patient lernt mit der Zeit, daß einige Handlungen dazu beitragen, den Aufenthalt zu verlängern, während andere ein Mittel sind, um die Haft zu verkürzen.

    Um aus der Klinik herauszukommen, muß der Kranke sich ideal angepaßt haben. Gradmesser seiner Anpaßung ist, ob er in der geschlossenen oder offenen Abteilung lebt. So gibt es in der Anstalt Karrieren: Von der Unruhigenabteilung zur Rekonvaleszentenabteilung. Seine Unterbringung auf der einen oder anderen Station sagt sowohl für den Stab, als für die Insassen, etwas über den Grad seiner Normalität oder Verrücktheit aus.

    "Die mit den Schreikrämpfen und dem starren Blick auf der Station D wurden von den anderen als krank bezeichnet und nannten sich selbst verrückt. Die ruhigeren Stationen A und B lagen auf der Umkehrskala weiter unten: dort waren nur die leichteren Ausdrucksformen erlaubt: einen Vogel haben, ein bißchen bekloppt sein." (Green, a. a. O., S. 42)

    Patienten in den offenen Abteilungen orientieren sich stärker an die Normalität. "Ein Patient, der sich befremdend verhält, wird gewarnt: Paß auf, oder man wird dich in die Unruhigenabteilung zurückversetzen." (Pine/Levinson, 1967, in Weinberg. S. 228) Abweichung wird hier weniger toleriert.

    In diesem Sinne ist die Klinik auch Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse, eine Wiederholung der Sozialisation in verschärfter Form. (vgl. Kursbuch 28, a. a. O., S. 53) Je näher die Entlassung, desto mehr wächst der Druck, die Angst vor den Lebensbedingungen draußen, desto mehr verschwinden auch die Ansätze zur Kooperation und Solidarität. Ebenso wie in der Gesellschaft gibt es soziale Mobilität in der Klinik. Normal, gesund sein bedeutet Konformität im Sinne der Anstaltsethik; um entlassen zu werden, mußt der Patient Leistungen zeigen, welche ihn gegenüber den "Verrückten" hervorheben. Normalität heißt Anpaßung an die Hausordnung, heißt, sich unauffällig zu verhalten: jede Abweichung davon bedeutet längeren Klinikaufenthalt. Hat der Kranke diese Erkenntnis erst einmal gewonnen, wird er sein Verhalten darauf einstellen, um jemals wieder "frei" zu kommen.

    2.3.3 Das Unterleben

    Im vorherigen Abschnitt habe ich versucht, die moralische Karriere des Internierten als Prozeß einer primären Anpassung darzustellen. Dabei wird der Patient seiner üblichen Ausdrucksformen, mit denen er sein bürgerliches Selbst manifestiert, beraubt. Alle Handlungen, jeder Verhalten ist Symptom seiner Krankheit. Er befindet sich in einem circulum virtuosum:

    "Wenn der Patient nackt und ohne handgreifeliche Ausdrucksmöglichkeiten eingesperrt ist, bleibt ihm nichts anderes übrig, als seine Matratze zu zerreißen oder mit Fäkalien Parolen an die Wand zu schreiben, lauter Akte, die das Management davon überzeugen, daß die Einschließung des Betreffenden gerechtfertigt ist." (Goffman, a. a. O., S. 292)

    Der Insasse wird im Laufe seines Aufenthalts zum Mitarbeiter im Sinne der Anstalt.

    Aber wie jede soziale Organisation hat auch die Psychiatrie Lücken und "ökologische Nischen", die es dem Patienten ermöglichen, in solch einer Sphäre der totalen Repression menschlich zu überleben, d. h. nicht völlig seiner Ich-Identität verlustig zu gehen. Goffman nennt dies die "sekundäre Anpassung". Darunter versteht er ein Verhalten,

    "bei welchem das Mitglied einer Organisation unerlaubte Mittel anwendet, oder unerlaubte Ziele verfolgt oder beides tut, um auf diese Weise die Erwartungen oder Organisation hinsichtlich dessen, was er tun bzw. sein sollte, zu umgehen. Sekundäre Anpassung stellt eine Möglichkeit dar, wie das Individuum sich der Rolle und dem Selbst entziehen kann, welche die Institution für es verbindlich hält." (Goffman, ebd., S. 185)

    Für die Gesamtheit dieser Anpassungspraktiken prägt er den Begriff "Unterleben". (vgl. ebd., S. 194)

    Die Auseinandersetzung mit und das Verständnis für dies Phänomen "Unterleben" halte ich besonders im professionellen Umgang mit psychiatrisch behandelten für wichtig. Denn auch in einer therapeutischen Wohngemeinschaft, deren soziales Gefüge den Aufbau einer identitätsbewußten Persönlichkeit ermöglichen soll (vgl. das 3. Kapitel), sind Interaktions- und Kommunikationsstrukturen der Psychisch Gestörten mit dem Behandlungsteam und untereinander von solch spezifischen Verhaltensweisen durchtränkt. In der Anstalt waren sie für den Kranken überlebensnotwendig, in der therapeutischen Gemeinschaft hemmen sie eine offene Auseinandersetzung der einzelnen Mitglieder mit dem Professionell Normalen.

    Die Patienten entwickeln mannigfache Überlebensstrategien: Eine davon bezieht sich auf die "Ausbeutung des Systems" Psychiatrie. (vgl. Goffman, ebd., S. 204) Dies kann z. B. in ausgeklügelten Praktiken illegaler Nahrungsbeschaffung geschehen, die teilweise grotesk anmuten (z. B. Entwendung eines Salzstreuers). Goffman schildert ausführliche Beispiele dazu (ebd., S. 206ff). Die wichtigste Form, das System auszubeuten, besteht darin, einen "ausbeutbaren Posten" zu erlangen, d. h. eine bestimmte Arbeit, Freizeitbeschäftigung, Therapie oder Stationsaufgabe, die dem Patienten die Möglichkeit gibt, sich der direkten Kontrolle der Anstalt zu entziehen. (ebd., S. 213f)

    In der Betrachtung des "Unterlebens" ist die Frage des Schauplatzes ebenso wichtig, denn wenn verbotene Aktivitäten stattfinden, dann in dem Personal unzugänglichen Räumen. Die Spielräume sind hier natürlich je nach Abteilung (offen oder geschlossen) unterschiedlich; aber selbst in der "Geschlossenen" finden die Insassen Möglichkeiten, sich, wenn auch nur für kurze Zeit, "frei" zu bewegen. (Auch der pathologische "Autismus" könnte ein solcher Freiraum sein; der scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man annimmt, daß der Kranke den Freiraum introjiziert hat umso ganz bei sich zu sein.) Goffman unterscheidet hier noch "Gruppenterretorien", also Gebiete, die jedem zugänglich sind (vgl. ebd., S. 230) von "persönlichen Terretorien", auf die der Patient individuellen Anspruch hat (z. B. ein besonderer Stuhl oder Platz am Fenster, eb d., S. 237). An alle diesen Plätzen ist der Kranke für sich, wird er in Ruhe gelassen.

    Weil die Welt "draußen" durch Handels- und Tauschbeziehungen geprägt ist, entwickeln auch die Insassen ein spezifisches "ökonomisches Tauschverhältnis" (ebd., S. 253), in dem sie als Menschen agieren können. Dabei zeigt sich, daß nicht so sehr der Gebrauchswert der Waren wichtig ist (die Skala der Artikel ist wegen ihrer Abgeschlossenheit zur Außenwelt eh’ beschränkt), das Tauschverhältnis selbst, als Möglichkeit der sozialen Begegnung, hat die entscheidende

    Bedeutung.+

    Durch intime, private Bindungen untereinander verschaffen sich die Patienten, trotz der gegenwärtigen Gefahr der Kontrolle und der Lächerlichmachung auch in dieser Sphäre menschliche Bestätigung. (vgl. Goffman, ebd., S. 266ff) Kurz, die Insassen entwickeln mit dem Unterleben ein Bezugssystem, welches ihnen, wenn auch sehr verzerrt, die Möglichkeit einer eigenen Identität beläßt. Dabei setzt der Patient diese "sekundären Anpassungspraktiken" mit einer Intelligenz und einem Realitätssinn ein, "daß ein Außenstehender durchaus das vertraute Gefühl haben kann, sich in einer Gemeinschaft zu befinden." (ebd., S. 289) So zeigt das Unterleben, obgleich ursprünglich als extreme Form des Überlebens gedacht, soziale Fähigkeiten und Engagement des Internierten auf, welche ihm durchaus das Leben in der Gruppe gestatten. In seiner Reaktion auf das unmenschliche Behandlungssystem der Psychiatrie weist es auf sein Potential kooperativer Verhaltensweisen hin, die einen anderen Umgang mit ihm, in anderen sozialen Strukturen, erfordern.++

    2.4 Psychiatrie und Gewalt oder: Über das gestörte Verhältnis der Institution zu ihren Patienten

    Wenn ich mich im Vorherigen mehr theoretisch mit dem Macht- und Herrschaftsapparat der Psychiatrie beschäftigt habe, will ich hier "nackte" Tatsachen berichten: Ehemalige Patienten und deren Angehörige sprechen aus ihren Erfahrungen mit der Gewalt der psychiatrischen Klinik. Zitate sind, wenn nicht anders angegeben, aus dem Psychiatrie-Report von Ernst Klee. (vgl. Klee, 1978)

    Wie eine Mutter die Behandlung ihres Sohnes erlebt:

    "Jetzt ist mein armer Junge schon ein halbes Jahr in der Psychiatrischen Klinik. Da wiederholt Aggressionen auftraten, hat man meinen Jungen in eine geschlossene Abteilung, nur mit voll geistig Behinderten, eingesperrt. Eingesperrt sage ich deshalb, weil für meinen Jungen nichts weiter als Tabletten, 15 Stück pro Tag, verabreicht werden. Ausgang haben diese Menschen ja nicht. Man nennt es Garten, ich nenne es Hundezwinger, dort darf ein 15-jähriger Junge, wenn er mal frische Luft braucht, auf und ab gehen. (ebd., S. 65f)

    Aufzeichnungen einer Patientin:

    "Man rollt mich auf dem Bett in den Flur. Ich möchte aufstehen, aufrecht gehen. So findet jede Begegnung notgedrungen von oben herab statt. Eine Ärztin versucht ein Gespräch. Ich kann überhaupt nicht im Gegenüberliegen, ich weine mehr als ich sage. "Geben sie mir meine Kleider" Ich brauche ein paar schützende Hüllen, ein bißchen Ich. Nachdem in jedes einzelne Stück mein Name eingenäht ist, darf ich mich anziehen. Es wird meine erste Tat sein, die Namensbänder herauszutrennen. Ich empfinde sie nicht als Kennzeichen, sondern als Entpersönlichung." (ebd., S. 68)

    Aus dem Brief einer ehemaligen Patientin:

    "Monika, die 16-jährige, ist sehr aggressiv. Sie beschimpft die Schwestern öfters, schreit: ‚Laßt mich doch raus, was hab ich euch getan, ihr seid Schweine, daß ihr mich hierbehaltet.’ Es gibt Schwestern, die sie dann mit breiten Lederriemen wie eine Gekreuzigte anbinden, vor unser aller Augen. "So, jetzt wirst du ruhig sein, auf dem dunklen Gang draußen wird dir dein Schreien vergehen.’ Und schiebt sie wirklich raus! am Morgen, wenn Monika kommt, zuckt nur ihr Mund. Die Augen sind offen und sie starrt ohne Worte an die Decke." (ebd., S. 69)

    Oder:

    "Morgens früh um 4 Uhr geht es los. Mit den unflätigsten Reden werden alte, hilflose Frauen aus den Betten gezerrt. ‚Ihr Schweine putzt doch euren Hintern selbst ab, wenn ihr schon ins Bett macht. Los, mach die Beine auseinander, wenn ich ein Mann wäre, würdest du es doch auch tun.’" (ebd., S. 70)

    Ihr direktes Verhältnis zur Gewalt zeigt die Psychiatrie in dem gesellschaftlichen Verhältnis des Arztes zu seinen Patienten. Die (Folter-) Therapien, mit denen der Arzt seine Kranken "heilt" waren und sind stets Mittel gegen diese. Mit reinen Quälmethoden (ich habe sie weiter oben ausführlicher benannt) versucht der Professionell Normale den "Irren", "Besessenen", "Verrückten" beizukommen, z. B. Elektroschock: Ein Lehrbuch der Psychiatrie, das schönfärberisch von einer Elektroschockkur spricht, schildert den Vorgang so:

    "Es wird ein epileptischer Krampf durch elektrische Reizung des Hirns erzeugt. Der Patient muß nüchtern sein, Zahnprothesen werden entfernt. Um beispielsweise Wirbelbrüche zu vermeiden, wird der Patient narkotisiert, und dann wird ein Mittel eingespritzt, das zur Lähmung der willkürlichen Muskulatur, führt, einschließlich des Zwerchfells. Der Patient muß dann sofort beatmet werden. Als Komplikationen kann beispielsweise ein Stimmritzenkrampf einsetzen. Als letzte Möglichkeit kann man eine Wassermann-Nadel in die Luftröhre einführen. Ansonsten besteht die Möglichkeit eines Kollaps oder des Todes. Durchschnittlich gibt man 5 – 10 Schocks." (Spoerri, 1975, S. 216f)

    Angewendet wird der Elektroschock bei "vitaler Traurigkeit, bei Hemmungen, Angst und Unruhe, Depression oder Katatonie." (ebd., S. 216)

    Für den "Geschockten" bedeutet das (aus einem Brief der Ehefrau):

    "Mein Mann war ein ausgesprochen intellektueller Typ. durch die Behandlung mit Elektroschocks konnte er nicht mehr lesen, sich nicht mehr konzentrieren, vergaß alles. Er gab seine besten Freunde auf. Stundenlagen, tagelang starrte er ruhig, still, ohne zu reden, an die Decke des Zimmers. Interessant war auch die sehr kurzfristige, "euphorische" Besserung nach den Schocks. Sie dauerte drei bis fünf Tage, dann kam der nächste Anfall und somit eine weitere, schreckliche Depression. Am 9. Mai holte ich ihn als "geheilt" aus der Klinik, am 15. Mai beging er Selbstmord durch Erhängen." (Klee, a. a. O., S. 84)

    Die Omnipotenz des Psychiaters wird hier besonders deutlich. Schicksalshaft verfügt er über Leben und Tod seiner Patienten.

    "Mit welcher Verzückung da Apparaturen betätigt werden und der leidende Patient ganz bedeutungslos wird, ein notwendiges Objekt, an dem die Apparate wirken." (Klee, ebd., S. 85)

    Man muß sich einmal vorstellen, auf welch schwankendem Boden die Tortur erprobt wird. Behandelt werden Krankheiten, deren Ursachen weitgehend unerforscht sind. Dabei wird in Kauf genommen, daß Gehirnzellen auf immer zerstört werden, das Gedächtnislücken zurückbleiben – und Tote.+ Betrachtet man die Ergebnisse der Schockbehandlung, wird ihre Anwendung noch verwunderlicher: "Bei Schizophrenien wird mit einer kurzzeitigen Besserung in 50 – 60 % aller Fälle gerechnet. Die Dauerresultate sind wesentlich ungünstiger, hier nähern sich die Behandlungsergebnisse im Laufe von 10 – 15 Jahren bei behandelten und unbehandelten Kranken immer mehr." (Heinrich, 1976, S. 56)

    Über die Behandlung mit Medikamenten habe ich weiter oben schon ausführlicher gesprochen. Hier interessiert noch die Wirkung auf das Individuum.

    "Librium

    wie wirkt es ? Mit dieser Substanz begann der unvergleichliche Siegeszug der Reihe der Benzodiazepin-Dervivate. Bei Versuchen mit Tieren wurde herausgefunden, daß die Substanz die Aggressivität ungezähmter Wildtiere dämpft, ohne sie schläfrig und apathisch zu machen. ... Wie die Substanz im Körper verarbeitet und abgebaut wird, ist noch wenig erforscht." (Lüth, 1976, S. 157)

    Physiologisch ist nur soviel bekannt: Die sogenannten Psychopharmaka wirken auf das zentrale und periphere Nervensystem ein. In diesem Sinne sind sie nicht antipsychiotisch. (vgl. Klee, a. a. O., S. 96) Medikamente, von den Patieten "Pillenkeule" genannt, (ebd., S. 98) sind tagtägliches Mittel, um auf der Station für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Sie zielen darauf ab, Patienten einfach ruhig zu stellen, abzustellen, und zu verwahren. Körperlicher Zwang wird durch chemische Gewalt ersetzt, die Arznei ist ein Mittel zur Dämpfung intrapsychischer Konflikte und nicht zu ihrer Lösung.

    Die Infrastruktur und Personalsituation der Klinik ist oft nur sehr ungenügend. Aus einer Patientenzeitung:

    "So werden 50 jugendliche Patienten in einem Tagesraum unter Aufsicht von nur 2 Pflegern eingesperrt. Es werden keine Beschäftigungsmöglichkeiten angeboten. Die Menschen werden lediglich verwahrt und saubergehalten. Die sanitären Anlagen lassen sehr zu wünschen übrig. Für bis zu 50 Patienten steht eine Badewanne, eine Toilette sowie wenige Waschbecken zur Verfügung. ... Schlafräume haben bis zu 25 Betten, zu den räumlichen Mißständen kommt der eklatante Personalmangel. Für die insgesamt etwa 1500 Patienten stehen lediglich 16 Ärzte, 2 Psychologen, 2 Sozialarbeiter und 3 Beschäftigungstherapeuten zur Verfügung." (Klee, ebd., S. 122)

    Die äußere Fassade der Anstalt gleicht mehr einem Gefängnis oder Konzentrationslager als einem Kranken-Haus. Aus dem Bericht eines Patienten:

    "Immer ist die Haustüre versperrt. Nur die Tür zum Garten öffnet sich an schönen Tagen. Doch auch dieser Garten ist verbarrikadiert. Ein hoher kräftiger Drahtzaun umgibt ihn; das Gartentor ist verschlossen. Ringsum Häuser mit den gleichen Gegebenheiten. Um das ganze Gebäude, auf dem die Häuser stehen, führt noch einmal ein hoher stacheldrahtgekrönter Drahtzaun. In diesen Häusern gibt es jeweils einige Zellen. Die Fenster sind aus Panzerglas mit gitterartigen Eisenverstärkungen. Die Türen bestehen aus zentimeterdicken Eichenbohlen und besitzen starke Spezialschlösser. Wird einer der Insassen eines solchen Hauses unruhig oder aggressiv, so kommt er in eine solche Zelle. Überall also verriegelte Türen, vergitterte Fenster, Zäune, die allgegenwärtigen Wörter." (Klee, ebd., S. 124)

  3. Über die therapeutische Wohngemeinschaft

"Mit den Widersprüchen der Wirklichkeit dialektisch zu leben: darin liegt der therapeutische Aspekt unserer Arbeit. Erst wenn diese Widersprüche dialektisch aufgefaßt werden, statt ignoriert oder in dem Versuch, eine ideale Welt zu schaffen, programmatisch beiseite geschoben zu werden; erst wenn die Machtübergrife des einen gegenüber dem anderen und die Sündenbockmechanismen dialektisch erörtert und nicht als unvermeindlich hingenommen werden, um das Verständnis ihrer inneren Dynamik zu ermöglichen, wird die Gemeinschaft therapeutisch. Aber Dialektik gibt es nur dort, wo es mehr als eine Möglichkeit gibt, d. h. eine Alternative. Wenn der Kranke keine Alternativen hat, wenn sein Leben schon vorgeplant und organisiert ist und seine persönliche Teilnahme darin besteht, sich der Ordnung zu fügen, ohne das er irgendeine Ausweichmöglichkeit hätte, dann ist er im psychiatrischen Anstaltsbereich genauso ein Gefangener, wie er sich in der Außenwelt, mit deren Widersprüchen er sich dialektisch nicht auseinanderzusetzen vermochte, als Gefangener fühlte."

Franco Basaglia

3.1 Alternative Ansätze zur Psychiatrie

Die Behandlung der schizophren Erkrankten in der Institutionellen Psychiatrie ist also, wie zuletzt beschrieben, gekennzeichnet durch Hospitalisierung und gesellschaftliche Etikettierung des Patienten. Nicht Heilung des tatsächlich Leidenden, psychisch Gestörten, der in seinem sozialen Umfeld nicht mehr klarkommt, sondern immer wieder Ausgrenzung der Unvernunft ist psychiatrische Realität. Darin zeigt sich die wichtigste Funktion der Anstalt.

"Die Geistesgestörten sind (in den Augen der herrschenden Klasse) die Neger, die Eingeborenen, die Juden, die Proletarier unter den Kranken; so wie diese sind sie Opfer einer ganzen Reihe von Vorurteilen und Ungerechtigkeiten, die nichts mit der Natur des Wahnsinns zu tun haben." (zitiert in: Basaglia, 1974, S. 19)

In einer Anstalt, deren Organisation und Funktionalität von jeher wichtiger waren als die Reintegration des Kranken, erhält der Geisteskranke seinen adäquaten Status; so zeigen seine Reaktionen auf den repressiven Umgang mit ihm oft Parallelen auf zu seinem gestörten Verhältnis mit der Realität. So wie die Wirklichkeit, gegen die er sich nicht aufzulehnen wußte, beläßt ihm auch die Anstalt, der er sich nicht widersetzen kann, nur einen Ausweg: die Flucht ins psychotische Gebaren, den Rückzug ins Delirium, wo es weder Widerspruch noch Dialektik gibt. Regression statt Rehabilitation, das ist die logische Konsequenz des psychiatrischen Umgangs mit seinen Patienten.

Mit der Entwicklung der Psychoanalyse und eines interaktionstheoretischen Ansatzes (vgl. Kapitel 1), welche Phatogenese und Ätiologie psychischer Erkrankungen hauptsächlich aus dem gestörten Verhältnis des Kranken zu seiner sozialen Umwelt definieren, ist die konventionelle Psychiatrie in ein Dilemma geraten, dessen Überwindung sich vorwiegend kritische Psychiater zur Aufgabe gemacht haben.

Laing und Coopers antipsychiatrischer Entwurf übernahm zum einen von der amerikanischen Schizophrenieforschung die Erkenntnis, daß schizophrene Erkrankungen als Teil einer pathologischen Kommunikationsstruktur zu verstehen sind, zum anderen von der Analyse psychiatrische Institutionen die Erfahrungen des repressiven Charakters ihrer Prozeduren. (vgl. Rebell, 1976, S. 45) Unter dem Gesichtspunkt genereller Entfremdung wird die Unterscheidung gesund-krank falsch, da für die Manifestation der als krankhaft definierten Symptome eben nicht individuelle, biologische Ursachen verantwortlich sind, sondern die Gesellschaft als ein System der Gewalt. Hieraus analysieren die Antipsychiater einen krankheitsbedingenden und –bewahrenden Entfremdungszusammenhang. (Rebell, ebd., S. 46) Indem diese Theorie auf einen Gesundheitsbegriff, der sich auf die Anpassung an die materiellen, gesellschaftlichen Existenzbedingungen gründet, verzichtet, verzichtet sie auch auf Therapie.

