Nei Jing Tu – die Karte des inneren Gewebes

 

Einführung:

Die Leitbahnen und ihre Nebengefäße sind das anatomisch -energetische Gerüst für verschiedene Richtungen der chinesischen Medizin, insbesondere Qigong, Akupunktur und Tuina. Durch vielfältige Einwirkung auf die Leitbahnen und der darauf liegenden Punkte können Krankheiten behandelt und geheilt werden. Die Bedeutung der Leitbahnen und ihrer Punkte kann jedoch nur dann in ihrer Tiefe erfasst werden, wenn man das Menschenbild in der alten chinesischen Kultur betrachtet und es auf die chinesische Medizin überträgt.

Der Mensch steht zwischen Himmel und Erde, die Einheit und Harmonisierung dieser drei Mächte ist das immerwährende Ziel der Lebenspflege und Gesundheit in der chinesischen Medizin. Ihre Verflechtungen sind bis ins Detail beschrieben. So wie am Himmel Sonne, Mond und Sterne das Licht und das Yang darstellen, gibt es auf der Erde Berge, Täler, Flüsse und Meere, die als Resonanzkörper und Yin-Substanzen fungieren. Schließlich finden wir im Menschen die Erscheinungen von Himmel und Erde ebenfalls wieder. Wie in einer mikrokosmischen Landschaft präsentieren sich alle Phänomene der Natur im Menschen wieder.

In der praktischen Konsequenz ist das Ziel unserer therapeutischen Arbeit am Patienten die Zusammenführung dieser drei Welten Himmel, Erde und Mensch. Indem wir ihrem Bindeglied , die vitale und gerichtete Kraft, zu einem freien Fließen verhelfen, kann eine Verschmelzung stattfinden und wirkliche Gesundheit eintreten.

Qi fließt nur dann harmonisch zwischen den Welten, wenn unser Körper, unser Geist und unsere Seele offene Kanäle haben. Wir kennen das Leid und den Schmerz einer Blockierung auf vielen Ebenen: körperlich als Schmerz, Verspannung, Taubheit oder strukturelle Missbildungen; geistig als blockierte, fixe Ideen, die uns in Sackgassen elitärer Denksysteme führen; emotional erleben wir den kranken Menschen in seinen Gefühlen festgefahren oder verkümmert; seelisch blockiert finden wir den vereinsamten Menschen, der den Glauben an sich und der Menschheit verloren hat und misstrauisch, voller Vorurteile, lebendige Begegnungen nicht mehr zulassen kann.

 

Der Zugang zu diesen Blockierungen sind die Leitbahnen und Gefäße der traditionellen Akupunktur. Über das Öffnen der blockierten Verbindungswege zwischen Himmel-Mensch-Erde können wir den freien Qi-Fluß wiederherstellen. Im Netz der Leitbahnen treten die acht außerordentlichen Gefäße als übergeordnete Strukturen besonders in Erscheinung. Sie sind die Bahnen der ursprünglichen Vitalität jīng shén 精神, jener Kraft, die von Geburt an den Zündfunken für jede mögliche Aktivität bereitstellt.

Die Zirkulation des ursprünglichen Qi findet hauptsächlich im kleinen himmlischen Kreislauf xiǎo zhōu tiān 小周天 zwischen Dumai und Renmai statt. Dū mąi 督脈 (das "Gouverneur-Gefäß") ist das Meer des Yang-Qi und verbindet alle Yang-Leitbahnen; er beeinflusst besonders die Kraft des Gehirns, der Wirbelsäule und des zentralen Nervensystems.

Rèn mài 任脈 (das "Konzeptions-Gefäß") ist das Meer des Yin-Qi und beherrscht alle Yin-Leitbahnen; dieses Gefäß ist besonders für die Funktionen der Reproduktion, der Atmung und des vegetativen Nervensystems verantwortlich. Beide Gefäße stellen direkte Verbindungskanäle zwischen Himmel und Erde dar. Das empfangende Yin des Konzeptionsgefäßes öffnet sich dem Himmel und erfährt über die Ein- und Ausatmung die natürlichen Rhythmen des Universums. Das kontrollierende Yang sucht die Verbindung zur Erde und vermittelt über die Wirbelsäule Stabilität und Kraft sowie den aufrechten Gang und über die Leistungen des Gehirns den Kontakt zur Außenwelt. Wahrnehmung, Abgrenzung und aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt werden über das Gouverneur-Gefäß gesteuert.

Die Zusammenführung von Du Mai und Ren Mai stellt die Vereinigung von Yin und Yang auf einer übergeordneten Ebene dar. Bereits in der Embryonalentwicklung geben sie die grundlegenden Impulse für die Differenzierung von Yin und Yang im wachsenden Fetus. Nach der Geburt treten sie scheinbar in den Hintergrund und machen Platz für die 12 Hauptbahnen und deren Nebengefäße, die dann den heranwachsenden Menschen mit Qi und Blut versorgen. Im Kern allerdings überwachen und nähren Du Mai und Ren Mai weiterhin alle Aktivitäten von Yin und Yang. Ihre offene Verbindung bewirkt, dass der Mensch tatsächlich seine Position zwischen Himmel und Erde finden und halten kann.

 

In der Behandlung des kranken Menschen haben wir mit diesen zwei Wundergefäßen mächtige Werkzeuge zur Verfügung, denn ihre harmonische Verbindung kann alle Kanäle öffnen! Als Meere des Yin und des Yang stehen sie mit allen 12 Leitbahnen in Kontakt. Im Qi Gong ist das Ziel der Meditation im kleinen himmlischen Kreislauf, diese Durchgängigkeit zu ermöglichen oder wiederherzustellen.

Du Mai und Ren Mai formen deshalb einen himmlischen Kreislauf, weil durch atemführende Techniken die essentielle Kraft des Himmels via des Ren Mai auf die Essenz der Niere wirkt und es im unteren Dantian umwandelt und veredelt. Im untersten Teil des Körpers, am "Meeresboden" des Mikrokosmos also, findet diese Transformation statt. Danach wird das umgewandelte Qi über den Du Mai nach oben zum Gehirn geführt. Auf dem Wege dorthin finden weitere Transformationen statt, aus denen am Ende der ursprüngliche Geist yuán shén 元神 geweckt wird und in die Leere des Dao zurückkehren kann. Was hier so einfach beschrieben wird, ist in Wirklichkeit ein langwieriger und komplizierter Prozess, der eine besondere Einstellung und Disziplin des Adepten erfordert. Denn nur durch unaufhörliches Üben wird das Qi in die Lage versetzt, den Naturgesetzen zu trotzen und entgegen seinem natürlichen Verlauf in den vorgeburtlichen Zustand zurückzufinden.

Die Karte des inneren Gewebes Nèi Jìng Tú 內徑圖 ist ein Abbild für diesen kleinen himmlischen Kreislauf und ein Schaubild für die Prozesse der inneren Alchimie nèi dān 內丹. Die Chinesen haben in ihren alten Traditionen den menschlichen Körper als einen Mikrokosmos angesehen, der dem Makrokosmos bis ins Detail nachempfunden ist. Seine Anatomie ist eine Landschaft, die Berge, Flüsse, Seen, Wälder und Tempel hat, seine Physiologie stellt die lebendige Interaktion zwischen Himmel und Erde dar mit dem allgegenwärtigen Qi. Die innere Welt des kleinen Kosmos erstrahlt so durch den Glanz des Großen.

Die uns hier vorliegende Grafik des Nei Jing Tu stammt aus dem Kloster der weißen Wolken Bai Yun Guan aus Peking und ist im Original eine Steinabreibung aus dem Jahre 1886. Es existiert auch eine farbige Reproduktion des Bildes, dessen Herkunft und Alter im Dunkeln liegen. Die Bilder zeigen einen menschlichen Leib mit Kopf und Rumpf, rudimentär verspielt und allegorisch dargestellt als Landschaft.

Sie stellen die Grundlage einer Meditation aus der daoistischen Alchimie der Neidan-Tradition dar, die Richard Wilhelm schon als "Kreisen des Lichts" beschrieben hat.