"Wahre Gesundheit bewirkt in der einen oder anderen Weise eine Auflösung des normalen Ego, jenes falsche Selbst, daß in unserer entfremdeten sozialen Realität völlig angepaßt ist." (Laing, 1970, S. 133)

Heilung ist demzufolge auch nur außerhalb der Gesellschaft möglich. Dabei sollten die psychiatrischen Institutionen umgestaltet werden "zu einem angenehmen Ort für eine mystische Reisegesellschaft." (Stefanik, 1973, S. 27)

Der Antipsychiater ist hier nur "Reisegefährte" auf einem Trip des Patienten nach innen, um seine innere Welt zu erfahren. Ohne hier konkret auf einige "Stationen" dieser Reise einzugehen, die für das subjektive Erleben des Psychotikers sicherlich existenziell sind, interessieren sich hauptsächlich allgemeinere Fragen, welche die gesellschaftliche Anwendbarkeit betreffen, Laing sagt:

"Psychische Krankheit ist der natürliche Weg zur Heilung aus unserem schrecklichen Zustand der Entfremdung." (Laing, a. a. O., S. 152)

Heilung für wen, für welche Realität? Rebell faßt zusammen:

"Ebenso wie die traditionelle Psychiatrie scheitert die Antipsychiatrie angesichts der Aufgabe, ihren Patienten zu gesellschaftlicher Lebensfähigkeit zurückzuverhelfen. Der Handlungsspielraum der Psychiater ist verengt darauf, den Kranken ihre Asylsituation so angenehm und erträglich wie möglich zu machen. Es bleibt jedoch bei deren Ausgrenzung aus der gesellschaftlichen Realität, die Kranken sind autonom nur innerhalb eines gesellschaftlichen Freiraumes." (Rebell, a. a. O., S. 47 f)

Andererseits geht die Antipsychiatrie an der Klassennatur seelischen Leidens vorbei. Wie schon erwähnt, rekrutiert sich die Masse der an "Schizophrenie" Erkrankten aus proletarischen Verhältnissen. Versteht man nun die Psychose als ein ideologisches Produkt einer Klassengesellschaft, deren allgemeinstes Merkmal "die Vergegenständlichung des Arbeiters und die Entfremdung zu seinem Produkt " ist (Marx, 1844, in MEW Ergänzungsband, S. 513), so ist damit gleichfalls ein politischer Status des Kranken und auch politische Veränderbarkeit impliziert. Laings’ ontologische Theorie der Entfremdung tritt "gewissermaßen die Flucht in die methaphysische Totale" an. (Autorenkollektiv, 1975) Entfremdung ist hier nicht Ausdruck einer historisch aufhebbaren Situation, sondern existentielle Bedingung des Seins.

Den Umkehrschluß zog das sozialistische Patientenkollektiv (SPK). Obgleich ebenfalls von einer Soziogenese psychischer Erkrankungen ausgehend, knüpfte ds SPK seine Hoffnung auf Heilung an die revolutionäre Veränderung der Gesellschaft. Die Krankheit selbst erschien als extreme Konglomerat gesellschaftlicher Antagonismen:

"Um in diesen mörderischen Verhältnissen aber überhaupt für das Kapital prodz ieren zu können, um sich selbst in den Ausbeitungsverhältnissen aufzugeben, ist sich selbst widersprechendes Leben = Krankheit schon Voraussetzung. Die Krankheit ist also die Kraft, die die Verhältnisse aufrecht erhält und genauso jedes einzelne Produkt erzeugt; Krankheit ist also Produktivkraft und wie das Kapital prozessierend, um sich greifend, expansiv. Krankheit ist Subjekt, Voraussetzung und Resultat der kapitalistischen Produktionsweise." (Autorenkollektiv, a. a. O., S. 236)

Mit der Gleichsetzung Kapitalismus – Krankheit wurde jene nur noch heilbar unter den Bedingungen der Revolution. Der "organisierte Patient" selbst wurde zum einzig möglichen Träger revolutionärer Veränderung und so zum Subjekt ihrer eigenen Befreiung hochstilisiert. "Therapie und Revolution waren identisch geworden!" (Rebell, a. a. O., S. 49) In seinem Kampf "alles oder nichts" geriet das Kollektiv in eine geradezu groteske Selbstisolierung, die schließlich auch zu einer Zerschlagung durch die Polizei führte. (ebd.) Jeder, der nicht auf der Seite der organisierten Patienten kämpfte, wurde zum Fein erklärt.

"Im toten Gewicht des Pauperismus, im letzten Wort des kapitalistischen Elends, im Lumpenproletariat" (Marx, Das Kapital, in MEW 23, S. 673) suchte das SPK revolutionäres Potential und ging dabei an den Möglichkeiten und Bedürfnissen des subjektiv Leidenden vorbei. Mit ihrer abstrakten Negation der repressiven Psychiatrie verlieh das Kollektiv dem Patienten, ähnlich wie der Antipsychiater, zwar Subjektstatus, aber nur als Mittel zum Zweck um den Preis ihrer endgültigen Ausgrenzung aus der gesellschaftlichen Realität.

Was bleibt: Auch eine kritische Psychiatrie hat sich, solange sie in einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung eingefügt bleibt, immer mit der Tatsache auseinanderzusetzen, "Anpassungstraining an Profitinteressen zu betreiben und zur Systemstabilisierung beizutragen." (Rebell, a. a. O., S. 50) Dies erfordert einen alternativen Ansatz zur Psychiatrie der "die Spannung zwischen tendenziell systemsprengender Kritik und ungewollter, systemstabilisierender Integration" aushält (Wulff, 1972, S. 266) und dabei Möglichkeiten dialektischer Umgangsformen mit psychisch Kranken eröffnet.

"Mit den Widersprüchen der Wirklichkeit dialektisch zu leben, darin liegt der therapeutische Aspekt unserer Arbeit: Aber Dialektik gibt es nur, wo es mehr als eine Möglichkeit gibt, eine Alternative ..." (Basaglia, a. a. O., S. 25)

Als mögliche Alternative zur institutionellen Repression möchte ich im Folgenden die "Freiheit in der Gemeinschaft" darstellen.

3.2 Prinzipien der therapeutischen Gemeinschaft (th. G.)

Im Jahre 1838, als die Psychiatrie gerade medizinische Wissenschaft wurde, öffnete ein mutiger englischer Psychiater, Dr. Connolly, unterstützt von 30 Pflegern, die Türen und beseitigte alle Zwangseinrichtungen in einer psychiatrischen Anstalt mit 500 Patienten. Das, was Besucher am meisten beeindruckte, waren

"die Ordnung und Disziplin, die dort herrschen, die Ruhe der Kranken und die menschlichen Gefühle, die das Aufsichts- und Pflegepersonal beiderlei Geschlechts beflügeln. Ich habe Kranke in langen Fluren voller Luft und Licht spazierengehen sehen; diese Flure, an denen die Zimmer der Patienten liegen, sind mit Tischen und Blumen ausgestattet und führen zu Versammlungsräumen, wo sich die verschiedenen Patienten treffen und wo sie Bücher und Zeitungen lesen und anderen Zeitvertreib finden können. All das geschah 1838 in England." (zitiert in: Basaglia, a. a. O., S. 22)

Mehr als 100 Jahre später, 1952, entwickelte sein Landsmann M. Jones ei ne ähnliche soziale Struktur, die unter dem Namen "therapeutische Gemeinschaft" bekannt und berühmt wurde.

Die Therapiegemeinschaft ist eine Gemeinschaft, d. h. "eine Gruppe von Menschen mit einer gemeinsamen Identität oder einem gemeinsamen Ziel". (Jones, 1976, S. 11) Grundsätzliche Voraussetzung ist, daß sie dergestalt organisiert ist, "daß sie die interpersonelle Dynamik unter den sie konstituierenden Gruppen zuläßt und die gleichen Eigenschaften aufweist, wie jede andere Gemeinschaft freier Menschen." (vgl. Basaglia, a. a. O., S. 23) Vom Standpunkt des Patienten soll hier versucht werden, "soziale und umweltbedingte Dimensionen mit einzubeziehen." (Jones, a. a. O., S. 18)

Maxwell Jones Darstellungen der vier allgemeinen Prinzipien, die ich jetzt näher ausführen werde, beschränken sich zwar auf th. G. innerhalb psychiatrischer Kliniken (Jones, ebd., S. 18), aber ihr Charakter bezieht jede andere, extrapsychiatrische Einrichtung mit ein.

3.2.1 Prinzip der demokratisch-egalitären Struktur

Anstelle der personalbezogenen hierarchischen Krankenhausordnung soll eine demokratische Ordnung treten, in der das Therapueten-Patientenverhältnis grundlegend verändert werden soll. Beide sollen "Partner" im therapeutischen Prozeß sein, alle, die auf einer Krankenhausstation leben und arbeiten, sollen gleichermaßen Mitglieder der Gemeinschaft sein. (vgl. Simon u. a., in Psychiatrische Praxis 1977, S. 38). "Ziel der th. G. ist es, den Patienten durch einen optimalen Einsatz der Fähigkeiten und des Potentials von Personal, Patienten und deren Angehörigen zu helfen." (Jones, a. a. O., S. 27) Die vertikale Kommunikation soll zu Gunsten einer fließenden horizontalen aufgegeben werden, « auch wenn dies unangenehme Konfrontationen bedeutet oder ein Ausgesetztwerden in Situationen, denen sich der Einzelne nicht gewachsen fühlt. » (ebd., S. 29)

Dies einzuüben ist Aufgabe der Gruppenpsychotherapie, die den Mitgliedern der th. G. in verschiedenen funktionalen Gruppen die Möglichkeit gibt, sich mit den alten Rollenerwartungen auf neuen Rollenansprüchen auseinanderzusetzen. (ebd., S. 32f) Die Ausübung einer neuen Rolle hat eine andere Arbeitsgrundhaltung zur Folge. Jedes Mitglied behandelt aktiv therapeutisch. Kranker, Arzt, Pflege- und Verwaltungspersonal, jeder in der Anstalt verfügt über therapeutische Energie, die freigesetzt werden muß. Alles ist folglich auf ein einziges Ziel ausgerichtet:

"ein Klima zu schaffen, das die gegenseitige Annäherung in einer menschlichen Beziehung ermöglicht, die gerade insofern, als sie spontan, unmittelbar und gegenseitig ist, therapeutisch wird." (Basaglia, a. a. O., S. 24)

Auf die Schwierigkeiten eines veränderten Rollenverständnisses für die Mitglieder der th. G. gehe ich später ein. Hier will ich nur eines festhalten: Die Forderung einer therapeutischen Grundhaltung bietet für den Sozialpädagogen als Professionell Normalen die Möglichkeit, psychisch Kranke, konkret Schizophrene, zu behandeln.

3.2.2 Prinzip der kollektiven Führung

beinhaltet einen grundsätzlichen Widerspruch: Einerseits soll nach dem Prinzip der demokratisch-egalitären Struktur ein jeder die Führung innehaben können (auch der Patient!), andererseits bedarf es eines "grundsätzlich verantwortlichen Leiters", der den Bestimmungen und Erwartungen der zentralen Behörde angepaßt ist und letztendlich die Entscheidung trifft. (vgl. Jones, a. a. O., S. 47) Durch die Bestimmung einer « charismatischen Führungsperson+ löst Jones diesen Widerspruch auf:

"In Krisensituationen kann es jedoch vorkommen, daß ein Leiter selbstständiger zu handeln hat und seine latente Autorität++ zur Geltung bringen muß. Die Wirkung einer derartigen Rollenverschiebung auf die Gruppe hängt vom Ausgang der Krise ab." (Jones, ebd., S. 50)

Der Anspruch auf kollektive Führung ist also situativ. In der therapeutischen Situation kann die Führung durch die Gruppe bedeutsam werden, weil sie den Grad an "Identifikation mit der Gemeinschaft" zeigt. (ebd., S. 55) Andererseits wäre es unrealistisch, unaufhebbare Unterschiede zu ignorieren – z. B. eine völlige Gleichheit von Ärzten, Personal und Patienten zu suggerieren. Die Folge wäre

"eine Pseudogemeinschaftlichkeit ohne realen Boden, die sehr leicht entstehen kann, wenn man unterschiedliche Interessen der Patienten untereinander oder der verschiedenen Berufsgruppen einfach leugnet." (Wulff, a. a. O., S. 226)+++

Für den Patienten kann ein Führungsanspruch positive Folgen haben; indem er in der Planung und Durchführung seiner eigenen Behandlung mitbestimmen kann, wird er stückchenweise zur Selbstbestimmung zurückgeführt, derer er sowohl als Folge seiner Krankheit als auch der Hospitalisierung durch die Psychiatrie, verlustig gegangen ist. Im Falle des chronisch Schizophrenen schränkt Jones allerdings ein:

"Jeder , der je versucht hat, eine Gemeinschaftsbehandlung auf einer Abteilung für chronische Patienten mit vorwiegend geriatrischen (d. h. altersbedingten, d. Verfasser) oder schizophrenen Fällen in irgendeiner Form durchzuführen, weiß, wie schwer es ist, das vorhandene Führungspotential zu erkennen und zu fördern." (Jones, ebd. S. 64)

3.2.3 Entscheidungsprozeß im Konsensus, Teamarbeit

Führung und Entscheidungsprozeß sind aufs engste miteinander verbunden; auch hier besteht eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Jones formuliert vorsichtig:

"Es scheint, als ob der Entscheidungsprozeß im Konsensus bestenfalls ein vages Konzept darstellt, welches versucht, den allgemeinen Wunsch einer Gruppe zu einem jeweils bestimmten Zeitpunkt widerzuspiegeln." (Jones, ebd., S. 69)

Dabei wird die Macht des Arztes in allen wichtigen Entscheidungen nie in Frage gestellt :

"Wie demokratisch und egalitär die soziale Struktur einer th. G. auch ist, besteht dennoch niemals ein Zweifel daran, daß die endgültige Verantwortung beim Psychiater liegt; ... man sollte indessen nie vergessen, daß der Psychiater über eine "latente Autorität" verfügt, die er in jeder ernsten Krisenlage geltend machen kann." (Jones, ebd., S. 80)

Dies begründet Jones so :

"Dabei wird von der Annahme ausgegangen, daß der Psychiater kraft seiner Ausbildung in der Lage ist, seine Autorität auf kluge Weise geltend zu machen, obwohl es sicher Menschen gibt, die dies bezweifeln möchtgen." (ebd., S. 81)

In der praktischen Arbeit mit den Patienten hat ein wechselseitiges Feedback jedoch viele Vorteile. Es fördert den Informationsfluß, hilft Gerüchte aus der Welt schaffen und bietet dem psychiatrisch Tätigen die Möglichkeit, sein Verhalten zu überprüfen.

"Teamarbeit macht es möglich, daß unterschiedliche Sichtweisen gleichberechtigt zusammengesehen werden. So ist ein abgerundeteres und differenzierteres Wahrnehmen und Handeln möglich." (Dörner/Plag, a. a. O., S. 27) Denn: "In dem, wie ich mich verstehe, ist enthalten, wie ich die umgebende soziale und physische Welt und ihre Spannungen in mich aufgenommen habe, zu Teilen von mir gemacht habe; das führt dazu, daß Konflikte als meine Konflikte wieder auftauchen, wo neben meiner Färbung Anteile enthalten sind, die außerhalb von mir sind. Dies wahrzunehmen, ist für mich allein schwer ... Therapeutischer und diagnostischer Alleingang auf einer Station schließt andere "Wissende aus." (ebd.)

Neben dem fachlich-inhaltlichen Aspekt der besseren Informationsverbreitung hat die Beziehungsvielfalt und –offenheit der Gruppe Modellwirkung auf die Patienten. Wenn diese am eigenen Leibe spüren, wie gut Beziehungen sein können (was natürlich Konflikte impliziert), bekommen sie eine Ahnung davon, was dialektische Realitätsbewältigung bedeutet, Teamarbeit kann auch zum Wachstum des psychiatrisch Tätigen beitragen:

"Da sie gleichzeitig Originalität des Einzelnen und gemeinsames Entscheiden und Handeln fördert, macht sie Arbeit zu dem, was sie bestenfalls im Leben eines Menschen sein kann: Sie trägt entscheidend zur Selbstverwirklichung und damit Gesundheit der einzelnen Teammitglieder bei." (Dörner/Plag, ebd., S. 29)

3.2.4 Soziales Lernen

in einer th. G. bedeutet eine

"durch ein inneres Bedürfnis oder inneren Streß motivierte wechselseitige Kommunikation, die zu einem offenen Ausdruck der Gefühle führt und kognitive Prozesse und erkenntnismäßiges Lernen beinhaltet. Der Begriff soziales Lernen bezeichnet den nur wenig verstandenen Veränderungsprozeß, der sich aus zwischenmenschlichen Interaktionen ergeben kann, wenn ein bestimmter Konflikt oder eine Krise in einer Gruppensituation unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden Psychodynamischen Fachkenntnisse analysiert wird." (Jones, a. a. O., S. 83)

Zur Erinnerung: Als allgemeine sozialpädagogische Aufgabenstellung hatte ich weiter oben (im 1. Kapitel) schon festgehalten:

"Über zielgerichtete Interaktionsprozesse eine Veränderung der Verhaltensdispositionen der Adressaten zu bewirken, um diese zu einer sinnvollen und befriedigenden Bewältigung ihrer Lebensprobleme zu befähigen." (Lampe, a. a. O.

Hierbei verlernt der Patient alte Muster und erlernt neue. Das soziale Milieu der th. G. bietet also dem Sozialpädagogen schon Handlungsrelevanz, indem, er als Initiator und Mitakteur sozialer Lernprozesse bei den "Schizophrenen" Verhaltensänderungen bewirken will. Ebenso allgemein lassen sich damit schon grundsätzliche Aufgaben und therapeutische Ziele für den Sozialpädagogen festhalten:

 

Tabelle 1

Menschliche Probleme des

Schizophrenen

Sozialpädagogische Aufgaben und Ziele

a) Verhaltensauffälligkeiten:

Rehabilitation

Behinderungen

Verhaltensstörungen

soziale Defizite

Anerkennung

   

b) Persönlichkeitsverluste:

Helfende Beziehung:

Abhängigkeit/Sucht

Neurosen, Psychosen

Selbstverwirklichung

   

c) Interaktionsprobleme

Resozialisierung:

Sozialer Konflikt

Entfremdung

Abweichung

Diskriminierung

 

Solidarität

   

d) Kulturelle Defizite:

Bildung:

Überforderung

Unterforderung

Benachteiligung

Unterdrückung

 

Emanzipation

   

(aus Lampe, Arbeitspapier, S. 3)+

Die besondere Stellung des Sozialpädagogen in konkreten Krisensituationen behandle ich im 4. Kapitel.

 

3.3 Gruppeninterne Interdepenzen

Exkurs: Was ist Soziotherapie (S.t.)?

Verständnis für S.t. erhält man, wenn man ihren Sinn wörtlich ableitet: "Socius" = Gefährte-Sein, Therapie = Behandlung habe ich mit "professionellem Umgang" beschrieben. Soziotherapie wäre also eine Behandlung psychisch Kranker, konkret Schizophrener, bei der der Professionell Normale Gefährte ist, ein Zusammenleben, "das sich in einem Miteinander-Handeln und Füreinander-Handeln vollzieht." (Carp, 1954) In diesem Sinne ist sie das, was Psychotherapie und Körpertherapie nicht liefern: die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit dem Normalen, mit dem, was Andere für gesund halten. S.t. ist die Basis, auf der der Kranke lernt, sich mit den Anforderungen der Wirklichkeit auseinanderzusetzen, um für sich adäquate Konfliktlösestrategien zu entwickeln.

"Soziotherapie bezweckt räumliche Entfaltung, Entwicklung zur Selbstständigkeit und Wachsen in Freiheit." (van Eynde, 1979, S. 9) Der Schizophrene muß dennoch lernen, seine Bedürfnisse der Realität anzupassen, eine Fähigkeit, die ihm als Folge seiner Krankheit und der Depersonalisierung durch psychiatrische Behandlung verlorengegangen ist.

"Das Kennenlernen des Umgangs mit Bedürfnissen ist dem Kennenlernen des Umgangs mit Notwendigkeiten gleichgestellt. Daraus ergibt sich das Kennenlernen der Regeln, nach denen ich mich regele, nach denen die Anderen sich regeln, in unterschiedlichen Bereichen des Zusammenlebens." (Dörner/Plag, a. a. O., S. 351)

Im Gegensatz zur Psychotherapie, die sich mit der "Innenpolitik" des Kranken beschäftigt, befaßt sich die Soziotherapie mit seiner "Außenpolitik". Es überwiegt die praktische, sachbezogene Handlung. (ebd., S. 354)

Wer anders als der Sozialpädagoge, dessen wichtigste Zielbestimmung u. a. "Verhinderung, Reduzierung oder Eindämmung von Dissoziierungsprozessen" ist (Wurr/Trabandt, a. a. O., S. 104), um den Patienten "zu einer sinnvollen und befriedigenden Bewältigung ihrer Lebensprobleme zu befähigen" (Lampe, a. a. O., S. 3) sollte soziotherapeutisch arbeiten können?

3.3.1 Wohnen und Soziotherapie

Die Tatsache, daß man die Patienten in kleineren Einheiten wohnen läßt, durchbricht die hospitalisierenden und Vermassungserscheinungen einer Langzeitinternierung in der Psychiatrie. Der sozial geschädigte Patient muß vor allen Dingen das "Wohnen lernen". In der Wohngemeinschaft besteht die Möglichkeit einer "Ich – Du Beziehung" und einer lebendigen Kommunikation der Kranken mit ihren Betreuern sowie untereinander.

"Wohngruppen mit gemischten Bewohnern, gemischt sowohl nach Geschlecht, Alter, sozialer Schicht, Ausbildung und hinsichtlich der Heilungsaussichten ihrer Krankheiten, haben die größte soziotherapeutische Möglichkeit." (van Eynde, a. a. O., S. 9)

Die therapeutische Bedeutung von Architektur und Lage des Wohnraumes steht außer Zweifel. Van Eynde bemerkt, wie wichtig eine humane Wohnumgebung für die Genesung des Kranken ist. Die Möglichkeit der individuellen Gestaltung der Wohnung, der Kontakt mit der Gemeinde und damit zur Außenwelt, forcieren die Reintegration. (vgl. v. Eyndes psychologische Untersuchen, a. a. O., S. 10)

Für die Patienten, die jahrelang gewohnt waren, in der Anonymität der Anstalt zu leben, bedeutet "wohnen lernen" eine grundsätzliche Umstellung. Diese Problematik will ich an Hand einer Gegenüberstellung aufzeigen. (siehe Tabelle nächste Seite)

Welche Rolle der Sozialpädagoge in diesen Lernprozessen spielt, was er in der Dynamik dieser Entwicklung von Gruppe zur Gemeinschaft zu beachten hat, wie er quasi den klassischen pädagogischen Widerspruch zwischen "Führen" und "Wachsen lassen" für sich löst, wird im Folgenden behandelt.