Dieses "Kreisen des Lichts" ist nur ein anderer Name für den kleinen himmlischen Kreislauf xiǎo zhōu tiān 小周天, den wir oben bereits als harmonisierende Verbindung von Du Mai und Ren Mai beschrieben haben. Die Entwicklung des inneren Elixiers nèi dān 內丹 gehört zum stillen Qigong jìng gōng 靜功 und besteht allgemein gesagt aus 3 Teilen:

1). Transformation von Essenz in Qi

2). Transformation von Qi in Shen

3). Nähren des Shen und Eintauchen in die Leere

Die innere Alchimie ist hier von der äußeren Alchimie klar zu unterscheiden. Die äußere Alchimie wài dān 外丹 hat den Hexenkessel außerhalb des Menschen und versucht, im Dreifuß, unter Feuer, durch chemische Prozesse mineralische Substanzen zu veredeln. So entstehen Elixiere, die geschluckt werden, um das Leben zu verlängern und die Unsterblichkeit des Leibes shēn zu erzielen. Die innere Alchimie nèi dān 內丹 zielt auf die Unsterblichkeit des Geistes shén ab und bedeutet harte Arbeit für den Adepten durch permanentes Üben bestimmter Techniken. Bestimmte Körperräume dienen dabei als allegorische Dreifüße. Hier finden die Umschmelzungsprozesse der Energien statt, die den neuen Menschen, den "Wahrhaftigen" zhēn rén 真人 hervorbringen sollen.

Das wahre Ziel der Alchimisten der inneren Tradition, nicht nur in China, war und ist die Veredelung der Persönlichkeit mit dem Ziel der kosmischen Verschmelzung. Es ist eine innere Entwicklung, die sich durch Sublimation, Reinigung und Umwandlung der körpereigenen Substanzen jīng , und shén in einem langsamen Prozess bis zum Eintauchen in die große Leere des Universums vollzieht.

"In einem Körnchen Hirse ist die ganze Welt verborgen", so lautet schließlich eine Stelle im Nei Jing Tu, die das Ergebnis des alchimistischen Prozesses beschreibt.

 

 

 

 

 

Interpretation des Bildes:

Die Abbildung lässt sich ohne Mühe in 3 Teile zerlegen, entsprechend den drei Orten unterschiedlicher Aktivitäten im alchimistischen Prozess. Im unteren Teil des Körperbildes symbolisiert ein Dreifuß den unteren Dan Tian. Die daraus auflodernden Flammen zeigen den ersten Einschmelzungsprozess, der hier stattfindet.

Im Text heiß es: "hier liegt das wahre Dan Tian". Die Ausstrahlungen der darüber liegenden vier, kreisförmig angeordneten, Yin-Yang-Symbole zeigen eine mächtige Wärmeentfaltung in alle (4) Richtungen an. Weiter steht hier: "Der Teich, in dem Wasser und Feuer miteinander verschmelzen". Die Punkte Renmai 4 = "ursprüngliche Schranke" und Renmai 5 = das "Stein-Tor" haben ebenfalls diese vereinigende Kraft auf Feuer und Wasser und befinden sich in dieser Region.

Durch beständige Meditation sammelt sich viel Qi im unteren Dan Tian an. Dieses Qi wird empfunden als eine warme Glut im Unterleib. Die massive Ausstrahlung von Qi legt den Gedanken nahe, hier befinde sich ein Energie-Meer; auf die Körperwelt der Akupunktur bezogen ist hier ebenfalls die Region des Qi Hai = "Meer des Qi" (Renmai 6).

Noch tiefer am Boden der Abbildung sehen wir ein Gewässer, das Wellen schlägt und zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, die auf großen Rädern sitzend Wasser treten. Sie pumpen das Wasser durch ein Tor nach oben. Hier steht:

"Das Rad des geheimnisvollen Weiblichen von Yin und Yang!"

Daneben finden wir noch einen längeren Text als Erklärung:

"Wieder und wieder, ununterbrochen, ganz allmählich vollzieht sich der Umlauf der treibenden Kraft und ändert das Fließen des Wassers nach Osten. Auch wenn der Meeresgrund 10000 Fuß Tiefe hat, sollte man das Sprudeln der süßen Quelle erkennen, das bis zum Gipfel der Südberge aufsteigt".

Der Junge und das Mädchen können als Ursprung der beiden Wundergefäße Du Mai (Yang) und Ren Mai (Yin) angesehen werden. Beide Gefäße entspringen in der Region des Perineums, dort wo sich der Punkt Hui Yin = "versammeltes Yin" (Renmai 1) befindet.