Tabelle 2

 

(aus: V. Eynde, ebd., S. 10 – 11)

Patienten

 

sind jahrelang gewohnt:

"Wohnen lernen" bedeutet:

1. an ein Zusammenleben

mit einer großen Anzahl Personen (40 – 100):

1. Wohnen lernen in einer kleinen Gruppe:

- Möglichkeit zur Isolierung in der Masse

- Entwicklung eines egozentrischen und autistischen Verhaltensmusters

- Neigung zu einem unförmigen anonymen Dasein

- keine Bindung an die Gruppe

- wenig eigener Lebensraum, wenig Privates

- direkte Interaktionen

 

- unmittelbare Kontakte

- persönliches Betroffensein

- wenig Möglichkeit zur Isolierung

- Bindung an Mitbewohner

- Anlernen neuer, sozialer Rollen

- das Eigene, Individuelle entwickeln

2. ein beschränktes Leben zu führen

- Ausrichtung auf Befriedigung von Primärbedürfnissen, d. h. Mahlzeiten, Kaffee, Fernsehen und Rauchen

- keine Ausrichtung auf die Gestaltung des eigenen Wohnmilieus

- sich dem Trott des Alltagslebens hingeben

- keine Eigenverantwortung übernehmen

- keine "eigene" Freizeitgestaltung

2. Leben lernen in einem Wohnmilieu:

- Umgang mit den Dingen des Hauses

- die Freizeit selbst gestalten

- das Wohnmilieu selbst gestalten

- für Haus und Bewohner Verantwortung tragen

   

3. Den Umgang mit Regeln, die von der Anstaltsleitung festgelegt worden sind:

3. Den Umgang mit Regeln lernen, die aus dem Zusammenleben in der Wohngruppe hervorgehen:

- unterwürfige Haltung zu Regeln

- Individualismus bedeutet "Ausnahme der Regel"

- wenig Eigeninitiative

- starke Neigung zu Apathie, Abhängigkeit, zum Trott und zur Inaktivität

- sich den anderen Hausbewohnern gegenüber für unsoziales Verhalten verantworten

- Initiative zeigen

- Aktivität entfalten

 

4. Lernen, "sich selbst" zu sein und selbstständig zu sein

 

5. Verantwortung hinsichtlich der Behandlung übernehmen:

- Medikamente selbst verwalten

- bei Spannungen lernen, die Initiative zu ergreifen

- nicht immer regressiv auf therapeutischen Konsum zurückgreifen

 

3.3.2 Aspekte gruppeninterner Interdependenzen

Zuletzt hatte ich die therapeutischen Möglichkeiten in der sozialen Struktur "therapeutische Wohngemeinschaft" (th. WG) beschrieben. Zusammenfassend will ich folgende Hypothese aufstellen: In der th. WG durchläuft der "Schizophrene" eine postfamiliäre, quasi tertiäre Sozialisation, in der der Kranke einen gekonnten Umgang mit seiner Störung lernen soll. In der Interaktion der Gruppe und mit dem Professionell Normalen lernt er alternative Verhaltensmuster, die ihm eine dialektische Auseinandersetzung mit den Anforderungen der Realität ermöglichen.

Für den Sozialpädagogen als "Gefährten" sind daher besonders die dynamischen Prozesse von Interesse, welche die Interaktion und Kommunikation der Gruppenmitglieder untereinander betreffen. In dem Prozeß des Wachsens von der Gruppe zur Gemeinschaft sind für ihn die Faktoren aufschlußreich, die das Wesen einer Gemeinschaft bedingen bzw. deren Bildung hemmen. Wohlbemerkt, ich will hier keine konkreten Beispiele für Konfliktsituationen in der th. WG bringen. Dies kann sich jeder aus seiner eigenen WG-Erfahrung reflektieren oder als Sozialpädagoge in der praktischen Arbeit erleben. (siehe auch 4. Kapitel)

Mir kommt es hauptsächlich darauf an, Wesenszüge, Strukturen im Gemeinschaftsleben darzustellen, die einer Wohngemeinschaft inhärent sind. In jeder WEG gibt es gruppeninterne Interdependenzen; sie zu erkennen, zu beachten und in die Behandlung mit einzubeziehen ist die Aufgabe des Sozialpädagogen in jeder therapeutischen Einrichtung, die einen reintegrativen Anspruch hat.

a) Konstitutive Merkmale von Wohngemeinschaften (WG)

  1. Gruppengröße:
  2. "beeinflußt vor allem Ausmaß und Art der Interaktion und Kommunikation der Gruppenmitglieder und damit sowohl die individuellen Beziehungen wie auch die strukturielle Differenzierung der Gruppe, z. B. die Arbeitsteilung oder die Autoritätsstruktur." (Cyrian, 1978, S. 6)

  3. Gruppenmitglied: Die Basis der Beziehungen ist nicht die zwingende Familienangehörigkeit, sondern Freiwilligkeit; die Kriterien des Zusammenlebens legt der einzelne Fest. (z. B. Sympathie, ähnliche Interessen, gleiche Lebenslage) "Man kann durchaus von einer "Vertragsrolle" sprechen." (Cyprian, ebd., S. 7) Der Vorteil zur Familie liegt auf der Hand:
  4. "Die Abkehr von festen Rollenzuweisungen müßte Spielräume und Mobilitätschancen innerhalb der WG erlauben und die neue Wohnform schneller, bereitwilliger und weniger schwerfällig auf veränderte Mitgliederinteressen und Umwelterfordernisse reagieren lassen." (ebd., S. 8)

  5. Sexus: Die Sozialisationsbedingungen in Wohngruppen heterosexueller Besetzung ermöglichen Distanz von der traditionellen Geschlechtsrolle und Erprobung neuer, geschlechtsunspezifischer Verhaltensweisen. (vgl. Cyprian, ebd., S. 109)
  6. "Die Angleichung der Geschlechter hat sich bei uns vor allem auf zwei Gebieten eingespielt: im Haushalt, in Kleidung und Aussehen, und damit zusammenhängend in einer Form freierer Bewegung. Wir haben festgestellt, daß das Bedürfnis zu baden, zu tanzen, zu kochen, sich die Haare zu waschen und zu kämmen, sich im Freien zu bewegen, auto zu fahren und Süßigkeiten zu essen, nicht Geschlecht und Alter grundsätzlich verschieden ist. Und wir haben versucht, danach zu handeln! Genauso haben wir dem angeblich weiblichen Wunsch nach Zärtlichkeit und dem angeblich kindlichen, von anderen geschützt und gepflegt zu werden und mit ihnen zu spielen, nach Kräften nachgegeben." (Kommune 2, 1969, S. 66)

  7. Minoritätsstatus und Subkulturzugehörigkeit:

Mitgliedschaft in einer WEG bedeutet, eine spezifische Stellung in der Gesellschaft zu haben, da das alltägliche Leben in der WG gegen viele, gesellschaftlich anerkannte Normen, Werte und Verhaltensweisen verstößt. Dies zeigt sich u. a. darin, daß Wohnkollektive von staatlichen Behörden und anderen öffentlichen Einrichtungen immer noch eher Ablehnung und Vorurteile als Hilfe und Unterstützung erfahren. (Cyprian, ebd., S. 8)

b) Aspekte der Interaktionsdichte

Die Interaktionsdichte innerhalb des Wohnkollektivs stellt den quantitativen Rahmen für die gruppeninterne Kommunikation dar. Durch einen gemeinsamen Haushalt ist in der WG ein Mindestmaß an wechselseitiger Kommunikation sichergestellt. (ebd., S. 41) Im Gegensatz zur Familie bedeutet dies jedoch nicht sozio-ökonomische Abhängigkeit; der Status der Freiwlligkeit des Zusammenlebens bedingt Individualität. Dabei scheint die Wohngemeinschaft oft auch nicht den unangefochtenen ersten, zentralen Platz im Leben ihrer Mitglieder einzunehmen:

"Die Angehörigen von Wohnkollektiven verfügen über zahlreiche Außenkontakte, die sie weniger auf die Gruppe angewiesen sein lasen... In vielen Gruppen wird eine möglichst vollzählige Anwesenheit nur zu einer gemeinsamen Mahlzeit, gewöhnlich dem Abendessen erwartet." (Cyprian, ebd., S. 44)

Obgleich die Möglichkeit zum privaten Rückzug wichtig für die individuelle Entfaltung des Einzelnen ist, ist für das Funktionieren der Gruppe ein hoher Kommunikationsgrad genauso wichtig. Hier zeigt sich ein hochsignifikanter Zusammenhang: "Je größer der Zeitanteil, der zusammen mit der Gruppe im Verhältnis zu allein im eigenen Zimmer verbrachten Zeit ist, umso größer ist die Zufriedenheit mit den Leistungen und dem Klima in der Gruppe." (ebd., S. 46) Alleinsein und Zusammensein können, dieser mögliche Wechsel macht einen Großteil der Dynamik der Wohngruppe aus. In den meisten WGs kennen die Mitglieder ihre unterschiedlichen Vorstellungen und Wünsche hinsichtlich der Abgeschlossenheit der privaten Sphäre. Sie haben Symbole entwickelt, die den anderen signalisieren, wann man gesprächsbereit ist oder ungestört bleiben möchte.

c) Subgruppen

Wer mit wem, wann und wie oft kommuniziert, ist der qualitative Bestimmungsrahmen in der WG.

"Erst die Verteilung der Interaktionen gibt die einzelnen Interdependenzen und damit die Chancen an, mit denen das jeweils andere Gruppenmitglied sozialisationsrelevant wird." (Cyprian, ebd., S. 64)

Dabei ist die Regel eine Ungleichverteilung der Kontakte; immer wieder, ob funktional oder persönlich, gehen die einzelnen Mitglieder Koalitionen auf den verschiedensten Ebenen ein. Das Subsystem "Paar" hat dabei die höchste Kontaktdichte; besonders dann, wenn zwei Partner im Unterschied zu Einzelnen nicht jeweils ein eigenes Zimmer bewohnen, sondern sich eines oder mehrere intern teilen und sich als Paar abkapseln. (vgl. ebd., S. 66) Die Bildung von geschlechtshomogenen Subgruppen ist vor allem dann zu erwarten, wenn es darum geht, die Geschlechtsrollenidentität zu schützen (z. B. Kumpanei zwischen Männern) oder traditionelle Rollenvorstellungen abzubauen (hauptsächlich bei Frauen). (Vgl. Cyprian , ebd., S. 69)

d) Komplexität der Interaktion

ist abhängig von der Breite und Vielfalt der Interaktionen außerhalb sowie von der inhaltlichen Reichweite der sozialen Beziehungen innerhalb der WG. Die Möglichkeit, Arbeit und Beruf, politische Öffentlichkeit, Religion, Freizeit und Hobbies in das Gruppenleben zu integrieren, wird da ausgeschöpft, wo neben den wichtigen Sympathiebeziehungen auch eine zweite "Stütze" in Form einer gemeinsamen Lebensperspektive da ist. (vgl. ebd., S. 73)

e) Sexualität und Gruppenleben

Durch das enge Zusammenleben mehrerer Männer und Frauen, zwischen denen positive emotionale Beziehungen bestehen, wird auch die Asicherung jedes Paarverhältnisses gegen einen Wechsel des Partners schwierig. Denn anziehende mögliche Partner sind in der WG ständig verfügbar, und während die Familie gewöhnlich scharf die Grenze markiert, verwischen sich hier die Trennungslinien zwischen dem Intimbereich des einzelnen Paares und der anderen Gruppenangehörigen.

"Hierbei scheinen sexuelle Querverbindungen zwischen den Gruppenmitgliedern Eifersucht und Trennungsangst zu erzeugen, weil Bedürfnisse nach Sicherheit, Anerkennung und Selbstbestätigung verletzt werden." (Cyprian, ebd., S. 77)

f) Kollektive Tendenzen

Alles in allem: Es hat sich gezeigt, daß Wohngemeinschaften in der Praxis des Zusammenlebens nicht immer, sogar selten die Alternativen zur traditionellen Familie sind. (vgl. ebd., S. 95) Kollektive Tendenzen in den Bereichen Arbeit/Beruf, Finanzen, Eigentum, Sexualität, Erziehung, Freizeit und Politik sind unterschiedlich stark zu verzeichnen. Sie können ein Gradmesser hinsichtlich des Entwicklungsstandes im Prozeß Gruppe – Gemeinschaft sein: Je stärker kollektive Tendenzen in der WG ausgeprägt sind, desto höher ist das Kollektivierungsniveau und das Gemeinschaftsgefühl. Ob nun "Vergesellschaftung" aller individuellen Ausdrucks- und Lebensformen erstrebenswert ist, sie dahingestellt; als soziale Struktur bietet die Wohngemeinsaft jedoch die Möglichkeit, allgemeine pädagogische Sozialisationsziele wie "hohe Ich-Autonomie, die Fähigkeit zur Rollendifferenzierung die –distanzierung, Kooperationsfähigkeit und Solidarität" zu erreichen. (Cyprian, ebd., S. 99)

g) Bedeutung von Regeln

Dadurch, daß im gemeinsamen Haushalt die Arbeitsteilung organisiert ist, bedarf sie zur Funktionalität einer ausdrücklichen Regelung. Der Versuch vieler WGs, regellos zu funktionieren, um Spontanität und Individualität nicht durch festgelegte Verantwortlichkeiten einzuschränken, scheiterte angesichts der Tatsache, daß bei den meisten Mitgliedern der Egoismus zu stark und soziales Verhalten zu schwach ausgeprägt waren. (bgl. ebd., S. 112)

Für die Organisation aller anfallenden Gemeinschaftsarbeiten hat es sich eingebürgert, Pläne und Listen zu erstellen, nach denen die Mitglieder in festen Zeitabständen für eine Aufgabe verantwortlich gemacht werden. Solch feste Vereinbarungen verringern gleichzeitig das Konfliktpotential in der Wohngruppe, da die gegenseitigen Erwartungen darin klar zum Ausdruck gebracht werden. "Spannungen zwischen den Mitgliedern sind seltener, je stärker das Gruppenleben formalisiert ist." (ebd. S. 113)

Regeln bedeuten feste Begrenzungen des individuellen Spielraumes und Orientierung an vorgegebenen Verhaltensrichtlinien statt an spontanen Bedürfnissen; in diesem Sinne sind sie relativ starr. Indem die Gruppe sie aber selbst entwirft, ihre Nützlichkeit für die Gemeinschaft praktisch erprobt und sie bei Dysfunktionalität ändern kann, werden Regeln nicht zur übermächtigen Autorität. Die Gruppe macht sie und wendet sie an. In vielen WGs hat sich ein fester Gruppenabend (oder die tägliche gemeinsame Mahlzeit) situiert, an dem über Sinn und Unsinn der Regelungen diskutiert werden kann. (vgl. Cyprian, ebd., S. 115)

3.4 Die "Freiheit" in der Gemeinschaft als Alternative zur institutionellen Repression in der Psychiatrie?

3.4.1 Ideologie der therapeutischen Wohngemeinschaft (th. WG)

Die allgemeinen Prinzipien der th. WG klingen verlockend; die Freiheit und der persönliche Status des Kranken scheinen die Gemeinschaft geradezu, quasi "transzendental" zu durchdringen. Jedoch, wie sieht, jenseits des theoretischen Anspruchs, die Realität aus? Welchen Fortschritt bietet die therapeutische Gemeinschaft, als "Spezialabteilung" in der Psychiatrie entstanden, dem psychisch Kranken? Der Hauptwiderspruch scheint hier zu sein: Th. WG entweder als Lösung des Problems der psychiatrischen Institutionen anzusehen oder nur als "ein neues ‚wissenschaftliches’ Kontrollinstrument für die Abweichung." (Schittar, in Basaglia, 1971, S. 162) Waren die theoretischen Vorraussetzungen:

a) "Freie Kommunikation

b) Analysierung all dessen, was sich in der Gemeinschaft an persönlicher und besonders an zwischenmenschlicher Dynamik vollzieht

c) Das Bestreben, die traditionelle Autoritätsstruktur abzubauen

d) Die Möglichkeit, von spontanen oder auch von der Klinik organisierten "social-learning"-Gelegenheiten Gebrauch zu machen

e) Die Einberufung einer möglichst täglichen Vollversammlung" (Schittar, ebd., S. 167)

erhalten diese allgemeinen Merkmale der th. WG durch ihre idealistische Darstellung einen mystifizierenden Charakter. Schittar bemerkt dazu:

"Nur selten wurde versucht, jenseits aller Theorie festzustellen, welche effektive Entscheidungsgewalt und welche effektiven Machtanteile die Patienten haben." (ebd., S. 170)

Indem die therapeutische Gemeinschaft als das non plus ultra alternativer Psychiatrie beschrieben wird, wobei "Ärzte, Pfleger und Patienten aus den Stadium der sozialen Unschuld heraustretend, eine Gemeinschaft bilden" (Kursbuch 28, a. a. O., S. 68), verschleiert sie die realen Machtverhältnisse. Sie verdeckt den gesellschaftlichen Auftrag des Psychiaters, der als "Gesundheitsapostel" (siehe 2. Kapitel) Kranksein definiert, Verrückte fabriziert und sie damit gleichsam etikettiert; in seiner nebulösen Gleichmacherei gaukelt sie den Patienten (und dem Personal) Partnerschaft vor und verhindert die Bildung eines kritischen Bewußtseins über diese neue Form psychiatrischer Kontrolle. So sind die Prinzipien der therapeutischen Wohngemeinschaft Ideologie! Wenn Jones schreibt, daß es in "gewissen Grenzsituationen" einer "latenten Autorität" bedarf (Jones, a. a. O., S. 80), wird damit explizit etwas über die reale Macht des Arztes ausgesagt; in Krisensituationen interveniert er mit all einen Möglichkeiten. Die th. WG erweist sich hier nur als ein "neues therapeutisches Instrument, daß auf einer Stufe steht mit den Pharmaka, dem ES (Elektroschock, d. Verf.) und der simonschen Arbeitstherapie." (Schittar, a. a. O., S. 172)

Mehr noch, in der therapeutischen Gemeinschaft können sich sogar die für die Irrenanstalt allgemeinen typischen Prinzipien der sozialen Ausschließung reproduzieren, entweder durch Fortbestand planmäßig geschlossener Abteilungen, oder durch eine Auslese der "brauchbaren" Patienten und Überweisung der "schweren Fälle" in andere Kliniken. (ebd., S. 170) Ebenfalls ein typisches Charakteristikum einer Ideologie; durch bestimmte Auswahlkriterien für die Patienten verschaffen sich die Ärzte eine Erfolgsquote, welche die Richtigkeit ihres Ansatzes untermauert. Schon immer waren die Herrschenden genötigt, "ihr Interesse als das gemeinschaftliche Interesse aller Mitglieder der Gesellschaft darzustellen"! (Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, a. a. O., S. 47). Schittar faßt zusammen:

"Die ‚dritte Revolution’ der Psychiatrie wäre somit nichts anderes als eine verspätete Anpassung der Formen sozialer Kontrolle über pathologische Verhaltensweisen an die in den letzten 40 Jahren durch das Werk der Soziologen und Massenkommunikationsexperten perfektionierten Produktionsmethoden." (Schittar, a. a. O., S. 174)

Somit ist die therapeutische Wohngemeinschaft die adäquate Kontroll- und Behandlungsform für die "psycho-sozial" geschädigten Geisteskranken im Kapitalismus des 20. Jahrhunderts. Ebenso wie die Psychiatrie leistet sie dann auch Anpassungspolitik in das System, das die Krankheit mitverursachte und trägt zur Stabilisierung der Verhältnisse bei.

3.4.2 Verändertes Rollenverhältnis und Berufsgruppenproblematik

Trotz des ideologischen Charakters der th. WG gebürt ihr doch das Verdienst, täglich die widersprüchliche Machtverteilung bloßzulegen "und sie aus der problemfreien manichäistischen Schematisierung der traditionellen psychiatrischen Anstalt" zu befreien.(Schittar, ebd., S. 175) Hatte früher die Struktur der Repression selbst die Entlarvung dieser repressiven Macht verhindert, bietet hier die permanente Auseinandersetzung und Konfrontation im "kollektiven Entscheidungsprozeß" die Chance, die reale Macht des Arztes unmittelbar zu entmystifizieren und "auf den Tisch" zu legen. Die phantasmagorische Führereigenschaft der Gemeinschaft wird auf den nackten Boden der Tatsachen zurückgeholt; indem die Möglichkeit der Kritik auf allen Ebenen existiert, entsteht gleichzeitig für den ehemals unterdrückten Kranken eine neue "Bewegungsfreiheit" (ebd., S. 179). Kann der Patient den Psychiater auch nicht von seinem "Thron" stoßen, ann er doch immerhin zu ihm heraufschauen und seinen Unmut verbal äußern, wenn der Arzt in autoritäres Gebaren zurückfällt. Manche "gleichwertige" Interaktion Arzt-Patient könnte so ad absurdum geführt, seiner Pseudo-Gemeinschaftlichkeit vorgebeugt werden. (Ob dies nicht auch, wie in der Psychiatrie, als Krankheitssymptom gilt, mag dahingestellt bleiben.)

Im folgenden will ich die therapeutische Gemeinschaft als Milieukonzept eines veränderten Rollenverständnisses problematisieren, insbesondere werde ich auf die "Gefahren des Rollenwechsels, die unrealistischen Rollenerwartungen, die unkontrollierte Rollendiffusion und die daraus entstehenden Rollenkonflikte" eingehen. (Heim, in Psychiatrische Praxis, 1976, S. 15)+

Die Umstellung von der kustodialen Psychiatrie zur Gemeinschaft geht einher mit verschiedenen Widerständen und Unsicherheiten der rollenverlustiggegangenen Mitglieder:

"In der traditionell hierarchischen Klinikordnung fühlt sich schließlich jeder Mitarbeiter an einen festen Platz verwiesen, der ihn zwar einschränken mag, der aber überschaubare Funktionen und Kompetenzen einschließt. In der therapeutischen Gemeinschaft werden nun die Grenzen gegenüber den Patienten und Mitarbeitern verrückt und zum Teil auch aufgehoben. Dies bringt einen teilweisen Identitätsverlust mit sich, der unweigerlich Angst auslöst." (Heim, ebd., S. 20)

Die psycho-dynamischen Reaktionen sind unterschiedlich:

a) beim Patienten: Die passive Krankenrolle, die der Patient als verantwortungsloser innehatte, wird geändert. Den Anforderungen der th. WG gemäß soll er sich aktiv an der Behandlung mitbeteiligen und Verantwortung in der Gruppe übernehmen. Dies kann speziell einen hospitalisierten Langzeitpatienten überfordern. Der Kranke will die Geborgenheit der Klinik nicht aufgeben und die Anforderungen der Umwelt nicht akzeptieren und regrediert in die Passivität. (vgl. Heim, Tabelle 1., S. 18)

b) Pflegepersonal: Der Umgang mit den Patienten wird persönlicher, was eigene Ängste auslösen kann. Die therapeutische Partnerhaltung gegenüber dem Kranken überfordert die Pfleger, sie treten den Rückzug in die gewohnte unpersönliche Distanz und beschützend-bewahrende Haltung an. Die persönliche Nähe kann eine zweite Gefahr in sich bergen; das Personal überidentifiziert sich mit den Patienten dergestalt, daß deren Probleme zu den eigenen werden, und es kommt vor, daß allgemeine pflegerische Aufgaben vernachlässigt werden. Das Solidarprinzip der th. WG öffnet Omnipotenzstrebungen Tür und Tor. Es besteht die Gefahr, sich psychotherapeutischen Umgang anzumaßen, für den Vorbildung fehlt, und dabei notwendige Realitätsansprüche an den Patienten zugunsten einer pseudo-therapeutischen Haltung aufzugeben. (vgl. ebd., Tabelle 2, S. 20)

c) Arzt: kann sich sträuben, hierarchische Privilegien aufzugeben, um so seine persönliche Unsicherheit zu verbergen. Er sieht den Patienten weiterhin als "Fall", der zu behandeln ist. In der th. WG hat der Psychiater seine uneingeschränkte, widerspruchslose Autorität und Macht zu verlieren. Die Forderung, "seine Entscheidungen nicht länger kraft seiner Autorität sondern kraft seiner Kompetenz" zu treffen (Heim, ebd., S. 22), kann für den Arzt unangenehme Folgen haben. Entweder delegiert er aus Hilflosigkeit Aufgaben, die eigentlich sein ärztliches Wissen und Erfahrungen voraussetzen, an das Team, oder fällt zurück in seine alte autoritäre Rolle, um seine Machtposition abzusichern. (vgl. ebd., Tabelle 3, S. 22)

d) Spezialisten: Ihr entscheidender Rollenwechsel besteht darin, daß sie von außenstehenden "Technokraten" zu eigentlichen, therapeutisch wirkenden Teammitgliedern werden. (Heim, ebd., S. 23) Für den Psychologen z. B. bedeutet das: ehemals auf testpsychologische Tätigkeiten fixiert, kann er sich durch neuartige, therapeutische Aufgaben überfordert fühlen. Im anderen Extrem kann er sich den ärztlichen Kollegen als "Spezialist" überlegen fühlen und gegen diese agieren. (vgl. ebd., Tabelle 6, S. 25) Die Problematik des Rollenverständnisses für den Sozialpädagogen beschreibe ich ausführlich im 4. Kapitel.

Bei allen Rollenwechseln zeigt sich, daß die Rollenerwartung nicht immer der Rollenverwirklichung entspricht, und die einzelnen Berufsgruppen sich in einem stetigen, reibungsreichen Kampf um einen festen Standort befinden. Es bedarf eines jahrelangen Wachstumsprozesses, den angestrebten Rollenwechsel zu vollziehen. Dabei ist es zu erwarten, daß dieser Prozeß mit viel Ängsten, Schwierigkeiten und Unsicherheiten jedoch erst einmal gefunden, bietet sie die Möglichkeit, menschlich befriedigter zu arbeiten. (vgl. Heim, ebd., S. 28)

Eine besondere Konfliktform ist die Rollendiffusion: "die unscharfe Abgrenzung der Aufgabenbereiche kann dazu führen, daß der einzelne Mitarbeiter seine eigene berufliche Identität zu verlieren beginnt." (ebd. S. 29) Dem ist dadurch zu begegnen, daß ein gewisses Überlappen der Rolle im Team zugestanden, der Grenzbereich aber stets auf neue abgesteckt wird.

"Gerade dieser Vorgang setzt voraus, daß sich jeder einzelne Rollenträger immer wieder in Frage stellt oder in Frage stellen läßt; - eine Fähigkeit, die meist erst nach längerer Teamarbeit erreicht wird." (ebd., S. 29)

3.4.3 Gefahren paradoxer Kommunikation

Im folgenden möchte ich eine konkrete Auswirkung unausgesprochener und mystifizierter Machtverhältnisse darstellen.

Wie oben gezeigt, erfordert die Verwirklichung der Konzeption einer th. WG neue Beziehungsstrukturen, "an die Stelle der personalbezogenen hierarchischen Krankenhausordnung soll eine demokratische Ordnung treten." (Ploeger, 1972). In der Interaktion mit dem Patienten soll der Therapeut nunmehr "Partner" sein.

"Die therapeutische Gemeinschaft zielt also darauf ab, den psychiatrischen Patienten im Krankenhaus das wiederzugeben, was ihnen die Einweisung dorthin genommen hatte: freie Betätigung der Rechte und freie Erfüllung der Pflichten des Bürgers." (Ploeger, ebd.)

Da nun, wie schon erwähnt, ein eklatanter Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit der th. WG besteht, d. h. die Freiheit des Patienten da aufhört, wo die Kompetenz des Arztes anfängt, können leicht pathologische Kommunikationsstrukturen entstehen. (vgl. Simon u. a. in Psychiatrische Praxis, 1977, S. 40) Denn, im Rahmen des institutionalisierten Gesundheitssystems ist ein Therapeuten-Patienten-Verhältnis vorgegeben, das nach Watzlawik als "komplementär" bezeichnet wird.

"In der komplementären Beziehung gibt es zwei verschiedene Positionen: Ein Partner nimmt die sogenannte superiore, primäre Stellung ein, der andere die entsprechende inferiore, sekundäre. Diese Begriffe dürfen j edoch nicht mit "stark" und "schwach", "gut" und "schlecht" oder ähnlichen Gegensatzpaaren verglichen werden. Komplementäre Beziehungen beruhen auf gesellschaftliche oder kulturelle Kontexte (wie Mutter und Kind, Arzt und Patient)." (Watzlawik, a. a. O., S. 69)

Die Therapeuten-Patienten-Verhältnis ist also gesellschaftlich definiert, die Selbstdefinitionen sind durch jahrelange praktische Erfahrungen internalisiert. In der th. WG heißt es nun aber für den Arzt: "Du bist Partner für den Kranken"; für den Patienten: "Du hast das ungleiche Verhältnis zu leugnen und die Gleichwertigkeit zu akzeptieren."

Der konzeptionell verpflichtete Arzt fordert: "Du sollst eigenverantwortlich sein", aber weiß, ebenso wie der Patient: "Die Verantwortung für dich habe ich!" Im Rahmen des institutionalisierten Gesundheitssystems "kann der Patient seinen Status nicht aus eigener Macht beenden, sondern ist abhängig vom Arzt. Es handelt sich also um eine für ihn lebenswichtige Situation, in der ihm jeweils zwei sich logisch ausschließende Handlungsaufforderungen gegeben werden." (Simon u. a., a. a. O., S. 41) Dies ist der grundlegende, unauflösbare Widerspruch in der Praxis der th. WG. Die Art der Handlungsanforderungen ist paradox. Watzlawik schreibt über Kennzeichen paradoxer Handlungsaufforderungen:

"Es besteht:

1. eine bindende, komplementäre Beziehung

2. innerhalb dieser Beziehung wird ein Befehl gegeben, der befolgt werden muß, aber nicht befolgt werden darf, um befolgt zu werden ...

3. der die inferiore Position Einnehmende kann den Rahmen der Beziehung nicht verlassen oder die Paradoxie dadurch auflösen, daß er ihre Absurdität kommentiert ...

Ein Mensch in dieser Lage befindet sich in einer sogenannten unhaltbaren Situation." (Watzlawik, a. a. O., S. 179)

Die Ähnlichkeit mit einer Double-Bind-Situation ist unverkennbar. (vgl. 1. Kapitel) Ebenso wie in der familiären "Pseudogemeinschaft" und der totalitären repressiven Psychiatrie ist auch in der th. WG die Gefahr gegeben, bei bestimmten chronischen Beziehungsmustern und Kommunikationsstrukturen durch Doppelbindungen "Schizophrenie" zu fördern und lebendig zu lassen. Cooper sagt dazu: "Die einfachste Form, den Wahnsinn für immer und ewig am Leben zu erhalten, besteht darin, die Form der Familie auf die Institution zu übertragen." (Cooper, zitiert in Basaglia, 1972)

Für die Praxis der th. WG bedeutet das: Abhängigkeiten und Ungleichheiten in der Therapeut-Patient-Beziehung nicht zu verschleiern, sondern deutlich zu machen und zu deklarieren. Nur so ist ein menschlicher Umgang mit dem Kranken gewährleistet, der realitätsgerecht ist und phatologische Beziehungen verhindert. (vgl. Simon u. a., a. a. O., S. 42)

3.5. Konzeptionelle Darstellung der therapeutischen Wohngruppen für Psychotiker des DPWV in Lübeck (Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband

"Wenig Fortschritt kann viel sein, wenn man den konkreten Menschen vor Augen hat. Von außen, so scheint uns, wird aber Hilfe für das bei aller Behinderung erfolgsversprechende Individuum verlangt. Nicht der einzelne Mensch steht im Mittepunkt der Effektivitätsstrategie, sondern der signifikant meßbare Erfolg."

Harald Thoms+

Diese Worte leiten den Abschnitt ein, der sich konkret mit Möglichkeiten und Grenzen therapeutischer Wohngemeinschaften und ihrer Behandlung Schizophrener beschäftigen wird. Die kritisch verfaßte Konzeption (Thoms, 1979) spricht für sich; Nachtragungen und Ergänzungen meinerseits werde ich entsprechend kennzeichnen.

3.5.1 Grundsätzliche Orientierungen und Bedingungen der Einrichtung

Seit etwas drei Jahren bemühen sich die Mitarbeiter in Lübeck um die Einrichtung sozialtherapeutischer Wohngruppen für Psychotiker. Die Zielbestimmung für die Behandlung der Schizophrenen ist eine doppelte:

"Zunächst soll die Ausschließung aus der Gesellschaft und die Einschließung unserer Kranken in der Klinik vermieden werden. Die von sozialen Vorteilen und Repressionen gespeiste sozial-räumliche Diskriminierung unserer Kranken versuchen wir durch eine mitmenschliche, nicht autoritäre Begegnung im üblichen sozialen Feld zu mindern. In zwei in der Innenstadt Lübecks angemieteten Wohnungen in Häusern, in denen auch "normale" Menschen leben, versuchen bis zu zwei ständige Mitarbeiter sozialer Berufe sowie an zwei Tagen in der Woche ein Psychologe mit bis zu acht kranken Menschen ein möglichst gleichberechtigtes Leben zu führen. Niemand wird in unsere Einrichtung eingewiesen. Jeder kommt freiwillig und geht, wenn es ihm bei uns nicht gefällt. Eine ständige Betreuung oder besser Kontrolle findet nicht statt und ist auch nicht angestrebt. Abends und am Samstag sind die Bewohner im Guten und Schlechten sich selbst überlassen... In Notfällen bleiben die Mitarbeiter natürlich vor Ort erreichbar. Das therapeutische Bemühen bedarf dauernd der Freiwilligkeit der Kranken und schließt somit eindeutige Zwangsmaßnahmen oder indirekten Zwang durch Überorganisation des therapeutischen Geschehens aus." (Thoms, ebd., S. 2f)

Als zweites übergeordnetes Ziel definieren die Mitarbeiter die Aufhebung der Ausschließung der Kranken aus dem mitmenschlichen Gespräch. Dabei soll im Zentrum ihrer Bemühungen nicht die Abweichung selber stehen.

"Wir können und wollen nicht wie die Psychiatrie gesellschaftliche Ordnungsfunktionen primär übernehmen, die notwendig die therapeutische Begegnung zerstören. Unser primäres Ziel kann nicht die Resozialisierung, sondern nur die Reintegration der Person sein." (ebd., S. 4)

Als Gründe dafür werden angeführt: jahrelange Hospitalisierung, sowie psycho-sozialer und materieller Ausschluß der Kranken aus der Gesellschaft. (vgl. Thoms, ebd.)

3.5.2 Zu einzelnen Aspekten der Arbeit

a) Der Krankheitsbegriff: Schizophrenie

Die meisten der Bewohner in der th. WG sind als schizophren von Psychiatern diagnostiziert. Dies impliziert die Annahme, die geistige Erkrankung wäre somatisch.

"Damit wird automatisch der ärztlichen Medikamentation ausschließliche therapeutische Bedeutung eingeräumt... Es handelt sich um ein Dogma, das nicht sachlich, sondern ideologisch und machtpolitisch alternative Zugänge zur Krankheit ausschließen soll. Unsere Erfahrung hat hingegen gezeigt, daß die medikamentöse Hilfe häufig unzureichend ist, störende und gefährliche Nebenwirkungen hervorruft, nicht sicher, sondern experimentell ist." (Thoms, ebd., S. 5)

Handlungsrelevant erschließen sich die Mitarbeiter in Lübeck aus einem "multifaktoriellen Wirkungszusammenhang" der Psychose, wobei psychosoziale Momente die Hauptberücksichtigung erfahren. (ebd., S. 7)

b) Psycho- und Soziotherapie

bilden für das Team eine Einheit, da die erkrankte Person in ihrem gesellschaftlichen Kontext Partner ihrer Arbeit sein soll.+

"Diese Betrachtung impliziert, daß auch die therapeutischen Rollen des Psychologen und des Sozialarbeiters nicht eindeutig gegeneinander abzugrenezn sind... Beide Mitarbeitergruppen sind notwendig bemüht, den je individuellen sozialpsychischen Kontext der Patienten zu erfassen und diesen zur Basis ihres Handelns zu machen. Mit dieser Zielsetzung ist für den Psychologen grundsätzlich die reine Psychotherapie ausgeschlossen, ... und für den Sozialarbeiter verbietet sich die reine fürsorgliche Caritas, die den Patienten als lernunfähiges, hilfsbedürftiges Individuum versteht." (Thoms, ebd., S. 7)

c) Therapie im Verlauf des Gruppengeschehens

Bedeutet die integrierte Sozio-Psychotherapie die Berücksichtigung "kognitiver, affektiver und aktionaler Seiten personellen Erlebens und Handelns" (ebd., S. 9), so hat sie zum Ziel die "psychosoziale Kompetenz" der Klienten. Diese Fähigkeit soll der Kranke in der Gruppe, welche zur Gemeinschaft werden will, erlernen. Jedoch, "Autismus, Kommunikationsstörungen, akuter Wahn, Apathie, Mißtrauen und Empfindlichkeit sind die Klippen, an denen therapeutisch gezielte Vorhaben immer wieder scheitern." (Thoms, ebd., S. 10) Ungeachtet der schizophrenen Verhaltensweisen ist es oft nicht alleine die mangelnde Krankheitseinsicht der Betroffenen, die die therapeutischen Programme umwirft. "Personelle Engpässe" (ebd.) und klinische Deprivation erschweren ebenfalls den Gemeinschaftsbildungsprozeß.+

So stehen die ersten Monate der Therapie im Dienste der Vertrauensbildung.

"Nur langsam entwickelt sich aus der Dumpfheit heraus die lebendige mitmenschliche Resonanz und die praktische Aktivität." (ebd.) Alle praktischen Aktivitäten in der Wohngruppe müssen von den Betroffenen selbst erledigt werden. "Diese Haushaltsführung impliziert auch den Umgang mit dem eigenen Geld, das meistens der individuellen Sozialhilfe entstammt." (ebd., S. 11)

Die zweite Phase ist gekennzeichnet durch die entscheidende Wichtigkeit personeller Beziehungen in der WG. Dabei geht es um die "Weckung einer wechselseitigen Toleranz" der Bewohner und um eine Selbstakzeptierung ihrer Eigenarten. Es passiert leicht,

"daß instabile komplexe und konfliktunfähige Klienten durch die Nähe des mitmenschlichen Zusammenlebens so gefordert werden, daß sie sich der Aufgaben häufig nicht als gewachsen erweisen. Die Aufgabe der Mitarbeiter besteht darin, die sich anbahnenden Konflikte und Ausweglosigkeiten der einzelnen Bewohner rechtzeitig zu erkennen, zu steuern, zu besprechen und nach besseren Lösungen zu suchen." (Thoms, ebd., S. 12)

Wenn es für den Kranken keine Rückzugsmöglichkeiten mehr gibt und er paranoide Symptome entwickelt, geht er für kurze Zeit zurück in das "reizarme Klima der Klinik." (ebd.)

Die letzte Phase ist die Loslösung aus den gemeinschaftlichen Beziehungen. Da die sozialtherapeutische Wohngruppe keine Dauereinrichtung ist, heißt es Abschied nehmen von der Geborgenheit der WG.

Die Aufgabe der Mitarbeiter besteht hier darin, Defizite zu erkennen, Lernprozesse zu initiieren, aber auch Trost zu geben, um der Verwirrung und Resignation vorzubeugen. Nach ca. 2 Jahren muß der Klient die Einrichtung verlassen und selbständig leben können. (ebd., S. 14) Intensive Nachbetreuung und Hilfsangebote für den Notfall müssen mit dem Betroffenen erörtert und verbindlich verabredet werden. (ebd.)

d) Zum Erleben der Mitarbeiter

Das permanente Sicheinlassen in psycho-soziale Grenzsituationen fordert für das Team seinen Preis. Thoms schreibt dazu:

"Immer wieder Sisyphos, Absurdität, die Grenze aller Technik und der menschlichen Existenz. Das für Menschen, denen nichts als technische Orientierungen nach dem Untergang von Religion und Philosophie geblieben sind. Das in einer Welt, die auf Bewältigung der Natur ausgerichtet ist und nur darin ihr Selbstbewußtsein findet. Das Vertrauen der Bewohner in uns Mitarbeiter ist begrenzt. Sie befürchten mit Recht, daß wir letztlich auch nur zu denen gehören könnten, die sie unterdrücken. Wenn wir uns hilflos fühlen, da unsere Klienten nicht die in unsere Arbeit gesetzten mächtigen Erwartungen erfüllen, dann steigt in uns die Neigung zu herrschen auf. Zum Glück unterwirft sich niemand und wir werden immer wieder korrigiert." (Thoms, ebd., S. 14)

Um den großen Schwierigkeiten im Umgang mit Schizophrenen begegnen zu können, braucht es einige grundlegende Voraussetzungen. Neben "relativ stabilen und ausgeglichenen Persönlichkeiten" der Mitarbeiter bedarf es auch zureichender Arbeitsbedingungen.

"Nur wenn diese gegeben sind, können die Mitarbeiter krisenhafte Entwicklungen Einzelner, die zugleich auch immer die Gruppe belasten und einbeziehen, ohne regressive Abwehrmaßnamen wie Gleichgültigkeit, Aggression, Zerfahrenheit oder autoritär enges Verhalten bewältigen. Unsere unbedingte Forderung ist deswegen, daß auf eine Gruppe von 8 Klienten zwei ständige sozialpädagogische Mitarbeiter und an zwei Wochentagen ein Psychologe kommt." (ed., S. 16)

Um Verzagtheit und Frustration, aber auch Größenwahn und autoritatives Gebaren der "Betreuer" vorzubeugen bzw. aufzudecken, bedarf es eines gut "funktionierenden" Teams.

"Das Team stellt die Voraussetzungen dafür dar, daß die Interaktion mit schizophren Erkrankten nicht notwendig die oben aufgezeigte zerstörerische Entwicklung nimmt... Ein solches tragfähiges Team stellt eine conditio sine qua non unserer Arbeit dar und ist durch keine administrative oder organisatorische Maßnahme zur ‚Effizienzsteigerung’ zu ersetzen." (Thoms, ebd., S. 17)

Dabei hat sich eine klare Arbeitsteilung zwischen den Berufsgruppen als notwendig erwiesen. (ebd.)

Umfangreiche formale Ordnungsarbeiten (Aktenführung, Ausarbeitung eines allgemein gültigen Tagesverlaufs) sind nötig, um den zum Überblick notwendigen Abstand, der durch den persönlichen Umgang mit den Klienten oft verloren geht, wiederzufinden. (vgl. Thoms, ebd., S. 18) Schließlich ist es für die Aufrechterhaltung der geordneten Arbeitskraft der Mitarbeiter notwendig, daß sie lernen, ihre Omnipotenz- und Rivalitätsstreben zu zügeln. (ebd.) Die so aufgesparte Energie könnte stärker der therapeutischen Arbeit zu guten kommen.+

3.5.3 Neuere Entwicklungen, die Therapiekette

In letzter Zeit hat sich die Tendenz einer bürokratisch und technokratisch organisierten Vollversorgung der Psychotiker entwickelt. Die meisten der Klienten sind nicht voll arbeitsfähig und deswegen im normalen Arbeitsfeld kaum unterzubringen. (ebd., S. 19) Geplant ist die Einrichtung einer therapeutischen Werkstatt, die ausschließlich psychisch Behinderte offen steht, die in die Behindertenwerkstatt für körperlich und geistig Behinderte schlecht einzupassen sind. Außerdem sollen eine Tagesklinik und ein Übergangswohnheim eingerichtet werden, so daß eine Vollbehandlung der Klienten in ihren wechselnden Lagen möglich wird. (ebd.) Dies kann für den Kranken verheerende Folgen haben. Thoms bemerkt dazu:

"Wir begrüßen diese Maßnahme, befürchten aber andererseits, daß der gesteigerte organisatorische Aufwand die Geborgenheit der Klienten in unseren Wohngruppen zerstören könnte. Hieraus ergibt sich das Bild eines multizentrischen Systems von kleinen Einrichtungen, die bei weitgehender funktioneller Autonomie durch personelle Brücken, durch einen gemeinsamen Auftrag und durch eine organisatorische Koordination miteinander verbunden sind... Mit den Worten ‚gestufte Rehabilitation’, ‚Kontinuität der Behandlung’ sind dann nicht mehr Angebote an den Patienten, sondern Regeln des institutionellen Funktionierens gemeint.+ Die Rehabilitationskette

hat nicht mehr zwei freie Enden, sondern schließt sich zu einem Ring." (Thoms, ebd., S. 19f)

Gemeint ist also die totale Fremdbestimmung auf verschiedenen, aufeinanderfolgenden Ebenen eines ausgeklügelten psychiatrischen Behandlungssystems, welche die, durch die Krankheit sowieso geschwächte, Ich-Autonomie des Schizophrenen zum versiegen bringt. (vgl. ebd., S. 20) Für diese spezifische Pathologie in solch integrierten Systemen prägt Held den Begriff "institutionell-psychotisches Mischsyndrom." (Held, in psychiatrische Praxis, 1979, S. 119)

3.5.4 Zusammenarbeit mit Ärzten und Kliniken

Die Zusammenarbeit mit den Medizinern in den letzten Jahren ist nicht gerade einfach und harmonisch gwesen.