Das Perineum befindet sich am bzw. entspricht dem mikrokosmischen Meeresgrund. Der Gebrauch dieses Punktes für daoistische Sexualtechniken ist an vielen Stellen beschrieben, so z.B. im Qian Jin Yao Fang des Sun Si Miao (siehe auch die Beschreibung von Renmai 1). Kurz gesagt geht es dabei um das Zurückhalten und die Bewahrung des Samens beim (männlichen) Orgasmus und die Rückführung dieser Essenzen zum Gehirn als Meer des Markes, um damit den universellen Shen zu nähren.

Das Tor in der Zeichnung, durch welches das Wasser nach oben fließt, ist ohne Mühe als Punkt Chang Qiang = "lang und stark" (Dumai 1) zu identifizieren.

Daneben steht: "die untere Schranke ist der Wei Lü -(Pass)", und darüber: "Das Wasser des Abgründigen Kan fließt gegenläufig nach oben."

Hier befindet sich der erste Zinnoberkessel, in dem eine Transformation stattfindet. Hier wird Essenz zu Qi umgeschmolzen. Der Punkt Dumai 1 an der Spitze des Steißbeins hat viele alternative Namen, die seine strategische Bedeutung unterstreichen. Als Treppe zum Himmel weist der Name sehr bildlich auf die lange Wirbelsäule hin, die bis in den Schädel = der Himmel im Mikrokosmos, hinaufragt. Wei Lü = "das Schwanz-Tor" ist ein alternativer Name für Dumai 1. Der Punkt befindet sich am unteren Ende der Wirbelsäule am Steißbein. Sein Einflussbereich umfasst den ganzen unteren Rücken, den Anus und die (männlichen) Geschlechtsorgane.

Im kleinen himmlischen Kreislauf gibt es drei Passtore, durch die das Qi im Du Mai nur schwer hindurchgehen kann. Sie zu öffnen ist einer der vorrangigen Übungen in der ersten Phase der Meditation. Erst dann kann das "Kreisen des Lichts" ungehindert stattfinden. Das Passtor für das untere Dan Tian heißt Wei Lü, für das mittlere Dan Tian Jia Ji und für das obere Dan Tian Yu Zhen. (siehe später).

Kan, das Abgründige, steht im Yi Jing für den Norden und hat als Symbol die Talschlucht. Wie das Wasser keine Mühe scheut, sondern sich immer der tiefsten Stelle zuwendet, weshalb ihm alles zufließt, so ist der Winter im Jahresablauf und die Mitternacht im Tagesablauf die Zeit der Sammlung. Kan hat als Bild das Wasser, das von oben kommt (aus einer Gebirgsquelle) und auf der Erde in Bewegung ist in Flüssen und Strömen und alles Leben auf Erden veranlasst.

Der Hinweis auf die Symbolik des Yi Jing an dieser Stelle beschreibt die Transformation der Essenzen Jing vom tiefsten Yin des Winters zur Aufbruchsstimmung des jungen Yang, welche die treibende Kraft für das Fließen des Qi bis zum "Gipfel der Südberge" darstellt. Hier beginnt der erste Schritt auf der Leiter nach oben zu himmlischen Höhen in die Regionen des zu erleuchtenden Geistes Shen. Aus der Dunkelheit des Abgründigen Kan beginnt das Kreisen des Lichts.

Etwas höher die Wirbelsäule hinauf ist ein weiteres Feuer zu sehen. Daneben steht:

"Das ursprüngliche Höchste vereinigt sich mit der ursprünglichen Erde," und: "links und rechts gibt es im Bezirk der Nieren zwei Höhlen (Akupunkturpunkte)".

Wir befinden uns hier in der Region vom Lebenstor Ming Men (Dumai 4) und die es umklammernden Shu – Punkte der Niere (Bl 23).

An dieser Stelle besteht ebenfalls eine Verbindung zu dem Trigramm Kan als Symbol für die Lebenspforte Ming Men:

 






Die kurzen Linien oben und unten verkörpern die beiden Nieren, der lange Yang-Strich in der Mitte symbolisiert das Lebensfeuer des Ming Men (nach Zhang Zhong Jing)

Darauf basierend entstand später die Theorie, Ming Men sei zu vergleichen mit tài jí 太極, dem höchsten Einen. Tai Ji ist die Wurzel des ursprünglichen Yang und des ursprünglichen Yin im Makrokosmos. Ming Men befindet zwischen den Nieren und stellt damit das Tai Ji im Mikrokosmos dar (nach Zhang Jie Bin, 1624).