"Indem wir uns in abweichender wissenschaftlicher Orientierung selbstbewußt in ihrem angestammten Revier breitgemacht und bei aller Kooperationsbereitschaft unsere unabhängige Orientierung betont haben, kam es zu manchen sachlichen Kontroversen und vorurteilshaften Mißverständnissen zwischen den beiden Berufsgruppen." (Thoms, ebd., S. 20)

"Zunächst scheint es den Ärzten nicht immer leicht zu fallen, damit fertig zu werden, daß wir ihnen freundlich, aber nicht devot begegnen. Sie sind es in ihrem Stand, der bekanntlich sehr stark seine formale Autorität betont, nicht gewohnt, daß andere Bürger ihnen gleichberechtigt gegenübertreten. Das wir ihnen wohl vor allem dadurch erschwert, daß innerhalb des ärztlichen Berufsstandes hierarchische Verhältnisse immer noch die Regel sind. Wir hoffen, daß ihnen in unserer demokratischen Gesellschaft auch weiterhin der Wind ins Gesicht bläst. Mit uns ist auf jeden Fall in dieser Hinsicht zu rechnen." (ebd., S. 21)+

Ein weiterer Konfliktherd ist die Bezugnahme auf unterschiedliche Therapiesysteme. Während die Mitarbeiter der Wohngruppen bemüht sind, die gesamte sozio-personale Situation einer Person zu erfassen, um ihr gerecht zu werden, konzentrieren sich die Ärzte auf ihre Symptomatologie. (vgl. ebd., S. 22 f)

3.5.5 Aufnahmekriterien und Einfluß des Trägers

Es hat sich gezeigt, daß nicht jede aufgenommene Person erfolgreich behandelt werden konnte. Außer persönlicher Frustration ist dadurch natürlich der Nachweis der Effektivität gegenüber den Auftraggebern, dem Träger, gefährdet.

"So drängt es zur Entwicklung und Anwendung von Auslesekriterien, die unseren Erfolg und unser soziales Prestige erhöhen. Es geht also bei dieser Maßnahme um unser Wohl, nicht so sehr um jenes der Klienten. Sie impliziert auch eine spezifische Wahrnehmung und Kommunikation mit den Anwärtern auf unsere Einrichtung. Wir unterwerfen die Aspiranten damit einer Testsituation, messen ihre Persönlichkeit an vermutlich prognostisch günstigen Kriterien, lesen sie aus und nehmen sie nicht so an wie sie sind." (Thoms, ebd., S. 23 f)

Ein einseitiger Aufnahmemodus; die Wortlosigkeit ihrer Person wird den Kranken, wie schon so oft, bestätigt, schwerst Erkrankte bleiben in der institutionellen Anstalt. Nur das erfolgversprechende Individuum erhält Zugang zu menschlicheren Umgangs- und Behandlungsformen. Bisher lief die Auswahl der Besucher folgendermaßen:

"Ein Arzt schlug einen Patienten vor, der besuchte uns häufiger, und wir und die Mitbewohner lernten ihn langsam kennen. Wenn es dem Anwärter bei uns gefiel, und wird das Gefühl hatten, daß er in den Rahmen paßte, und wir der vermuteten zusätzlichen Arbeit mit ihm uns gewachsen meinten, so konnte er einziehen. In der Tat einee sehr unwissenschaftliche, aber ohne Verdinglichung und Diskriminierung des anderen, vorgenommene Auswahl. Überraschend genug häufig für die Aspiranten, daß wir ihnen nicht skeptisch auf den Zahn fühlten; und der Beginn einer vertrauensvollen Beziehung." (Thoms, ebd., S. 24)

Da, wie unten gezeigt (vgl. 1. Kapitel), Krankheitsverlauf und Prognose der "Schizophrenie" sehr unsicher sind, kann darauf kein sinnvolles Ausleseverfahren für die Aufnahme in die Wohngruppe aufgebaut werden. Für die Auslese kann somit nur das Ausmaß der Therapieeignung als Kriterium verwendet werden. (vgl. Thoms, a. a. O., S. 25) Dabei wird immer wieder festgestellt:

"daß unsere Klienten durch die Gewalt der Erkrankung und durch die Erfahrung der Behandlung in der Klinik persönlicher Aktivität für die Gesundung kaum Bedeutung beimessen. Unsere erste Aufgabe besteht darin, die Klienten zur Mitarbeit in der Therapie zu motivieren.+ Schließlich muß ihnen die Langwierigkeit des Verfahrens deutlich gemacht werden, um der Resignation vorzubeugen." (Thoms, ebd., S. 26)

4 Probleme sozialpädagogischer Intervention und Behandlung bei schizophren Erkrankten

1. Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit nur unter der Form des Objektes oder der Anschauung gefaßt wird; nicht aber als sinnlich menschliche Tätigkeit, Praxis; nicht subjektiv.

2.3 Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände und der Erziehung vergißt, daß die Umstände von den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muß. Sie muß daher die Gesellschaft in zwei Teile – von denen der eine über ihr erhaben ist – sondieren...

6. Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum inwohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.

8. Alles gesellschaftliche Leben ist wesentlich praktisch. Alle Mysterien, welche die Theorie zum Mystizismus veranlassen, finden ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und im Begreifen dieser Praxis.

11. Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.

Karl Marx

Thesen über Feuerbach

4.1 Der Soziapädagoge (S.P.) als "Professionell Normaler"

Im Verlauf der Arbeit habe ich schon zwei allgemeine Aufgabenbestimmungen des Sozialpädagogen festgehalten. So heißt es in Lampes Arbeitspapier:

"Sozialpädagogik bezweckt über zielgerichtete Interaktionsprozesse eine Veränderung der Verhaltensdispositionen der Adressaten, um diese zu einer sinnvollen und befriedigenden Bewältigung ihrer Lebensprobleme zu befähigen." (Lampe, a. a. O.)

Wenn diese Aussage auch noch sehr allgemein ist, läßt sie doch den Schluß zu, "daß die Adressaten von Sozialpädagogik in erster Linie Menschen sind, die zu einer sinnvollen und befriedigenden Bewältigung ihrer Lebensprobleme selbständig nicht in der Lage sind, aus welchen Gründen auch immer." (Hanf, 1979, S. 48)

"Wurr/Trabandt definieren "Abweichung als den entscheidenden Gegenstand der sozialpädagogischen Arbeit... und Verhinderung, Abbruch oder Eindämmung von Dissoziierungsprozessen als entscheidende Zielsetzung." (Wurr/Trabandt, a. a. O.)

Beide Ansätze geben zwar Charakterisktika aller sozialpädagogischer Arbeitsfelder an, lassen aber wichtige Fragen offen. Was ist eine "sinnvolle und befriedigende Bewältigung der Lebensprobleme", explizit bei sozial schwer gestörten, schizophrenen Erkankten? Welches soziale Umfeld benötigen sie dazu? Was ist Abweichung, wer definiert speziell psychische Formen der Abweichung, wie z. B. die "Schizophrenie"? Wie ist der "normale" professionelle Umgang mit psychischer Abweichung? Alle diese Fragen waren Gegenstand der vorherigen Kapitel. Hier interessiert jetzt eine Begriffsbestimmung des Sozialpädagogen als Professionell Normaler, als psychiatrisch Arbeitender unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen.

In seinem Entwurf eines Grundkonzeptes methodischen Handelns für den S.P. beschreibt Lampe u. a. für die Initialphase:

"Der Initialphase, d. h. insbesondere dem ersten Kontakt zwischen Klient und Sozialpädagogen muß besondere Beachtung gewidmet werden. Das Gelingen kommunikativer Prozesse hängt von der Strukturierung des Prozesses durch beide Interaktionspartner ab, d. h. ob und wieweit die Beteiligten die Situation formal und inhaltlich strukturieren und dabei ihre eigenen Intentionen zur Geltung bringen können." (Lampe, a. a. O., S. 18)

Es kommt also darauf an, den sozialen Sinn für alle Interaktionspartner hervorzuheben.

"Der Kontrakt, auch Arbeitsabsprache genannt, wird vom Klienten als Subjekt mit dem Sozialpädagogen als Subjekt geschlossen. Er ist permanent revidierbar (= dynamischer Kontrakt). Seine ständige Überprüfung gehört zu den auszumachenden Interaktionsregeln." (Lampe, ebd.)

Jedoch, wer ist Herr über die therapeutische Behandlung bei Geisteskranken? In wessen Namen, im Namen welcher Interessen wird er initiiert und durchgeführt? In wessen Dienst stellt sich der psychiatrisch arbeitende Sozialpädagoge? Jervis dagt dazu:

"In der Irrenanstalt+ ist es klar, daß der psychiatrische Patient keine Macht hat. Vora llem, wenn er gegen seinen Willen in der Anstalt ist, ist die Institution selbst der Auftraggeber des ‚therapeutischen’ Vorgehens." (Jervis, a. a. O., S. 180)

Die Vertragsfähigkeit des Klienten ist, wenn nicht schon durch Entmündigung völlig aufgehoben, stark eingeschränkt. Sein Mangel an Macht zeigt sich an seiner Unfähigkeit, als "aktiver Protagonist des therapeutischen Eingriffs" mitzubestimmen. (vgl. ebd.)

Aus dem gesellschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis des Patienten heraus definiert sich der Funktionsbereich des Sozialpädagogen:

"Konkrete Notsituationen einzelner sind nicht nur das Ergebnis mangelnder Anpassung oder nicht bewältigter Belastungen, sondern spiegeln auch den Einfluß sozialer Gegebenheiten, von Gruppenormen, Vorurteilen, latenten und manifesten Diskriminierungen, ökonomischen und politischen Abhängigkeiten usw. wider." (Hollstein/Meinhold, 1973, S. 19)

Der Sozialpädagoge als gesellschaftlich Beauftragter hat den psychisch Kranken zu rehabilitieren und zu reintegrieren; dabei ist er Repräsentant der herrschenden Normalität.

 

"Zeigt sich also das abweichende Verhalten nicht ursächlich durch ein physisches oder psychisches Defizit+, sondern vielmehr durch einen gesellschaftlichen Mißstand, so bedeutet die Resozialisierung des Klienten als Individuum, daß man ihn auf eine Normalität ausrichtet, die in Wirklichkeit anormal ist, weil sie krank, bzw. delinquent macht." (Hollstein/Meinhold, ebd. S. 20)

Obgleich Devianz schon immer eine Reaktion auf Schäden der Gesellschaft darstellte, nimmt Sozialarbeit dieses Moment der Revolte nicht auf, sondern kaschiert es durch ihren Akt von Linderung und Trost. (vgl. ebd.) Das bedeutet: Sozialarbeit greift ein, wenn der Klient bereits zu Schaden gekommen ist, wenn er schon auffällt, wenn er sich längst dissozial benimmt.

"Wie die Feuerwehr, so kommt auch die Sozialarbeit je immer zu spät. Kann die eine nur löschen, was bereits brennt, kann die andere nur zu lindern versuchen, wo bereits gelitten wird. Beide attackieren nicht Ursachen, sondern erst Wirkungen." (Hollstein/Meinhold, ebd., S. 21)

Der Sozialpädagoge als "Normaler" hat also die gesellschaftliche Aufgabe, den Ver-"rückten" zurechtzu-"rücken". Deshalb werden an ihn (den S.P.) bestimmte Anspräche gestellt, die seinen professionellen Umgang mit Geisteskrankheiten rechtfertigen.

"Ein professionalisierter Beruf hat folgende Merkmale:

(Chinow, Arbeitspapier, 1977/78, S. 9)

Dabei zeigt sich, daß in staatlich reglementierten Ausbildungsverhältnissen "Technokraten" herangezüchtet werden.

"Die Studenten an den Fachhochschulen werden instruiert, wie sie Fall auf Fall und Individuum nach Individuum zu behandeln haben... An keiner Stelle werden die Bedingungen genannt, welche eine dauerhafte Hilfe zur Selbsthilfe erst ermöglichen geschweige denn überflüssig machen können." (Hollstein/Meinhold, a. a. O., S. 21)

Mit einer das Studium abschließenden Prüfung soll festgestellt werden,

"ob der Kandidat gründliche Fachkenntnisse erworben hat und die Fähigkeit besitzt, methodisch und selbständig auf wissenschaftlicher Grundlage zu arbeiten." (FH-Prüfungsordnung 1972, in: Vorlesungsverzeichnis SS 79, S. 185)

Nicht der konkrete Mensch, der in seiner Wirklichkeit "das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" (Marx) ist und (hier als psycho-sozial Gestörter) unter seinem Anderssein leidet, steht im Vordergrund sozialpädagogischer Profession, sondern das entpersonalisierte Wissenschaftsobjekt (hier der "Schizophrene"), das methodisch zu behandeln ist.+

Schließlich erbringt der S.P. eine Leistung, die die Öffentlichkeit hochschätzt; als Vertreter einer Ordnungsbehörde (Sozialpädagoge als soziale Kontrollinstanz) schützt er die öffentliche Sicherheit und Ordnung, indem er den "gemeingefährlichen Irren" überwacht.+ (vgl. Landesverwaltungsgesetz (LVwG), die Paragraphen über Gefahrenabwehr, §§ 163ff) Soziale Kontrolle und gesellschaftliche Reintegration ist auch im psychiatrischen Arbeitsfeld der stetige Widerspruch, mit dem der Sozialpädagoge leben muß.

Wie der Sozialpädagoge in diesem Spannungsfeld professioneller Erwartungen, persönlicher Ansprüche und klientenbezogener Möglichkeiten und Grenzen dennoch emanzipatorisch arbeiten kann (bzw. seine Begrenzungen findet) will ich in den folgenden Abschnitten untersuchen.

4.2 Der Sozialpädagoge und der "Schizophrene"

4.2.1 Abweichung und pädagogische Reaktion

In der Interaktion mit dem psycho-sozial abweichenden Geisteskranken ist der S.P. nicht nur gesellschaftlich beauftragter Normaler, dessen Aufgabe und Ziel die Reintegration ist, sondern gleichfalls ein subjektives Individuum, das auch eine persönliche Geschichte und eine schichtspezifische Sozialisation erfahren hat. Diese Faktoren bestimmen mit, wie er schizophrenes Verhalten empfindet und wahrnimmt, sie manifestieren ebenfalls normative Haltungen und mögliche Reaktionsweisen gegenüber der Abweichung. Unter den Gesichtspunkten "Normendistanz gegen Normenrigidität" sowie "Stigmatoleranz gegen Diskreditierungsbereitschaft" (Wurr/Trabandt, a. a. O., S. 79) will ich diese These näher untersuchen.

Schizophren-psychotische Erkrankungen zeichnen sich dadurch aus,

"daß sie in höchstem Maße menschliche Widersprüchlichkeiten aktualisieren. Wir geraten gegenüber psychotisch Kranken in eine doppelte Schwierigkeit: Schwierigkeit der Verständigung und Schwierigkeit des Verstehens. Auf der Seite der psychiatrisch Tätigen führt eine so erschwerte Verständigung mit dem Patienten zu sehr typischen Antworten, von denen die massivste der einfache Verzicht auf Verständigung mit Rückzug des Interesses ist." (Held, a. a. O., S. 121)

Betrachtet man den Schizophrenen als "Träger beeinträchtigter psychophysischer und psychologischer Funktion", werden für jede dieser Funktionen ausgeklügelte Trainingsprogramme entwickelt: "Das wir es sind, denen es so schwerfällt, uns mit dem Patienten zu verständigen, dann dabei glücklich vergessen werden." (ebd.)

Als Interaktionspartner des "Schizophrenen" kann der S.P. zwei verschiedene normative Haltungen einnehmen.

"Normendistanz bezeichnet eine flexible Haltung, die die Absicht des Handelnden, seine persönlichen Umstände und die sonstigen (situativen) Bedingungen seines Verhaltens berücksichtigt und insofern vor sofortiger Verdammung des Abweichenden, vor "vorschnellen" Reaktionen schützt." (Wurr/Trabandt, a. a. O., S. 80)

Mit Normenrigidität wird eine starre, unflexible Haltung bezeichnet, die in der Regel von Angstgefühlen begleitet wird. (vgl. ebd.) Indem sich der Sozialpädagoge auf eine Beziehung mit dem Psychotiker einläßt, begibt er sich in soziale Grenzsituationen:

"Bei keiner psychischen Erkrankung finden wir so innige Beziehungen zwischen der Struktur der innerpsychischen Prozesse und der Form der Beziehung zu den Personen der nächsten Umwelt, aber auch der Beziehung dieser Umweltpersonen zueinander... Die Behandlung Schizophrener zu übernehmen heißt, sich auf solche Verformung der Beziehungen einzulassen und im Spannungsfeld einer regelrechten Beziehungspathologie zu arbeiten." (Held, a. a. O., S. 121)

Normendistanz würde also für den S.P. bedeuten, die Beziehung zum psychisch Kranken einer ständigen Kontrolle zu unterziehen und sich nicht in "verrückte" Kommunikationsstrukturen verwickeln zu lassen+, die ihm die nötige Distanz rauben. Seine persönlichen (privaten) Umstände sind dabei zu berücksichtigen. Der S.P. sollte sich ferner seiner Sozialisation erinnern, die speziell für ihn Tendenzen zur Normenrigidität hervorgebracht hat, und sein Handeln bezüglich seiner Haltung kritisch hinterfragen. (Wurr/Trabandt begründen das mit der geschichtlichen Besonderheit einer spezifisch "deutschen Arbeitshaltung" und einer kleinbürgerlichen Herkunft des S.P., a. a. O. S. 87) Die Wichtigkeit einer Teamarbeit in der th. WG für das Aufarbeiten solcher "Beziehungspathologien" habe ich im 3. Kapitel schon erörtert.

Außer einer offenen und toleranten normativen Haltung sollte der Sozialpädagoge auch eine entsprechende persönliche Einstellung gegenüber dem psychisch Abweichenden entwickeln.

"Stigmatoleranz bedeutet die Bereitschaft, mit dem bei einer gesellschaftlichen Majorität Geächteten, Gemiedenen, Verrufenen, Verdächtigen bzw. mit Aussonderung Bedrohten (mit einem Stigma belegten oder Etikettierten) "normal" zu interagieren. (Wurr/Trabandt, a. a. O., S. 88)

Dabei soll der Sozialpädagoge seinen "auffälligen" (hier geistesgestörten) Klienten nicht weiter in der Rolle des Auffälligen oder Abweichers bestätigen, weder durch übertriebenes Mitleid, noch ungefragte Hilfsbereitschaft, noch durch aufdringliches Ansprechen des Stigmabereichs oder ängstliches Vermeiden. (vgl. ebd.) Die Bereitschaft, die Etikettierung des Abweichers fortzusetzen, wird "Diskreditierungsbereitschaft" genannt. (ebd.)

Da Diskreditierungsbereitschaft gewöhnlich mit Normenrigidität einhergeht (Wurr/Trabandt, ebd., S. 90), heißt das gleichfalls für den S.P. eine kontinuierliche Überprüfung seines Handelns. Dabei hat er sich sowohl mit seiner eigenen wie mit der Diskreditierungsbereitschaft der "normtragenden Majorität" auseinanderzusetzen. (ebd., S. 89) Mit der schon oben erwähnten Einstellung der Öffentlichkeit über den "gefährlichen Irren" geht eine "deutsche Auffassung von Leistung und Erfolg" einher. (ebd., S. 91) Leistung bedeutet zugleich Arbeit, Arbeit vollzieht sich unter den Bedingungen einer angemessenen Arbeitshaltung, die nach Freud Triebaufschub und Triebverzicht beinhaltet. (Freud, 1953) Für den Sozialpädagogen bedeutet das: Sich der Gefahr einer Identifikation mit dem Klientel bewußt, hat er den, meist arbeitsunfähigen, Schizophrenen als Menschen zu vertreten, der an sozio-kulturellen Widersprüchen scheiterte und nicht, losgelöst von der Gesellschaft, individuell erkrankt ist. (vgl. 1. Kapitel) Der so entstehende politische Status des Kranken soll einer weiteren Etikettierung vorbeugen. Zweitens hat der S.P. sich mit seiner eigenen Einstellung zu Leistung und Erfolg auseinanderzusetzen. Weisen hier nicht unangemessene Erfolgserwartungen an den Patienten, eingespannt in ausgeklügelten Trainingsprogrammen, auf Diskreditierungsbereitschaft seitens des Sozialpädagogen hin, auf Probleme, die er mit seinen Leistungsansprüchen hat?+

4.2.2 Aspekte schizophrener Interaktion; das Bestreben, den anderen verrückt zu machen

Wie oben erwähnt, ist der professionelle Umgang des Sozialpädagogen mit dem Schizophrenen stark von der persönlichen Nähe geprägt. Im 1. Kapitel hatte ich einen Zugang zur Geisteskrankheit in der familiären Kommunikationsforschung gefunden. Diese zeigte einen interpersonellen Ansatz auf, der für den S.P. dadurch Handlungsrelevanz erschloß, daß er auf beobachtbare, empirisch nachzuweisende Daten verwies. Indem die Theorie gemeinsamer Elemente in allen Kommunikationsabläufen aufdeckte, machte sie den Irrsinn gesellschaftsfähig und reintegrationsmöglich. Aufgabe des S.P. ist es u. a., abweichende Interaktionen der Patienten untereinander und mit ihm festzustellen, zu analysieren, dem Kranken verständlich zu machen und Lernsituationen im Rahmen günstiger sozialer Strukturen (z. B. th. WG) zu schaffen, die für den Kranken Modellwirkung haben können. Welcher Art schizophrene Beziehungsstrukturen sind, welche Gefahren sich für den Sozialpädagogen ergeben, der sich auf solche "verrückten" Interaktionen einläßt, will ich im Folgenden behandeln.

Im allgemeinen ist die Aufnahme einer zwischenmenschlichen Beziehung geprägt davon, eine Übereinkunft herzustellen, was angebracht ist und was nicht, d. h. "eine gemeinsame Definition ihrer Beziehung zu finden." (Haley, in Bateson u. a., a. a. O., S. 84) Dabei wird auf zwei Ebenen kommuniziert; die eine beschreibt das kommunikative, direkte Verhalten (z. B. Reden, tanzen, schweigen), die andere dient der "Qualifizierung dieses Verhaltens bzw. der Botschaft. Die geschieht meist nonverbal (lächeln, Stirnrunzeln, Lautstärke). (vgl. Haley, ebd., S. 85f) Diese Doppeldeutigkeit der Kommunikation kann, wenn der Inhalt einer Botschaft nicht adäquat qualifiziert wird, zu Problemen in der Definition von Beziehungen führen. Normalerweise haben zwei Menschen, die sich begegnen, ein Interesse, herauszufinden, was für eine Beziehung sie zueinander haben, und deren Grenzen abzustecken. (vgl. Haley, ebd., S. 89) Obwohl die Beziehungsdefinitionen sich in einem stetigen Fluß befinden, ist es für sie wichtig, eine gewisse Kontrolle darüber auszuüben. (ebd., S. 88)

Für den psychotisch Erkrankten gelten jedoch andere Maßstäbe:

"Der Schizophrene erlebt in seinen Beziehungen zu den Menschen seiner Umwelt den Verlust seines Person-Gefühls, die Verarmung seiner inneren Substanz und einen Bedeutungswandel der belebten und unbelebten Umwelt zum Bedrohlichen." (Held, a. a. O., S. 121)

Wie vollzieht sich dieser Wandel? Die Tatsache, daß Menschen gleichzeitig auf zwei Ebenen kommunizieren, ermöglicht es ihnen, eine bestimmte Beziehung erkennen zu lassen und sie zugleich in Abrede zu stellen. Mit "inkongruenten qualifizierenden Botschaften" können sie einer Beziehungsdefinition aus dem Wege gehen. (vgl. Haley, a. a. O., S. 90) Zergliedert man eine Botschaft in vier Teile,

"1. Ich

2. sage etwas

3. zu dir

4. in dieser Situation" (ebd., S. 91)

so genügt es, nur eines dieser Elemente zu negieren, um sich einer Beziehungsdefinition zu entziehen.

"Wenn alles, was jemand zu einem sagt, die Beziehung mit diesem anderen definiert, kann er es nur vermeiden, die Art der Beziehung erkennen zu lassen, wenn er leugnet, daß erspricht, leugnet, daß etwas gesagt wird, leugnet, daß es dem anderen gesagt wird oder leugnet, daß der Austausch an dieser Stelle, zu dieser Zeit stattfindet." (Haley, S. 94)

Es scheinen dies die klassischen Symptome eines als schizophren diagnostizierten Kranken zu sein:

"Verleugnet der Patient, daß er spricht, indem er entweder in der dritten Person von sich redet oder sich einen anderen Namen gibt, so stellt der Psychiater Identitätsverlust fest. Gibt der Patient zu erkennen, daß "Stimmen" diese Dinge sagen, so wird der als halluzinativ beschrieben. Leugnet er, daß seine Botschaft eine Botschaft ist, so betrachtet der Psychiater das als Manifestation von dissoziiertem Denken. Wenn der Patient verleugnet, daß sich seine Botschaft an die andere Person richtet, betrachtet ihn der Psychiater als wahnhaft. Verleugnet der Patient seine Anwesenheit im Hospital stellt der Arzt fest, daß er einen Rückzug aus der Realität angetreten hat. Wenn der Patient eine Äußerung mit nicht dazu passender Stimme macht, dann offenbart er eine Affektstörung. Beantwortet er das Verhalten des Psychiaters mit Botschaften, die dieses Verhalten unangemessen qualifizieren, dann ist er autistisch." (Haley, ebd., S. 94f)

Ohne hier auf das subjektive Leiden und Empfinden seiner "Beziehungslosigkeit" für den Psychotiker einzugehen, erheben sich folgende Fragen: Welche Beziehungen in welchen Verhältnissen will der Schizophrene vermeiden? Was ist Ursache für seine totale Diffusion der Realität? Den schizophrenen Rückzug, als Resultatschutz vor sich widersprechenden Verhaltensaufforderungen seitens der Eltern, habe ich im 1. Kapitel aus der Doublebind (DB)-Situation hergeleitet. Der beständig in der Falle sitzende Mensch, der die pathologischen Strukturen auch nicht verlassen kann, lernt, um nicht unterzugehen, die Realität, d. h. die Form der Beziehungen zu seinen Eltern, zu verleugnen.

"Für den Schizophrenen liegt in der Zweierbeziehung zugleich die Verlockung und die Unmöglichkeit: Heilung des Nicht-Selbstseinkönnens durch Symbiose oder Parasitismus, zugleich aber Entdecken der Selbstbedrohung in dieser Situation." (Held, a. a. O., S. 122)

Der Schizophrene vermeidet nicht nur, seine Beziehung zum anderen zu definieren, er kann auch ein aufreizendes Geschick darin entwickeln, den anderen davon abzuhalten, seine Beziehung zu ihm zu definieren. "Solche Reaktionen geben einem das Gefühl, daß man unfähig ist, einen Schizophrenen zu erreichen." (Haley, a. a. O., S. 104)

Für den Sozialpädagogen als Professionell Normalen ist die persönliche Beziehung zum psychisch Gestörten wichtig, um dieses "systematische Mißverhältnis zwischen zwei Botschaftsebenen" zu entschlüsseln und dem Kranken die so nötige Kontrolle der Definition seiner Beziehungen beizubringen. Dabei sieht er sich verstrickt in eine Bindung,

"die ihn durch übergroße Nähe jeder elterlichen oder therapeutischen Funktion entkleidet, eine Situation, die mit den Worten Überfürsorglichkeit oder overprotectiveness nur sehr unvollkommen beschrieben ist." (Held, a. a. O., S. 122)

Nicht allein, daß der Schizophrene eine klare Definition einer Beziehung mit ihm unmöglich macht, haben seine Botschaften außerdem die Tendenz, den Interaktionspartner "verrückt" zu machen. Dabei wird dieser in eine Situation gebracht, die bei ihm emotionale Konflikte begünstigen soll, um verschiedene Bereiche seiner Persönlichkeit in Wiederspruch zueinander zu bringen, ihn quasi "schizophren" macht. (vgl. Searles, in Beateson u. a., a. a. O., S. 130) Auch hier zeigt sich, daß der Psychotiker nur seine eigenen Ambivalenzgefühle reproduziert, die er durch systematische "Stimultion-Frustration"-Botschaften in familiären Interaktionen gelernt hat. (Searles, ebd., S. 132)

Immer wieder Double-Bind, die Beziehungsfalle, welche latent psychotische Eltern dazu benutzen, ihren eigenen Wahnsinn zu verbergen und so den sozialen Untergang des Kindes einleiten. (vgl. Searles, ebd.)

Es ist ein Mechanismus, der systematisch verrückt macht:

"Glaubte es (das Kind) seinen Sinnen, so behielt es ein ungebrochenes Verhältnis zur Realität, glaubte es den Erwachsenen, so behielt es die nötige Beziehung, jedoch um den Preis einer verzerrten Wahrnehmung der Realität. Verleugneten die Eltern wiederholt ihre negativen Gefühle, so konnte das Kind nicht dazu kommen, eine adäquate Realitätsprüfung zu entwickeln." (Searles, ebd., S. 136)

Eine derart durch die "Gehirnwäsche" gezogene Person lernt tatsächlich nur, andere verrückt zu machen, anstatt selbstverständlich zu lieben.

Einige Motive wären hier noch wichtig, die der S.P. in der Interaktion mit Schizophrenen erlernen sollte, um ihre Beziehungen zu relativieren und sein Realitätsbewußtsein zu schützen.

a) Todeswünsche, wobei an die Stelle des tatsächlichen Mordes (z. B. des Vaters) sein psychologisches Äquivalent tritt. (Searles, ebd., S. 138)

b) Die bedrohliche Verrücktheit in einem selbst wird nach außen projiziert, um sie loszuwerden; die Suche nach einem Sündenbock. (vgl., ebd., S. 143)

c) Der Wunsch, einer unerträglichen, konfliktreichen, und spannungsgeladenen Situation ein Ende zu machen. In der psychiatrischen Arbeit erlebt man es jeden Tag, daß Patienten dazu neigen, sich irgendeine Katastrophe zuzuziehen, die als unerträglich empfunden wird, um auf diese Weise Gefühle der Hilflosigkeit und der Spannung zu vermeiden. (ebd., S. 144)

d) In der Übertragungssituation entdeckt der Schizophrene (vermeindliche) "verrückte" Anteile beim Therapeuten, für die er sich verantwortlich fühlt und aus Zuneigung (oder Haß!) das Bestreben hat, sie aufzudecken. (ebd., S. 145)

e) Zur Linderung einer unerträglichen Einsamkeit sucht er einen Leidensgenossen. (ebd.)

f) Zur näheren Intimität und besseren Integration der Beziehung hat der Kranke ein Bedürfnis, dem Gegenüber die Wahrheit über seine Person zu sagen.+ Dabei bewirkt das, gerade bei labilen Persönlichkeiten, genau das Gegenteil; was oft zu einem wertvollen, kreativen Wachstumserlebnis der Beziehung führen kann, wird hier zur Erfahrung, die psychotische Züge hat, weil erschiedene pathologische Abwehrmechanismen wie Wahnvorstellungen, Halluzinationen und Depersonalisation gegen die Bewußtwerdung dieser Wahrheiten eingesetzt werden. (vgl. Searles, ebd., S. 149f)

4.2.3 Die therapeutische Beziehung

Nach den zuletztgenannten empfiehlt es sich, eine therapeutische Beziehung zu definieren, die die verrückten Interaktionsmuster miteinbezieht und kontrolliert. "Die intensive Zweierbeziehung des Schizophrenen, sofern sie andauert, geht immer auf Kosten jeder möglichen Veränderung." (Held, a. a. O., S. 122) Insbesondere kann man beobachten, daß diese Art von Beziehung in einer speziellen Phase der sich entwickelnden Übertragung des schizophrenen Patienten auf den Therapeuten vorherrscht,

"einer Phase, in der zwischen Patient und Therapeut nun ein früherer Kampf darum, den anderen verrückt zu machen, der sich zwischen Patient und Elternteil abgespielt hatte, reproduziert wird." (Searles, a. a. O., S. 152)

Des ist es auch für den therapeutisch Arbeitenden wichtig, Kenntnis über seine "verrückten" Anteile zu haben und zu akzeptieren.

"Der Wunsch, den anderen verrückt zu machen, ist ein Bestandteil der unendlich vielfältigen Charakterkonstellationen emotional gesunder Menschen; die Berufswahl von Therapeuten und Analytikern spricht dafür, daß das Individuum zumindest in den Fällen, in denen seine Charakterstruktur dem paranoiazwanghaften Typus entspricht, gegen unbewußte Wünsche dieser Art kämpft, die stärker als normal sind; für diese Leute ist es besonders schwierig, diese qualitativ normalen Strebungen in sich selbst anzuerkennen." (Searles, ebd., S. 160)

Der Therapeut sollte dem Patienten eine Beziehung bieten, die nicht Vermeidung der Entwicklung einer symbiotischen gegenseitigen Abhängigkeit impliziert, sondern vielmehr deren Akzeptieren (vgl. ebd.). Dabei würde er als "Einzelkämpfer" untergehen.

"Die therapeutische Beziehung des Schizophrenen zu einem Team erlaubt dagegen eine andere Dynamik. Psychotische Ängste, Erlebnisse innerer Vorgänge in der Außenwelt, Zustände des zeitweiligen Ich-Zerfalls machen die therapeutische Umwelt gleichsam zum Behältnis der abgespaltenen und versprengten Persönlichkeitsanteile des Patienten – zu einem Ersatz für die zeitweise verlorengegangenen Grenzen des Ichs. Hilfreich bei solcher Erfahrung ist, daß die innere Katastrophe keine äußere Katastrophe nach sich zieht, daß die Personen der Umwelt weder zerstört sind noch sich gerächt haben, und sei es durch Verstoßung." (Held, a. a. O., S. 122)

4.3 Der Sozialpädagoge in der therapeutischen Wohngemeinschaft

4.3.1 Multiprofessionelle Kooperation bei psychotischen Erkrankungen

Die Bedeutung des Teams für die Aufarbeitung von Konfliktsituationen in der Interaktion mit psychisch Kranken habe ich anderer Stelle bereits erwähnt. Ebenso die Berufsproblematik. Auch in der therapeutischen Behandlung hat sich multiprofessionelle Zusammenarbeit als vorteilhaft erweisen. Definiert man den Schizophrenen als Menschen, der an einer psycho-sozialen Grundstörung leidet, besteht die Hauptdynamik seines Seins darin, Krisen zu manifestieren, aber ebenso Abwehrhaltungen zur Verhinderung solcher Krisen einzunehmen. (vgl. Held, a. a. O., S. 122)

"Die Aufgabe des psychiatrischen Teams wäre also, weder solche Krisen zu verhindern, noch auch sie zu provozieren, sondern den Patienten zu dem Gefühl zu verhelfen, daß er in der Krise mehr eine Zerreißprobe, als eine katastrophale Auflösung seiner personalen Indentität erfahren hat." (Held, ebd.)

Ziel der Behandlung wäre hier, dem Schizophrenen einen gekonnten Umgang mit seiner Störung zu ermöglichen, ihm alternative Reaktionsweisen zum schizoiden Rückzug bzw. zu seiner Eigenart, andere verrückt zu machen, zu vermitteln. Das ist natürlich nur in demokratischeren Verhältnissen als in der institutionellen Psychiatrie möglich. (vgl. 3. Kapitel) So muß das Team zum Patienten eine Beziehung herstellen, die Kontinuität erlaubt, damit es krisenhafte Zuspitzungen und Spannungen des Kranken ertragen und akzeptieren kann. "Ein solcher Umgang mit Krisen setzt die Existenz eines Teams, seine Belastungsfähigkeit und seine Kohärenz voraus." (Held, a. a. O., S. 123)

Auch ein anderes Verhältnis zur wissenschaftlichen Theorie ist erforderlich; kein Team darf sich damit begnügen, die Anwendung einer Theorie zum Inhalt ihrer Arbeit zu machen. Die konkrete Interaktion, das subjekte, widerspruchsvolle Sicheinlassen auf die komplexen Eigenarten des Schizophrenen schaffen den Boden und die Erfahrungen für einen produktiven professionellen Umgang mit dem Kranken. "Die Lebendigkeit und der Wert eines Teams zeigt sich darin, daß es Entdeckungen machen kann, und Entdeckung heißt Erneuerung der Theorie." (Held, ebd., S. 123)

Um diese Erfahrungen allen Teammitgliedern zugänglich zu machen, bedarf es einer Umgangsform, die es jedem Mitglied ermöglicht, seine eigene Sprache zu sprechen und dabei auch andere Sprachen und Denkweisen zu erlernen und zu akzeptieren. Die berufsspezifische Identität jedes Teammitgliedes ist daran geknüpft. (vgl. Held, ebd.) Die Kooperation im Team hängt dabei im Scheitern und Erfolg gerade von diesem Punkt ab, inwieweit es gelingt, in einer repressionsarmen Athmosphäre eine spezifische und befriedigende Arbeitsidentität des Einzelnen zu fördern. Dabei sollte man sich vor Omnipotenzstrebungen hüten; allzuleicht kommt es vor, daß sich z. B. der Sozialpädagoge, der Psychotherapie versucht, in seiner Eigenproblematik verstrickt und für die therapeutische Energie zeitweilig ausfällt. (siehe auch Konzeption Lübeck, 3. Kapitel) In der Behandlung Schizophrener geht es nicht so sehr um die Anwendung therapeutischer Techniken und Methoden; viel wichtiger ist der menschliche, fürsorgliche Aspekt des Umgangs.

"Pflegerisch in diesem Sinne sind all jene Aktivitäten, die der Umwelt des Patienten die Qualitäten von Wärme Schutz, von Ermutigung zur Initiative und Tolerieren der Regression geben, die eine Vertrautheit mit der Realität wiederherstellen lassen, ohne diese Realität aufzudrängen." (Held, ebd., S. 124)+

4.3.2 "Technokrat" oder sozialer "Partner" im professionellen Umgang mit dem Schizophrenen?

Aus dem zuletzt genannten versteht es sich von selbst, daß der Sozialpädagoge nicht einfach nur Spezialist für bestimmte instrumentelle Techniken sein kann. Der komplementären Beziehung zu seinen Klienten bedenkend, hat er sich einem Menschen zuzuwenden, der, ebenso wie er selbst, in einem beständigen Wechselwirkungszusammenhang mit der sozialen Umwelt steht.

"Der Fürsorger muß lernen, daß er es mit dem ganzen Menschen zu tun hat, daß der ganze Mensch nur begriffen werden kann, wenn auch sein Verhältnis zur Umwelt erfaßt wird." (Salomon, 1927, S. 49)

In diesem Sinne können erlernte sozialpädagogische Methoden auch nur Mittel zum Zweck sein für den Kranken, niemals aber Selbstzweck für den S.P. bzw. seinen Auftraggeber. Der Zweck darf ebenfalls nie die Mittel heiligen, damit Erfolge erzielt werden. Die Würde auch des schizophren Erkrankten ist unantastbar!

Vermittelt soziale Einzelhife (SEH) individuelle Hilfen an Klienten mit sozialen Problemen, wobei über den Aufbau einer helfenden Beziehung zwischen S.P. und Klient letzterer lernen soll, seine Probleme allein zu bewältigen (vgl. Lampe, a. a. O., S. 23), so wendet der Pädagoge in der therapeutischen Wohngemeinschaft SEH an, wenn ein Bewohner zu ihm kommt und um Rat fragt; hier ist die vertrauensvolle Beziehung wichtiger als die Arbeitsmethode.+

Soziale Gruppenarbeit:

"Die SGA vermittelt Hilfen durch sinnvolle Steuerung und Nutzung der Gruppeninteraktion und des Gruppenprozesses. Dabei geht es um die Entwicklung, Förderung und Stärkung von Fähigkeiten des Individuums und der Gruppe wie auch um die Befriedigung individueller sozialer Bedürfnisse." (Lampe, ebd. S. 25)

In dem Prozess des Wachsens einer Wohngruppe zur therapeutischen Wohngemeinschaft hat der Sozialpädagoge zwar SGA zu leisten, er ist aber gleichzeitig auch Mensch, der sowohl Verständnis für den leidenden, depressiven Kranken hat als auch wütend über Schlamperei und Unordnung im Haushalt sein kann.

Gleichfalls ist der S.P. auch Gemeinwesenarbeiter (GWA). Nach Boer/Uterman ist Gemeinwesenarbeit

"ein Sammelbegriff für verschiedene Aktivitäten, die die soziokulturelle Umgebung des Menschen in einem für günstig erachteten Sinne auf methodische Weise zu beeinflußen suchen durch fachkundig begleitete soziale Prozesse, an denen die Bevölkerung selbst aktiv teilnimmt." (Boer/Uterman, 1970, S. 23)

Für einen sozialen Status seiner Patienten kämpfend, kann er z. B. durch Öffentlichkeitsarbeit das Image des Geisteskranken "aufpolieren". Gemeindenahe Wohngruppen wären für die Reintegration des Schizophrenen förderlich, ebenso Patientenclubs für intensivere Kontakte der "Normalen" mit den "Irren".

Ich möchte noch einmal betonen, daß alle klassischen Arbeitsmethoden für den S.P. nur in ihrer konkreten Anwendbarkeit Relevanz haben+; werden sie zum Selbstzweck für einen "signifikant meßbaren Erfolg" des Pädagogen bzw. des Auftraggebers, kann leicht Frustration und Resignation entstehen, weil Theorie und Praxis, Anspruch und Wirklichkeit, sich allzuoft als disharmonisch erweisen. Der Klient als Mensch wird ferner zu einem objektivierbaren Gegenstand reduziert, der auf ein bestimmtes (zu erwartendes) Funktionieren getrimmt wird.

Da die meisten der Schizophrenen arbeitsunfähig sind und Rente bzw. Sozialhilfe beziehen, sollte der Sozialpädagoge ausreichende Kenntnisse in den Sozialgesetzen haben (BSHG, RVO, im BGB das Scheidungs- und Familienrecht), um sie optimal für den Kranken auszunutzen. Dabei ist er Ansprechpartner für die zuständigen Verwaltungsbehörden.

Innerhalb der th. WG ist der S.P. Initiator für organisatorische Aufgaben, z. B. Haushaltspläne und Arbeitspläne zu erstellen. Dabei besteht in Gruppengesprächen die Möglichkeit, individuelle Bedürfnisse und Fähigkeiten des Einzelnen festzustellen und bei der Planung zu berücksichtigen.

"Das tägliche Leben bei uns in der Wohngemeinschaft wird auf der einen Seite von den Notwendigkeiten bestimmt, für die lebenswichtigen Dinge zu sorgen. So werden bei uns Einkauf, Planung und Zubereitung der Mahlzeiten sowie die damit verbundenen Arbeiten wie Abwasch gemeinschaftlich geplant und durchgeführt." (Heimsath/Putensen, 1978)

"Arbeit ist in der Regel eine Gruppenaktivität, die an zwischenmenschliche Beziehungen gebunden ist. Es ist möglich, von sozio-emotionalem Verhalten im Wohnheim und hier besonders bei aufgabenzentrierten Aktivitäten, Rückschlüsse auf das Arbeitsverhalten zu ziehen. Es besteht die Möglichkeit, bei der Ausübung von Gemeinschaftsdiensten (Küchendienst, Putzdienst, Kochen, Wäschewaschen) das eigene Arbeitsverhalten kennen zu lernen und zu verbessern." (Reha-Wohnheim, Freiburg, Konzeption Sep. 78)

Durch Vermittlung von Gelegenheitsarbeiten verschafft der Sozialpädagoge dem beschränkt arbeitsfähigen Schizophrenen Verdienstmöglichkeiten und Kontakte nach außen.

"Bis jetzt ist es uns gelungen, durch Kontakte zu den Einwohnern ca. 12 Aushilfsarbeitsstellen, die unserer Einrichtung zur Verfügung stehen, zu schaffen. Hier besteht für unsere Klienten die Möglichkeit, vorübergehend eine stundenweise Tätigkeit anzunehmen (Haushaltsarbeit, Arbeit in Gaststätten, Gartenarbeit, Arbeit im Lebensmittelgeschäft)." (ebenda)

Über die soziotherapeutische Arbeit des S.P., dem hospitalisierten Patienten das "Wohnen lernen" in der Wohngruppe zu ermöglichen, habe ich im 3. Kapitel ausführlich geschrieben.

4.3.3 Institutionell-psychotische Mischsyndrome

Unter dieser Überschrift soll geschildert werden, in welchen Formen sich das Scheitern der Teamarbeit darstellen kann. "Gemeint ist nicht ein Ausbleiben des Therapieerfolgs, sondern eine Selbstverformung des Teams im Verlauf des Behandlung Schizophrener." (Held, a. a. O., S. 125) Die häufigste Form eines solchen Mischsyndroms bezeichnet Held als "regressive Spaltung". (ebd.) Die oben beschriebene Beziehungspathologie des psychotisch Erkrankten führt zu Haltungen im Team, die sich abwechselnd und ziellos an sein Erwachsensein und an seine widersprüchlichen kindlich-regressiven Bedürfnisse wenden. (ebd.) Ein Überidentifikationsmechanismus seitens des Teams bewirkt hier, daß der Kranke sich quasi in familiäre Verhältnisse zurückversetzt fühlt, deren Widersprüchlichkeit seine Psychose ausgelöst hatte. Eine solche soziale Struktur habe ich im 1. Kapitel als "Pseudogemeinschaft" bezeichnet.

"So findet sich der psychotische Mensch inmitten eines Teams, dessen jedes Mitglied mit Vehemenz einen Aspekt seiner psychischen Existenz vertritt und stellvertretend lebt. Seine Rivalitäten und Divergenzen erfahren einen oft dramatischen Anstieg ihrer Brisanz. Der psychotische Patient hat nicht so sehr Therapeuten, sondern Fürsprecher – in der genauen Bedeutung des Wortes." (Held, ebd., S. 125)

Indem das Team für den Patienten denkt und handelt, bringt es diesen in eine psychotische Krise und sich selbst an den Rand des Zerfalls.

Ein ähnliches institutionell-psychotisches Mischsyndrom entsteht durch das genaue Gegenteil des vorherigen. Eine affektarme und spannungslose Atmosphäre, die gekennzeichnet ist durch "roboterhaftes Verhalten der Patienten und ein phantasielos-korrektes Diensttun des Teams", erzeugt eine "Pseudokonfliktlosigkeit", (Held, ebd., S. 126). In der Regel nur in der autokratisch-sterilen Atmosphäre einer psychiatrischen Anstalt vorkommend, kann es jedoch auch in der therapeutischen Wohngemeinschaft zur Ausbildung eines solchen Syndroms kommen. Im Rahmen einer Therapiekette (siehe 3. Kapitel), die leistungsorientierte Therapeuten und erfolgsversprechende Patienten verlangt, werden in einem festgelegten Zeitraum Automaten fabriziert, die äußerlich zwar angepaßt, innerlich jedoch affektarm und tot sind.