Die uns bekannte Polarität der Niere in Wasserniere und Feuerniere hat hier ihren allegorischen Ausdruck. Das lodernde Feuer entspricht der Feuer-Niere, davor sitzt ein Mädchen an einem Spinnrad, sie entspricht der Wasser-Niere.

Das Mädchen spinnt einen Faden, der oben an der Wirbelsäule am Punkt Da Zhui (Dumai 14) eintritt. Im Text heißt es: "Die Spinnerin bringt den Kreislauf in Bewegung!"

Nehmen wir den Spinnfaden als Nabelschnur, können wir das Mädchen auch mit dem Punkt "Wachturm des Shen" (Renmai 8) in Verbindung bringen. Dieser Faden läuft, wie wir auf dem Bild sehen, bis nach oben in den Schädel, um das Gehirn zu ernähren. Es ist diese Interaktion von Wasser- und Feuerniere, die den Antrieb für "das Kreisen des Lichts" gibt. "Hier ist ein Teich, in dem Wasser und Feuer miteinander verschmelzen!"

Die drei Feuerstellen im unteren Dan Tian geben einen Hinweis auf die geballte Kraft des Minister-Feuers, welches im Unterschied zum Kaiser-Feuer des Herzens für die Veredelung noch roher Substanzen zuständig ist. Hier unten ist der alchimistische Hexenkessel, in dem Blei zu Quecksilber veredelt wird. Die Transformation von Essenz zu wahrer Kraft zhēn qģ 真氣 findet hier statt.

Der Shen im Herzen scheint an diesem Prozess bisher wenig beteiligt zu sein: der Faden des spinnenden Mädchen zieht direkt zum Gehirn, um den Ursprungs-Shen yuán shén 元神 zu erwecken. Als Wächterin für den Shen verkörpert das Mädchen möglicherweise auch einen Aspekt des Herzbeschützers resp. des Minister-Feuers!

Am Übergang zum mittleren Teil der Abbildung sehen wir einen Ochsen vor einem Pflug gespannt. Dahinter steht ein Bauer mit einer Peitsche.

"Das eiserne Rind pflügt das Feld, um goldenes Geld zu säen. Der Knabe des Steinhauers hält eine Käsch-Schnur in der Hand, um es aufzureihen. In einem Körnchen Hirse ist die ganze Welt verborgen. In einem Halbliter-Topf kochen Berge und Flüsse. Die Augenbrauen des weißhäuptigen Laozi hängen bis zur Erde herab. Der nephritäugige barbarische Mönch trägt den Himmel auf seinen Händen. Wenn man dem Mysterium begegnet ist und das Geheimnis erkannt hat, dann gibt es außer diesem Geheimnis kein anderes Mysterium".

Diese Beschreibung ist eigentlich eine kurze Zusammenfassung des gesamten Bildes. Die Idee des "Pflügens" bezieht sich auf die Versenkung der gerichteten Gedanken auf das untere Dan Tian während der Meditation. Daher findet man auf dem Bild in Nabelhöhe den Pflüger bei seiner emsigen Arbeit, das Feld zu bearbeiten, d.h. das Lebenszentrum und seine Kraft anzuregen. Dies muss ein beharrlicher und beständiger Prozess ein. Diese wichtige Aufgabe der Wandlungsphase Erde in der Meditation resp. im stillen Qigong kann nicht oft genug betont werden!

So steht in der Allegorie für das beharrliche und stetige Beackern des ganzen unteren Dan Tian dann auch das eiserne, pflügende Rind als das entsprechende Haustier der Erde. Aus dem so bearbeiteten Boden erwächst wahrer Segen, der Adept ist vorbereitet zum Empfangen der nächsten Stufe der Erleuchtung. "Das eiserne Rind pflügt das Feld, um goldenes Geld zu säen."

 

Gekürzter Vorabdruck aus dem Buch von:

Udo Lorenzen: Mikrokosmische Landschaften – übergreifende Konzepte in der chinesischen Medizin, Verlag Müller & Steinicke, München 2006 (im Buch finden sie die Fortsetzung der Beschreibung des Bildes sowie weitergehende Erklärungen und Interpretationen über das Nei Jing Tu).