"War die Fähigkeit des Patienten zur Autonomie durch die Krankheit sowieso vermindert, verschwindet sich nun völlig. Mit den Worten ‚gestufte Rehabilitation’, ‚Kontinuität der Behandlung’ sind dann nicht mehr Angebote an den Patienten, sondern Regeln des institutionellen Funktionierens gemeint. Ein solches Syndrom, das Versiegen psychischer und sozialer Autonomie im Kontakt mit psychiatrischen Institutionen, ist ernsthafter und wiegt ungleich schwerer als die so viel besprochene ‚Drehtürpsychiatrie’." Held, ebd., S. 127f)

4.4 Der Sozialpädagoge als Helfer

4.4.1 Der "institutionalisierte" Helfer

Im Rahmen des institutionalisierten Gesundheitssystems ist der Sozialpädagoge, wie schon erwähnt, gesellschaftlich Beauftragter. Damit zielt "Hilfe" immer auf Homöostase der jeweiligen Gesellschaft. Scherpner schreibt dazu:

"Der objektive Sinn eines Hilfsaktes ist also bestimmt von der gesellschaftlichen Situtation, in der er geschieht. Auch da, wo der Mensch aus rein persönlichen Motiven und Antrieben zu handeln scheint, betätigt er sich zwar nicht ausdrücklich als Beauftragter der gesellschaftlichen Einheit, wohl aber aus der Tatsache seiner Gesellschaftszugehörigkeit heraus, von den Wertanschauungen, den Glaubenshaltungen dieses bestimmten Gesellschaftsbildes aus, dessen Glied er ist." (Scherpner, 1974, S. 124)

Wer hilfebedürftig ist, welche Ziele die Hilfe erhält, das bestimmt nicht der einzelne Helfer allein, sondern das ist bedingt durch die Anschauungen der Gesellschaft, in der Helfer und Hilfeempfänger zusammenleben. Fürsorgerische Hilfe ist dabei immer die "Wiedereingliederung der aus der Gemeinschaft sich lösenden Glieder." (Scherpner, ebd., S. 131)

In der Entwicklungsgeschichte der Psychiatrie habe ich aufgezeigt, wie der Staat die Irrenverwahrung als "Irrenfürsorge" verkauft, um herrschende Interessen als allgemeine Interessen darzustellen. (vgl. dazu auch: Köhler, a. a. O., S. 148ff) Diesen ideologischen Charakter hat die institutionelle "Hilfe" bis heute nicht verloren. Mit dem Schlagwort "Psychohygiene" ist nicht individuelle Linderung für den Geisteskranken gemeint, sondern gesellschaftliche Anpassung an Konkurrenz- und Leistungserwartungen.

"Die Leitfigur des kapitalistischen Unternehmers, die man den Arbeitern und Armen gestern entgegengehalten hatte, tritt zurück hinter dem Wunschbild des "ausgeglichenen", flexiblen und leicht manipulierbaren Arbeitnehmers." (Köhler, ebd., S. 177)

Der "Psychoreformismus" am Beispiel der oben beschriebenen Therapiekette ist neuester Ausdruck kapitalistischer Anpassungsleistungen.

Es sollte sich der psychiatrisch arbeitende Sozialpädagoge keine falschen Vorstellungen von seiner "Hilfe" machen. So gut gemeint und hilfreich sie situativ auch sein mag, sie ist immer Teil eines institutionalisierten Systems, in dem der Helfer bürokratischen, machtorientierten Zwängen ausgesetzt ist, die seine Sozialarbeit weitgehend bestimmen.

"Träger der Sozialarbeit, d. h . verantwortlich in finanzieller und inhaltlicher Hinsicht sind in der Regel Juristische Personen. Sie sind unabhängig vom Schicksal von Einzelpersonen, von Sachen oder von Personen und Sachen zur Erreichung Zwecke." (Chinnow, a. a. O., S. 30)

Die Rolle des Vorstandes dieser Träger ist bedeutend:

"Da der Vorstand die laufenden Geschäfte erledigt, kann er die konkrete Tätigkeit des Sozialarbeiters stark beeinflußen und den Spielraum, den Sozialarbeiter haben, stark bestimmen. Der Vorstand besteht in der Regel aus Nichtfachleuten, bei freien Trägern aus ehrenamtlich arbeitenden Laien (die hauptberuflich oft einflußreiche Positionen innehaben)." (Chinnow, ebd., S. 31)

Fachfremde Personen, die von der konkreten Arbeit mit Geisteskranken keine Ahnung haben u nd sich oft aus Prestigegründen "sozial" zeigen, sitzen an der Spitze institutioneller Organisationen der Fürsorge. Dabei ist ihr Funktionieren meist betriebswirtschaftlich ausgerichtet, der konkret meßbare Erfolg ist entscheidend, er bringt neue Aufträge und Ansehen. Die oft langwierige und problematische Behandlung der Schizophrenen wird zur Nebensache, ihr Schicksal interessiert nur in Verbindung mit Erfolgsquoten. Diese politischen Aspekte der Auftragsgebung und der Hilfe hat der Sozialpädagoge als Helfer mit einzubeziehen, damit er nicht, an der Ungerechtigkeit der Welt verzweifelnd, seine Arbeit niederliegt.

4.4.2 Der "hilflose" Helfer

"Euer einstiger Befehl, gut zu sein und doch zu leben, zerriß mich wie ein Blitz in zwei Hälften. Ich weiß nicht, wie es kam: gut zu sein zu anderen und zu mir konnte ich nicht zugleiche.

Anderen und mir zu helfen, war mit zur schwer. Ach, eure Welt ist schwierig! Zu viel Not, zu viel Verzweiflung!

die Hand, die dem Elend gereicht wird, reißt es einem gleich aus. Wer den Verlorenen hilft, ist selbst verloren! Denn wer könnte lange sich weigern, böse zu sein, wenn da stirbt, wer kein Fleisch ißt? aus was sollte ich nehmen, was alles gebraucht wurde? Nur aus mir! Aber dann kam ich um! Die Last der guten Vorsätze drückte mich in die Erde." (Brecht, 1963, S. 139)

Helfen können und doch selbst zu leben, Hilfen zur Selbsthilfe vermitteln können, aber für den Klienten, nicht für sich selbst (!), ist das Thema dieses Abschnitts. Die unter dem Begriff "Helfersyndrom" subsumierte Problematik der helfenden Berufe ist m. E. eines der wichtigsten Aspekte in der Arbeit des Sozialpädagogen. Dessen sollte sich der Helfer bewußt sein. Um nicht wie Shen Te, der gute Mensch von Sezuan, unter der Bürde des beständigen Helfens zusammenzubrechen, empfiehlt es sich für den S.P., gerade in der Beziehungspathologie mit Schizophrenen, seine Helferproblematik aufzuarbeiten, um Eigenproblematik von konstruktiver Hilfe trennen zu können. "Der Helfer hilft sich selbst", sagt der Volksmund. Wie das Helfersyndrom in der Kindheitsgeschichte angelegt und den ganzen Werdegang entscheidend mitbestimmt, will ich hier darstellen.

In allen sozialen Berufen ist die eigene Persönlichkeit das wichtigste Instrument; die Grenzen ihrer Belastbarkeit und Flexibilität sind sogleich die Grenzen ihres Handelns. Leider kommt gerade dieser Aspekt in der beruflichen Ausbildung zu kurz, in der hauptsächlich kognitive Prozesse, praktische Fertigkeiten und ethische Normen vermittelt werden.

"Die Auseinandersetzung mit den Wünschen und Ängsten, mit der gefühlshaften Seite der Arbeit mit Menschen, wird dem Zufall überlassen." (Schmidtauer, 1977, S. 8)

Es wird ein Idealanspruch an die Persönlichkeit des Helfers gestellt, der, wie sich oft zeigt, für den Betroffenen nicht einzuhalten ist. Der psychische Mechanismus, der sich dabei verselbständigt, ist vergleichbar mit einem Muster familiärer Sozialisation, das bereits als neurotisierend bekannt ist.

"Gemeint ist das Ich-Ideal der Eltern, das mit dem Anspruch der perfekten Erfüllung an ein Kind herangetragen wird. Dadurch entsteht die Gefahr, daß Entwicklungs- und Wachstumsprozesse durch Ausleseprozesse ersetzt werden." (Schmidbauer, ebd., S. 12)

In einer Kette von Sozialisationsbedingungen entwickelt sich im Kind eine Anlage, die sich später im Erwachsenen als "Helfersyndrom" manifestiert und seine berufliche Hilfe bestimmt.

"Das Helfer-Syndrom ist eine Verbindung charakteristischer Persönlichkeitsmerkmale, durch die soziale Hilfen auf Kosten der eigenen Entwicklung zu einer starren Lebensform gemacht wird. Die Grundproblematik dieser Menschen ist die an einem hohen, starren Ich-Ideal orientierte soziale Fassade, deren Funktionieren von einem kritischen bösartigen Über-Ich überwacht wird. Eigene Schwäche und Hilfsbedürftigkeit werden verleugnet; Gegenseitigkeit und Intimität in Beziehungen vermieden." (Schmidbauer, ebd., S. 22f)

Ihr Selbstgefühl schwankt stark zwischen omnipotenter, einsamer Größe und Wertlosigkeit, die einhergeht mit starken Depressionen und Suizidabsichten. (ebd., S. 20)

Die psycho-soziale Entstehung dieses Syndroms stellt sich psychoanalytisch so dar:

Das neugeborene Kind lebt anfangs in einem Zustand der Homöostase und Einheit mit der Mutter, den Balint "primärer Narzißmus" nennt. (Balint, a. a.O.) In dieser Urform ist das Selbstgefühl total, es gibt keine psychisch wahrnehmbare Grenze zwischen dem Selbst und der Außenwelt. Die fortschreitende Entwicklung des Kindes, gepaart mit sozio-kulturellen Anforderungen der Umwelt (Freud nennt das "Realitätsprinzip", in Freud, 1911, a. a. O., S. 22)erfordern ein Ich, welches aus dem harmonischen Primärzustand herausgelöst wird und Individualität bekommt.

"Die Entwicklung des Ichs besteht in einer Entfernung vom primären Narzißmus und erzeugt ein intensives Streben, diesen wiederzugewinnen." (Freud, 1914, S. 66)

Das Kind muß erleben, daß es Unlust und Schmerz gibt. Es entwickelt langsam ein Bild des eigenen Organismus (das Selbst) und der Bezugspersonen (der Objekte), die Unlust auslösende Reize vermitteln.

"Je zuverlässiger die Objekte den Reizschutz des Kindes stützen, desto besser kann diese Abgrenzung gelingen. Je heftiger, häufiger und länger andauernd der Reizschutz des Kindes durchbrochen wird, desto eher wird es dazu neigen, die Beziehung zu den Objekten ganz oder teilweise abzubrechen und in den narzißtischen Primärzustand oder seiner Surrogate zurückzukehren." (Schmidbauer, a. a. O., S. 50)

Die einfachste und urtümlichste Möglichkeit dieser drohenden Erschütterung des Selbstgefühls zu entgehen, ist die Regression. Diesen Mechanismus habe ich schon im 1. Kapitel als psychotisch gekennzeichnet. Der schizophrene Schub war hier Rückkehr in den narzißtischen Primärzustand. Aber so "verrückt" ist der "hilfelose" Helfer, hier Sozialpädagoge, nicht. Bei ihm stößt die narzißtische Kränkung auf ein schon stabileres Selbst. "Es werden vor allem zwei Abwehrmechanismen verwendet: die Verleugnung bzw. Verdrängung auf der einen Seite, die Idealisierung auf der anderen." (Freud, 1914, a. a. O., S. 61) Wahrscheinlich ist diese Idealisierung der omnipotenten Eltern der erste Schritt zu kindlichen (und später beruflichen!) Allmachts- und Größenphantasien. (vgl. Schmidbauer, a. a. O., S. 51)

Die Ablösung von symbiotischen Zustand des Primärnarzißmus geht einher mit unterschiedlicher Ablehnung des Kindes seitens der Eltern. Dabei ist das Verhalten der Erwachsenen ambivalent anzunehmen, es bewegt sich zwischen situativer (oft totalter) Unerwünschtheit und Akzeptierung. (vgl. ebd.) Bei doch mehr positiveren Objektbeziehungen können Enttäuschungen leichter neutralisiert werden und auf dem Wege der Internalisierung ausgeglichen werden. (vgl. ebd., S. 54)

Solchen "gesunden", an verinnerlichte idealisierte Werte gebundenen Narzißmus kann nun das abgelehnte Kind nicht entwickeln. Wo es nicht genügend Sicherheit in der Zuwendung der Eltern erhielt, wo es seine Unerwünschtheit fühlte, und somit keine positiven emotionalen Äußerungen erlernen konnte,

"wo das Ich nur durch Identifizierung mit dem Über-Ich Stärke gewinnt, geht die Einfühlungsfähigkeit verloren und wird durch starre Vorstellungen ersetzt." (Schmidbauer, ebd., S. 55)

Das Ober-Ich hat für das Helfer-Syndrom große Bedeutung.

"Das zwanghafte, durch Identifizierung mit dem Über-Ich und Ich-Ideal-System erreichte Helfen geht mit einem schwerwiegenden Verlust an Einfühlungsfähigkeit einher und behindert dadurch in vielen Situationen die eigenen Ziele." (ebd.)

Was sich der narzißtisch ausbalancierte lebende Mensch durch die Verinnerlichung positiver Ideale selbst geben kann, muß der narzißtisch Gestörte versuchen, außen zu finden. Er hilft!

Als berufsmäßig legitimierter Helfer entwickelt er eine bis zur Selbstschädigung gesteigerte Tätigkeit, hinter der ein unersättliches Bedürfnis nach Anerkennung steht.

"Zugleich ist die Abhängigkeit von äußerer Bestätigung sehr groß. Jede kleine Kritik wird als tief kränkend empfunden. Die rastlose Tätigkeit weist auf den Einfluß des Größen-Selbst hin. Nichts scheint unmöglich! Zugleich bläht diese Phantasie aber nicht nur die eigene Mächtigkeit, sondern auch das eigene Versagen zu grandiosen Dimensionen auf." (Schmidbauer, ebd., S. 56)

Der "hilflose" Helfer schwankt also stetig zwischen Größenwahn und Kleinmut. Er ist überkritisch. Selten nur sagt er zu sich: "Das habe ich gut gemacht." meist fragt er: "Was war zu wenig, was habe ich übersehen, was habe ich falsch gemacht?" Beim neurotischen Helfer trennt Schmidbauer noch zwischen "narzißtisch-schizoiden" und "narzißtisch-depressiven" Haltungen. Ist beim ersteren vor allem die Nähe in Beziehungen, welche er meidet, das Problem, vermeidet der zweite Typus Abhängigkeiten dadurch, daß er Beziehungen aufgebaut, in denen die Abhängigkeit beim Partner stets größer ist als bei ihm selbst.

"Die Helfer-Situation ist meist so beschaffe. Die größere Abhängigkeit und Trennungsangst des Partners wirkt wie ein Sicherheitsventil. Der "Schwächere" beginnt, unter der Trennungsangst zu leiden und sich anzuklammern, während der "Stärkere" noch Raum hat, sich stark und unabhängig zu fühlen. Auf diese Weise kann der "Stärkere" seine Schwächen und Abhängigkeit verleugnen." (Schmidbauer, ebd., S. 59)

Zusammengefaßt sind die wichtigsten Konfliktbereiche der Helferpersönlichkeit:

  1. Ablehnung der Eltern
  2. Identifikation mit dem anspruchsvollen Über-Ich der Eltern
  3. verborgene narzißtische Bedürftigkeit, ja Unersättlichkeit
  4. Vermeidung von Beziehungen zu Nicht-Hilfsbedürftigen
  5. indirekte Äußerung von Aggressionen wegen Nicht-Hilfesbedürftige. (vgl. Schmidbauer, ebd., S. 90)

Sind diese fünf Merkmale beim professionell Helfenden vorhanden, leidet er unter einem Helfer-Syndrom.

Nurr/Trabandt haben einen Zusammenhang zwischen Herkunftsmilieu des Sozialpädagogen und seiner normativen Haltung vermutet. An Hand empirischer Untersuchungen an der FHS-Kiel fanden sie heraus, daß die kleinbürgerliche Herkunft tendenziell mit einer späteren Normenrigidität des S.P. einhergeht. (Wurr/Trabandt, a. a. O., S. 85f)

Hinsichtlich des Vorkommens eines Helfer-Syndroms will ich eine ähnliche These aufstellen. Rigide Elterneinstellungen in kleinbürgerlichen Verhältnissen, gepaart mit liebesorientierten Erziehungspraktiken, erzeugen eine Persönlichkeit, die dem "hilflosen" Helfer entspricht. Für jeden derart sozialisierten Sozialpädagogen besteht tendenziell die Gefahr eines Helfer-Syndroms!

"Typisch für liebesorientierte Erziehungsmethoden ist, daß die elterlichen Affektionen primär als Kontrollmittel eingesetzt werden. Das Geben und Nehmen der positiven Zusendung wird als Belohnung, bzw. als Bestrafung der kindlichen Absichten eingesetzt. Diese Technik impliziert ein erhebliches Ausmaß an Zwang." (Gottschalch, a. a. O., S. 101)

Wenn Ablehnung Liebesentzug zur Folge hat, wird das Kind nicht alles daransetzen, sich dem anspruchsvollen Über-Ich der Eltern anzupassen bzw. es zu verinnerlichen, um akzeptiert zu werden? Sich seiner Liebe nicht sicher, braucht es permanente Bestätigung von außen, um seine untersättliche narzißtische Bedürftigkeit auch nur annähernd zu stillen. Als Erwachsener hilft er anderen, um seine eigenen Schwächen zu verbergen und als "guter Mensch von Sowieso" seine Identität zu definieren. Selbständige sind ihm ein Greuel, so wie er früher in ohnmächtiger Abhängigkeit gelebt hat, muß er heute andere darin festhalten, um Wert zu sein. Schließlich macht er "Helfen" zu seinem Beruf. So als professioneller "Helfer" legitimiert, kann er seine "Machen" pflegen. Dabei zeigt sich, daß der Sozialpädagoge einen "Helfer-Ehrgeiz" entwickelt, der dem Klienten jede Möglichkeit der Eigeninitiative (das hieße Hilfe zur Selbsthilfe) verschließt. (vgl. Schmidbauer, a. a. O., S. 97f)

Gerade im Umgang mit Schizophrenen kann der Sozialpädagoge sein Helfer-Syndrom kultivieren. Die Möglichkeit, den antriebsarmen, so apathischen Patienten in Abhängigkeit zu versetzen, ihn regelrecht zu "bemuttern", ist hier besonders groß. Übertriebene Hilfeleistungen und Bevormundung des Kranken bauen ein Stark-Schwach-Verhältnis auf, in dessen Umfeld sich der "Helfer" wohlfühlt.

Andererseit ist der S.P. mit unreflektiertem Helfer-Syndrom besonders anfällig für das Bestreben der Schizophrenen, andere "verrückt" zu machen. Indem der darauf sensibilisierte Patient Schwächen des Pädagogen wahrnimmt und ausspricht, versucht er, ihn in emotionale Konflikte zu stürzen. Gelingt es, fühlt sich der so Angegriffene in seiner Existenz bedroht:

"Die narzißtische Störung drückt sich darin aus, daß jeder kleine Fehler (oder jede Kritik! d. Verf.) einen aus früherer Zeit stammenden Speicher schlechter Gefühle anzapft, der dann die ganze Person überschwemmt und das Selbst vollständig in Frage stellt." (Schmidbauer, ebd., S. 20)

Die nötige Distanz für die Arbeit ist hin, die Abwehrmechanismen reichen von maßlos vernichtender Aggression bis hin zum Kleinmut, der sich oft seine Wege in Depressionen oder suizidalen Absichten bahnt. (vgl. ebd., S. 18f)

Was tun? Gerade in der therapeutischen Wohngemeinschaft habe ich auf die Funktionalität eines kooperativen Teams hingewiesen. Supervision und Gruppengesprächstherapie sollten dem Sozialpädagogen helfen, seine neurotischen Reaktionen aufzudecken. Dabei muß er lernen, seine stereotypen Verhaltensweisen zu erkennen und zu differenzieren. Er hat für sich klären: "Was verstehe ich unter Hilfe? Wie fühle ich mich, kurz bevor ich helfe? Was in mir stiftet mich zum Helfen an? Wie fühle ich mich, wenn mir geholfen wird? Unter welchen Bedingungen mag ich Hilfe gern, unter welchen nicht? Tut mir Hilfe immer gut?" (vgl. Dörner/Plag, a. a. O., S. 23) aus Über-Ich soll Ich werden. Nur so wird Helfen nicht abgewertet oder verächtlich gemacht, sondern als das befreit, was es sein kann: Eine kreative, befriedigende, an Anregungen und Wachstumsmöglichkeiten reiche Tätigkeit, in der "hilflose" Helfer zum gezielten Helfer zur Selbsthilfe wird.

4.5 Der Sozialarbeiter als Kontrolleur

4.5.1 Agend der sozialen Kontrolle

"Dem Sozialarbeiter fällt in der gegenwärtigen Gesellschaft die Rolle zu, Agent und Repäsentant des herrschenden Staates zu sein. Seine Aufgabe ist es, bei seinen Klienten sowohl für die materielle wie für die ideologische Reproduktion des bestehenden Systems zu sorgen." (Hollstein/Meinheld, a. a. O., S. 39)+ Dabei erweist sich Sozialarbeit als "Agentur der sozialen Kontrolle", als Instanz, die der herrschenden Klasse als "zuverlässiges Mittel zur Erhaltung des gesellschaftlichen Status Quo" zur Verfügung steht. (vgl. ebd., S. 190, 194)

Der professionell normale Sozialpädagoge kann sich seiner Kontrollfunktion nicht entziehen. Wenn er dem Schizophrenen bei seiner gesellschaftlichen Eingliederung behilflich ist, leistet er Fürsorge für die materielle Reproduktion des Systems, indem er dessen Arbeitskraft dem Kapital verfügbar macht. Dabei ist Sozialarbeit das "institutionalisierte schlechte Gewissen" der Gesellschaft, unter deren humanitären Deckmäntelchen die Herrschenden ihre Herrschaft stabilisieren. (vgl. ebd., S. 204) Als Vertreter der herrschenden Gesundheit reproduziert er das System ideologisch; in seinem Umgang mit Geisteskranken hat er das Verhalten, was von der geistig-seelischen Gesundheit abweicht, aufzudecken und "normales" Verhalten einzuüben. Sein gesellschaftlicher Auftrag ist, die Beachtung der Normen zu kontrollieren und bei Nichtbeachtung zu bestrafen. (vgl. Hollstein/Meinhold, ebd., S. 40)

Die Möglichkeit nicht-systemstabilisierender Sozialarbeit mit psychotisch Erkrankten habe ich schon im 3. Kapitel angerissen. Der Weg des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK), im Klientel revolutionäres Potential für die Umwälzung des Systems zu suchen, führte in die Sackgasse, Fortschrittliche Sozialarbeit, wenn sie überleben will, kann sich im psychiatrischen Bereich nur in der Spannbreite systemsprengender Reintegration der psychisch Leidenden bewegen. Infiltration der Psychiatrie von innen und Publikationen über die horrenden, unmenschlichen Verhältnisse dort, wäre in diesem Sinne systemsprengend.

Aufbau von Selbstorganisationen der psychisch Kranken (Patientenclubs), die sich nicht nur damit begnügen, mit sich selbst klar zu kommen, sonern auch ihren Unwillen an die Öffentlichkeit tragen, würde die normativen Fesseln der Gesellschaft lockern und auf Veränderung drängen. Der "Verrückte" (jeder geistig Behinderte!) hat ein Recht darauf, gesellschaftlich zu leben und akzeptiert zu werden. Seine Etikettierung durch psychiatrische Stigmata muß abgebaut werden, die Bevölkerung muß sich wieder an Abnormitäten gewöhnen. Für den Schizophrenen müssen Verhältnisse geschaffen werden, die ihn nicht ausgrenzen, sondern in seiner Totalität miteinbeziehen. Schließlich muß die Gesellschaft lernen, Verantwortung für ihre Mitglieder zu übernehmen, die im Zuge immer stärkerer Technisierung die Beziehung zu ihrem Sein verloren haben und nicht mehr adäquat funktionieren konnten. Der politische Status des Geisteskranken ist demnach ein wichtiges Ziel jeder fortschrittlichen Sozialarbeit.

4.5.2 Macht und Kontrolle in der therapeutischen Wohngemeinschaft

Welche Spielräume hat unser Sozialpädagoge als gesellschaftliche Instanz der Kontrolle im konkreten Umgang mit den Schizophrenen in der th. WG? Wo erfüllt er seinen Auftrag, wo kann er "lockerlassen"! Wann ist direkte Kontrolle nötig (z. B. zum Erlernen lebenswichtiger Umgangsformen), wann ist sie nondirektiv Ausdruck gesellschaftlicher Zwänge?

Es erscheint mir wichtig, daß in der konkreten Arbeit die Angebote, die zu einer Aktivierung der Kranken beitragen sollen, der individuellen Persönlichkeit entsprechen. Jedes fremdbestimmte Tun, das dann als Soll und Muß erlebt wird, kann als solches nicht die Fähigkeit der Selbstbestimmung erweitern.

"Grundsätzlich geht es darum, die Interessen des Einzelnen, seine aus der Sicht verlorenen Fähigkeiten aufzuspüren, sie zu wecken und schrittweise ihre Entfaltung zu ermöglichen." (Thiemann, in DPWV-Nachrichten, Nr. 12/77)

Dabei kann es passieren, daß aufgrund der inneren Diskrepanz zwischen Wollen und Nichtkönnen innere Ängste und Widerstände aktiv werden, und sich zu einer Krise verdichten.

"Das Gefühl von Versagen, das Erleben von Angst und schlechtem Gewissen läßt alle Hilflosigkeit alle gewohnten Verhaltensmuster aufflackern und macht es wegen der Dramatik des Geschehens nötig, den betreffenden Kranken für kurze Zeit auf geschlossene Abteilungen in psychiatrische Krankenhäuser zu verlgen." (ebd.)

Sind hier nicht schon die Grenzen direkten Zwangs und Kontrolle gesetzt? Ist es hier nicht besser, loszulassen, dem Kranken zeitlich die Möglichkeit zu lassen, sich mit gesellschaftlichen Anforderungen zu arrangieren? Dies erfordert natürlich zeitlich unbegrenzte, flexible Wohngruppen, die solche Schonräume zulassen.

Ziel der sozialpädagogischen Arbeit in Wohngruppen sollte sein, die Eigenverantwortlichkeit der in ihr Wohnenden zu fördern. Alle Arbeiten, die für die Aufrechterhaltung und Weiterführung der Wohngemeinschaft notwendig sind, angefangen vom Einkauf, Kochen, Instandsetzung und Ausbau der Wohnung bis hin zu Freizeitaktivitäten, Ferienreisen und Arbeitsbeschaffung sollten von den Bewohnern und den Mitarbeitern gemeinsam erledigt werden. In Gruppensitzungen geht es darum, Regeln zu entwickeln, die, für jeden transparent und einleuchtend, allgemeine Kontrollfunktion haben. Nicht mehr der S.P. ist alleinige Kontrollinstanz, sondern jeder kontrolliert durch seine Mitverantwortlichkeit jeden. Ein solcher Rahmen ist für den Kranken überschaubar, hier erlebt sich der Schizophrene als eigenständiger Mensch, der Rechte, aber auch Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft hat. Natürlich sind dabei durch die Schwere der Krankheit und Hospitalisierungsschäden der Patienten Grenzen gesetzt. Aber sind nicht gerade diese Grenzen eine Herausforderung für den Erkrankten, deren Überwindung für ihn ein Stück Freiheit bedeutet?

Auch sollte die Komplementarität der Beziehungen zwischen Patienten und Team jedem klar sein. Wir Mitarbeiter sind nun mal gesellschaftlich beauftragt, der Kranke soll reintegriert werden.+

Symmetrische Beziehungsstrukturen könnten höchstens angestrebt werden im Zusammenhang mit materieller Autonomie. Eine derartige Wohngemeinschaft, die zugleich eine Produktionsgemeinschaft ist, schafft erst die soziale Struktur, in der es objektiv keine Machtverhältnisse mehr gibt.

4.6 Möglichkeiten einer Identität für den Sozialpädagogen im psychiatrischen Feld

"Für mich gibt es nur das Gehen auf Wegen, die Herz haben, auf jedem Wege gehe ich, der vielleicht ein Weg ist, der Herz hat.

Dort gehe ich, und die einzige lohnende Herausforderung ist, seine ganze Länge zu gehen.

Und dort gehe ich und sehe und sehe atemlos."

Don Juan

(in: Castaneda, 1972)

Zum Abschluß dieser Arbeit will ich nun, quasi als Remümee, die wichtigsten Wesenzüge eines Sozialpädagogen in der therapeutischen Wohngemeinschaft mit Schizophrenen zusammenfassen. Die Kenntnis über einen "idealen" Sozialpädagogen in diesem Feld soll weniger ein Ideal-Anspruch sein als mehr Hilfen geben, einem vorzeitigem Scheitern in dieser reibungsreichen, spannungsgeladenen Arbeit vorzubeugen. Analog zu den eingangs formulierten Marxschen Thesen über Feuerbach versuche ich hier Aspekte sozialpädagogischen Handelns zu bestimmen.

1. Der Hauptmangel aller bisherigen Begriffsbestimmungen über Sozialpädagogik ist, daß ihr Gegenstand nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefaßt wird, nicht bar als sinnlich-menschliche Tätigkeit, subjektiv.

Diese These impliziert zweierlei: Erstens darf der S.P. den Schizophrenen nicht als Objekt betrachten, bei dem es gilt, durch instrumentelle Techniken Änderungen seiner Verhaltensdispositionen zu bewirken. Vielmehr muß er sich auf die regelrechte Beziehungspathologien einlassen, die seine Subjektivität genauso berühren, wie die der Verrückten. Nicht als Technokrat, sondern gleichfalls als Mensch tritt der Sozialpädagoge dem psychisch Kranken gegenüber. Seine Arbeit bestimmt sich aus der konkreten Situation.

"Situativ arbeiten bedeutet, nach "Schlüsselsituationen", typischen Lebenssituationen des Betroffenen suchen und sie zum Ausgangspunkt neuer Erfahrungen und Lernprozesse zu machen. Dabei fällt dem Sozialarbeiter die Aufgabe eines "Katalysators" zu." (Autorenkollektiv, in: Sozialarbeit, Heft 3, März 1980)

Zweitens sollt der S.P. als subjektiv Tätiger, seine eigenen "verrückten" Anteile unter Kontrolle haben. Weder ihm noch dem Kranken nützt es etwas, wenn die therapeutische Beziehung in einen Machtkampf "stark - schwach" eskaliert. Das "Helfer-Syndrom" ist gerade beim Sozialpädagogen wegen seiner besonderen Sozialisation allgegenwärtig.

2. In der professionellen Behandlung "Schizophrener" müssen sowohl die Umstände der Behandlung als auch der Behandelnde selbst verändert werden.

Die psychiatrische Behandlung in der Anstalt heilt nicht, sondern interniert, entmenschlicht und verstümmelt den Kranken.+ Demokratischere

Strukturen, z. B. die therapeutische Wohngemeinschaft, bieten alternative Ansätze zur besseren Verständigung mit dem Geisteskranken. Dabei sollte der dort arbeitende Sozialpädagoge Hospitalisierungserscheinungen von Krankheitssymptomen, Unterleben von echter sozialer Anteilnahme unterscheiden können. Kommunikationstheoretisch ausgerüstet, weiß er über soziale Herkunft und Auswirkungen der schizophrenen Störung Bescheid und verbindet diese Kenntnisse mit seinen Erfahrungen beim Aufbau von der Gruppe zur Gemeinschaft. Wünschenswert wären hier eigene Wohngemeinschaftserfahrungen des Sozialpädagogen, um so gruppeninterne Interdependenzen besser verstehen zu können.

In der mulitprofessionellen Kooperation besteht die Möglichkeit, sich als Erziehen gegenseitig zu erziehen und Eigenproblematiken aufzuarbeiten. Der im Team arbeitende S.P. sollte sich seiner speziellen Aufgabenbereiche bewußt sein, aber auch reale Machtverhältnisse nicht außer acht lassen. Veränderte Rollenverständnisse gehen hier nicht einher mit gleicher Macht. Die Beziehungen zum Patienten sollten keinen symmetrischen Schein erwecken, der zur Pseudogemeinschaftlichkeit führen könnte.

3. Das menschliche Wesen, Sozialpädagoge wie "Schizophrener", ist in seiner Wirklichkeit das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.

Beide stehen miteinander in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang.

Für den Sozialpädagogen gilt: Als Professionell Normaler vertritt der S.P. die herrschende Gesundheit, die sich in einer kapitalistischen Ethik manifestiert. Er ist institutioneller Helfer, seine Sozialarbeit wird weitgehend von staatlichen (oder dessen Interessen vertretenden) Trägern bestimmt. In dessen Auftrag ist er soziale Kontrollinstanz, er dient zur materiellen wie ideologischen Reproduktion des Systems. Seine pädagogische Aufgabe besteht darin, den Kranken zu reintegrieren.

Der Schizophrene:

Er verstößt gegen die herrschende Normalität. Seine geistige Abweichung ist meist Ausdruck mangelnder Anpassungsfähigkeit an die sich verändernden psycho-sozialen Anforderungen der kapitalistischen Realität. Für das Kapital nicht mehr verwertbar, findet die "Ausgrenzung seiner Unvernunft" in der institutionellen Psychiatrie statt. Mit der Diagnose "Schizophrenie" erhält er ein Stigma, welches ihn für sein weiteres Leben etikettiert, als "gemeingefährlicher Irrer" erzeugt er bei der Bevölkerung unter seiner Annormalität, seingestörtes Verhältnis zur Umwelt drückt sich in einer Beziehungslosigkeit aus, die ihn zu einem einsamen, affektarmen und autistischen Menschen macht.

4. Alles gesellschaftliche Leben ist im wesentlichen praktisch. Jede Theorie über die Praxis, die zum Mystifizismus neigt, findet ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und in dem Begreifen dieser Praxis.

Für das gesellschaftliche Leben des Sozialpädagogen hat dieser Aspekt eine besondere Bedeutung. Kaum ein anderer Beruf ist so stark durch Ideologien geprägt wie dieser. Humanitäre Wohlfahrtspflege, menschliche Fürsorge, klingt es in den Ohren der Helfer:

"Der Helfer ist in seiner ganzen menschlichen Haltung und in den Motivationen seiner Handlungen bestimmt durch die spontane Hilfsbereitschaft den Schwachen und Hilflosen gegenüber. Aus der tiefen Sympathie zu allem Menschlichen erwächst ihm die Fähigkeit und die Freude (!), sich auch in Seelenhaltungen und Verhaltensweisen einzufühlen, die ihm an sich fremd sind." (Scherpner, a. a. O., S. 144)

Der gesellschaftlich beauftragte Sozialpädagoge muß erkennen, daß er u. a. auch "Spitzel" des Systems ist.! Als politisch Denkender muß er grundlegende gesellschaftliche Widersprüche in sein Handeln einbeziehen. So weit wie möglich muß er seine Praxis derart organisieren, daß Ideologien entschleiert werden. Im Kampf um einen menschlichen Status seiner Klienten muß er deren gesellschafts-politisches Bewußtsein fördern und Selbstorganisationen initiieren, sich als Sozialarbeiter aber auch selbst gewerkschaftlich zusammenschließen. (ÖTV, GEW) Seine Krankheitseinstellung über die Schizophrenie ist psycho-sozial orientiert (abgesehen von nachweisbaren organischen Schädigungen; selbst hier soll gesellschaftliche Akzeptierung Leitziel sein!), er hat dies gegenüber dem medizinisch fixierten Psychiater und der öffentlichen Meinung zu vertreten. Aus einem falschen, entfremdeten Bewußtsein muß ein kritisches Bewußtsein über die Entfremdung werden! Erst dann hat der Sozialpädagoge die Möglichkeit, sich als subjektives, sinnlich-menschliches Wesen (Marx) zu verstehen und in seiner Praxis die Welt nicht nur zu verstehen, sondern sie auch zu verändern.

"Sozialarbeit ist so alt wie die Klassengesellschaft und wir solange existieren, wie die Klassen bestehen. Die Aufgabe aller fortschrittlichen Sozialarbeiter ist, sich selbst überflüssig zu machen, sich aufzuheben. Dies bedeutet, daß Sozialarbeit in dem Maß fortschrittlich ist, wie sie den Kampf gegen das System, daß soziales Elend produziert, den Kapitalismus, unterstützt." (Khella, Theorie und Praxis Verlag, S. 158)

5. Ist Sozialpädagogik ein "Weg mit Herz"?

Dies ist mehr eine individuelle Frage; die Entscheidung darüber hängt von persönlichen Einstellungen, Sozialisationsbedingungen und konkreten Erfahrungen des Einzelnen ab. Der Suchende sollte dabei seine neurotischen Motive des Helfen Wollens (die sich im "Helfer-Syndrom" niederschlagen) genauso berücksichtigen, wie seine klassenkämpferischen Absichten eines revolutionären Umsturzes der Gesellschaft (die den Klienten quasi Klassenbewußtsein einsuggerien, dabei jedoch an den Bedürfnissen und Möglichkeiten dieser Randständigen vorbeigehen). Irgendwo in dieser Spannbreite muß sich der Studierende und später Praktizierende offen und ehrlich, voller Fragen, aber doch konsequent ansiedeln.

Das Schicksal des Menschen ist es, zu lernen, im Guten wie im Schlechten. In diesem Sinne sollte der Sozialpädagoge Probleme seiner Arbeit angehen.

"Zum Wissen, wie in den Krieg, geht man mit Furcht, mit Achtung, wissend, daß man in den Krieg zieht, und mit absolutem Selbstvertrauen. Setz dein Vertrauen in dich selbst, nicht in andere." (Castaneda, 1973, S. 77)

Es gibt keine Siege und auch keine Niederlagen, es gibt nur Entscheidungen, die wir angesichts unseres kurzen Lebens und baldigen Todes zu treffen haben.

"Jedes Ding ist eins von Millionen Wegen. Darum mußt du immer daran denken, daß ein Weg nur ein Weg ist. Wenn du fühlst, daß du ihn nicht gehen willst, muß du ihm unter gar keinen Umständen folgen. Um so viel Klarheit zu haben, mußt du ein diszipliniertes Leben führen. Nur dann wirst du wissen, daß ein Weg nur ein Weg ist, und dann ist es für dich und für andere keine Schande, ihm nicht zu folgen, wenn es dein Herz dir sagt. Aber deine Entscheidung, auf dem Weg zu bleiben oder ihn zu verlassen, muß frei von Furcht und Ehrgeiz sein. ... Ist es ein Weg mit Herz? Wenn er es ist, ist der Weg gut, wenn er es nicht ist, ist er nutzlos. Beide Wege führen nirgendwohin, aber einer ist der des Herzens und der andere ist es nicht. Auf einem ist die Reise voller Freude, und solange du ihm folgst, bist du ein mit ihm. Der andere wird dich dein Leben verfluchen lassen. (Castaneda, 1972, S. 88)

Schluß

"Tu will kämpfen und lernt sitzen

Tu kam zu Me-ti und sagte: Ich will am Kampf der Klassen teilnehmen. Lehre m ich. Me-ti sagte: Setz dich. Tu setzte sich und fragte: Wie soll ich kämpfen? Me-ti lachte und sagte: Sitzt du gut? Ich weiß nicht, sagte Tu erstaunt, wie soll ich anders sitzen? Me-ti erklärte es ihm. Aber, sagte Tu ungeduldig, ich bin nicht gekommen, sitzen zu lernen. Ich weiß, du willst kämpfen lernen, sagte Me-ti geduldig, aber dazu mußt du gut sitzen, da wir jetzt eben sitzen und sitzend lernen wollen. Tu sagte: Wenn man immer danach strebt, die bequemste Lage einzunehmen und aus dem Bestehenden das Beste herauszuholen, kurz, wenn man nach Genuß strebt, wie soll man da kämpfen? Me-ti sagte: Wenn man nicht nach Genuß strebt, nicht das Beste aus dem Bestehenden herausholen will und nicht die beste Lage einnehmen will, warum sollte man da kämpfen?"

Bertold Brecht+

"Der Bedingungen eines einsamen Vogels sind fünf: Die erste, daß er zum höchsten Punkt fliegt,
die zweite, daß er sich nicht nach Gesellen sehnt, nicht einmal seiner eigenen Art;
die dritte, daß sein Schnael gen Himmel zielt;
die vierte, daß er keine bestimmte Farbe hat;
die fünfte, daß er sehr leise sing.
San Juan de la Cruz, Dichos du Lzuy’ Amos"
(in: Castaneda, 1974)

Als ich diese Arbeit schrieb, hatte ich vorher Erwartungen hinsichtlich Organisation und Inhalt aufgestellt; die Konzeption ging auf. Die Arbeit entspricht meinen Bedürfnissen und Ansprüchen an dies Thema. Da ich keine Maschine bin, die reibungslos funktioniert, kam es auch öfters zu krisenhaften Entwicklungen, die mich vom Schreibtisch fernhielten. Ich will hier nicht mein Herz ausschütten, um es von den Händen meiner Feinde zerfleischen zu lassen! Aber eins sei gesagt: Weniger die Macht der Wissenschaft als vielmehr meine situative Ohnmacht, mit der Einsamkeit während des Examens zu leben, beeinträchtigte ein kontinuierliches Arbeiten. Gegen diesen Feind zu kämpfen ist aussichtslos, aber wie kann man ihn für sein Leben gebrauchen, quasi umfunktionieren? Ein kluger indischer Guru hat einmal gesagt:

"Du bist allein. Das ist nicht zufällig so, sondern unvermeidlich, schicksalhaft. Der Mensch ist allein. Du mußt dein Alleinsein akzeptieren. Allein sein an sich ruft keine Traurigkeit hervor, sondern die Vorstellung, daß du nicht allein sein solltest, schafft Traurigkeit. Alleinsein ist absolut schön, denn es bedeutet, frei zu sein. Wie kann Freiheit Traurigkeit hervorrufen?" (Bhagwan Shree Rajneesh, in: Satyanada, 1979, S. 142)

In diesen Verhältnissen, die durch dualistische Strukturen und Atomisierung des Individuums geprägt sind, ist Vereinzelung und Vereinsamung die Regel.

"Das entscheidende Merkmal der Entfremdung besteht darin, daß die Menschen nicht mehr Herr sind über die gesellschaftlichen Verhältnisse, die sie selbst geschaffen haben, ihre eigenen gesellschaftlichen Verhältnisse treten ihnen als fremde Mächte mit scheinbar eigener Sachgesetzlichkeit gegenüber." (Duhm, 1972, S. 43)

Einsam sein bedeutet, daß du "den anderen" vermißt, verdinglichte Lebensbedingungen verhindern, soziale Beziehungen als beständig befriedigend zu erleben. Seine innere Leere macht ihn zu einem bedürftigen Menschen, der nicht weiß, was er sucht und nicht bekommt, was er bracht. "Schizophrene" sind extrem einsame Menschen; ihre Beziehungsstrukturen sind geprägt von distanzloser Nähe bis unerreichbarer Ferne, deshalb können sie sich den anderen auch nicht wirklich zuwenden.

"Aus Liebe wird Politik, Beherrschung, Ausbeutung. Deshalb können einsame Menschen nicht lieben. Einsame Menschen haben nichts zu geben. Einsame Menschen beuten sich gegensieitg aus." (Satyananda, a. a. O., S. 143)

Aber ist diese Beziehungslosigkeit, die aus Liebe Politik macht, nicht kennzeichnend auch für jede "normale" Beziehung? Hier verwischen sich die Grenzen verrückt und gesund, was bleibt ist ein kranker Mensch in einer kranken Gesellschaft.

Auch Klassenkampf lindert situatives Leid nicht; um nicht elendig unterzugehen, muß sich der Einzelne mit den Verhältnissen arrangieren, d. h. mit dem Alleinsein (gut) leben können. In diesem Sinne ist sozialpädagogisches Handeln auch Erziehung zur Freiheit im Alleinsein, zur Autonomie und Emanzipation. Dabei muß der Erzieher ebenso erzogen werden wie sein Klientel.

Es ist klar, daß diese Arbeit auch eine entfremdete ist. Ihr Wertsein bestimmt sich nicht in seinem Nutzen für die Praxis, sondern durch eine Zensur. Dennoch hoffe ich, auf verständliche Weise dem interessierten Laien sowie dem berufstätigen Sozialpädagogen die wichtigsten Problemstellungen im psychiatrischen Arbeitsbereich aufgezeigt zu haben. Die Examensarbeit soll als "wissenschaftliche" Arbeit im Dienste der sie Lesenden stehen, in dem Sinne, daß sie "Wissen schaft" über konkrete Verhältnisse und nicht über abstrakte Gegen- und Zustände.+

Electere si nequeo superos, Acheronta movebo++

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Hiermit versichere ich, daß ich die vorliegende Arbeit selbständig angefertigt habe und außer den vollständig aufgeführten Hilfsmitteln keine weiteren benutzt habe.

Kiel, den 12.3.1980

Hiermit stelle ich 1 Exemplar dieser Arbeit der Bibliothek der Fachhochschule Kiel, Fachbereich Sozialwesen, zur Ausleihe zur Verfügung.

Kiel, den 12.3.1980